!!!Himmel, Herrgott, Sakrament, was soll denn das?

!!Ein Kommentar zur jüngsten Direktive der römischen Glaubenskongregation zur Gemeindereform in der kath. Kirche



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''Aus: Gedanken zu Glaube und Zeit Nr. 343/2020''


Von

__Alfred Gassner__


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''Religionsgemeinschaften können ihren Ruf als Werte- und Sozialgemeinschaft nur dann verteidigen und neu interpretieren,
wenn sie mit Loyalitätskonflikten umgehen können. Kritik an ~[den Mächtigen] füttert die Unzufriedenheit,
die darin endet, dass einzelne Gruppen aufeinander losgehen und sich die Bindungsmechanismen auflösen.
Ist der Landfrieden erst einmal nachhaltig gestört, helfen banale Antworten nicht mehr weiter. Schuld und Verantwortung
werden hin- und her geschoben, die Übermächtigen reagieren auf ihren Autoritätsverfall mit noch mehr
Druck und Blindheit, bis alle nur noch getrennt nebeneinander leben und die Gemeinschaft sich aufzulösen beginnt.
Das von Papst Franziskus gebilligte Rundschreiben vom Sommer 2020 zur Festschreibung des Status Quo in der Gemeindereform ist ein klassisches Beispiel für diese Signatur, über die ich mich – mit Verlaub – mit
einem gängigen bayerischen Fluch aufrege.''

!I. Macht korrumpiert und führt eigengesetzlich zum Verlust der Einheit
Der strukturelle Niedergang der kath. Kirche ist kein Zufall, sondern das Ergebnis einer Auseinandersetzung
zweier unterschiedlich starker Gruppierungen um die Machterhaltung und den
Expansionsdrang des kath. Klerus. Die Glaubensgemeinschaft (meist hineingepresst in ein
Rechtskorsett der öffentlich-rechtlichen, vom Staat unabhängigen Körperschaft) wird von einer
kleinen Gruppe „Mächtiger“ (Kleriker) gegen die Wertvorstellungen einer Laienmehrheit regiert
und beide Gruppen begegnen sich ständig mit Eifersucht und Misstrauen. Zum Algorithmus
dieser Beziehungen gehört natürlich auch die Tatsache, dass die Kirche global Teil vieler Weltgesellschaften
und Staaten ist und daher mit vielen Weltanschauungen, Kulturen, Gesellschaften
und deren staatlichen Ordnungen vernetzt ist und von dort immer wieder mit deren kosmopolitischen
Einflüssen, z. B. demokratischen Bürgerrechten, in Berührung kommt. Säkulare Belange
dringen so in die Kirche ein und das führt dort zu einem ständigen Verlangen nach auch mehr
religiöser Unabhängigkeit und Mündigkeit. Dieser Spannungsbogen zwischen säkularer Freiheit
und sippenhaftem Religionsgehorsam, zwischen Zeitgeist und Bewahrung, lässt die Bereitschaft
ihrer Mitglieder zur Kooperation schwinden. Je enger in der Kirche von oben die Grenzen der
Glaubens- und Denkfreiheit gezogen werden, umso mehr schwindet die Loyalitäts- und Solidaritätsbereitschaft
in der Mitgliedschaft, können kosmopolitische Entwicklungen autoimmun die
Kirche von innen her angreifen.

Im Schmerzkontrollzentrum der Klerikalkirche (der Kleruskongregation) herrscht derzeit offensichtlich
Aufruhr, weil die Potestas-Träger den Laienprotest und den Synodalen Weg als ~[Sündenfall]
interpretieren und deswegen ihre Vormacht gefährdet sehen. Die schon lange andauernde
Angstreaktion hat dazu beigetragen, dass immer mehr Katholiken aus der Kirche austreten.
Nur noch ca. 9 Prozent besuchen regelmäßig Sonntagsgottesdienste, die Zahl der gespendeten
Sakramente sinkt dramatisch und nur noch wenige Schulkinder nehmen am Religionsunterricht
teil. Was noch an Seelsorge vorhanden ist, ist nur eine Simulation dessen, was nötig wäre. Die
Kirchenstruktur hatte keine Mittel, während der Pandemie den Menschen nahezubleiben, ihre
Fernsehgottesdienste wirkten wie private Messfeiern von ein paar Playmobilfiguren. Es gibt
schon lange keinen Priesternachwuchs mehr, selbst die treuesten Katholiken sind nur noch mit
halben Herzen in der Kirche, 30 Prozent befassen sich mit dem Gedanken, auszutreten. Die Vererbung
katholischer Traditionen in den Familien an die nächste Kindergeneration ist längst zum
Erliegen gekommen, weil die derzeitige Elterngeneration schon nicht mehr christlich erzogen
wurde. Die Kirche brennt bereits vom Boden her; und das Feuer soll mit immer schärfer Laienbevormundung
unterdrückt werden? Welch eine Riesen-Dummheit!

!II. Die kath. Kirche ist vom Grund auf an ihrem Klerikalismus autoimmun erkrankt
1. Das Problem des kath. Klerikalismus liegt nicht in der absoluten Führungsmacht der Kleriker-
Kaste, sondern darin, dass die Mächtigen sich nicht selbst bändigen oder von dritter Seite unter
Kontrolle gehalten werden. Macht neigt zu Übertreibungen und bedarf daher der Kontrolle, weil
sie sonst zerstörerische Konsequenzen nach sich zieht. Dass der Klerikalismus so in Verruf geraten
ist, liegt sicherlich auch daran, dass viele Kleriker vergessen haben, dass sie zur Begründung
ihrer Autorität nicht nur der Priesterweihe bedürfen, sondern auch der Anerkennung durch ihre
Gemeinden. Die unübersehbaren Brüche zwischen Amts- und Laienkirche zeigen sich gerade
jetzt in der Instruktion der römischen Kleruskongregation zur Gemeindereform und deren vehementem
Ton. Lieber keine Gemeinde ohne Priester als einen Laien als Gemeindeleiter, sagen
die Männer in den römischen Palästen; sie tragen Masken, wo Offenheit das Gebot der Stunde
wäre und tarnen sich mit Frömmigkeit.

Auch deswegen hat sich im Laufe der Zeit in der Laienkirche eine Glaubenshaltung verfestigt, die
für sich in Anspruch nimmt, dass sich der volle Glaube an Gott mindestens zu einer Hälfte selbst
aus der eigenen Spiritualität speist, die Lehre und der Kult dagegen nur als Ergänzung und Korrekturelement
anzusehen sind. Ihr Säkularismus hält im Gegensatz zur Lehre der Kirche das
Glaubensgeschehen für grundsätzlich revidierbar, es kommt ihnen nicht mehr entscheidend darauf
an, ob die Lehrmeister das auch so sehen oder nicht. In der Substanz glaubt daher heute
kaum jemand an die Jungfrauengeburt Marias oder deren leibliche Aufnahme in den Himmel
oder die Unfehlbarkeit des Papstes. Diese laieneigne ~[Modifikation] versteht die Bibel versteht
nicht mehr als ~[Wort Gottes], sondern als Chronologie von typischen Lebensverhältnissen alter
Zeiten, die im Gang der Zeiten zwar ihren grundsätzlichen moralischen Charakter nicht verloren
hat, aber mit der Ratio unserer Tage analog anzuwenden ist. Das Gebot des Pflichtzölibats, das
Verbot der Priesterweihe für Frauen, die Sexualethik, der Ausschluss Geschiedener von den Sakramenten
und den Ausschluss der Laien von der administrativen Mitverantwortung sind bei
ihnen Relikte aus der vorkonziliaren Zeit, die sich mit der Rückbindung auf Dogmen oder den
Wortlaut der Bibel nicht mehr begründen lassen.

2. Was greift die Kirche noch von innen an? Frater Richard vom Orden der Barmherzigen Brüdern
in Regensburg vergleicht seine Kirche in der SZ vom 31.07.20 drastisch mit einem ~[Tiergarten].
Zitat: „In der Kirche gibt’s alles“ und ja, auch „viele Affen.“. Er charakterisiert damit
viele diffuse Priestergestalten, die (quer durch alle Dienstgrade, Instanzen und Altersschichtungen)
zur Struktur der Kirche gehören. Diese Extremisten glänzen durch ihre Neigung zu überbordender
Selbstdarstellung, Besserwisserei, Geniehaltung und Uneinsichtigkeit, spielen aber
infantil mit Weihnachtsgrippen und Karfreitags-/Karsamstags-Gräbern Jesu, tragen meist Kollar
oder ein Soli Deo auf dem Kopf. Mit dem Vorwurf des gesellschaftlichen Atheismus und Sittenverfalls
düpieren sie ihre Gemeinden, liegen aber mit ihren Tarnbehauptungen meist falsch. Denn
wenn Geschiedene neue familiäre Bindungen eingehen oder Frauen zur Empfängnisverhütung
die Pille einnehmen, so ist das keineswegs sozialschädlich, sittenwidrig oder atheistisch; und eine
amtliche Lehre, die Sexualität auf das eheliche Schlafzimmer beschränkt und gleichzeitig die Pille
verbietet, ist Traumtänzerei. Sozialschädlich ist vielmehr die Diskussion um den Pflichtzölibat,
die auch zölibatstreue Kleriker diskriminiert und der öffentlichen Häme ausgesetzt, ohne dass
man daran denkt, Priester mit Heiratsabsichten weiter in der Kirche im Amt zu belassen.
3. Die endgültige Widerlegung des römischen Klerikalismus als eines adäquaten Leitungsinstruments
und seine Definition als Autoimmunerkrankung geschahen durch die kath. Skandalgeschichte
2010, aus der alle Welt beweissicher erfuhr, in welch unsittlicher Manier es in kirchlichen
Einrichtungen sexuellen, körperlichen und geistigen Missbrauch an Kindern und Frauen gab und
gleichzeitig viele Bischöfe als Vertuscher straffällig wurden. Mehr und mehr kam heraus, was
hinter Kirchenmauern passiert war und wie grausam das kirchliche Management mit den traumatisierten
Opfern umgegangen ist. Fast zeitgleich wurde bekannt, dass es auch im Vatikan mafiöse
Bankgeschäfte, unaufgeklärte Sexskandale, Spendenvertuschungsaffären, Dokumentendiebstähle
etc. gab. Bis in ihr Innerstes beschädigten diese Skandale die Kirche und widerlegten ihre behauptete
~[Heiligkeit]. Dementsprechend achten heute nur noch ganz wenige auf die blinden Willenssetzungen
der Amtskirche, gehen ihre eigenen Wege und verzichten auf die Autorisierung ihrer
Überzeugungen durch die Kirche.

Diese Auswürfe des Bösen hatten ihre gemeinsame Wurzel in einem Klerikalismus, der keine
Selbstbeschränkung, sondern nur Selbstbezüglichkeit kannte. Unter dem Deckmantel der alleinigen
Amtshoheit konnte sich der Apparat irgendwann so weit vom staatlichen Recht unabhängig
machen, dass er hauseigene Straftaten vor der staatlichen Gerichtsbarkeit intransparent halten
und vertuschen konnte. Die unzivilisierten Potestas-Inhaber fühlten sich weltweit legitimiert,
Personalakten zu frisieren und zu vernichten, von gebotenen Strafanzeigen abzusehen und die
Täter auf neue Planstellen zu versetzen, um sie so vor staatlicher Rechtsverfolgung zu schützen.


Die selbstgestrickte Immunität wurde so verfeinert, dass Täter sich trotz staatlicher Haftbefehle
darauf verlassen konnten, durch Versetzung auf andere Kontinente ungeschoren davonzukommen.
Die unaussprechliche seelische Gefangenschaft, familiäre Ächtung und das weitere Schicksal
der traumatisierten Opfer interessierten den Apparat nicht, wichtig war ihm nur, dass die
~[Kirche] keinen Imageschaden erleidet. So entstanden die Hohlräume im Sittlichkeitsmantel der
Kirche, für die sich jeder Christ (jedenfalls der katholische) bis heute schämen muss.
4. Seitdem ist der kath. Klerikalismus als ein stinkender Mechanismus enttarnt, der nur darauf aus
ist, Macht auszuüben, Widerstand und Opferansprüche zu unterdrücken und sich dabei selbst in
Schutz zu nehmen. Wenn man ihn tun lässt, was er vorhat, dann tut er das auch und sprengt jedes
Maß. Zeugung und Geburt eines solchen Autoritätsmissbrauches geschehen im Geheimen;
bekannt werden seine Folgen erst, wenn man in flagranti dabei erwischt wird und es zur Katastrophe
kommt.

Aber immer noch ist die alles entscheidende Frage nicht beantwortet: Führt mehr Autonomie in der
Gemeinde zwingend zu weniger klerikaler Autorität? Ich antworte mit einem definitiven Nein. Eine
Begegnung der unterschiedlich verantwortlichen Funktionsträger, deren Ziel die Erhaltung der
Kirche Jesu Christi ist, auf gleicher Augenhöhe steigert die Autorität der Stabsstellen, weil diese
aufhören, willkürlich gegen die Gemeinde zu regieren. Damit ehren sie ihr Gegenüber (die Gemeinde),
die diese Ehrung mit zurückgegebenem Vertrauen dankt. Tausende hervorragender
Priesterpersönlichkeiten haben diesen Weg vorgezeichnet und beweisen, dass die Brücke der den
Laien anvertrauten Autorität trägt.

Wenn wir also bei den anstehenden Kirchenreformen weiterkommen wollen, ist der Klerikalismus
unserer Tage keine Hilfe, sondern ein echter Störfaktor. Die Wahrheit, die Kleriker und
Laien gemeinsam suchen, ist niemals statisch oder nur in einer Hand, sondern stets in der gemeinsamen
Verantwortung aller Glieder. Es gibt viele Wege zu ihr, die Lehre ist nur einer. Weltanschauungen,
Naturwissenschaften, alle Kunstereignisse und vor allem die persönliche Spiritualität
sind weitere Speicher, aus denen wir bei unserer Suche schöpfen dürfen. Wenn das alles in
unserem Christsein untergebracht werden muss, ist die gemeinsame Verantwortung von Klerikern
und Laien wohl der einzige Weg, der die Kirche aus ihrer Krise führen kann.

!III. Wann kommt die Wende? Mt 11, 25-30 und das biblische Vier-Augen-Prinzip

Wenn so viele Menschen den kath. Klerikalismus als langfristig etablierten Störfaktor im Kirchen- und
Glaubensgeschehen verstehen und die neueste Instruktion des Vatikans zur Gemeindereform als Beweis
für diese These einbeziehen, dann ist zumindest konkret ein Zeitpunkt für Innovationen nicht in Sicht.
Genau wie im allgemeinen Klimaschutz sind dicke Bretter zu durchbohren und das geht derzeit nur mit
Zähigkeit, Druck und Gegendruck, etwa in Form der Verweigerung. Wenn alle nur still wie das Schweigen
der Lämmer sind, hört man auch jene nicht mehr, die überfällige Reformen befürworten, bleibt die Kirche
stehen, während die Klerikalen sie zugrunde richten. Es wird noch Dekaden dauern und viel Substanz
kosten, bis Voderholzer & Co einsehen, dass sie verloren haben, aber auch dieser Zeitpunkt wird kommen,
weil es keinen anderen Weg gibt.

Bischof Voderholzer in Regensburg und Kardinal Woelki in Köln sind mit der Begründung gegen den
Synodalen Weg, ihm fehle „der Wille zur Neuevangelisierung“. Dass sie ihre Ablehnung mit dem Tarnwort
~[Neuevangelisierung] begründen, erscheint mir als eine Anmaßung, denn sie wollen die Kirche ja
nur als rein klerikal dominierte Lehrveranstaltung erhalten. Sie halten nichts von einem ~[Vier-Augen-
Prinzip], das die Gültigkeit grundlegender Arbeitsvorgänge in einer Gemeinschaft immer von der gleichlautenden
Entscheidung zweier Verantwortungsträger abhängig macht, um Machtüberschreitungen von
vorneherein zu begrenzen. Damit erweisen sie sich aber nicht als bibelfest.

Mt 11, 25-30 weist nämlich grundlegend einen anderen Weg. Wenn Jesus seinem Vater dafür dankt, dass
er seine Wahrheit vor den Weisen und Klugen verborgen hält, den Kleinen aber offenbart, so dokumentiert
er damit, dass Christsein seine volle Aussagekraft und metaphysische Endgültigkeit nicht allein aus dem Gehorsam der Gläubigen gegenüber der Lehre, sondern auch aus der Spiritualität breiter konkurrierender,
aber auch konvergierender Erfahrungen vieler Einzelner erhält. Erst die einzelnen Individualsubstanzen
immunisieren das fließende Geschehen in der Kirche gegen das ansteckende Virus der Unveränderbarkeit,
der Restauration, und machen so den Weg frei für Innovationen. Jesus versteht demnach
Christsein als Modellfall eines dialektischen Zusammenkommens unterschiedlicher Wege und Substanzen
in einem gemeinsamen Ziel, was einer Verurteilung des herrschenden Klerikalismus durch ihren Gründer
Jesus gleichkommt. Deswegen ist es legitim, wenn im christlichen Glauben neben der Lehre der amtlichen
Kirche auch philosophische und naturwissenschaftliche Erkenntnisse sowie Elemente aller Kunstgattungen
zum Ausdruck kommen. Das heißt auch, dass der Klerikalismus aufhören muss, mehr sein zu wollen
als ihm erlaubt ist, und dass er der Spiritualität der Einzelnen einen sicheren Platz in der Kirche einräumen
muss; nur so wird die Kirche als Glaubens- und Wertgemeinschaft wieder substanzielle Zugewinne erzielen
können. Derzeit steht die Kirche hilflos wie vor einer Klamm, wo man nicht weiß, wo es weitergeht,
und weiß in diesem Sinne selbst nicht, wie es mit ihr weitergehen soll. Wer das in der Amtskirche nicht
bedenkt, den bestraft das Leben.

''__Alfred Gassner__, Regensburg, ist Dipl. Rechtspfleger a. D.''








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