!!!DER  HAUSHERR


Haus
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Das Elend des Hausbesitzes steht wieder einmal auf der Tagesordnung der bürgerlichen Demagogie. Der Hausherr, einstmals der Inbegriff der bürgerlichen Behäbigkeit, ist heute das Muster der verfolgten Unschuld geworden, ein wahres Bild  des Jammers, über das wohlgenährte Spießbürger vor Rührung zu toben und christlich soziale Minister vor Mitleid  zu reden beginnen. Es ist wahrhaftig um die Steine zu erweichen, die heute,  ah, keine  „steinerne Rente“ mehr abwerfen! Aber wenn diese Steine der Wiener Häuser reden könnten, wovon erzählen sie?

Die Geschichte  des kapitalistischen Hausbesitzes ist das Beispiel  dafür, wie  nicht nur an den Produktionsmitteln, sondern auch an gewissen Konsumgütern das Privateigentum, durch den Widersinn der kapitalistischen Wirtschaft, zum Unrecht  der kapitalistischen Aneignung wird. Als in der vorkapitalistischen Zeit  jeder Mann mit den Seinen sein Haus bewohnte, das ihm, seinen Vorfahren und Nachkommen Wohnstätte, Werkstätte, Lebensstätte war:  da besaß  er dieses  sein Haus, sein Heim mit Fug, da bestand  das Eigentum zu Recht. In dem Augenblick, da der Kapitalismus anfing, Proletariermassen  in den Städten anzuhäufen, Zinsburgen zu türmen und Menschen hinein zu pferchen, als das Haus aufhörte, dem Bedürfnis des einen zu dienen und zur Gewinnquelle wurde, die  aus der Not  der vielen entsprang, in diesem Augenblick war das Eigentum Unrecht geworden. Dem Hausherrn, der nicht mehr  in seinem Haus wohnt, sondern mit Obdach handelt, um in seiner Zinskaserne den Arbeitern noch einen Teil der kargen Kreuzer  abzupressen, die  er ihnen in seiner Fabrik  bezahlte, ist das Haus  zur bloßen Kapitals Anlage geworden; nicht anders als eine Rente  oder ein Schuldpapier.

Dabei war die Stellung  des Hausbesitzers in der Vorkriegszeit  oft genug eine merkwürdige. Mit Sparkassenkredit gebaut, über und über mit Hypotheken belastet, oftmals versteigert und um die bloße Überschreibungsgebühr zugeschlagen, bedeutete es seinem verschuldeten Eigentümer an wirtschaftlichem Besitz kaum einen wirklichen Wert. Nicht ein Stein davon gehörte  in Wirklichkeit  ihm;  nur die Würde des Hausherrn war sein. Und der Herr im Haus, das war er wirklich. Der ökonomische Ertrag seines Besitzes floss nicht ihm zu, sondern der Sparkasse, dem Hypothekargläubiger. Aber die rechtliche Macht, die im Eigentum steckt,  die genoss er in vollen Zügen, und wehe dem Proletarier, der es wagte,  etwas nicht untertänig genug zu grüßen, wenn der Hausherr aus dem Fenster  auf ihn herniedersah! Der Wiener Hausherr, das war geradezu die Verkörperung jener bürgerlichen Hierarchie, die sich auf  der Grundlage der kapitalistischen Ökonomie als eine wahre Unrechtsordnung erhob und in der der eine herrschte, weil er den anderen  hinauswerfen konnte.

Das Schicksal des Hausbesitzes in der Nachkriegszeit ist von dem anderer Kapitalisten Gruppen nicht verschieden. Die harte Kriegsnotwendigkeit hatte dem Kapitalismus unter anderen Einschränkungen auch den Mieterschutz abgetrotzt, der sich zunächst als eine bloß rechtliche Entthronung darstellt. Erst nach dem Umsturz kam die wirtschaftliche  Beschränkung dazu; sie ist nicht durch das Gesetz verfügt, sondern durch die Geldentwertung geschaffen, die alle Renten von selbst zu tilgen begann. Es ist gewissermaßen die Selbstbefreiung der Wirtschaft: der Ertrag unserer Arbeit deckt nicht mehr unsere Bedürfnisse, die Wirtschaft selbst antwortet darauf, indem sie, freilich wahllos und darum oft im Einzelfall mit harter und ungerechter Hand, einen Teil der Ansprüche, die einstmals aus dem Überfluss befriedigt werden, den die  kapitalistische  Ausbeutung für die Besitzenden schafft nun, da dieser Überfluss geschwunden ist, einfach hinwegstreicht. Dass sich die Händler  dieser Wirkung der Geldentwertung zu entziehen vermochten, die Schieber sogar an ihr profitierten, indes die Hausherrn ihre Rente verkürzt bleiben sahen und die Kleinrentner ganz unter ihre Räder gerieten, daran ist nur  zum Teil der Mieterschutz  schuld. Hier waltet eine Entwicklung, der die krasse  Form  des arbeitslosen Einkommens zuerst zum Opfer fiel.

Indes besteht zwischen den Hausherren und den übrigen Rentnern noch immer ein gewichtiger Unterschied. Beiden ist das arbeitslosen Einkommen entzogen, und wir begreifen ihren Schmerz und ihre Wut, wenn sie zusehen müssen, wie nebenan der Unternehmer, der Händler und Schieber lustiger  draufloswuchert als  je, wie die Profite in heitere Höhen steigen, indes die  Zinse und die Zinsen kläglich unten bleiben. Aber während der Geldentwertung mit dem arbeitslosen Einkommen  des Rentners zugleich die  Quelle selbst verschüttet hat, aus der es floss, so dass der Kriegsanleihebesitzer nichts anderes mehr sein eigen nennt als ein wertloses Stück Papier, ist der Wert der Häuser unbeeinträchtigt geblieben. Denn die Mieterschutzbestimmungen gestatten die Überwälzung der Erhaltungskosten auf die Mieter  und kein Einsichtiger  wird sich dieser Überwälzung widersetzen, die den Verfall der Häuser verhindern soll. Das Haus selbst, das Wertobjekt  ist erhalten geblieben; und noch immer verfügt ökonomisch über diesen Wert der Hausherr, dem er zwar keine arbeitslose Rente mehr abwirft, der ihn aber nichtsdestoweniger  besitzt. Ja mehr noch, die Geldentwertung hat auch vor dem Hypotheken nicht halt gemacht; die in Friedenskronen aufgenommenen  Satzposten konnten leicht in Papierkronen getilgt werden; die Hausherren bereicherten sich auf Kosten ihrer Gläubiger. Und so stellt  heute  der schuldenfreie  Hausbesitz ökonomisch, nicht rechtlich, einen größeren Wert dar, als er in den Zeiten der  Hausherren Herrlichkeit besessen. Wie wäre es denn auch sonst möglich, dass immer mehr Schieber Lust zeigen, ihr erwuchertes Geld gerade in Häusern anzulegen, auf der anderen Seite aber doch so wenige Hausherren geneigt sind ihr schreckliches Elend mit dem glücklichen Los eines simplen Mieters  zu vertauschen? Der Hausherr ist freilich heute nicht mehr der Herr des Hauses; aber ist mehr denn je sein Besitzer.

Gewiss, wer wollte es leugnen, dass diese wirtschaftliche  Entwicklung  manchen einzelnen hart  trifft, manches Erbteil  hinweg nimmt. Mancher mag darunter sein, der sein Leben lang ehrlich gearbeitet hat und sich nun an seinem Lebensabend um  die Frucht seiner Ersparnisse gebracht sieht; manche, denen auf diese Weise eine Mitgift, eine Hoffnung in nichts zerrinnt. Aber wer könnte ein wirtschaftliches und soziales  Geschehen nach den kleinen Einzelschicksalen  bewerten wollen, die ihm zum Opfer fallen?  Wer könnte meinen, dass eine so gewichtige Tatsache wie der Mieterschutz,  der seit fünf Jahren in den Zeiten ärgster wirtschaftlicher Umwälzungen unser wirtschaftliches und  gesellschaftliches Leben entscheidend mitbestimmt und auf einem Teilgebiet stabilisiert, dass diese Tatsache  aus der Welt geschafft werden könne, ohne dass eine furchtbare Erschütterung auch noch die letzten Stützen unserer  Sicherheit  hinwegriss? Was wiegt das Mitleid mit einem „armen“ Hausherren, die sich sofort aus ihrer Armut befreien könnten, wenn sie aufhörten, auf die Wiederkehr des arbeitslosen Einkommens zu hoffen, gegen das Schicksal der Millionen, deren wirtschaftliches Dasein an die Beständigkeit des Mieterschutzes ebenso geknüpft wie  an den Wechsel des Inder?  Was soll das großmächtige Geschrei der  Hausherren Versammlungen, was die armseligen Schliche und Kniffe der christlich sozialen  Hausherren Partei, die den Mieterschutz unterminieren möchte, gegen die Wucht der ökonomischen Tatsache, dass die verlangte Steigerung der Mietzinse auf das Hundertfache zwar ganz bestimmt  nicht das Bauen ermöglichen würde, da sich die tausendfachen Baukosten erst beim viel tausendfachen  Zins rentieren könnten, aber ebenso bestimmt eine Erhöhung aller Löhne und damit aller Preise nach sich ziehen musste, eine neue Welle in dem mörderischen Kreislauf,  dem wir unterliegen? Und was will auch all das Geschrei gegenüber der psychologischen Tatsache, dass die Arbeiterschaft dieses Landes der Wiederkehr des  Hausherrentums, die Wiedereinsetzung des Haustyrannen einfach nicht ertragen könnte und natürlich auch nicht dulden würde! Den Hausbesitzer in seiner ökonomischen Funktion, der, den Blicken unsichtbar, im „Elend“ eines ertraglosen Reichtum schmachtet, ihn müssen wir dulden; den Hausherrn, der nach Willkür steigert und kündigt und so in der bürgerlichen Hierarchie wieder obenan gleich neben dem Herrgott  thront, für ihn ist in dieser Zeit  kein Platz mehr.

Die Arbeiterschaft wird dafür sorgen, dass die Allmacht des Wiener Hausherrn  gestorben bleibt und von den Toten nicht wieder aufersteht.

__QUELLE:__   Arbeiter Zeitung 1922, ANNO Österreichische Nationalbibliothek

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