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Was ist katholisch – was ist evangelisch#

oder nehmen die Evangelischen ihren Glauben weniger ernst als die Katholiken?#


Von

Mathilde Vietze

Aus: Gedanken zu Glaube und Zeit Nr. 230/2017


Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Landesbischof Dr. Hein-rich Bedford-Strohm, sagte neulich: „Wir schreiben den Leuten nicht vor, wie sie zu leben ha-ben“. Sofort blökte es aus der reaktionären katholischen Ecke: „Die haben eine Religion der Be-liebigkeit.“ Dem möchte ich als ökumenisch bewegte Christin auf das Heftigste widersprechen. Was ich dazu schreibe, soll aber nun nicht ein „Schwarz-weiß-Gemälde“ sein und die eine Glau-bensgemeinschaft gegen die andere ausspielen; vielmehr ist es das Ergebnis von Beobachtungen und persönlichen Erlebnissen.

Die evangelische Kirche ist weniger dogmatisch, mehr demokratisch und toleranter. Und dadurch haben die Gläubigen ein anderes Verhältnis zu ihrer Religion. Das zeigt sich nicht zuletzt in ih-rem persönlichen Umgang miteinander. Fundamentalisten gibt es auf beiden Seiten: Bei den Ka-tholiken sind es die ewig-gestrigen Reaktionäre, bei den Evangelischen die Evangelikalen. Beide Gruppierungen sollten allerdings nicht zum Maß aller Dinge genommen werden! Zum persönlichen Umgang: Das Ausfragen und das Erteilen unerbetener Moralpredigten ist schon ein katholisches Spezifikum, etwas, was mir von evangelischer Seite in dieser Form noch nicht passiert ist. Des Weiteren hat die evangelische Kirche z.B. ein positiveres Verhältnis zu Donum vitae.[1] Sie hat auch nicht die rückständige und frauenfeindliche Sexualmoral und sie hat in puncto Homosexualität eine weit liberalere und tolerantere Haltung als die katholische Kirche. In der evangelischen Kirche wird auch nicht jede Kritik an Strukturen als Verrat am Glauben gesehen und mit dem Totschlagargument „kirchenfeindlich“ versehen. Die evangelische Landes-synode hat beschlossen, dass homosexuelle Pfarrer und lesbische Pfarrerinnen mit ihren jeweili-gen Partnern im Pfarrhaus wohnen dürfen. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, auch wenn die Evangelikalen wieder mal zetern.

Die evangelische Lehre basiert genauso auf den 10 Geboten und schreibt ihren Mitgliedern ge-nauso das Einhalten der christlichen Werte vor. Nur heißen dort die „echt christlichen Werte“ nicht in erster Linie Untertanengeist, blinder Gehorsam und für uns Frauen Demut und Dienen-wollen, nämlich im Sinne, sich alles gefallen zu lassen und anderen den Deppen machen. Werte wie Solidarität, Achtsamkeit, Zivilcourage im Sinne von Einsatz für die Schwächeren usw. sind von zeitloser Gültigkeit. Mir ist noch kein ernstzunehmender Christ, ja noch nicht einmal ein Atheist begegnet, der dies anders gesehen hätte.

Es ist ein Armutszeugnis für manche Spezies von Katholiken, wenn sie auf die Kritik an der hinterwäldlerischen Sexualmoral nur das Totschlagargument: „ihr wollt Zügellosigkeit“ auf Lager haben. Das Gegenteil von Verklemmtsein ist nicht diese, sondern Natürlichkeit! Wer der Zügel-losigkeit das Wort redet, ist kein ernst zu nehmender Gesprächspartner. Und ebenso sind die Kampfemanzen nicht ernst zu nehmen. Sie schaden der Sache der Frauen.

Die evangelische Kirche gestattet ihren Mitgliedern ein selbstgestaltetes Alltagsleben, eingebettet eben in den Wertekatalog. Aber sie achtet das hohe Gut der persönlichen Gewissensfreiheit. Damit es nicht zu theoretisch wird, ein paar Beispiele: Bei manchen Katholiken darf ich nicht unbefangen sagen, dass ich (fast) jeden Tag ins Fitnessstudio gehe. Da bekomme ich sofort zur Antwort „das Geld, das Sie da ausgeben, könnten sie besser einer kinderreichen Familie spen-den.“ Oder – „was am Sonntag gehen sie auch dorthin? Gehen sie da nicht in die Kirche?“ Als ob das Fitnessstudio nur von 10.00 – 11.00 h offen hätte. Oder: „Was, sie gehen in die Sauna? Schämen sie sich da nicht?“

In der Evangelischen Kirche haben die Frauen mehr Rechte. Erstens diktiert diese ihnen nicht, wie die „gute christliche Frau ihr Leben zu gestalten habe“, und außerdem können bei den Evan-gelischen Frauen auch Pfarrerinnen und sogar Bischöfinnen werden. Der tradierte Rollenzwang herrscht zwar bei den Evangelikalen noch vor, bei den „normalen“ Christen ist das nicht der Fall.

Es soll nicht verschwiegen werden, dass es auch bei den Evangelischen Missbrauchsfälle gibt. Gemessen an denen, die es bei der katholische Kirche gab, fällt es jedoch kaum ins Gewicht, ist aber nicht minder verwerflich. Die hinterwäldlerische katholische Sexualmoral zieht Männer mit ganz bestimmten verklemmten Veranlagungen geradezu an. Und hier muss hart durchgegriffen werden, damit das Ansehen von Hunderttausenden ehrbarer katholischen Priester weltweit ge-wahrt bleibt! Es ist also nicht die „versexte Welt“, wie man uns weiszumachen versucht. Das ist eine leicht durchschaubare Schutzbehauptung.

Als katholische Christin darf ich jederzeit zum Abendmahl gehen; die Evangelischen dürfen das ihrerseits nicht. Dass hier „theologische“ Unterschiede vorhanden sind, ist eine Alibi-Behauptung; die nur versucht, die Angst gewisser Kirchenfürsten vor dem Verlust der Macht zu verschleiern. Natürlich gibt es auf beiden Seiten Hardliner, aber augenscheinlich wird die Brems-funktion von der katholischen Seite betrieben.

Solange die Betonköpfe sich nicht einig sind, bleibt den Christen nur der zivile Ungehorsam, den ich auch jedem empfehle! Gott sei Dank aber lassen sich heute auch die guten Katholiken, und hier vor allem auch die Frauen, nicht mehr jede klerikale Willkür als göttliches Gesetz andrehen.

Und genau das veranlasst dann die Ewiggestrigen zu einem Wehgeschrei, dass die heutige Welt „so schlecht“ sei und dass früher „alles besser gewesen“ sei. Ja, früher waren die Frauen unfrei, mussten ungewollt jedes Jahr ein Kind bringen, aber das war ja „goooodgewollt!“ Dass die heuti-gen Frauen ihr Leben selbstbestimmt leben wollen, dient den Reaktionären als „Berechtigung“, die Moralkeule von der „Ablehnung echt christlicher Werte“ (blinder Gehorsam, Untertänigkeit usw.) aus der Tasche zu ziehen.

Und – eine Einigkeit im Glauben wird es nicht geben, solange die katholische Kirche nicht bereit ist, die Frage mit dem Zölibat zu klären. Mir sagte einmal ein angesehener evangelischer Pfarrer „Glaubt ihr wohl, wir Evangelischen sind so blöd, uns den Zölibat anzutun.“ Ich konnte ihm nur recht geben. Der Zölibat soll nicht aufgegeben, sondern f r e i g e s t e l l t werden!

In der katholischen Kirche, der ich seit meiner Geburt angehöre, bin ich – neben anderen – ganz prächtigen Menschen begegnet. Und – wir haben auch vorbildliche Heilige. Ich denke da z.B. an die große Kirchenlehrerin Hildegard von Bingen. Sie ist mit ihrem Mut und ihrer Tapferkeit für mich ein großes Vorbild. Leider haben ihre „Jünger“ aus ihrer Lehre etwas gemacht, was einer Sekte gleichkommt.

Ich denke auch an Maria Theresia Gerhardinger, der Gründerin der Armen Schulschwestern. Ihr drohte der Ausschluss aus der katholischen Kirche. Dies aber nicht etwa deshalb, weil sie etwas gegen den Glauben gesagt hätte. Vielmehr hat sie erklärt, dass Mädchen genauso wie Jungen ein Recht auf Bildung hätten. Das war den damaligen Klerikern ein Dorn im Auge. Schließlich braucht man einen Bodensatz derer, die (natürlich um Gotteslohn) anderen den Deppen machen. Mit gebildeten Frauen kann man da nicht so umspringen. Es war der ehrwürdige Georg Michael Wittmann, damals Bischof von Regensburg, der Gerhardinger in ihrem Entschluss bestärkte und sich verbat, dass diese Frau aus der Kirche ausgeschlossen würde. Mein ganz großes noch lebendes Vorbild ist Dr. Ruth Pfau, die katholische Ordensfrau, die wäh-rend 50 Jahren Tätigkeit in Pakistan und Afghanistan die Lepra fast ausgerottet hat. Ich habe alle ihre Bücher gelesen. Ein weiteres Vorbild ist Dr. Lea Ackermann, ebenfalls katholische Ordens-frau. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, Frauen, die der Zwangsprostitution anheimfielen, den Weg zurück ins bürgerliche Leben zu ebnen.

Der ehrwürdige Kardinal König hat in seinem Buch „Offen für Gott und offen für die Welt“ wortwörtlich geschrieben: „wenn die katholische Kirche sich nicht den Fragen der Zeit stellt, dann kann sie einpacken.“ War der jetzt auch ein Kirchenfeind? Ich sage entschieden nein; für mich ist er ein Vorbild, ebenso wie Dr. Raimund Stecher, der ehemalige Bischof von Innsbruck.

Als Papst Paul VI. damals sein unseliges Werk „Humane vitae“ herausbrachte, hat ihm Stecher bei einem Besuch in Rom gesagt „was hast Du Dir denn da für einen Schmarrn einfallen lassen? Bei uns im Bistum Innsbruck wirst Du keinen Pfarrer finden, der das den Eheleuten empfiehlt.“

Als Mitglied von „Wir sind Kirche“ bin ich vielen Menschen begegnet, die ihren katholischen Glauben sehr ernst nehmen, sich aber nicht jede klerikale Willkür als göttliches Gesetz andrehen lassen. Natürlich sind wir denen, die das Rad zurückdrehen wollen, ein Dorn im Auge, aber die sind eh nicht ernst zu nehmen. Von aufgeschlossenen und ernstzunehmenden Christen werde ich gerade wegen meiner offenen und kritischen Art sehr geschätzt. Leider müssen viele, die im kirchlichen Dienst sind, mit ihrer Meinung hinterm Berg halten, weil sie sonst ihren Arbeitsplatz verlieren. Ich sehe mich u.a. als deren Sprachrohr und dafür bekomme ich auch viel Lob.

Eines ist ganz klar: Wenn ein Pfarrer öffentlich etwas gegen den Glauben sagt, dann muss ihn der Bischof unverzüglich abbürsten, aber nicht, wenn ihm bei der Liturgie ein Versprecher passiert.

Ich hatte Zeit meines Lebens nie Glaubenszweifel. Was mir die Freude am Glauben verleidete, waren diejenigen, die sich als die besseren Katholiken betrachten und sich im Recht sehen, mir „ins Gewissen zu reden“ oder sonstige unerbetene Moralpredigten zu halten. Und dies nur des-halb, weil ich mich noch nie in die Schablone pressen ließ.

In den 80er Jahren hatte ich deswegen meine große Glaubenskrise. Wenn mich nicht das Haus Werdenfels[2] davor bewahrt hätte, dem ganzen Laden den Rücken zu kehren, wäre ich heute nicht mehr katholisch. Dort herrscht, um mit dem früheren Direktor Pfarrer Hans Wittmann zu spre-chen, die „Freiheit der Kinder Gottes“. Es vermittelt einem, dass Christsein Freude bereitet. Und – es gibt dort (mit einer einzigen Ausnahme) Kursleiter, die allesamt offen und liberal sind. Ihnen ist es wichtig, den Menschen christliche Orientierung zu geben, nicht aber sie zu bevormunden.

Heute habe ich an Selbstbewusstsein gewonnen und putze jedem, der versucht, mich wie ein Schulmädchen zu bevormunden oder mir sein reaktionäres Gedankengut aufzudrängen, derart die Platte, dass er / sie nichts mehr verlangt. Es darf auch nicht sein, dass einer sich alle Frech-heiten herausnimmt und einen besonderen Respekt einfordert, nur weil er ein „geweihter Herr“ ist! Da habe ich doch tatsächlich von einem unbelehrbaren alten Prälaten unverschämte und be-leidigende Briefe bekommen. Und dies nur, weil ich Donum vitae unterstütze. Nun habe ich die-se Unverschämtheiten nicht nur nicht hingenommen; ich habe diesem Herrn so deutliche und unmissverständliche Worte zukommen lassen, dass er mir seitdem aus dem Weg geht. Außerdem habe ich den gesamten Briefwechsel an den bundesweiten Verteiler von „Wir sind Kirche“ wei-tergegeben. Und natürlich unterstütze ich weiterhin Donum vitae. Jetzt erst recht!

Im Übrigen respektiere ich niemanden seines Titels sondern seines Charakters wegen. Und, um mit einem altgedienten CSU-Bürgermeister zu sprechen „Ich habe nur eine Instanz, der ich zu gehorchen habe, und das ist Gott.“ Jesus predigte das Reich Gottes – was kam, war die Amtskirche. Nichts muss so sein, nur weil es schon immer so war!

Fußnoten#

[1] Deutsche christlich orientierte aber von der Kirche abgelehnte Vereinigung zur Beratung in Schwanger-schaftskonflikten, s. https://de.wikipedia.org/wiki/Donum_vitae_(Verein)
[2] Exerzitienhaus bei Regensburg