!!!STADT  DER MUSIK

Wien wirbt mit dem Beinamen,  Stadt der Musik. Es war einmal, wo all die Großen der Tonkunst  sich von Wien, der Residenzstadt eines großen Reiches, magisch angezogen fühlten. Die Wiener, ob reich oder arm, stürzten sich in das Vergnügen, der stimmungsvollen, fröhlichen Melodien die aus Parks, Gärten, Höfen und Tanzsälen  erklangen und jedermann erfreuten...

1861:  In keiner Stadt   Europas wird so viel Musik gemacht wie in Wien: von früh Morgens  6 Uhr bis spät nach Mitternacht ertönt Musik und sollte man nach der Menge Musik auf die Stimmung der Bevölkerung schließen, so  müsste Wien die fröhlichste und  gemütlichste Stadt der ganzen Welt sein.

Aber dem ist nicht so, in Wien ist die Musik so angewendet, wie Talleyrand die Sprache anwendet, indem er sagt „Die Sprache ist dazu da, um unsere Gedanken zu verbergen.“ Die Musik wird in Wien oft angewendet, um Trauer, Kummer und Elend zu verdecken.

Eines das von Musik am meisten heimgesuchten Gebäude ist der  große Hoftrakt des Bürgerspitales. Kaum ist das Grauen des Tages vorbei,  so öffnet sich ein Fenster und  ein Klavier, auf dem alle Gattungen Dur- und Mollskalen herunter geleiert werden, lässt seine nichts weniger als harmonischen Töne erklingen. Einige Minuten später werden von einem Gesangslehrer verschiedene Sopran- und Tenorstimmen zu ihrer künftigen 10.000 Gulden-Karriere herangebildet.

Mit in diese manchmal durch falsche Intonation unterbrochenen hohen C- und D-Schleuder klagt eine melancholische Violine das Weh, das ihr Spieler ihr verursacht. Mittlerweile ist es im Hof lebendig geworden. Ein Melophon, eine Violine und eine Gitarre oder eine Ziehharmonika eröffnen nun ihre „Hofkonzerte“. Das musikalische Durcheinander wird immer bunter u und durch die Begierde nach Harmonie entsteht die größte Disharmonie, zu welcher die im Haus befindlichen Herren und Fräulein  Hunde redlich das Ihre beitragen. Endlich hat dieses Konzert sein Ende erreicht, die Produzierenden versuchen ihr Glück in einen anderen Hof des weitläufigen Gebäudes, da wird von der anderen Seite eine große Drehorgel in den Hof geschoben und nun beginnt das unglückselige Flötenspiel mit Trompetenbegleitung den bekannten Chor aus dem  „Zauberschleier“, „Leb wohl geliebtes Wesen“ leiern.

Da diese „Hofmusikanten“ ihres Diners zu verschiedenen Zeiten einnehmen, so ist man sogar während der Mittagsstunde nicht frei von Musikproduktionen. Des Nachmittags beginnen wieder die Lektionen des Gesangsmeisters und des Abends flötet ein junger Liebender sein „Guter Mond du gehst so stille“ in die lauen Lüfte hinaus.

Es ist zehn Uhr geworden, das Haustor hat sich Dank der Vorsicht des in dieser Beziehung unermüdlich eifrigen Hausmeisters knarrend geschlossen und nun beginnt die wilde Jagd auf dem Klavier. Hier ertönt ein Strauß Walzer. Dort Beethovens Sonate pathetique, hier das deutsche Vaterland, dort das Kouplet „Es ist alles nicht wahr“. Da spielt man „Alles Gold ist nur Chimäre“. Endlich ist es Mitternacht geworden, die Töne verstummen allmählich und nun herrscht Ruhe im Haus bis zum Morgen dasselbe musikalische  Chaos wieder beginnt.

Da wir eben von Musik sprechen, so wollen wir noch erwähnen, dass in den  nächsten Monaten der Jüngste der  Brüder Strauß, Eduard, sich ebenfalls an die Spitze eines Orchesters stellen und das Tanzmusikmonopol somit sich ausschließlich in Händen des Strauß Trisoliums befinden wird.

Bei aller Verehrung für Strauß Walzermusik glauben wir doch, dass sich  diese Herren gar nichts vergeben würden, wenn sie sich herbei ließen, bei ihren Produktionen auch Werke von Strauß Vater und Lanner Vater in  ihr Repertoir aufzunehmen. Es werden häufig Klagen im Publikum darüber laut, dass unsere Tanzmusikdirektoren nur eigene Kompositionen und nie die ihrer vortrefflichen Vorbilder zur Aufführung  bringen. Wir sind der Meinung, dass gerade die Brüder Strauß berufen wären, durch vorzügliche Aufführung der Werke ihres Vaters und des alte Lanner, diese der Vergessenheit zu entreißen, um so mehr, da beide,  was Melodienfrische und Schönheit anbelangt, noch immer unübertroffen dastehen, und ferner  da das Strauß Repertoir eben nicht an einer Überflutung von interessanten Neuigkeiten zu leiden hat.

Da wir eben auch von der sogenannten  „Konversationsmusik“ sprechen, wollen wir auch noch der Soiréen im Volksgarten gedenken. Es ist nicht in Abrede zu stellen, dass der Besuch dort immer mehr in Abnahme begriffen ist. Die Unternehmer suchen dieselbe in der Konkurrenz Weghubers. Es wird aber niemandem einfallen zu behaupten, dass der Weghuber Garten schöner, schattenreicher als der Volksgarten sei. Aber man kann nicht leugnen,  dass in dem Weghuber Garten trotz seiner jungen Anlage alles eleganter, geschmackvoller  sei und dass dort eine viel größere Aufmerksamkeit in der Bedienung der Gäste herrscht.  Das Service ist durchwegs fein und anständig, die gebotenen Speisen und Erfrischungen sind von bester Sorte. Das sind die Vorzüge, welche das Publikum rasch anerkennt und es daher vorzieht, statt  in den Volksgarten zu Weghuber zu gehen. Wird  endlich die Familie Corti zur Einsicht kommen, dass man, um eine Konkurrenz zu beseitigen, alles aufbieten muss, um die Wünsche des Publikums zu befriedigen, dann wird sich der Besuch von selbst steigern.  Es
ist  wahrlich ganz gleichgültig, ob das Strauß Orchester oder die Fuchs Kapelle oder eine Militärkapelle sich produzieren, die Hauptsache bleiben die Erfrischungen  und die Bedienung; entsprechen diese nicht, so ist alle Mühe vergebens.

Bei den  ausgedehnten Privilegien, welches die Familie Corti besitzt,  ist es  ein leichtes das Publikum für sich zu gewinnen.

Wir sind überzeugt, dass sich die im Entstehen begriffene Konserven-Fabrik, welche drei der reichsten Viehhändler in Wien zu gründen beabsichtigen, sich bald die Gunst des Publikums erringen werde, da sie in dessen Interesse arbeiten. Durch die Errichtung dieser Fabrik soll nämlich eine Herabsetzung der Lebensmittelpreise angestrebt werden. Gelingt das,  so werden Publikum und Unternehmer gute Geschäfte dabei machen. Die Vorarbeiten zur Gründung sind bereits vollendet und dasselbe soll nächstens ins Leben treten.
Eugene Eiserle

QUELLE: Zwischen Akt. 4. August 1861. Österreichische Nationalbibliothek ANNO

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