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"Er war eine grantige Instanz"#

Anlässlich von Helmut Qualtingers 25. Todestag am 29. September wird die Kultfigur verstärkt umkreist#


Von der Wiener Zeitung (Mittwoch, 28. September 2011) freundlicherweise zur Verfügung gestellt

Von

Petra Rathmanner


Neue Facetten im Leben und Werk des Wiener Originals. Helmut Qualtinger, ein aufsässiger Intellektueller und Melancholiker.#

Helmut Qualtinger
Helmut Qualtinger (hier im Café Goldegg) war ein begnadeter Dilettant, der nichts gelernt hatte und alles konnte.
Foto © ORF

Wien. "Er war eine grantige Instanz", nähert sich der Schriftsteller Georg Biron im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" einer Ikone. "Unbestechlich und wahrhaftig, bis heute unnachahmlich. Er hat sich nie angebiedert, weder beim Publikum noch bei Institutionen. Für mich ist das Ausdruck einer gesellschaftspolitischen Haltung."

Helmut Qualtinger starb 57-jährig am 29. September 1986. Das Phänomen Qualtinger, von dem Biron mit Bewunderung spricht, wird aus Anlass des 25. Todestags des Satirikers und Schauspielers nun wieder verstärkt umkreist.

Biron etwa publiziert mit "Quasi Herr Karl" bereits seine zweite biografische Qualtinger-Studie; in "Quasi Herr Karl" widmet sich Biron ausführlich Qualtingers wohl berühmtester Bühnenfigur. Mehrspartenartist André Heller, der mit Qualtinger einst eng befreundet war, lässt in seiner Fernsehdokumentation "Qualtinger" neben künstlerischen Weggefährten auch intime Freunde des Wiener Kulturkolosses zu Wort kommen. In Gesprächen mit den beiden Ehefrauen Qualtingers - der Kinderbuchautorin Leomare Seidler und der Schauspielerin Vera Borek - sowie Sohn Christian kommen in der Hommage auch private Facetten des Künstlers zu Sprache.

Buch wie Film betreiben keineswegs schlichte Denkmalpflege, sondern würdigen Mensch und Werk - ein neuer Zugang in der Qualtinger-Rezeption. Lange Zeit war der Blick auf den Kabarettisten, der mit dem Spaß Ernst machte, von Anekdoten und Legenden verstellt, Fakt und Fiktion waren dabei kaum zu trennen: der Unruhegeist als Wiener Original. Qualtinger selbst wirkte an der Selbstinszenierung zum Till Eulenspiegel Wiens zudem heftig mit, indem er selbst aberwitzige Geschichten in Umlauf brachte. Jene mit hohem Absurditätsfaktor stimmen mit großer Wahrscheinlichkeit.

Till Eulenspiegel Wiens#

Zwei Beispiele: Unmittelbar nach Kriegsende heftete sich der damals 17-Jährige einen Sowjetstern an die Brust, ernannte sich zum Kulturkommissar - und versuchte eine Villa für die Gründung eines Theaters zu beschlagnahmen. (Die Aktion brachte ihm übrigens drei Monate Gefängnis ein.) 1951 erlangte er lokale Popularität, indem er eine Zeitungsente lancierte, in der Qualtinger den Besuch eines berühmten Eskimodichters ankündigte. Wer sich schließlich den Reportern präsentierte, war Qualtinger selbst, vermummt im Pelzmantel und mit buchstäblich eiskalter dichterischer Attitüde. Für seine practical jokes war er berüchtigt. Gern meldete er sich telefonisch bei Freunden und versprach ihnen mit verstellter Stimme das Blaue vom Himmel.

Zur Bühne zog es Qualtinger bereits früh, wobei seine Karriere äußerst schleppend begann. Nach ersten Gehversuchen an einer Studentenbühne wird 1949 sein erstes eigenes Stück, das Halbstarkendrama "Jugend vor den Schranken", uraufgeführt. Erst in den 50er Jahren beginnt Qualtingers kometenhafter Aufstieg im Kabarett. Programme wie "Brettl vorm Kopf", "Blattl vorm Mund" und "Glasl vorm Aug", allesamt Titel, die in Wien längst Teil der Volkssprache sind, werden vom Publikum regelrecht gestürmt; Lieder wie "Der gschupfte Ferdl", "Der Halbwilde" oder "Der Papa wird’s schon richten" sind in Qualtingers Interpretation zum Volksliedgut avanciert. Die beachtliche Popularität wird auch durch gezielte Mehrfachverwertungen der Kabarettnummern möglich - Qualtinger arbeitete damals regelmäßig für den Rundfunk, das Fernsehen und den Film, er verfasste Zeitungskolumnen (von 1955 bis 1965 erschienen im "Kurier" die Glosse "Blattl vor’m Mund") und produzierte über 30 Schallplatten.

"Das Fernsehkabarett wird ein Straßenfeger und erfüllt damit stellvertretend die Funktion einer räsonierenden kritischen Öffentlichkeit", wird Iris Fink, Leiterin des Österreichischen Kabarettarchivs, in Birons Qualtinger-Buch zur Blütezeit des heimischen Kabaretts zitiert. Und Qualtinger ist die Paradefigur für ein anderes Österreich. Seine überlieferte Reaktion auf die TV-Erfolge: "Sie haben eine Hetz haben wollen. Sie haben zug’schaut und g’sagt: Jojo, so san mir! - und haben g’lacht. A Hetz halt." Als Zeitzeuge bringt der Bildhauer Alfred Hrdlicka Qualtingers Bedeutung als Kabarettist auf den Punkt: "Er hat den Leuten den Spiegel vorgehalten, sie haben sich darin gesehen, haben sich aber nicht erkannt. Kapiert haben sie nichts. Bei aller Volkstümlichkeit blieb Qualtinger der aufsässige Intellektuelle."

Anno 1960 löst sich die Gruppe um Gerhard Bronner, Carl Merz, Georg Kreisler und Louise Martini auf, Qualtinger startete seine Solokarriere. "Er war kein Schwätzer. Er hat gehandelt und am Höhepunkt seiner Kabarettzeit aufgehört", erinnert sich Vera Borek im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". "Das trauen sich nur wenige, noch einmal ganz neu anzufangen. Er war darin rigoros." Mit dem ersten Soloprojekt, dem mit Carl Merz verfassten Radikalmonolog "Der Herr Karl", gelang Qualtinger zugleich sein größter Triumph. 1961 als Fernsehspiel in der Regie von Erich Neuberg ausgestrahlt, löst die Lebensbeichte des Lagerarbeiters enormes Publikumsecho aus. Wie sich die Figur in der Abfolge verschärfter Krisenstationen - Zwischenkriegszeit, NS-Regime, Besatzungsjahre - als Wendehals, Schmarotzer und Schlawiner durchschlägt, erntete gleichermaßen Entrüstung und Beifall.

Terra incognita#

Das Meisterstück wird auch auf der Bühne ein Dauerbrenner, Tourneen führen Qualtinger bis nach New York. Der Erfolg geriet allerdings zum Segen und Fluch zugleich. In "Quasi Herr Karl" ist nachzulesen, wie Qualtinger noch wenige Monate vor seinem Tod mit der Figur, die seiner Laufbahn den Stempel aufgedrückt hatte, gehadert haben soll: "Den Herrn Karl, den könnt’ ich heute noch spielen. Immer nur den Herrn Karl und sonst nix."

Birons verdienstvolle Analyse des Herrn Karl macht umso deutlicher, wie sehr, in der Fülle der anekdotenreichen Publikationen, eine fundierte historische Erkundung des Phänomens Qualtingers fehlt. Überhaupt scheint das Kabarett der 50er Jahre akademisch noch Terra incognita zu sein.

Qualtingers letztes Lebensjahrzehnt war vom vergeblichen Kampf gegen die Alkoholkrankheit geprägt. "Qualtinger war im Grunde ein sehr verletzlicher Mensch. Er hat sich diesen massigen Leib auch zugelegt, um sich zu schützen, um nach außen hin sicherer zu wirken", so Qualtinger-Biograf Biron. "Er war melancholisch, wie wohl alle intelligenten Menschen", frischt Vera Borek ihre Erinnerungen auf. "Er hatte noch so viele Pläne, die er nicht mehr verwirklichen konnte." Qualtinger war, stellte einst das Wochenmagazin "Spiegel" fest, ein "begnadeter Dilettant, der nichts gelernt hatte und alles konnte." Nur sich selbst zu helfen, das vermochte er nicht.


Buchtipp

Georg Birons Einführung in Helmut Qualtingers Leben und Werk konzentriert sich auf die Rezeption der berühmten Bühnenfigur Herr Karl. Der Monolog wurde übrigens vor 50 Jahren zum ersten Mal im Fernsehen ausgestrahlt.

Georg Biron: Quasi Herr Karl. Helmut Qualtinger – Kultfigur aus Wien. Braumüller Verlag: Wien, 2011, 219 S, € 24.90.

Wiener Zeitung, Mittwoch, 28. September 2011