!!!DAS SPIEL



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1899: Der Wiener  Schachklub hat seit einigen Tagen in dem palastartigen Eckhaus Wallnerstraße Kohlmarkt ausgedehnte, neue Räumlichkeiten bezogen die mit einem Luxus und Komfort ausgestattet sind, wie ihn nur die vornehmsten geselligen Vereine unserer Stadt besitzen. Speisesäle für Raucher und Nichtraucher, Damensalon, Billardzimmer, Küchen und Garderoben sind im Mezzanin untergebracht, im ersten Stock Lese- und  Konversationsräume nebst zehn großen Spielzimmer. Die Säle entlang läuft ein prächtiges Couloir, Einrichtung und Ausschmückung sind neu englisch, mit leichtem wienerischen Einschlag, der diesem Stil seine Steifheit nimmt, ihn geschmeidig macht. Holzvertäfelungen, Türaufsätze, Sitzmöbel, Tapeten und Beleuchtungskörper, sogar die  Kastenbeschläge sind modernen Schnörkelspielen nicht  abgeneigt, dabei  von  geschmackvoll diskreter  Zurückhaltung. Für das Auge, doch nicht für das Auge allein.  Vornehme  Behaglichkeit ist der leitende Grundsatz. Nicht einmal die fashionablen Schachklubs in London, Brocklyn oder  Havana können sich rühmen, Schöneres, Besseres zu besitzen.

Wie war es in der Vergangenheit um die Pflege des königlichen Spieles in Wien bestellt?

Der Schachzabel – Zabel gleich tabula, Brett,  Tafel – ist aus dem indischen Orient nach Europa gelangt. Die Uranfänge liegen  im Dunkel und werden bloß von der Anekdote dürftig und unzuverlässig erhellt.

Zu den Lieblingsbeschäftigungen und  Vergnügungen der Wiener im Mittelalter gehörten Musik, Würfel, Karten  und  Schachzabel!

Dann wurde es still um das Schachspiel in  Wien. Ein 1796 zu Halle erschienenes Büchlein von  H. F.  Andrä  „Das Schachspiel mit historischen Bemerkungen  erläutert“  bringt Kaiser Joseph II. Mit dem Schach in Verbindung. Dieser Monarch, wird erzählt,  habe mit Unzufriedenheit bemerkt, dass das Pharaospiel unter den Offizieren der Wiener Garnison immer mehr überhand nehme. Das Schach sollte nun jenes hässliche,  viele hoffnungsvolle  Existenzen vernichtende Glücksspiel verdrängen. Nur  erachtete der Kaiser es doch  für etwas zu schwer, aber er versuchte immerhin,  es zu fördern, spielte selbst und erwartete die Nachahmung seines Beispieles. Auf mehr als eine Wachtparade soll Kaiser Joseph II., erklärt haben, dass er keinen angenehmeren Zeitvertreib kenne,  und sämtliche  Herren Offiziere würden ihre dienstfreie Zeit damit angenehm zubringen, „weil das Schach gewissermaßen für den Soldaten  bestimmt zu sein scheine“ Kaunitz, Lacy, London spielten Schach.

Erst gegen Ende des vorigen  und  zu Anfang dieses Jahrhunderts begegnet uns der  erste überlieferte  Name eines tüchtigen Wiener Schachmeisters: Johann Allgeier, Deutschlands Philidor, eine Berühmtheit auf seinem Gebiet. Rameau genial  verlotterter Neffe Narziss geht -  siehe   Diderot-Goethe – in  das  Café de la Régence, um den großen Philidor spielen zuzusehen. In Wien  würde er Allgeier aufgesucht haben. Der Lebenslauf dieses Mannes ist nicht uninteressant. Am 19.  Juni 1763 zu  Schüßried in Württemberg geboren,  studierte er zuerst katholische Theologie,  wanderte heimlich nach Polen aus und  erlernte dort von einem Juden das Schachspiel. Später ging er nach Wien, nahm 1798  Militärdienste und wurde 1816 als Oberleutnant-Rechnungsführer mit 200 Gulden Jahresgehalt pesioniert.

Allgeier erteilte bei Hof  den kaiserlichen Prinzen, den Söhnen und Brüdern Kaiser Franz I. Unterricht im Schachspiel. Seine Anweisung zum Schachspiel, das erste, wenigstens teilweise  selbständig gearbeitete deutsche Schachbuch ist den Erzherzögen Anton Johann, Rainer und  Ludwig Rudolph gewidmet. Es stand  lange im großem Ansehen und erlebte viele Auflagen, deren letzte Santo Vito besorgte. Allgeier besuchte gewöhnlich die Kaffeehäuser „Zur Krone“ am Graben nächst dem Schlossergässchen und Taroni in der oberen Bräunerstraße. Dort spielte er mit jedermann die Partie zu einem silbernen Zwanziger oder einem Gulden. Immer war eine Menge stumm  bewundernder Zuschauer um seinen  Tisch versammelt. Er war ein großer, starker  Mann und sah   nicht gerade geistreich  aus. In seiner Redeweise kam der Schwabe zum Ausdruck. Am 29. Dezember 1822 wurde der Schachkünstler aus seiner bescheidenen Wohnung am Platzel  Nr  16, zur grünen Weintraube  bei St. Ulrich, in  das k. k.  Wiener Garnisonspital überführt, wo er  am 3. Jänner  1823, 60 Jahre alt, an der Brustwassersucht verschied. Die Verlassenschaft Abhandlung beim k. k. Militär-Landesgericht ergab seine vollständige Mittellosigkeit. Die Witwe kam beim k. k. Generalkommando um eine kleine Unterstützung ein,  die ihr  vermutlich auch gewährt worden ist.

In den Memoiren des Karl Heinrich  Ritter von Lang wird die merkwürdige Begegnung mit Allgeier erwähnt, 1820  besuchte Lang den Schachklub auf dem Graben. Daselbst spielten die Generäle La Tour, Wimmer und der gewesene Kriegsverpflegs-Kommissär Allgeier, der  drängte den Fremden eine  Lehrkurs auf -  für sechs Stunden sechs Dukaten -  und überdies sein Schachbuch, das sechs Gulden kostete. „Herr haben Sie kein Christenherz?“ jammerte Allgeier den nur zögernd Zustimmenden an und ließ sich alles im voraus bezahlen.  Doch erteilte er nur die erste Lektion und verabschiedete den  verdutzten Eleven mit dem  Kompliment: „Wozu braucht  denn  ein Spieler, wie Sie,  noch Stunden?“

Allgeiers Spiel war geistreich und glänzend. Die von ihm erfundene,  lange unwiderlegt gebliebene Gambit Eröffnung trägt heute noch seinen Namen.  Als seine Hauptgegner werden genannt:  Graf Somssich,  Anton Witthalm, Grundbuchführer beim Landesgericht in Wien, Zitterhofer, Santo Vito.

In der Berliner Schachzeitung von 1846 veröffentlicht von der Lasa einen Aufsatz über das damalige Schachspiel in Wien. Einen eigentlichen Klub gab es nicht. Man traf sich im Kaffeehaus Neuner,  innere Stadt Nr. 1063.. Matschego,  Studinetzky, Jenay, Freiherr von  Pereny, Schorn waren starke Spieler, zu denen  sich der berühmte Sänger Staudigl gern gesellte. Aus Ungarn kam  Szen, Grimm, Löwenthal zu Besuch, und auch Hamppe wird schon genannt.

Karl Hamppe, der Erfinder  der „Wiener Partie“, auch „Hamppes Spiel“ genannt, 1814 zu Gersau, Schweiz geboren, starb am 17.  Mai 1876 als k. k.  Ministerialrat a. D.m zu Wien, Er darf wohl der Allgeier seiner Zeit  genannt werden. Jedenfalls war er  lange einer der stärksten Wiener Spieler.

In der Schachzeitung Jänner 1866 steht ein  Gedicht von Anton Freiherrn  von Reisner „An den großen Schachmeister Allgeier“, dem wir zwei Strophen entnehmen wollen:


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Viele hohe Militärs interessierten sich  damals und  auch später lebhaft für das Schach,  so FML  Freiherr von Wernhardt, FML Freiherr von Jungbauer, FML Gorizetti , Major Klotz, Major Freiherr von Störk, Stabsarzt Dworaczek  - Josephinische Tradition! In den Vierziger Jahren war das „Silberne Kaffeehaus“, wo der  juridisch-politische Leseverein sich versammelte und viele Poeten verkehrten, auch das Stelldichein der Wiener Schachwelt. Es hieß so, weil dort angeblich in echtem Silber serviert wurde. 1848 trat Heinrich Philipp  Schlemm  in die Reihen der Spieler. Heute ist der rüstige und erstaunlich  geistig frische Herr der allgemein verehrte Senior der Wiener Schachspieler. Ihm eine Partie abzugewinnen, ist durchaus nicht leicht. Schlemm war 1857 der erste Sekretär, als die  „Wiener Schach Gesellschaft“ „beim Kegel“ in der Kärntnerstraße  gegründet wurde.  Major Haymerle trat  als erster Präsident an die Spitze. Unter den ältesten Mitgliedern seien Dr.  Liharzik, Opernsänger  Mayerhofer, Pianist Willmers, Freiherr von  Boulles-Russig, Freiherr von Hauser  genannt.  Der Verein  war mitunter in nach unseren Begriffen recht dürftigen Behausungen untergebracht. 1888 wurde der „Neue Wiener Schachklub“ gegründet.  Die Sezession fusionierte sich 1897 wieder mit der alten Wiener Schach Gesellschaft zum „Wiener Schachklub“.

Gegenwärtig  gilt Karl Schlechter für den stärksten Spieler in Wien. Schlechter ist Schachschriftsteller, Redakteur der „Deutschen Schachzeitung“ gemeinsam mit  Professor Johann Berger in Graz. Als Blindlings- und Simultanspieler hat  er viele schöne Erfolge aufzuweisen. Ihm reihen sich an: Marco, Zinkl,Dr. Kaufmann, Halprin. Meister von Rang sind ferner:  Albin Fähnrich, Adolf  und J. Schwarz, M. Weiß. Die Brüder Fleißig und Dr.  Meitner  haben sich längst vom Turnierspiel zurück gezogen. Freiherr von Kolisch und Englisch sind tot. Klubpräsident Alexander Neumann, Regierungsrat Ritter von  Feyerseil, Joseph  Holzwarth. Hofrat Dr. Kleeberg, Sektionsrat  Ritter von  Kochanowski,  Sektionschef Dr.  Franz  Liharzik, Albert Freiherr von Rothschild sind starke Spieler, welche niemand unterschätzen darf.  Als Problem  Komponisten sind Dr. A. Kauders und M. Feigl hervorragend.

Was die Wiener zähe und vorsichtige Schule auf den 64 schwarzweißen Feldern zu leisten vermag, das hat sie  in dem vor ihr siegreich ausgefochtenen Wettkampf gegen St. Petersburg gezeigt und  sich in  zahlreichen internationalen Turnieren . - nicht bloß  in den in Wien statt gehabten von 1873, 1882, 1898, Kaiser  Jubiläums Schachturnier, sondern auch in allen  auswärtigen –  stets ehrenvoll behauptet.

Ein weiter Weg  von Allgeiers Kaffeehaus „Zur Krone“ am Graben bis auf den Kohlmarkt! Die Schachspieler haben hundert Jahre gebraucht, um ihn zurückzulegen. Aber das  liegt schon einmal so in der  Taktik der Wiener Schule,  brillante und unsichere Attacken zu vermeiden und lieber kleine Positions-Vorteile rationell auszuwerten.

__QUELLE:__   Wiener Zeitung,  13. November  1899, S  1 ANNO Österreichische Nationalbibliothek

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