!!!Pilsen ohne Bier & Waffen 

!!Die Metropole Westböhmens schickt sich an, 2015 Kulturhauptstadt Europas zu sein. Dabei bekommen die Besucher überraschende Einblicke in Unbekanntes.  

%%hidden
[Thema/Kultur]
%%

\\

''Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: [DIE FURCHE|http://www.furche.at] (Donnerstag, 23. Oktober 2014)''

Von   

__Wolfgang Bahr __

\\

[{Image src='Maori-Rewi-Manga-Maniapoto.jpg' class='image_right' caption='Maori. Gottfried Lindauer malte einfühlsame Porträts der Maori: Das Bild von Rewi Manga Maniapoto entstand 1882.\\Foto: Ackland Art Gallery Toi o Tamaki, Schenkung Mr. H. E. Partridge, 1915' alt='Porträt von Rewi Manga Maniapoto' height='430' width='351'}]




"Sie sollten mich besser danach fragen, wie man hier lebt“, kontert die junge Frau auf die Frage, was sie vom Projekt der Kulturhauptstadt 2015 halte. Zwischen Dom und Bischöflichem Palais bettelt sie für sich und ihre zwei Kinder um das Nötigste. Nicht sehr erfolgreich, denn Touristenmassen wie in Prag drängen sich in der Pilsner Altstadt vorderhand keine. 

Das soll freilich anders werden, sagt Mirka Reifová, die Marketing- und Kommunikations- Managerin der „Gesellschaft Pilsen 2015“; man rechne mit 570.000 Besuchern der Veranstaltungen und einem dauerhaften Touristenzuwachs von 20 Prozent. Das Motto „Pilsen Open Up“  werde von boshaften Tschechen zwar als Aufruf zur Öffnung von Bierflaschen interpretiert, tatsächlich jedoch gehe es um eine umfassende Öffnung der Stadt. 

„Die Bürger werden dabei viel Neues erleben müssen, auch Unangenehmes“, prophezeit die gebürtige Pilsnerin, die in Prag Public Relations studiert hat. Am unangenehmsten ist es derzeit gleich vor der Kulturhauptstadtzentrale, wo ein neues Gleis der Straßenbahn und ein neuer Straßenbelag verlegt werden. Die ganze Stadt scheint einer Perestrojka unterzogen zu werden, und wie man mittlerweile weiß, zeitigt eine solche zwar rasch sichtbare Ergebnisse, für breite Bevölkerungsschichten aber heißt es „Bitte warten“. 

!Im Schatten der Metropole 

Den Skeptikern den Sinn des Projekts Kulturhauptstadt zu vermitteln, gehört denn auch zu den Hauptaufgaben ihres Generaldirektors. Jiřì Suchanek hat diesen Job vor einem Jahr unter nicht gerade günstigen Bedingungen übernommen: Die Europäische Union unterzieht ihre Subventionsvergaben gerade einer Restrukturierung, sodass Pilsen an ihrem Kuchen nicht wie noch 2013 das slowakische Kaschau knabbern kann, und die Tschechische Republik hat ihren in Aussicht gestellten Beitrag um 30 Prozent gekürzt.

[{Image src='Illustration-Jiri-Trnka.jpg' class='image_left' caption='Jiří Trnka, ein Pilsner Puppenspieler und Trickfilmer, ist 2015 eine der „reinvented icons“ (rechts eine seiner Illustrationen).\\Foto: Galerie města Plzně' alt='Illustration von Jiří Trnka' height='370' width='265'}]

Einen „real damage“ habe das aber nicht zur Folge, versichert Jiří Suchanek, der als Verantwortlicher für den tschechischen Beitrag zur Weltausstellung 2010 Erfahrungen auf globaler und nationaler, durch drei Jahre in Ostrau aber auch auf kommunaler Ebene gesammelt hat. Ostrau war neben Pilsen als letzte von vier Städten im Rennen geblieben, nachdem Brüssel der Tschechischen Republik zusammen mit Belgien den Zuschlag für 2015 erteilt hatte. Wobei Brüssel für das komplizierte Verfahren steht, an dem der Rat, die Kommission, das Europäische Parlament und der Ausschuss der Regionen teilhaben. 

Pilsen habe viel mit Linz gemeinsam, das den Event zusammen mit Vilnius 2009 ausgerichtet hat: die Größe der Stadt, das Image einer Industriestadt und die Existenz „im Schatten einer Metropole“. Man habe gerade von Linz viel gelernt, und ein Kontaktnetz aktueller, früherer und zukünftiger Kulturhauptstädte zu spannen sei von der EU her ausdrücklich erwünscht. Pilsen sei letztlich ausgewählt worden, weil man hier „gut organisiert“ sei; weil man sowohl über Aufgeschlossenheit gegenüber Neuem als auch über alte kulturelle Traditionen verfüge; weil auch das Umland beachtliche Attraktionen aufweise; und nicht zuletzt, weil Kooperationen mit der Nachbarschaft, in diesem Fall mit Deutschland, erwartbar seien. 

!Das Neue in der Kunst 

Die Aufgeschlossenheit gegenüber dem Neuen zeigt sich insbesondere im „Techmania Science Center“, das für Pilsen in etwa den Stellenwert hat, den das „Ars Electronica Center“ für Linz einnimmt. Das von der Westböhmischen Universität und der Škoda Holding 2008 eröffnete Museum setzt ganz auf Interaktivität und Animation, erläutert aber auch die Geschichte der einstigen Waffenschmiede der Monarchie. Über all dem thront David Černýs 16,5 mal 16,5 Meter großes, aus Anlass der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft 2009 geschaffenes plastisches Kunstwerk „Entropa“, das wegen der Gleichsetzung Bulgariens mit türkischen Toiletten ganz Europa erregt hat (Osterreich kam mit Atommeilern noch glimpflich weg). 

Das Neue in der Kunst hingegen repräsentiert in Pilsen unübersehbar das Neue Theater, das am 2. September mit einer Aufführung von Bedřich Smetanas „Die verkaufte Braut“ eröffnet wurde – wegen der Abonnements hat man die eigentlich dem Kulturhauptstadtjahr zustehende Eröffnung vorgezogen. Das von den portugiesischen Architekten Manuel Graca Dias und Egas Jose Vieira entworfene 461 Personen fassende Haus ersetzt das Kammertheater der städtischen Bühnen; neben dem Großen Saal mit Guckkastenbuhne und steil ansteigendem Zuschauerraum enthalt es auch eine für 150 Besucher zugelassene „Blackbox“ für experimentelles Theater. 

Die erste Premiere eines Sprechstucks im neuen Haus gilt Josef Kajetan Tyls „Flamendr“. Der 1856 in Pilsen verstorbene Schriftsteller gilt als Vater der tschechischen Dramatik. Während aus dem Tyl-Theater in Prag nach der Samtenen Revolution wieder das Standetheater wurde – in ihm erklang nicht nur Mozarts „Don Giovanni“, sondern auch die von Tyl gedichtete Nationalhymne zum ersten Mal –, trägt das Pilsner Stadt Stadttheater seinen Namen weiterhin. Auch das prachtvolle große Haus bleibt in Betrieb; für die Auslastung der Pilsner Bühnen sorgen neben den theaterbegeisterten Einheimischen auch viele Bayern, die es hierher naher haben als nach München.

[{Image src='Interieur-Alfred-Loos.jpg' class='image_right' caption='Loos. Eines der 13 Pilsner Interieurs von Adolf Loos: das Wohnzimmer der Wohnung Vogel.\\Foto: Pilsen 2015 / Václav Šváb ' alt='nterieur von Adolf Loos' height='270' width='405'}]

!Marionetten, Gemälde und Interieurs 

Eine spezifische Pilsner Tradition ist das Marionettentheater. In dem 2009 eröffneten „Puppenmuseum“ können ausländische Besucher ihre Vorurteile gegenüber dieser in Tschechien hochgehaltenen Kunstform ablegen. Österreicher werden darüber hinaus in kurzweiliger Weise mit der tschechischen Sichtweise ihrer Geschichte konfrontiert, etwa durch den „revoluční Kašpárek“, der 1918 Österreich begräbt, oder eine dank digitaler Technik live vorgeführte Szene, in der der brave Soldat Švejk zum Radetzkymarsch mit Kaiser Franz Josef, dem Leutnant Lukaš und dem Feldkuraten Katz mehr parodiert als paradiert. Der zweite Stock ist großteils dem Pilsner Puppentheater „Alfa“ gewidmet, einem der gegenwärtig besten in der Tschechischen Republik. 

Der Pilsner Puppenspieler und Trickfilmer Jiří Trnka wird eine der „reinvented icons“ sein, die 2015 bei den Pilsnern Identität stiften sollen. Ganz groß herausgestellt wird auch der in Wien bei Führich und Kupelwieser ausgebildete Gottfried Lindauer (1839–1926), dessen einfühlsame Porträts Identität bei den Maori gestiftet haben und jetzt erstmals Neuseeland verlassen dürfen. Zirka 40 Gemälde werden zwischen Mai und September in der Westböhmischen Galerie ausgestellt. Einen Einblick ins deutsch-jüdische Bürgertum der Stadt werden drei von Adolf Loos gestaltete, behutsam wieder komplettierte Interieurs gewähren, die bei Führungen gegen Voranmeldung zugänglich sein werden.

Das Programm der Kulturhauptstadt wird buntscheckig sein wie die Pilsner Fahne; dafür sorgt nicht zuletzt ihr künstlerischer Direktor Petr Forman, einer der Söhne des Filmregisseurs Miloš Forman. Und während das belgische Pendant Mons im Oktober erst sein Programm vorstellt, geht es in Pilsen schon richtig los: Als Vorbote des Festivals des neuen Zirkus macht bis zum 2. November das Karussell „Le Manege Carre Senart“ mit seinen riesigen mechanischen Puppen auf die Kulturhauptstadt neugierig. 

Am 17. Jänner folgt dann die eigentliche Eröffnung: Unter dem Klang der neuen Domglocken (drei sind schon gegossen und stehen neben dem Dom) werden Festzuge aus allen Stadtteilen auf dem riesigen Platz der Republik zusammenströmen und das Neue Theater wird durch den Festakt mit den höheren Weihen versehen. 



%%(text-align: right; font-size:80%;)
[DIE FURCHE|http://www.furche.at], Donnerstag, 23. Oktober 2014
%%




[{Metadata Suchbegriff='Pilsen ohne Bier & Waffen, Tschechien' Kontrolle='Nein'}]