!!!EISBLUMENWUNDER

Wie verzaubert präsentierte sich in  den letzten Tagen die  Natur, durch den Raureif glich sie  einer fantasievollen Traumkulisse, eine überwältigende Pracht. Bei klirrender Kälte, ein grandioses Eisgebilde an den Fensterscheiben.....

Hat man sich schon einmal Gedanken darüber gemacht wie all  diese eisigen Schönheiten entstehen?  Die Eiszapfen sind plötzlich da,   entwickeln  sich  des nachts ohne jeden Zeugen. Verantwortlich die Sonne die in Februar und März schon kräftiger, den Schnee am Dach, meist auf dem Land, zum schmelzen bringt. Tagsüber tropfen sie  dann    im Glanz der Sonne. Doch der Schmelzvorgang geht nur langsam vor sich, denn kaum wird es Abend und klirrende Kälte stellt sich neuerlich  ein, so erstarren sie wieder. Dachzapfen sind  kristallklar, an Brunnenröhren hingegen trüb. Was  für ein Unterschied.

Das Schmelzwasser auf dem Dach ist atmosphärischen Ursprungs und chemisch rein,  das abtropfende Brunnenwasser enthält Mineralstoffe, meistens doppelkohlensauren Kalk. Beim Gefrieren scheidet das Wasser die in ihm gelöste Stoffe aus. Der doppelkohlensaure Kalk löst sich an der Luft in einfachsauren Kalk und Kohlensäure auf und die Kalkkristalle und Kohlensäurebläschen trüben das Eis des Zapfens. 

An den Fensterscheiben wiederum zeichnen sich filigrane Kunstwerke von Blumen, Sterne, Blätter und andere zarte Gebilde ab. Nach einer dichterischen  Deutung, sind  die Eisblumen am Fenster  die Seelen,   jener Blumen die im Sommer von Menschenhand gebrochen  und zerstört worden sind.

Der Frost der diese Wunderwelt   bildet, ist ein  großartiger  Künstler, unerschöpflich in seinen Ideen und  Motivationen. Man muss sich darin vertiefen um all die reizvollen  in ihrer vielschichtigen Herrlichkeit zu definieren. Trifft ein Lichtstrahl der Sonne eines dieser Eisblättchen und Facetten, dann hebt ein Funkeln und Leuchten in  einem gleißenden Farben Rausch an.
 
Raureif und Eisblumen entstammen der Verbindung von Frost und Wasserdampf. Innig fühlt sich der Wasserdampf, den die Raumluft absondert, zum Frost hingezogen, und sobald sich der Dampf sich an den kalten Fensterscheiben niederschlägt, setzt die Kälte ihren  geheimnisvollen   Ideenreichtum  um.

Das Eis ist keineswegs eine feste Masse, sondern ein Gebilde von größter Regelmäßigkeit, Es ist kristallisiert, seine Moleküle bauen sich zu Sternchen mit ungemein regelmäßigen Flächen und scharfen Kanten aus. Wird  eine solche Eisblume am Fenster  unter dem Mikroskop betrachtet, so werden all die zierlichen Blättchen und  Ranken zu unzähligen sechseckigen Sternchen, auch die Schneeflocken lösen sich unter dem Mikroskop zu feinen Eiskristallen auf, die lose aneinander haften.

Von dem festen Eis, das starke Brücken über Seen und Flüsse baut, glaubte man früher nicht, dass es aus so zarten Gebilden bestehen könne. Doch auch er besteht aus glatten Kristallkörperchen, ganz wie in der Schneeglocke und in der  Eisblume,  daher ist jede Eisfläche, noch so groß sein,  so glatt. Kommt nun die glatte Fensterscheibe  bei der Eisblumenbildung mit den ebenfalls glatten Kristallflächen in Berührung, so können sich diese besonders leicht  entwickeln und ausbreiten, und bei ihrem Bestreben, sich sternartig anzuordnen, leistet ihnen die glatte Scheibe keinerlei Widerstand.

Wie kommt es nun aber, dass das Blumengeranke auf der gefrorenen Fensterscheibe ein so krauses Durcheinander bildet? Dieser  Vorgang erklärt sich dadurch, dass im geschlossenen Zimmer die Temperatur am Fenster geringer ist  als zum Beispiel an der Rückwand, die vom Ofen erwärmt wird. So werden die frostkalten Fensterscheiben von der näher kommenden warmen Luft in Schleifen- oder Wellenlinien getroffen, und wo die Scheibe mit warmer Luft in Berührung kommt, scheidet die plötzlich erkaltete Luftschicht den überschüssigen Wasserdampf  aus, der nun zu Kristallen erstarrt. Die regellosen Kurven der Luftströmung erzeugen das arabeskenhafte und fantasiereiche Bild der Eisblumen, in denen wir zuweilen mächtige Stämme mit breiten Kronen von Laub, manchmal auch wundervoll  geschwungene seltsame Orchideen Blüten sehen, die sich auf den dichtbelaubten Kronen niederlassen haben.

QUELLE: Kärntner Zeitung, 23. Jänner 1935, Österreichische Nationalbibliothek ANNO



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