!!!DER  PRATER







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Die Bezirksvertretung Leopoldstadt bemüht sich schon die längste Zeit, die maßgebenden Faktoren auf die Verwahrlosung und Verwüstung des Praters, insbesondere des Volkspraters, aufmerksam  zu  machen und eine Abhilfe zu erwirken. Aber Proteste und Eingaben, auch konkrete Vorschläge, wie der Prater wieder instand gesetzt und neuerdings zu einer Zierde Wiens gemacht werden könnte, blieben unbeachtet. Um nun  diese historische  Stätte, deren Untergang für Wien ein nicht gut zumachender Verlust und eine kulturelle Schmach wäre, zu retten, hat die Bezirksvertretung auf Antrag des Bezirksrates Sailler beschlossen, sich an die Gemeinde zu wenden und sie  zu bitten, den Prater in ihren Besitz zu übernehmen.

Marie Renard, die einst so hoch gefeierte und umjubelte Diva der  seligen Hof Oper, sagte mir kürzlich: „Wenn ich den Prater nur von der Ferne sehe, muss ich weinen. Ich könnte es nicht über mich bringen, in den Prater  zu fahren..“

Es ist wirklich kein Wunder, dass die Fremden, die sich heute erwartungsvoll in den Prater verirren, enttäuscht über  die Legende, die man ihnen aufschwätzt, in ihr Hotel zurückkehren. Sie haben eine sehr weit ausgedehnte Wiesen- und Waldanlage mit Buschenschenken, Kaffeehäuser, Ringelspiel gefunden. Das Budapester Stadtwäldchen, der Tiergarten in Berlin ist eine ähnliche Vergnügungs- und Erholungsplantage. „Lasst den Wienern ihren Prater.“








Der Wiener aber, der den wirklichen Prater gekannt hat, fragt: „Ist das noch der Prater? Sind diese Wiesen, übersät mit  den Papier Fetzen eines vandalischen Sonntagspublikums, noch die Prater Wiesen? Ist diese Hauptallee, auf der einige Fleischhauer Söhne, Rennkavaliere spielen,  noch die Hauptallee? Sind diese Bretterbuden noch der Wurstel Prater? Diese Cafes und Wirtshäuser die berühmten Prater Lokale?

Man muss sich heute erst erinnern, was der Prater war. Es ist notwendig, weil sonst der Wiener in den Verdacht eines Prahlers gerät.

In den Morgenstunden teilweise freilich nur ein Exerzierplatz. Es gibt keinen Deutschmeister der nicht auf einer Prater Wiese die Gewehrgriffe einübte. Fürstliche Reitpferde flogen über die weiche Lohe der Hauptallee, zum Lusthaus, zur Kriau. Das Tagesprogramm der hohen Kavalier Offiziere, standesbewussten Adeligen, der Hofschauspieler und leicht beweglichen Damen begann mit diesem Morgenausflug. Und vielleicht füllten sie nicht nur, sondern fühlten auch die Poesie, den zarten, taufrischen Duft des Prater Morgens, wenn sie von  der schnurgeraden Hauptallee in den Wald galoppierten. Bei der Rotunde begann die Morgenarbeit der Traber, das Training der Favorits. Die Festzeit des Praters aber war der Nachmittag, seine Festjahreszeit der Frühling und seine Galatage die Rennmeetings.





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Die Fahrbahn der Hauptallee wurde viel zu eng für die  sich steuernden, dicht geschlossenen Wagenreihen, Fiaker mit den ersten Frühlingsblüten geschmückt, behäbige Landauer,  etwas unförmig, und nicht in die fesche, leichte Noblesse gehörig Herrschaft Equipagen mit gallonierten, roten Dienern, Rennwagen Kot bespritzt, mit kurzschwänzigen Orlow Trabern bespannt. Der Ehrgeiz eines richtigen Fiakers, eines Rennfliegers: Möglichst polizeiwidrig durch die Hauptallee zu sausen. „Vom Ring zum Lusthaus fahr i in zehn Minuten hin“.

Es gab keinen Erzherzog, keinen Gast Franz Josephs aus dem Ausland, keine Modedame, von der Fürstin Metternich abwärts, keinen Lebemann, keinen Millionär und keine Hochstapler, der nicht in seinen Wagen durch diese Allee zur Freudenau fuhr. Der höchste Feiertag  des Praters – das Derby. Damit endete  beiläufig die Saison. Nach dem Derby konnte man, ohne deklassiert zu werden, den Zylinder und die Prater Fahrt einstellen.





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Aber er blieb - durch keine tote Saison gehemmt – der Prater des Volkes.  Den Zehntausenden, die am Rande der Allee Spalier gestanden waren, ehrfurchtsvoll brüllend, wenn ein Hofwagen würdevoll vorüber trabte, gehörte nun der ganze Prater.  Dem Volk gehörte sein Sommerabend, vor allem seine Sommernacht. Das Deutschmeisterkonzert im Dritten Kaffeehaus mit dem Salamutschi Mann, der eine breite Kochmütze, endlose Salamiwürste und Berge von Brot herumträgt. Der Zauber dieses Konzertes waren zwei Worte:  „Ohne Pause“. Die  Musik spielte ohne Pause. Und wenn die Bläser der einen erschöpft ausgeblasen hatten, begann die zweite Kapelle. Das war einmal der  Zauber des  „Dritten Kaffeehauses“. Ein Menschengewühl, das sich nicht die Salami leisten konnte, stand hinter dem Zaun, durch fast unzählige übervölkerte Tische von dem dirigierenden Deutschmeister Musikfeldwebel getrennt,  in Seligkeit und Schweiß.

Aber was war die Deutschmeisterkapelle gegen den Wurstel Prater! Gegen die Schauerbilder der Grottenbahn, gegen die scheußlichen Wachsverbrecher in Präuschers Panoptikum, gegen die Verwirrungen des Irrgartens, gegen die Sensationen der Wasserrutsch Bahn, gegen die aufgeputzten Pferde des Ringelspiels, die um den Chinesen Calafati, die populärste Figur des Wurstel Praters, sein Denkmal  und Symbol schaukelten, oder gegen die Dame ohne Unterleib, die Schießstätten, den armen Teufel, der vom Brett ins Wasser fiel, wenn man richtig traf, und gegen die  unerschöpflich Fantasie begabten Ausrufer.




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Es gab weitere, noch sehenswürdige  Luststätten: Venedig in Wien, Lagunenstadt und Rialtobrücke, mitten im Prater Gondolieri, Volkssänger vermehrt um Weibermusik, Coriandoli Schlachten und Champagner Zelte.

Die Liebesromane des Deutschmeisters und der Mehlspeis Köchin begannen und endeten im Prater, Schnitzler Leutnant Gustl dämmert auf  einer Praterbankdem Selbstmord zu. Die Praterbank unter dem Sommernacht Himmel ist Aufenthalt der Liebenden, der Obdachlosen, der Selbstmörder, was in besonders romantischen Fällen zusammentrifft.

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Der Prater von heute  (1924)?  Der Calafati, Prater Statue  ist verkauft worden, das Riesenrad, nebst dem Stephansturm, das Wahrzeichen Wiens, besteht nur deshalb, weil noch keine ausländische Aktiengesellschaft nach diesem Schaustück gegriffen hat. Die Schießstätten haben ihre Kundschaft verloren.. in den vier Kriegsjahren wurde der Bedarf gedeckt. Die Budenbesitzer jammern.  Eine Neuigkeit ein Luftschiff Karussel, Flohtheater, mehrere Kriegserlebnisse und mit Goldkitsch  angestrichene Film Paläste. Die venezianischen Nächte sind längst erloschen, die Lagunen verschüttet. Man hatte einen Lunapark, einen Vergnügungspark aufgebaut. Die Vergnügungsstätten lösten sich in einem hässlichen  Konkurs auf.

Der Prater war einmal Standplatz der Ausstellungen: Jagdausstellung, Adria Landschaften. Die Adria bespült nicht mehr unser Land. So hat der Prater von Jahr zu Jahr abgenommen und nimmt weiter ab. In der einst fürstlichen Hauptallee imitieren letztklassige  Schiober den Grafen Esterhazy und Baron Springer indem sie in ihren gepfändeten Fiaker herumfahren. Der Prater ist nicht einmal mehr volkstümlich. Keine Deutschmeister, keine Mehlspeis Köchin. Der  unbekämpfbare Totengräber des hinsiechenden Praters. Die Wiener sind undankbar haben ihren Liebling den Prater vernachlässigt, kein Wunder er wird unmodern. Nur die Rennen sind dem Prater erhalten geblieben. Seit Jahren hat es keine Ausstellungen gegeben. Und die Fußballkämpfe, die stärkste Attraktion des heutigen Wien nicht auf so Wiesen grünen Boden ausgetragen. 

Man mag es bedauern oder begrüßen, dass der Prater die Herrschaften von denen er  einst üppig lebte, verloren hat. Aber welchen Ersatz hat er gefunden? Einen Bratochsen a la Münchner Oktoberfest, der hässliche Raufereien veranlasste. Statt Vergnügen, politische Propaganda. Die Wiener haben ihren Prater vernachlässigt.

__QUELLE:__ Wiener Sonn- und Montags Zeitung/Egon Dietrichstein, 30. Juni 1873, S 5, Weltpresse  13. August  1946 S 6, ANNO Österreichische Nationalbibliothek Blumenkorso Bild Österr. Ill.Zeitung 1. Juni 1902 S 1

Bildmaterial: Graupp

Zum Thema:

* 161 Die Turf Schönheit

* 165 Prater und Augarten Zukunft


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