!!!GLETSCHERWELT



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1905:  Das Wort „Gletscher“ ist eine Verballhornung des französischen Wortes   „Glacier“, das allmählich erst von der Schweiz bei uns seinen Einzug hielt. Unsere Älpler kennen auch heute noch diesen Ausdruck nicht.  Die Tiroler kennen nur ihren Ferner, der Kärntner seinen  Keese, offenbar von Käse abgeleitet,  wegen der  Käse  löcherigen Oberflächen Gestalt, der Bayer und Salzburger endlich hat in der Dachsteingruppe seine Eisfelder und nennt demnach die Gletscher dieser Gruppe mit „Karl Eisfeld“, „Schladminger Eisfeld“,  „Gosauer Eisfeld“.

Von all diesen Bezeichnungen kommt der Tiroler dem Wesen der Gletscher mit seinen Ferner am nächsten und hat damit der Gletscher Theorie unbewusst die Grundlage gegeben.

Wahrhaftig  der Gletscher ist nichts anderes als alter,  an für  seine Ansammlung günstigen Orten liegen gebliebener Schnee, der sich allmählich durch das Alter, den Druck und atmosphärische Einflüsse in jene eisähnliche  Masse verwandelte, die wir mit Gletscher bezeichnen. Die naive Auffassung,  dass Gletscher Eisberge seien, wie noch in meiner Kindheit gelehrt wurde, verschwindet wohl immer mehr und  mehr.

Manche Besucher der Koralpe meinen von hier die Gletscher zu erblicken. Was eigentlich zu sehen ist,  sindnicht die Gletscher sondern die beschneiten, hohen meist Gletscher tragenden Berge, der Hochalpenspitze und Ankogel-Gruppe.

Der Gletscher ist  also nichts anderes, als ein durch verschiedene Einwirkungen in längeren Zeitperioden langsam umgeformter Schnee. In großer Höhe fällt überhaupt sehr selten der gewöhnliche, flockige Schnee, sondern  jenes Gemisch zwischen Hagel und Schnee, das man Graupen- oder  Firnschnee bezeichnet. Dieser Schnee bleibt in ungeheuren Massen liegen, gelangt teilweise an der Oberfläche zum Schmelzen, das ganze Schmelzprodukt dringt in Tropfenform in die  Tiefe, vereist; dadurch schwerer gemacht, , drückt sich das ganze zu einer körnigen Masse zusammen, Firn genannt. Dieses Firn gleitet nun, je nach der Neigung der Unterlage, langsam schiebend nach abwärts, drückt sich  dabei immer mehr zum Gletscher zusammen und schmilzt endlich, sich immer mehr dem Tal nähernd und dabei durch fortwährendes Schmelzen und Wiedergefrieren immer mehr die Konsistenz des Eises annehmend, endlich als Gletscherzunge  ab.  Wir haben also zu unterscheiden:  1. den  aus Schnee umgewandelten Firn,  2. den  aus der  aus Firn verdichteten eigentlichen Gletschermasse und endlich, 3.  der Gletscherzunge. Finden sich alle diese Eigenschaften und fällt die Zunge des Gletschers in ein Haupttal ab,  so nennt man  ihn einen  primären Gletscher, wovon unsere Pasterze ein herrliches Beispiel gibt.  Die Gletscher der Seitentäler, die meist die Zuflüsse der primären  Gletscher bilden, werden sekundäre  Gletscher genannt. Kleine,  nur in den Mulden der Steil Wände oder Rinnen eingebettete Gletscher ohne wahrnehmbarer Zunge nennt man tertiäre oder Hängegletscher. Die Grenze, ob ein Firnfeld nun als solches oder als Hängegletscher anzusprechen ist, ist oft sehr schwer zu finden  und beruht vielfach auf der willkürlichen Auffassung der Beschauer.Versuche haben gezeigt, dass Firnfelder durch Grabungen in die Tiefe ganz dieselbe Struktur zeigen, wie die  Gletscher. So werden z. B.   in den  Steineralpen die „Navni“ und „Navodine“ nicht als Gletscher  bezeichnet,  vielfach darum, weil sie zur Touristensaison ganz mit Schnee bedeckt,  keine Spalten und Schründe zeigen.

 Dass das Gletscherei sich vom  gewöhnlichen Eis wesentlich unterscheidet, hat  man sogar experimentel nachgewiesen. Gibt man ein Stück Eis in warmes  Wasser, so wird es,  von außen nach innen abschmelzend, immer kleiner werden, während das Gletschereis in lauter Körner von der Größe einer Nuss und darüber zerfällt und darum sich viel rascher auflöst. Diese Stücke nennt man Gletscher Körner und sind aus lauter Kristallen  gebildet.

Dass sich ein Gletscher nur dort ansetzen kann, wo die Vorbedingungen vorhanden sind, ist selbstverständlich. In unseren Breiten bedarf der Gletscher zu seiner Bildung einer durchschnittlichen Seehöhe von 2700 Metern, vorausgesetzt, dass die  nicht allzu große Steilheit der Gebirgs-Konfigurationen die Ansetzung einer solchen ermöglicht. Hochtäler, sanft geneigte Hänge, Mulden unserer Urgebirge, sind natürlich zur Ansetzung größerer Gletscher wie geschaffen, während wieder die geschliffenen Kalk Gebirge mit ihren tief eingerissen, wenig von der Sonne getroffenen Schründen zur Bildung von kleinen Gletschern und Hängegletschern oft bei viel geringerer Seehöhe sehr geeignet sind. So haben die  am meisten zerrissenen Dolomiten außer der Marmolata  allerdings sehr viele aber meist nur  kleine Hängegletscher. Interessant ist, dass der  Monte  Canin bei Raidl mit  nur 2582 Meter Höhe gar nicht  unbedeutende Gletscher birgt, während sein imposanter Nachbar Mangert trotz seiner Höhle von  2678 Meter durch seine steile Form bedingt, keinen Gletscher sich einzubetten gestattet.

Man kann in unseren Breiten mit Bestimmtheit annehmen, dass, sobald ein Berg 2700 Meter erreicht und seine Konfiguration das Liegenbleiben des Schnees gestattet, sich Gletscher finden werden, welche sich als plastische  Massen teils gleitend, teils schiebend, sich  beständig umformend abwärts bewegen. Diese Bewegung ist unter Umständen eine verhältnismäßig rasche und hängt nicht allein von der Neigungsfläche des Gletscherbettes, sondern  auch von dem  oft  ungeheuren Druck des Firnzuflusses ab.  Man hat in Grönland Gletscher beobachtet, die 10 bis 20, ja 30 Meter per Tag zurücklegen, während selbst einzelne Gletscher unserer Alpen einen halben Meter und mehr  pro Tag im Sommer zurückzulegen in der Lage sind.  Die mittlere Geschwindigkeit der Pasterze variiert zwischen 0.06 Meter bis  0.43 Meter pro Tag. Durch Einrammen horizontal über dem Gletscher angebrachter Stangen oder quer gelegter Steine kann  man die Geschwindigkeit der Gletscherbewegung messen und hat gefunden, dass sich  die Bewegung analog unserer Flüsse in der Mitte viel rascher vollzieht als an den Rändern. Die  Bewegungsgeschwindigkeit ist im Sommer ungleich rascher als im Winter und das Durchschnittsverhältnis 03 : 0.004; ebenso ist dieselbe in jedem Jahr je nach den klimatischen Verhältnissen von verschiedener Intensität. Nach einer Reihe von niederschlagsreichen Jahren wird sich der Gletscher selbstverständlich nicht nur rascher bewegen, sondern auch weiter vorstoßen, als nach  niederschlagsarmen Jahren. Dies nennt man den Vorstoß; im Gegensatz zum Rückzug. Ist der Druck der alten Firnmasse nicht stark genug, um dem Abschmelzen der vordersten  Zunge Einhalt zu  bieten, so wird die Zunge kürzer und diesen Vorgang nennt man den  Rückzug der Gletscher.Das uns  bekannte Maximum des Vorstoßes sämtlicher alpinen Gletscher fand im Jahr 1859 statt.  Seitdem sind sämtliche Alpengletscher bedeutend zurückgegangen und beträgt der  Rückgang der größeren Schweizer Gletscher ½ bis 1 Stunde.

In den westlichen Alpen waren in den  letzten Dezenien des vorigen Jahrhunderts wieder Vorstöße zu bemerken, während bei uns namentlich in allen Gletschern, welche von den Zillertaler Alpen östlich liegen, namentlich beim Pasterzen Gletscher noch immer   ein, wenn  auch schwächerer Rückgang zu bemerken ist.  Man hat  gefunden, dass ein Gletscher von seinem Firnzufluss bis zu seinem Ende  15  bis 20 Jahre, ja  100 Jahre braucht, so hängt sein Vorrücken oder Abschmelzen durchaus nicht von dem  klimatischen Verhältnissen desselben oder der kurz vorangegangenen Jahre ab, sondern ist auf  jene Jahre zurückzuführen, in welchen seine Firnzuflüsse  gebildet wurden. Sind  die Firnzuflüsse angewachsen, so muss in absehbarer Zeit auch die Zunge nach Jahren selbst bei wärmeren klmatischen Verhältnissen vorstoßen und umgekehrt wird man  bald  in kühlen, niederschlagsreichen Jahren einen Rückzug konstatieren können, ja man kann, normale meteorologische Verhältnisse voraussetzend, nach der Mächtigkeit der Firnmassen ungefähr berechnen, in welchem Jahr  ein Vorstoß oder ein Rückzug stattfinden muss. Solche wissenschaftliche Studien haben nicht  nur einen akademischen Wert,  sondern auch eine hohe volkswirtschaftliche Bedeutung. Der Fall  Martelltal erinnert, wo durch den Rückzug des Vernagtferners der Abfluss desselben gestaut wurde und   das durch den Durchbruch des Dammes entstandene Unglück von Gletscherforschern leider erfolglos vorausgesagt wurde.

__QUELLE:__  Lavanttaler Bote, 17.  Mai  1905, S 1, ANNO Österreichische Nationalbibliothek

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