!!!KÜNSTLICHE GLIEDMASSEN




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1895 Wenn auch die ärztliche Heilkunst bei schweren Verwundungen schon weit fortgeschritten ist, Verluste von Gliedmaßen, oder andere Verstümmelungen können meist nur durch künstliche Gliedmaßen ersetzt werden. Darum hat man sich bereits in früheren Zeiten bemüht künstliche Gliedmaßen oder Ersatzglieder herzustellen.

In erster Linie kommen  künstliche  Beine und  Arme als Hilfsmittel in Betracht die nach erfolgter  Amputation und Verheilung der Wunde an den Stumpf des Gliedes angebracht werden.

Diese künstlichen Gliedmaßen waren oft sehr primitiv und bestanden aus einfachen hölzernen Stelzfuß die das amputierte  Bein ersetzten. Besonders nach Kriegswirren  waren viele Männer auf diese Weise ausgestattet. 

In jüngster Zeit war durch technische Errungenschaften eine Verbesserung  merkbar geworden mit der auch die antiseptischen Wundbehandlung verbessert und dadurch das Leben der Patienten erhalten blieb.

Den ersten wichtigen Fortschritt war vor allem das künstliche Bein das 1816  von Pott in Chelsea für den Marquis von  Anglesey angefertigt und durch die Einführung eines  Mechanismus für die Beugung des Knie- und Fußgelenkes vervollständigt wurde. Eine verbesserte Konstruktion erfanden der Amerikaner Dr. Palmer und William  Selpho, wie auch von Dr.  Douglas  Bly in Rochester, wobei die Bewegungen nicht durch Metallfedern, sondern durch comprimierten Kautschuk erzeugt werden, und das Sprunggelenk aus einem frei beweglichen Glaskugelgelenk besteht und 175 Dollar kostete. 

Das Bein des Amerikaners A. Marks hat einen Fuß aus Weichgummi, der mit dem Unterschenkel durch einen  feststehenden Holzzapfen articuliert und keinen Zehenmechanismus  hat, für 100 Dollar.

Professor von Esmarch in Kiel besitzt ein Bein mit einen äußerst sinnreichen Kniegelenkmechanismus, sowie eine  besondere Federvorrichtung zur Beugung des Kniegelenkes und Streckung des Fußgelenkes und dazu einen freien Zehenmechanismus, Preis 150 Mark. Vorrichtungen allein für den Unterschenkel kosten 60 bis 75 Mark. Die äußere Form des Gliedes wird bei allen Apparaten durch Lederumhüllungen nachempfunden, und zwar in  so vollkommener Weise,  dass der Verlust kaum zu bemerken ist.

Um so schwieriger scheinen Prothesen als Ersatz für Arme zu sein, die  durch zahlreich nötige  Bewegungen in der  Herstellung  komplizierter sind.

Künstliche Arme zu schaffen, damit hat man sich bereits im Altertum befasst. Plinius berichtet,  dass ein römischer Ritter Marcus Sergius sich als Ersatz seiner in der Schlacht verlorenen rechten  Hand eine solche aus  Eisen habe anfertigen lassen, die ihn in den nächsten Kriegen dienlich war.

Goethes Götz von Berlichingen der ebenfalls eine eiserne Hand hatte, die  dieser im Jahr 1505 von einem Waffenschmied  anfertigen ließ, die so gut ausgestattet war, dass er sogar äußerst  sicher ein Schwert halten konnte.

Der kunstvollste Apparat der jemals zustande kam war der rechte Arm und Hand, den Matthieu  und Chassiere für den  berühmten französischen Tenor  Roger herstellten. Diesem war nach einem Jagdunfall  der rechte Vorderarm abgenommen worden, und die  Möglichkeit seines Wiederauftretens hing von der Beschaffung eines neuen Armes ab, der alle nötigen Bewegungen beherrschte. Dieser Apparat konnte zunächst  jede Bewegung der Finger des Handgelenkes und  Vorderarmes ausführen. Es war Roger  ferner möglich  mit der Hand  Brust und Kopf  zu erreichen, zu grüßen und den Arm  zu strecken, besonders  bei  Innehalten  des Oberarmes den Handteller auf- und abwärts zu drehen, sowie den Zeigefinger auszustrecken. Der Arm hatte ein Gewicht von 350 Gramm und bestand aus Aluminium, Stahl und leichtem Holz. Die verschiedenen Bewegungen wurden durch Darmseiten ausgelöst.

Im Jahr 1891 fand ein internationaler Kongress  der Hersteller  chirurgischer  Instrumente statt. Den ersten Preis für einen Apparat mit beweglichen Fingern in Verbindung mit den  Ellbogengelenke ausgeschrieben, den C.  Gessers in Berlin errang. Wie man erfuhr  steht jedes Glied in Verbindung mit dem Ellenbogen. Die Hand besteht  aus Buchsbaumholz, deren Oberteil aus Leder mit Stahlverbindung; die Gelenkteile der Finger sind aus Elfenbein die sehr haltbar  sind; jedes Fingerglied hat eine Schraube, um die Hand wieder  auseinander zu nehmen. Durch Übertragung kleiner Gelenkstäbchen von einem Fingergelenk zum anderen lassen sie sich beugen und strecken; jedes Gelenk besteht aus einem doppelten Chanier. 

Sämtliche Stäbchen sind im Handraum vereinigt und befestigt. Eine doppelte Hebelbewegung verbindet die Stäbchen mit dem Ellbogengelenk; sobald dieses gestreckt wird, strecken sich auch die Finger, werden dagegen  bei der Beugung geschlossen, vorausgesetzt, dass der Vorderarm noch die Kraft hat um das zu vollbringen. Zur Verstärkung des Lederschaftes sind Seitenschienen angebracht, an denen auch  die Bewegungsstange befestigt ist. Die Oberarmbandage dient zur Befestigung des Armes.

Sehr interessant ist der Versuch des Konstrukteurs, einen künstlichen Vorderarm aus Mannesmannrohr und Aluminium anzufertigen; die Hülse, in die der Stumpf hinein muss, aus Mannesmann-Aluminiumrohr.

Ein künstliches Kniegelenk hat kürzlich  Professor  Gluch  in Berlin bei einem Patienten angefertigt, dessen Kniegelenk schon  derart durch Krankheit geschädigt war,  dass nach der  bis jetzt übliche Amputation oberhalb des Knies die letzte Rettung war. Wie in damals üblichen Fällen, sägte Professor Gluch die Knochen oberhalb  und  unterhalb  des Knies durch und entfernte das Mark, soweit es notwendig war. An Stelle des fehlenden Knieknochens wurde dann ein aus Elfenbein gebildeter Knochen mit einem Gelenk  eingesetzt. Das künstliche Knie bekam dadurch  Halt, dass es in die Markhöhle hinein und mit Elfenbeinstifte fest gerammt wurde,

Derselbe Operateur, Direktor  der chirurgischen Abteilung des Berliner  Kaiser und Kaiserin  Friedrich  Kinderkrankenhauses, stellte der Medizinischen Gesellschaft eine junge Dame vor welche eine künstliche Nase aus Elfenbein erhalten hatte. Er gab der stark beschädigten Nase einen Rücken aus Elfenbein und einen biegsamen  Steg aus Platin, die beide unter der schützenden Hautdecke glatt einheilten. Einige Reparaturen waren  seither notwendig geworden, sonst aber atmet und schnaubt die Dame durch ihre Elfenbeinnase, auf der sie sogar einen Klemmer trägt.

Künstliche Augen stellen einen äußerlichen Ersatz dar. Bisher bestanden sie nur aus Glas, doch litten  selbst die  besten derartigen Erzeugnisse an zwei großen Fehlern; sie ließen sich nicht beschneiden, wenn sie an irgend einer Stelle die Augenhöhlen  drückten und gingen sehr leicht zu Bruch. Beides wird vermieden durch  die zuerst  von Dr. Nieden in Bochum versuchten  Vulcanit-Augen und durch den Zahnarzt Hamecher in Berlin  in allen Farben hergestellten vorzüglichen  Zelluloid-Augen, davon das Stück  nur 15 bis 20 Mark kostet.

Franz Xaver Wurm, ein Kärntner Mechaniker  und Ingenieur, stellte bereits  1852  künstliche  Gliedmaßen für Soldaten  her. 

„Unter den  zahlreichen Stiftungen, welche zur Versorgung invalider Kriege durch die Hochherzigkeit  aller  echten Söhne und Töchter unseres großen Österreichs gegründet wurden, dürfen wir mit Recht  den unter dem Protektorat des Herrn Erzherzogs Ferdinand Maximilian stehenden „Verein  zur unentgeltlichen Beteiligung verstümmelter Krieger mit künstlichen Gliedmaßen“ zu den nützlichsten und  anerkennungswürdigsten zählen.

Angeregt durch den Mechaniker und Ingenieur  Franz Xaver Wurm und gefördert vom niederösterreichischen Gewerbe Verein, der die große goldene Vereins Medaille als Krönungspreis ausgesetzt hatte, wurde er am 6. Jänner  1850 ins Leben gerufen.

Nachdem viele Soldaten als Krüppeln, ihrer Hände und Füße beraubt, auf armseligen Krücken in ihre Heimat zogen, da ersetzte Wurm, dessen mechanisches Talent einen europäischen Ruf erworben, den verunglückten Vaterlands Verteidiger ihre fehlenden  Arme und Beine  mit jenen Mitteln, dem Kunstwerk, welches sowohl in anatomischer als mechanischer Beziehung mit großen Schwierigkeiten verbunden, die möglichste Vollendung zu geben, indem er  die Geheimnisse der Natur in dem wundervollen  Gliederbau des menschlichen Körpers studierte,  und diesen  Bau künstlich auf das  treueste nachzuahmen versuchte.

Die große goldene  Vereins-Medaille des niederösterreichischen  Gewerbe Vereins lohnte seine geniale Erfindung.

Der schönste Lohn ward ihm aber, als er dem Kaiser die ersten mit dem künstlichen Gliedmaßen beteiligten Soldaten  vorführen konnte, dem Verein seine Anerkennung aussprach und dem Herrn Wurm  mit rührenden Wirten dankte.

Bereits der verdienstvolle Doktor der Medizin  und Chirurgie k.k. Oberfeldarzt Roßwinkler, hatte eine Broschüre 1836 über künstliche Gliedmaßen ausführliche Mitteilung gemacht.

Auf der Pariser Weltausstellung 1867 waren gleichfalls die künstlichen Gliedmaßen  von Emil Clousolles  zu sehen die den deutlichen Fortschritt  erkennen ließ. Fast jedes Land war mit künstlichen Prothesen und Apparaten vertreten. Vertreter künstlicher Augen sowie Zahnheilkunde und  Zahntechnik hatten einen ungeheuren Aufschwung genommen,

__QUELLEN:__  Kärntner Zeitung, 12. Juli  1895, S 1, Carinthia, 18. Mai 1852, S 3.ANNO Österreichische Nationalbibliothek

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