!!!Wer kämpft, kann gewinnen oder verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren

!!Eine Replik auf Ursula Brunner-Blöchligers kirchliche Clusteranalyse[1]

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''Aus: Gedanken zu Glaube und Zeit Nr. 347/2020''

Von

__Alfred Gassner__

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!I. Koexistenz ja oder nein?
Ich kann mich in vielen Punkten der Kritik von Ursula Brunner-Blöchliger an der kath. Amtskirche
anschließen, in einem Punkte nicht: Auch in der reformierten Kirche muss es eine Koexistenz
zwischen konservativ orientierten Gläubigen und jenen geben, die immer wieder neue Strukturen
in der Kirche anstreben. Alles andere wäre nicht nur der Tod der kath. Kirche, sondern
auch der Ökumene. Wir brauchen eine Kirche mit buntem (ökumenischen) Glaubenssinn als
Antriebsfeder, nicht eine >moderne< Kirche, die sich wiederum nur darum streitet, was >modern<
im christlichen Sinne bedeutet. Die Kirche wird und muss immer eine Kontrastgesellschaft von denen, die vorangehen, und denen, die bleiben wollen sein, die der Koexistenz bedarf.

Ihr aktueller Konfrontationskurs rührt von daher, dass nur noch eine klare Minderheit den Kernaussagen
der Amtskirche folgt (wer >glaubt< heute etwa noch ernsthaft z. B. an die Jungfrauengeburt
oder die Himmelfahrt Marias mit Leib und Seele, wer hält sich noch an das Pillenverbot
und die Sexuallehre?).

Dass der Kirche ein globales Wir-Gefühl fehlt, liegt daran, dass Laien ihre prägenden Kräfte in
der kirchlichen Organisation nicht einbringen dürfen, von Vollzügen, Gestaltungs- und Entscheidungsprozessen
ausgeschlossen sind, weil dies dem Klerikalismus nicht in den Kram passt.

Wenn wir aber die Kirche als christlich-ökumenische Glaubensgemeinschaft wiederherstellen
wollen, muss von klerikaler Seite mehr kommen als Gesprächsangebote, die nur der Verzögerung
von Reformen dienen sollen; es gilt, die alte konservative Verpuppung abstreifen und dem neuen
Wesen gemeinsam ein Überleben in schwieriger Umgebung zu sichern.

!II. Dann stellt sich aber die Frage, wie sich die Dominanz des Klerikalismus abstreifen lässt

1. Um die Tiefe und den Umfang der Enttäuschung in der Laienkirche verständlich zu
machen, mag es nützlich sein, eine kurze Bemerkung über die Geschichte der Verhinderung von
Reformen durch die männliche Priesterkirche vorauszuschicken. Nachdem sich nach dem II.
Vatikanum zunächst die Tür für mehr Laienteilhabe zu öffnen schien, gab es mehr als ein halbes
Jahrhundert lang immer wieder Gesprächsansätze von gutwilligen Klerikern mit Laienvertretern
mit Ziel für mehr Mitsprache und Mitverantwortung von Laien, die aber von den verschiedenen
Päpsten in Rom (insbesondere Johannes Paul II. und Benedikt XVI.) und den Weltbischöfen
durch geschickte Verweigerung sabotiert wurden. Diese Versuche drehen sich bis heute im Kreis
und müssen als gescheitert gelten.

Auch der Synodale Weg in Deutschland wird daran nichts ändern. Immer wieder wird mit den
alten Argumenten versucht, Blockaden zu errichten. Dass sich die Kirchenaustrittstatistik in
Deutschland seit dem Jahr 2000 fast um 100% verdoppelt hat, die Zahl der regelmäßigen Gottesdienstbesucher
in 1950 von ca. 12 Mio. auf derzeit ca. 2 Mio. verringert hat, dass die Zahl der
gespendeten Sakramente und die der Kinder, den Religionsunterricht noch besuchen, dramatisch
gesunken ist, dass der religiöse Transfer des Christentums in den Familien in die nächste Kindergeneration
zum Erliegen kam, dass es einen scheußlichen Missbrauchsskandal gab und der Priesternachwuchs
ausbleibt, reicht immer noch nicht aus, um die Ordinarien und Rom davon zu
überzeugen, dass sich unverzüglich etwas tun muss.

Es gab aber auch kleinere Fortschritte, z. B. die Würzburger Synode, deren Ergebnisse und Vereinbarungen
allerdings wiederum von fast allen deutschen Bischöfen ignoriert wurden. Wurde die
Kritik an Rom und den Weltbischöfen zunächst stoisch ignoriert, muss Kardinal Marx aus München
vor der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) eingestehen: „So wie bisher können wir nicht
weitermachen.“ Die klerikale Kirchenmacht ist aus den Fugengeraten, ohne dass konkret abzusehen
wäre, wie es mit der Kirche insgesamt weitergehen soll. Die Krise zeigt das ganze Spannungsverhältnis
der innerkirchlichen Entfremdung und ein Clusterverhalten aller Beteiligten, das
zumindest augenblicklich keinen vernünftigen Ausweg aus der Krise erkennen lässt.

2. Von daher erwarte ich von weiteren Scharmützeln keine Fortschritte. Sie bieten Rom
und den Bischöfen immer nur die Chance, sich in fromm getarnten Verlautbarungen zu verweigern.
Für Deutschland ist derzeit der Synodale Weg der richtige Ort für Nagelproben des guten
Willens und der Stärkung des kirchlichen Wir-Gefühls und sonst nirgends.

Bevor man allerdings an Streik denkt, sollte man sich klarmachen, was auf dem Spiel steht und
welche Maßnahmen >verhältnismäßig< sind. Verhältnismäßigkeit bedeutet in meiner Version,
dass die zu ergreifenden Maßnahmen an die gegebenen Verhältnisse angepasst werden müssen,
dass das ethische Verbot der Überhärte zu beachten ist. Nicht die Befindlichkeit der Betroffenen
ist der Maßstab für Art und Umfang des Eingriffs in die Rechte Dritter, sondern das Ziel bestimmt
das Maß. Wenn man schlussendlich berücksichtigt, dass Ziel aller Maßnahmen die Beseitigung
des der Laienkirche aufgezwungenen Herdengehorsams ist, dann wird allmählich klar, dass
theoretisch zwar viel möglich wäre, aber nur wenige Maßnahmen für die Durchsetzung des Zieles
geeignet sind. Von daher muss jeder Mitwirkende am Eingriff sich darüber klar werden, was im
Kirchenstreit zulässig hält und was nicht. Insoweit sind meine folgenden Gedankengänge kein
Versuch der Überzeugung, sondern eine Anregung, selbst über angemessene Maßnahmen nachzudenken.

3. Was also könnte seitens der Laienkirche getan werden, um zu einem adäquaten Handlungsgerüst
zu kommen?

* Das Kirchenrecht bietet im CIC (cc 208-223) theoretische viele Möglichkeiten für Laien,
in Form von kirchlichen und nichtkirchlichen Vereinen Einfluss auf das Kirchengeschehen
zu nehmen. Sie alle stehen aber (mit Ausnahme der außerkirchlichen Vereine, die von
den Ordinarien anerkannt werden müssen) unter der bischöflichen Leitung und Kontrolle,
ein Vertreter des Bischofs sitzt immer mit am Vereinstisch, in wichtigen Fällen bedürfen
Vereinsbeschlüsse der Zustimmung des Ordinariats) und können organschaftlich gegen
den Willen eines Bischofs nichts bewegen. Also würde auch die organisatorische
Form des Zusammenschlusses in kirchlichen Vereinen keinen Fortschritt bedeuten. Dagegen
halte ich die in verschiedenen Ländern gegründeten außerkirchlichen Vereine unter
dem Namen „Wir sind Kirche“ oder „Maria 2.0“ und andere Konvente für wichtige Kritikoffensiven,
die immer wieder mediale Aufmerksamkeit, die den Ordinarien weh tut, erzeugen
können.

* Auch Diözesan-, Katholiken- und Pastoralräte als Organe der Mitwirkung von Laien am
Kirchengeschehen (cc 369, 511-514, 375, 381, 391) stehen m. E. der Verstärkung der Reformbewegung
eher im Weg. Sie versammeln sich oft nur in der Anbetungshaltung vor
ihrem Bischof und erregen keinerlei öffentliche Aufmerksamkeit. Im Bistum Regensburg
hat der damalige Bischof G.L. Müller den Diözesanrat per Handstreich abgeschafft und
durch ein vom ernanntes Diözesankomitee ersetzt.

4. Stellt euch vor, es ist Sonntag, die Glocken laden zur Messe und niemand geht
hin!

„Die Verweigerung des Herdengehorsams als Ultima Ratio“ – oder – „Die Eucharistiefeier ohne
Teilnehmer“ scheint zunächst generell als Widerspruch zum Friedensgebot in einer christlichen
Glaubensgemeinschaft zu sein. Als Teil der Gewissens- und Handlungsfreiheit ist sie aber m. E.
auch als ein zulässiges und notwendiges Hilfsmittel der Selbstverteidigung diskussionswürdig.
Auch Kirchenrecht ist dazu da, Frieden und Freiheitsrechte in der Gemeinschaft zu gewährleisten,
wenn diese hierarchisch ständig verweigert werden. Gesetzesrecht, das durch seine Verweigerung
zu Unrecht wird, darf in legitimer Form bekämpft werden.

* Einen kräftigen Schub würden Kirchenreformen erhalten, wenn Ruhestandspriester verstärkt
darauf verzichten würden, der institutionellen Kirche ihre Dienste als Aushilfspriester
anzubieten. Wenn der Kirche die Fähigkeit verloren geht, Gottesdienste zu angemessenen
Zeiten und Ortsnähe der Kirchengemeinden anzubieten und zu garantieren, würde
die Fassade einer intakten Glaubensgemeinschaft wie ein Kartenhaus zusammenbrechen.
Gerade die Erfahrungen in der Corona-Pandemie zeigen, dass mit der Ausdünnung des
Angebots an Seelsorge durch die Kirche die Entfremdung der bisher kirchentreuen Christen
dauerhaft beschädigt wurde. Mir ist die Dramatik eines solchen Vorschlages durchaus
bewusst. Aber schuld an der Dramatik ist nicht mein Vorschlag, sondern der klerikale Eigensinn,
der zum Prinzip des Kirchengeschehens gemacht wurde.

* Das kath. Credo ist z. B. in dem Bekenntnis der Jungfrauengeburt Marias oder im Glauben
an die >heilige katholische Kirche< zu einem reinen Lippen- und Fassadenformel
geworden. Trotzdem ist den meisten Gottesdienstbesuchern unklar, dass sie sich nur zu
einem Bruchteil und nicht mehr zum ganzen „amtlichen“ Glauben der Kirche bekennen.
Wie wäre es, wenn wir uns beim Sprechen des Credos die Lücken unserer Gläubigkeit
durch Schweigen bei den entsprechenden Glaubensartikeln bekennen oder beim Gebet
des Vater Unsers statt „und führe uns nicht in Versuchung“ abweichend einfügen „. und hole
uns aus der Versuchung“?

* Das gesamte Handlungsgerüst der kath. Kirche hängt heute schon von der ehrenamtlichen
Mitarbeit von Laienchristen ab. Diese Einsicht weist in die Richtung, dass wir (insbesondere
Frauen) sehr viel mehr Macht haben, als wir uns zutrauen. Mit der Verweigerung
von Mitarbeit in Gemeindeveranstaltungen und handwerklichen Diensten halten wir
mindestens eine der gebrochenen Kirchenhälfte in den Händen, machen davon aber keinen
Gebrauch. Maria. 2.0 macht es vor, wie der Streik von Frauen die Ordinarien in Aufregung
versetzt. Es sind nicht nur die öffentlichen Protestveranstaltungen, die Zwang
ausüben, sondern vor allem die Tatsache, dass dort schon bewusst auf Eucharistiefeiern
mit Priestern verzichtet und durch eigene Wortgottesdienste ersetzt werden.

5. Christsein ist nicht nur Kadergehorsam, es fordert oft auch Widerstand gegen
die Syndikatstheologie

Der Begriff der >Gewissensentscheidung< (Epikie) kommt im Wortlaut des CIC zwar nicht vor,
gilt aber im Kirchenrecht allgemein als zu respektierender Grundsatz der Rechtsanwendung. Epikie
heißt aber nicht einfach „ein Veto nach persönlichem Ermessen", sondern bedeutet die volle
Identifikation mit einer nach strengen Kriterien gebildeten Überzeugung. Wenn die kath. Amtskirche
theologisch elastische biblische Aussagen auf unveränderbare Gesetzestexte reduziert,
dann sehe ich Christen berechtigt, kirchliche Verordnungen unter Berufung auf die biblische Metaebene
einfach nicht mehr anzuwenden.

Alfred Gassner, Regensburg, ist Dipl. Rechtspfleger a. D.


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!Fußnote
[1|#1] Erschienen in der Nummer 346 der Gedanken zu Glaube und Zeit vom 26. September 2020: [Hans Küng – Abendmahl – Koexistenz in der Katholischen Kirche|Wissenssammlungen/Essays/Glaube_und_Zeit/Hans_Küng_Abendmahl_Koexistenz]

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