!!! KULINARISCHE KÖSTLICHKEITEN




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1900:  Über den Geschmack lässt sich bekanntlich streiten; aber nichtsdestoweniger gibt es eine ganze Reihe von Gerichten, bezüglich deren das  Urteil der  Erdenbewohner, soweit diese wenigstens kultiviert sind und gastronomisch ihrem Magen  etwa dieselbe  Erziehung zu Teil  werden  ließen, darin übereinstimmt, dass sie dem Gaumen durchaus munden. Und  wenn der Einzelne auch wirklich einmal solcher allgemein gültigen Ansicht nicht beipflichten sollte,  vermag die Regel durch die Ausnahme kaum erschüttert zu werden. Allerdings wird einerseits beim Menschen stets schon die ihm  von der Mutter Natur  bei seinem Eintritt in das irdische  Dasein mitgegebene Veranlagung vorhanden sein müssen, anderseits tut die  gesamte Erziehung ein Ferneres, um ihn in die Lage zu bringen,  dass er etwaige Leckerbissen ihrem ganzen Wert nach anerkannt und zu schätzen weiß. Wie all die übrigen Sinne, wurde sicher auch der Geschmack nicht gleichmäßig unter die Menschheit  verteilt,  und wie man  Auge oder Ohr durch eine zielbewusste Bewusstsein zu verschärfen imstande ist,  werden ebenso Gaumen und Zunge auf entsprechende Weise einer Beeinflussung unterliegen. Meistens dürften freilich Leute, die sich  in glücklicher Lebenslage befinden, nicht allein Geld, sondern auch Sinn für die Freuden der Tafel zur Verfügung haben. Darum finden wir unter den  gekrönten Häuptern oder solchen,  die Thronen nahe stehen, oftmals so gewiegte Feinschmecker.  Ludwig XVIII., von Frankreich hatte, noch bevor er das  Lilienbanner wieder erheben durfte, die köstliche  „potage a la  Xavier gedichtet“, und einer seiner ersten Regierungsakte bestand darin, dass er  ein glänzendes Diner, hergerichtet aus den  gesuchtesten Leckerbissen aller  fünf Erdteile, höchst  eigenhändig komponierte. Aber selbst bedeutende Monarchen waren der Wissenschaft, deren Kult sich   direkt neben oder  sogar über der Herdflamme befindet keinesfalls abgeneigt. Man weiß  sogar, dass Friedrich der Große eine entschiedene Begabung für die  subtilsten Geheimnisse der Kochkunst befasst; ihn, dem Philosophen von Sanssouci, konnte der ganze Tag vergällt sein, wenn einmal der Koch die Gewürze nicht ganz  genau  nach dem Geschmack seines Monarchen mische.

Leckerbissen kannte das Altertum ebenso  gut  wie die Gegenwart. In mancher Hinsicht freilich hat  innerhalb der Jahrtausende,  während deren schriftliche Aufzeichnungen über die Freuden des Gaumens gemacht wurden,, der Geschmack  Wandlungen erfahren. Die Nachtigallenzungen, in denen einst der Römer  Lukull schwelgte, die mit Menschenfleisch feist gefütterten Muränen, die er seinen Gästen vorsetzte, dürften heute selbst vor dem Gaumen des extravagantesten Feinschmeckers schwerlich mehr Gnade finden.  Aber die saftige Kirsche in ihrem lachenden Kleid, die  er zuerst aus Kleinasien in die Siebenhügelstadt brachte,  hat sich in der  Gunst der Menschheit erhalten,  und den zarten Spargel, die mannigfachen Salate, an denen die  Küche Alt Roms vorwiegend  die diätetischen Eigenschaften hervorhob, schätzt man heute vielleicht noch mehr wegen des Wohlgeschmackes, mit dem sie die Zunge des Menschen beglücken. Im großen ganzen darf man wohl die Behauptung aufstellen, dass die  gastronomische Fertigkeit eben wie jede andere im Lauf der Zeiten ganz entschieden Fortschritte gemacht hat. Noch die Bourbonenkönige, fast insgesamt nicht nur raffinierte Feinschmecker. Sondern auch Vielesser im höchsten Grade, mühten ihr Hirn damit ab, wie sie einer Fleischspeise, den Koteletten, die Ludwig  XVIII., höchst eigenhändig schmorte, oder  den Saucen, deren Herstellung dem gekrönten Liebhaber der  Pompadour so viele Sorge bereitete,  einen möglichst großen Kraftstoff zuführen könnten. Mit welchen Ehren hätten sie wohl den berühmten Chemiker überhäuft, dessen wissenschaftliche Errungenschaft den modernen Feinschmeckern so bequem und billig zu gute kommt! Was würde Lukull wohl darum gegeben haben, wenn ihn die Vorteile des jetzt  all überall  verbreiteten Liebig's Fleisch Extrakt bekannt gewesen wären und einige Büchsen ihm zur Verfügung gestanden  hätten! Man maß der Zubereitung der Speisen einen Wert  bei, denn wir heute kaum verstehen. Als bei  einem Fest, dass der große Condé dem „Sonnenkönig“ zu Chantilly  gab und das die Kleinigkeit von 180.000 Francs kostete die Seefische, die man aus allen Häfen her verschrieben hatte, nicht zur rechten Zeit eintrafen, nahm sich Vatel deswegen das Leben. Frau  von Sévigné,  also doch eine unter  allen Umständen glaubwürdige Zeugin schreibt darüber: „Der „große Vartel, der berühmte Koch des Königs, dieser Mann von einer so  hervorragenden Bedeutung, dessen Kopf alle Sorgen einer Staatsverfassung in sich  zu fassen  hingereicht hätte, konnte die Schmach, die ihm, wie er glaubte, bevorstand, nicht ertragen; er hat sich erstochen“

Völker, deren Wege abseits von  dem uns durch die Kultur vorgezeichneten und überlieferten Geschmack führen, haen selbstverständlich ihre eigenen Gerichte.  Der Chinese schätzt nichts höher  als eine Schüssel, die aus ganz jungen, noch blinden Mäusen besteht. Bei einem Gastmahl werden diese jedem Gast lebendig vorgesetzt. Nun  taucht man die zappelnden winzigen Tierchen in Honig und lässt sie dann  langsam durch die  Kehle gleiten. Als der  jetzige Kaiser seine Hochzeit feierte, wurden bei  den Festmahlen, die er veranstaltete,  nicht weniger als  50.000 solcher jungen Mäuse verzehrt. Der ganze Osten schwärmt für die Puppen der Seidenraupe. Die Gastrosophen jener Völker behaupten, dass sie den Geschmack der süßen Mandel haben, die Spinnen denjenigen der Haselnuss. Um die Puppen zu verzehren, befreit man sie  zuerst von der Seide, entfernt dann die Hülle und behält nur eine winzige gelbe Masse zurück. Diese wird ausgepresst, in Butter gebraten, mit Hühnerbrühe gewürzt, in dieser einige  Minuten gedünstet und dann  auf  den Tisch gebracht.  Es ist ein Leckerbissen, an dem nicht nur der Wohlgeschmack, sondern auch der  gar  liebliche Duft geradezu in Hymnen gerühmt wird. Die Römerinnen des entnervten Cäsararemzeitalters aßen den Holzbohrer, der sogenannte „Totenuhr“ - übrigens eine Kost, die auch heute noch in den Harems der Moslems von den dort weilenden Feinschmeckerinnen sehr geschätzt wird. Aber selbst ein Land,  das mit der Kultur, wenn auch durch schwachen Fäden, zusammenhängt, Brasilien, kennt Leckerbissen,  die einem anderen gesitteten Volk ganz bestimmt nicht zusagen würden. Das Nationalkochbuch Brasiliens zählt sieben Gerichte,  zu denen der südamerikanische Affe herhalten muss.  Es heißt dort: „Man nimmt einen Affen, schneidet  den Kopf ab und richtet ihn zu  1. am Spieß  gespickt, 2. im Ofen  gebraten, 3. gedünstet mit Gurken, 4.  geschmort mit indischen Feigen,  5. gekocht mit Kürbis, 6.  gekocht mit  Bananen, 7.  gebraten mit Salat von süßen Kartoffeln.

Die Portugiesinnen in Brasilien verstehen aus  den Leibern der Bambuswürmer oder Malalis eine  frische,  süße Butter herzustellen,  die man in ihrer Gegenwart nur zu erwähnen braucht,  um sie zum Zungenschnalzen zu veranlassen, so  wunderbar munden sie ihnen. Bekannt ist,  dass manche Völker für Heuschrecken gastrosophisch eine wirkliche Begeisterung an den Tag  legen. Als man  einst in   Gegenwart  Omar's, des Schwiegersohnes und Nachfolgers des Propheten, der Heuschrecken erwähnte, sagte dieser entzückt:  „Dass ich  doch einen Korb voll davon hätte!“ Einmal bekam er Appetit auf dies Gericht. Die Heuschrecken waren aber zu  dieser Zeit sehr selten. Als ihm sein  Diener endlich ein paar derselben brachte,  rief er freudig aus: „Allah ist groß!“

Wie schon oben bemerkt  wurde,  kann man  neben anderen schätzenswerten Eigenschaften sehr  wohl die  fernere besitzen, dass an den Wert einer Speise in all ihren Feinheiten zu würdigen versteht. Der ältere Dumas hat ein Kochbuch verfasst, bei dem  man sich noch  heute in schwierigen Fällen Rat holen sollte. Der große Denker Montesquin bekennt in einem Brief, dass ihn keine geistige Freude die Wonne ersetzt, die er in  einer nur ein Viertelstündchen  währenden Mahlzeit finde.  Balcaf schwärmte für gute Schüsseln;  aber das Geheimnis aller kulinarischen Künste lag  ihm in einer mit großer Vorsicht zubereiteten Schale Mokka. Larmatine ließ sich von einem Freund, der  Abbé war,  im Kochen unterweisen; denn  nur dieser verstand nach seiner Meinung Artischoken so herzurichten, dass sie  gewissermaßen auf der Zunge zergingen. Mazarin verbrachte die Mußestunden, die er seiner ländergierigen Politik abknapste, damit,  neue Rezepte für seine Lieblingsspeisen, Pasteten und Ragouts, zu ersinnen, und sein  Vorgänger Richeleu schätzte als größten Leckerbissen die mannigfachen Schüsseln, deren Hauptbestandteil Schokolade bildete. Einer der größten Gastrosophen war Rossini. Während er die unsterblichen Melodien zu seinem „Tell“ und  „Barbier von Sevilla“ auf das Papier warf. „komponierte“ er fast gleichzeitig eine ganze Reihe neuer Schüsseln. Nichts ging ihm über ein Geplauder mit Careme, dem berühmtesten Koch des damaligen  Paris. Ein zustimmendes Urteil, das jener einerRossini àR Schüssel des Maestro zollte,  galt diesem mehr als der Beifall, den die Kritik seinen musikalischen Schöpfungen darbrachte, Einst schickte der  Koch seinem berühmten Freund eine Wildpretpastete in einer Schachtel, deren Deckel in lapidaren Zügen die Aufschrift trug „Careme   à  Rossini“. Dieser war entzückt und beantwortete die Aufmerksamkeit  mit der Komposition eines Liedes, das die  Widmung zeigte: „Rossini à Careme“

Auch Goethe war ein Feinschmecker; für den  größten Leckerbissen der Welt hielt er bis an das Ende seiner Tage die  sogenannten „Schwartenmagen“, eine Wurstart, die von der  „Frau Räthin“ meisterhaft hergestellt wurde.  Als ihr Wolfgang in Leipzig war,  durfte niemals innerhalb eines bestimmten Zeitraumes die Sendung aus dem Elternhaus ausbleiben, und selbst  die kostbaren Schüsseln am herzoglichen Hof zu Weimar vermochten dem inzwischen zu Ruhm  und Ansehen Gekommenen seine geliebten „Schwartenmagen“ nicht zu ersetzen. Schopehauer war ein großer Freund von Trüffeln. Er teilte diese kulinarische Leidenschaft übrigens mit Rossini, der einmal  begeistert ausrief: „Die Trüffel ist der Mozart der  Champignons. Ich kenne in der Tat keinen besseren Vergleich zum „Don Juan“ als die  Trüffel. Eines haben beide miteinander gemein:  Je öfter man davon genießt, desto größeren Reiz und  Gefallen  findet man an ihnen!“

__QUELLE:__  Innsbrucker Nachrichten, 10. März 1900; S 1, ANNO Österreichische Nationalbibliothek

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