!!Kommentar zu Josef Höchtls Untersuchung: Wie entwickelt sich die religiöse Prägung in Österreich?

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''Aus: Gedanken zu Glaube und Zeit Nr. 336/2020''


Von 

__Wolfgang Oberndorfer__

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Sehr geehrter Herr Professor,

Lieber Cartellbruder!

Dein Beitrag in den GGZ[1] hat mich sehr interessiert. Ein ähnlicher Beitrag mit Deiner Mitwirkung
erschien kürzlich in der ACADEMIA[2], mein Leserbrief dazu war aber offenbar zu lang.

Diesmal nütze ich jedenfalls die Chance, Dir meine Gedanken zu Deinen Umfrageergebnissen
persönlich mitzuteilen. Vorab: ich beschäftige mich seit zehn Jahren, nach einem erfüllten Leben
als Gatte und Familienvater einerseits und Ordentlicher Universitätsprofessor andererseits, mit
dem Generalthema "Katholischer Glaube und Vernunft". Mehr über mich kannst Du in
[www.wolfgang-oberndorfer.at|http://www.wolfgang-oberndorfer.at] nachlesen.


Ich habe mich auch mit den von Dir angeführten Fragen zu religiösen Einstellungen schon einige
Zeit intensiv beschäftigt und gebe in diesem Sinn nur einen Kommentar zu den Umfrageergebnissen
aus meiner Sicht ab.

Christliche Prägung, christliches Land: Ein Umfrageergebnis hängt davon ab, wer befragt wurde:
nur Katholiken, nur Christen oder alle Österreicher. Hier wahrscheinlich letzteres, was bedeutet,
dass unter den 20 Prozent, die nicht der christlichen Prägung zustimmen, vor allem die Anhänger
nichtchristlicher Religionen, die Menschen ohne Religionsbekenntnis, die Agnostiker und die
Atheisten zu finden sein werden. Diejenigen, die nur wegen Unzufriedenheit mit der katholischen
Kirche aus dieser ausgetreten sind, sonst aber zu den christlichen Werten stehen, werden nicht
den 20 Prozent zugerechnet werden können. So gesehen ist das Ergebnis plausibel.

Frage nach dem Leben nach dem Tod. Die geringe Zustimmung (zwischen 39 Prozent und 48
Prozent) wundert mich gar nicht, weil die anthropomorphe Lehre im Katechismus von vielen
nicht mehr geglaubt wird. Wer glaubt schon an einen verklärten Leib, der von den Toten aufersteht,
sich mit der Seele (sic!) wieder vereint und zum himmlischen Mahl eingeladen ist? Wie das
raum-zeitlose Sein unserer Seele, ohne Bewusstsein und Gedächtnis – die enden gem. Humanwissenschaften
mit dem Wegfall des Informationsträgers Gehirn – aussieht, weiß niemand. Eine
der heutigen Theologie entsprechende Frage hätte lauten müssen, ob man an ein raum-zeitloses
Sein einer, jedem Menschen eineindeutig zugeordneten, Entität bei Gott im Transzendenten, bei
dem alles aufgehoben ist, glaubt. Aber diese Frage ist schon nicht leicht zu verstehen.
Frage nach Gott. Die geringe Zustimmung von 47 Prozent wundert mich nicht, aus zwei Gründen:
Erstens, weil viele mit einem allmächtigen und allwissenden Gott nichts mehr anfangen
können. Ein Gott, der uns die Naturkatastrophen (und jetzt das Corona-Virus) zumutet? Ein
Gott, der zuschaut, wie sechs Millionen Juden, Mitglieder des von ihm auserwählten Volkes, mit
denen er den Alten Bund (Mosesbund) geschlossen hat, von den Nazis umgebracht wurden?
Zweitens, weil die Menschen viel eher an Jesus und die von ihm überbrachte Botschaft von der
Nächstenliebe, von der Menschenwürde und Menschlichkeit, vom Reich Gottes und die durch
Jesus und den Neuen Bund bewirkte Erlösung glauben. Außerdem versteht fast niemand die
Trinität, ein theologisches Dreipersonen-Konstrukt aus den frühen christlichen Jahrhunderten.
Eine der heutigen Theologie entsprechende Frage hätte lauten müssen, ob man an einen Gott
glaubt, der seine Allmacht und Allwissenheit in unserem Universum durch die Achtung der Naturgesetze
und des freien Willen des Menschen selbst beschränkt hat.

Frage nach der Religiosität. Hier besteht offensichtlich ein Korrelat mit der Frage nach Gott,
wenn die Befragten diese Frage richtig verstanden haben. Nämlich, dass Transzendenz die
Grundlage jeder Religion, weil Rückbindung an Transzendenz, ist.

Frage, ob Jesus der Sohn Gottes ist. Auch die 30 Prozent hier wundern mich nicht. Seitdem erstens
bekannt wurde, dass die "Jungfrau" bei Lukas ein Übersetzungsfehler aus dem Alten Testament
in die Septuaginta war, und zweitens die Absurdität bewusst wurde, dass der Hl. Geist, von
dem Maria empfangen hat, durch Hauchung aus dem Vater und dem Sohn hervorgegangen ist,
wird Jesus in der neueren Theologie immer öfter als Mensch angesehen, der ein Alleinstellungsmerkmal
unter allen Menschen hatte. Er war der Überbringer einer authentischen Botschaft Gottes,
der Offenbarung, gab sein Leben für seine Überzeugung hin, und wurde zu Gott erhöht, um
als Christus in unserer Mitte zu sein. Die Außerkraftsetzung der Naturgesetze (Auferstehung und
Himmelfahrt Jesu) durch Gott wird von vielen heute nicht mehr akzeptiert, weil sie schlicht und
einfach intellektuell unredlich ist (siehe oben, Allmacht Gottes).

Frage nach der Auferstehung Jesu. Hier besteht offensichtlich ein Korrelat mit der Frage, ob
Jesus der Sohn Gottes war. Die Frage hätte lauten müssen, ob Jesus nach seinem Tod als spiritueller
Christus unter den christlichen Gläubigen weilt. Das hätten viele wegen der Wirkung der
Sakramente und insbesondere wegen des Empfanges von Brot und Wein in der Eucharistie verstanden
und bejaht. Dass letzteres Magie ist, ist wieder eine andere Sache.

Frage nach den zehn Geboten. Die geringe Zustimmung von 41 Prozent erklärt sich damit, dass
sich die zehn Gebote zu großen Teilen im Straf- und Zivilrecht wiederfinden. (So gesehen ist
auch leicht zu verstehen, dass Österreich aus mehrheitlicher Sicht eine christliche Prägung hat
und ein christliches Land ist.)

Frage nach der Einstellung zum Weihnachtsfest. Der Schift vom religiösen Fest zum Brauchtum
spiegelt die zunehmende und wahrscheinlich unumkehrbare Säkularisierung in unserer Gesellschaft
wieder. (Ich erinnere mich an eine Fernsehsendung vor ungefähr dreißig Jahren, bei der
Elisabeth Orth anlässlich des Pfingstfestes die Barockkirche von Stadl-Paura vorstellte und dabei
erwähnte, dass in dieser Kirche der fromme Brauch ~[sic!]der Firmung gerne durchgeführt wird.
Abschließend erwähne ich das, was einen durchschnittlichen Katholiken an der Kirche stört, auf
Grund meiner Beobachtungen, allerdings weniger punktuell, sondern in Kategorien verallgemeinernd,
und gereiht nach Schwere der Anstößigkeit:

* Mangelnde Wahrhaftigkeit (Bruch der Gebote der Sittenlehre durch Kleriker, insb. Missbrauch, Vertuschung; finanzielle Unregelmäßigkeiten und Verschwendungssucht, insb. im Vatikan)
* Inakzeptable Teile der Sittenlehre (gründet auf dem Naturrecht, das einer noch animalischen Stufe der Evolution entnommen ist, z.B. Verbot Empfängnisverhütung)
* Nichtbeachtung von Menschenrechten (Diskriminierung der Frau, der Homosexuellen; Pflichtzölibat)
* Absolutistische monarchische Verfassung (keine Gewaltenteilung, keine Mitbestimmung, keine bis wenig Kontrolle)
* Inakzeptable Teile der Glaubenslehre (Naturwunder; wörtliches Verständnis der Bibel;
fehlende biblische Grundlagen)

In unserer Zeit der Menschenrechte, demokratischen Rechte, Zivilgesellschaft, Toleranz, Vernunft,
Sachlichkeit, Faktencheck und Wikipedia sind das sehr anstößige Aspekte der katholischen Kirche, die der Säkularisierung Vorschub leisten. Zuflucht zur Spiritualität und Hoffnung auf
raum-zeitlosen Sein in der Transzendenz (ewiges Leben bei und mit Gott) wird der Kirche nichts
bringen, solange die von der Kirche verkündete Lehre nicht in Deckung mit dem naturwissenschaftlichen
und humanwissenschaftlichen Erkenntnisstand ist, ihre Verfassung nicht heutigen
Ansprüchen entspricht und sich die Menschen in der Kirche nicht angenommen fühlen. Und
dazu kommt das Problem der verlorenen Jugend.

Lieber Cartellbruder, das waren nur einige Gedanken zu den Ergebnissen, die Du präsentiert hast
und für die wir Dir sehr dankbar sind.

Es grüßt Dich cartellbrüderlich

Wolfgang Oberndorfer

''Der Verfasser, Dipl.Ing. Dr. Wolfgang Oberndorfer, ist Ordentlicher
Universitätsprofessor i.R. der Technischen Universität Wien und Freiberuflicher
Wissenschaftler, Gutachter, Schriftsteller und Publizist. Ein
Schwerpunkt seine Arbeiten ist die Kompatibilität von Glauben und naturwissenschaftlichem
Erkenntnisstand.''

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!Fußnoten
[1|#1] [Nr. 335 der Gedanken zu Glaube und Zeit|335 - Höchtl, Die religiöse Prägung Österreichs.pdf].\\
[2|#2] Organ des Cartellverbandes der farbentragenden Katholischen Akademischen Verbindungen in Österreich.
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