!!!DIE SCHREIBFEDER



[{Image src='stanz.gif'class='image_left'height='400' caption='Stanzerei,Federn werden aus Stahlbändern ausgestanzt,Ill.Technik' alt='Federn' width='626'}]


1927:  Wenn der Mensch unserer Zeit täglich die Schreibfeder zur Hand nimmt, dann macht er sich kaum eine Vorstellung davon, dass dieses unscheinbare Instrument eine lange geschichtliche Entwicklung durchgemacht hat und dass seine Verbreitung  mit dem Aufstieg jedes Kulturvolkes eng verbunden ist und ahnt nicht, dass zu seiner Herstellung nicht weniger als 15 Arbeitsgänge  notwendig sind, die eine Fabrik vollauf beschäftigen können.

Vor noch nicht langer Zeit hat man bei Ausgrabungen die älteste Schreibfeder gefunden, einen Knochen mit dreieckigem Querschnitt und geschnittenen Enden, der zur Einritzung der Keilschrift in Tontafeln diente. In der Römerzeit waren bereits Metallfedern aus Kupfer und Bronze bekannt, die in ihrer Form dem Schreibrohr ähnelten, welches aus Schilf geschnitten und sicherlich weit mehr benutzt wurde als die Metallfeder. Im 7. Jahrhundert endlich wurde jenes Rohr durch den Gänsekiel verdrängt, der über 1000 Jahre hinaus der gelehrten Welt seine Dienste erwiesen hat. Dann aber tauchte die Stahlfeder auf und wurde bald so populär, dass man darüber ihren eigentlichen Erfinder vergessen hat; jedenfalls ist derselbe ein Deutscher gewesen,wie Friedrich Soennecken in der „Geschichte der Stahlfedererfindung“ nachgewiesen hat. Im Jahr 1748 berichtete der  Bürgermeister Diener Joan  Janssen, „wie man einen jeden Keil zum schreiben erwählen, bereiten....soll“, ferner von „Schreibfedern aus Eisen und Kupfere Rohr, auch Kupfer und Messine Blechlein“; solche Federn wurden in aller Welt verschickt, nach  Spanien, Frankreich und Holland und kosteten 9 Mark Aachener Währung.  Die Schreib- und Zeichenfeder von dem Kasseler H. G.  von  Breithaupt 1805 dürfte ebenfalls von Interesse sein, da sie „aus einem sehr dünnen stählernen oder silbernen Rohr besteht, das der Länge nach  aufgeschnitten und unten so spitz wie eine gewöhnliche Schreibfeder zugearbeitet  ist“. Der Spalt konnte mit Hilfe eines Schräubchens enger oder weiter gemacht werden,  um alle Buchstabenstärken schreiben zu können. Schließlich sei noch auf die sagenhafte Gestalt des Johann Heinrich Bürger in Königsberg hingewiesen, der „Stahlschnäberl“ zum Schreiben erfunden hat.

Die Nachrichten über ausländische Erfinder lauten noch viel ungewisser; es sei vor allem der Juweliergehilfe Williamson in  Baltimore erwähnt, der Däne Hammer, der aus alten, abgenutzten Uhrfedern Stahlschreibfedern herstellte. Der Engländer Bryan Donkin hat im Jahr 1808 das erste Patent auf die Stahlfeder genommen  und hat  mit der industriellen Auswertung dieser Erfindung begonnen, die in ihren Grundzügen bereits Alois Senefelder, der Erfinder des Steindrucks, angegeben hatte.

Die Herstellungsweise jenes kleinen Kulturträgers ist bis auf den heutigen Tag im Prinzip dieselbe geblieben. Die erste Federnfabrik wurde im Jahr  1852 von dem Kaufmann Karl  Fack im Schmalkaldischen begründet, worauf bald andere Unternehmungen folgten. Um die weitere Entwicklung dieser Industrie erwarb sich  Friedrich Soennecken in Bonn große Verdienste, welcher auf Grund seiner schriftgeschichtlichen Forschungen und der daraus folgenden Erkenntnis des Charakters einer Schreibschrift  in den  70er Jahren seine Rund-, Eil- und  Schulfedern konstruierte.

Von einer guten Schreibfeder verlangt man heutzutage in erster Linie individuelle Anpassung an die Bedürfnisse des Schreibenden, ferner Widerstandsfähigkeit gegen Witterungseinflüsse und chemisches Angreifen der Tinte, schließlich hinreichenden Schutz vor Abnutzung und Erhaltung der Elastizität.

Unter diesen Gesichtspunkten gestaltet sich die  Fabrikation im wesentlichen, wie folgt. Aus einem endlosen Stahlband wird die  Federform in automatischen Exzenterpressen ausgestanzt und zugleich mit dem  Nummernstempel und Firmenzeichen versehen und erhält nicht zuletzt die zum Festhalten der Tinte notwendige Lochung; dabei darf  nicht die seitliche Spaltung der Feder, die zur Erhöhung ihrer Elastizität dient, vergessen werden. Das so vorbereitete Metallplättchen wird nun durch Glühen  in Stahlgusstiegeln weich gemacht, um darauf in Biegepressen in die bekannte Form gebracht zu werden.  Selbstverständlich ist durch diesen Prozess der Feder alle Elastizität verloren gegangen, weshalb sie nun wiederum sehr stark erhitzt und dann in kaltem Öl plötzlich abgekühlt wird. Doch in diesem Zustand ist die Feder  noch nicht gebrauchsfertig, sie  würde rosten und andere Mängel aufweisen. Zunächst wird sie in rotierenden Blechtrommeln gescheuert, um die durch die Wärmeprozesse entstandenen Oxydschichten zu entfernen, was mehrere Tage in Anspruch nimmt. Um die Feder noch elastischer zu machen und um die Tinte an ihr festzuhalten, wird sie an der vorderen Oberfläche abgeschliffen und erhält nunmehr   den unbedingt notwendigen Spalt, der mit äußerster Präzision an sehr genauen Maschinen mit scharfen Messern ausgeführt wird. Den letzten  Anstich vollends bekommt die Feder durch einen Überzug aus Lack, um Rostbildung zu vermeiden, oder aus Kupfer, Zinn  oder Gold, ganz dem Geschmack des Publikums und den Anforderungen des Marktes entsprechend.

Man wird sich von dem Umfang der Stahlfedern-Industrie eine Vorstellung machen können, wenn man hört,  dass größere Betriebe über hundert verschiedene Federtypen und an einem Tag mehrere Zehntausend Stück herstellen, ganz abgesehen von der  Füllfederhalter- und  Füllschreibrohrherstellung, die in den größten Werken mit der Federherstellung Hand in Hand läuft.

QUELLE: Illustrierte Technik für Jedermann 1927 Nr. 30, Österreichische Nationalbibliothek, ANNO

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