!!!Wie Gott zu den Menschen kam

!!Eine Weihnachtserzählung ganz anderer Art




\\

''Aus: Gedanken zu Glaube und Zeit Nr. 359/2021''

Von

__Hans Jörg Stetter__


\\

!Vorbemerkung

Bei Markus und Johannes fehlt jeder Bericht über die Geburt und Jugend von Jesus. Bei Matthäus
stehen nur ein paar nüchterne Sätze, vor allem über die Problematik und den Traum
von Joseph; die Geburt selbst wird nicht berichtet. Nur bei Lukas ist der orientalische Drang
zum ausschmückenden Erzählen durchgebrochen: Sein Weihnachtsmärchen kennt inzwischen
die ganze Welt, auch die nicht-christliche, weil es in immer neuen Ausgestaltungen zum Hintergrund
von unzähligen Volksbräuchen und einer ganzen Feiertagssaison, samt den zugehörigen
kommerziellen Auswüchsen, geworden ist.

Auch in den liturgischen Texten dieser Tage, ja sogar in theologischen Betrachtungen, werden
die Details dieses Märchens wie historische Tatsachen behandelt. Die einschlägigen Abschnitte
des (deutschsprachigen) Katechismus der Katholischen Kirche beziehen sich weitgehend
auf Details des lukanischen Weihnachtsmärchens, die so durch ihre Position im Katechismus
zu katholischem Glaubensinhalt werden.

Ich möchte hier eine „Erzählung” komponieren, die sich auf das Ur- Wunder dessen,
was später als „Weihnacht” firmierte, bezieht, auf die Erscheinung Gottes bei den Menschen
auf diesem Planetchen Erde. Und ich möchte dabei wegkommen von der Vorstellung,
dass diese „Erde” samt den intelligenten Lebewesen auf ihr das Zentrum von Gottes Aufmerksamkeit
sein müsse. Dieses höchste vorstellbare Wesen und die transzendente Welt, der er angehört,
sind mir in irgendwelchen Details genauso wenig bekannt wie irgendjemandem sonst;
hier setzt das „Märchen” bei mir ein, immerhin sehr viel gerechtfertigter als bei Lukas.
Dafür erwarte ich auch nicht, dass sich daraus ein weltweites Fest entwickelt; eine Wahrnehmung
von Seiten der Theologie wäre sicher das höchste.

!Gott nimmt die Menschen wahr

Nicht sattsehen konnte sich Gott daran: Schon einige Male hatte er durch einen Urknall etwas
Abwechslung in die transzendente Welt bringen wollen; aber jedes Mal war das Feuer des Versuchs
nach ein paar Zuckungen wieder erloschen. Aber jetzt, jetzt : Die kleinen Änderungen an
den Gesetzmäßigkeiten des zu erwartenden ”Spielzeugs” waren offenbar genau richtig gewesen
und führten zu immer neuen, großartigeren Erscheinungen. Ja, wenn es in der Transzendenz
einen „Raum” in dem Sinn gäbe, wie er dem hier entstehenden „Universum” innewohnte,
dann hätte er fürchten müssen, dass dieses mit seinem fortwährenden Wachstum die
eigene transzendente Sphäre zur Gänze vereinnahmen werde. Das Universum entstand ja in
der transzendenten Welt, die es von allen Seiten umgab; so war es aus der Position Gottes von
allen Seiten einsehbar.

Mit seiner neugierig aufmerksamen Beobachtung erkannte Gott dann auch, dass es auf der
Oberfläche einer besonderen Art von Himmelskörpern Veränderungen gab, die nicht von
chemisch-physikalischen Prozessen der üblichen Art herrühren konnten, Veränderungen, die
nicht stationär sondern dynamisch waren. Er bezeichnete sie als den Effekt der Aktivität von
„Lebewesen”, wie er die unbekannten Verursacher nannte. Ihnen gehörte jetzt seine ganze
Aufmerksamkeit.

Bei der riesigen, immer noch wachsenden Ausdehnung des Universums war es eher ein Zufall,
dass Gott wahrnahm, dass es auf einigen Himmelskörpern offenbar Lebewesen gab, die sich
um eine Kommunikation mit ihm bemühten. Sie stießen dabei auch Laute aus, die er
glaubte als eine Klage interpretieren zu müssen. In seiner gewaltigen Weisheit lernte Gott
zu erkennen, was oder worüber diese Wesen klagten oder worum sie baten. Natürlich richteten
sie ihre Bitten und Klagen nicht an ein über allem stehendes höchstes Wesen, sondern
an irgendwelche, als mächtig betrachtete Naturgötter oder – wo eine Ahnung von
Transzendenz durchschimmerte – an einen speziellen Stammesgott.

Irgendwo auf einem Planeten einer Galaxie der „Milchstraße” musste es eine Spezies von Lebewesen
mit einer besonders weit entwickelten Intelligenz geben, nach der Vielfalt ihrer sprachlichen
Ausdrucksweisen zu urteilen. Diese wollte sich Gott genauer anschauen; er fand sie auf
einem Planeten „Erde” des Fixsterns „Sonne” und nannte sie „Menschen”.

Diese Menschen und ihre Erde wurden nun ein Spezialobjekt Gottes. Offenbar gab es viele,
durchaus unterschiedliche Gattungen davon, mit unterschiedlichen Formen ihres „Gottesbildes”.
Besonders „ausgefeilt” wirkte das Gottesbild einer Gattung im „Nahen Osten” der Erde,
mit einem Stammesgott „Jahwe” oder „Ich bin der ich bin”. Sie hatten zu seiner Verehrung
ein extrem detailliertes System von Vorschriften, die im täglichen Leben beobachtet werden
mussten, die aber eigentlich einer medizinisch und sozial gedeihlichen Lebensführung
dienten. Der spirituelle „Anstrich” sollte wohl dazu dienen, ihre Befolgung zu unterstützen;
aber – wie Gott rasch erkannte – er führte durch die involvierte Inflexibilität dazu, dass ein
formvollendetes Handeln wichtiger wurde als eines, das in natürlicher Weise das Gesamtwohl
im Auge hatte, wie es der Wunsch Gottes gewesen wäre. Dieser Zustand wurde andrerseits von
denen beklagt, die mit besonderer Einsicht begabt waren. Die Diskrepanz einer schädlichen
Folge durch eine scheinbar gottesgefällige Bemühung beunruhigte Gott. Wie konnte man das
beheben?

!Gott erscheint als Mensch

So fasste Gott den Entschluss, in der Erscheinungsform eines irdischen Menschen dort auf der
Erde zu erscheinen, wo die Diskrepanz entstanden war; so konnte er am besten erkennen, welches
das geeignete Vorgehen zu ihrer Vermeidung war. Und so stand ein junger Bursche vor
der Tür eines Handwerks-Betriebs irgendwo in Palästina und bat um Aufnahme. Auf alle Fragen
nach seiner Herkunft antwortete er höchst unklar und ausweichend: Er sei ganz allein,
kenne weder Mutter noch Vater noch andere Menschen; jetzt wolle er versuchen, wie ein „normaler”
Mensch aufzuwachsen. Nach den Regeln der Juden dürfe man ihn doch nicht
abweisen.

Dem Handwerksmeister und seiner Frau waren Kinder versagt geblieben, so dass sie sich nicht
ungern entschlossen, den Bittsteller aufzunehmen und sich um seine Ausbildung und Erziehung
zu kümmern. Dabei erwies sich „Jesus”, wie er genannt werden wollte, als äußerst gelehrig,
sowohl im handwerklichen als auch bezüglich der geschichtlich-religiösen Lehren, die ihm einmal
jede Woche von einem Rabbi zuteilwurden. Seine Fragen und seine Überlegungen erstaunten
diesen immer wieder aufs Neue. Nach kurzem wollte er darauf bestehen, dass der junge
Mann auf eine Thora-Schule geschickt würde, anstatt zum biederen Handwerker zu werden.

Doch der Meister blieb fest, zuerst solle Jesus seine Gesellenprüfung ablegen, dann stünde
ihm sein weiteres Tun und Lassen frei. Auch Jesus teilte diese Meinung und so einigte man sich
darauf, dass er vorläufig nur am Sabbat die nahegelegene religiöse Schule besuchen werde.
Rasch verging das Jahr bis zum nächsten Prüfungstermin; Jesus bestand mit Auszeichnung.
Ein paar Tage danach trat Jesus vor seine Zieheltern, bedankte sich herzlich für alles, was sie
für ihn getan hatten und erklärte seinen Abschied; er müsse jetzt die „Welt kennenlernen”.

Wie das Woher bei seiner Ankunft blieb jetzt sein Wohin geheimnisvoll, alle Fragen beantwortete
er ausweichend. Ein Arbeitskollege berichtete später, dass Jesus ihn nach der Stelle am Jordan
gefragt habe, wo Johannes predigte und taufte. Doch gesehen oder gar gesprochen hatte ihn
nach dem Abschied niemand mehr.

!Nachwort

Tatsächlich tauchte damals noch am gleichen Tag in der Menschenschar, die dem ”Täufer”
Johannes in die Wüste gefolgt war, ein junger Mann auf, den niemand kannte oder vorher
gesehen hatte. Ein paar Tage später ließ dieser sich taufen. Alles weitere kennen wir - so gut es
eben geht – aus den vier Evangelien, die mit den zu erwartenden Abweichungen in Details ihren
Bericht über das Lehren und Handeln Jesu Christi mit diesem Ereignis beginnen. Sie zeigen
ganz klar, dass es sein wesentlichstes Ziel war, den Menschen klar zu machen, dass es Gott nicht
auf die Befolgung von Regeln sondern auf ihr Verhalten gegenüber ihren Mitmenschen
ankam, und Gottesliebe nur durch Nächstenliebe geübt werden könne, wobei jeder der
Nächste sei, der einer Hilfe bedürfe. Dazu kam die Andeutung, dass Jahwe nur die Erscheinung
eines Gottes für alle Menschen sein könnte.

Ebenso im Wesentlichen übereinstimmend zeigen sie, wie sein „stures” Festhalten am Vorrang
der Orthopraxis vor der Orthodoxie ihn zum Tod am Kreuz führte, tatsächlich aus den
verschiedensten politischen und wirtschaftlichen Gründen der Mächtigen in Palästina. Dann
verschwand sein Leichnam, ohne dass es jemand gesehen hätte, ein Abgang, der das Spiegelbild
seines Erscheinens war.

Und während sich die ganze christliche Welt den Kopf darüber zerbricht, wie man trotz der
Covid-Pandemie die Feier des „Kinds in der Krippe” so wenig wirtschaftsschädigend wie
möglich „ablaufen lassen” könne, traue ich mich nochmals zu sagen:

So könnte es auch gewesen sein!

''Dr. __Hans Jörg Stetter__ ist Emer. O. Universitätsprofessor der Technischen Universität Wien mit dem Tätigkeitsschwerpunkt Numerische Mathematik und Numerische Analysis. Er ist christlich engagiert und seit langem in kirchlichen Reformbewegungen tätig.''











[{Metadata Suchbegriff=' ' Kontrolle='Nein'}]

----
[{Image src='https://austria-forum.org/images/sim-link.png' class='image_block' height='16'}]
__Austria-Forum Beiträge in ähnlichen Gebieten__ 
>[https://austria-forum.org/af/Wissenssammlungen/Essays/Glaube_und_Zeit/Materialismus_als_Experimentierfeld_Gottes|https://austria-forum.org/af/Wissenssammlungen/Essays/Glaube_und_Zeit/Materialismus_als_Experimentierfeld_Gottes]
>[https://austria-forum.org/af/Wissenssammlungen/Essays/Glaube_und_Zeit/Probleme_mit_Menschwerdung_Gottes|https://austria-forum.org/af/Wissenssammlungen/Essays/Glaube_und_Zeit/Probleme_mit_Menschwerdung_Gottes]