!!!Zum Porträt Herzog Rudolfs IV. von Österreich im Kontext spätmittelalterlicher Sepulkralkultur

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__[Michael Mitterauer|Biographien/Mitterauer,_Michael]__



Zu den besonderen Schätzen, die im Wiener Dommuseum zu sehen sind, gehört neben dem Leichentuch Herzog Rudolfs IV. zweifellos auch dessen Porträt. Beide Objekte sind Ausdrucksformen spätmittelalterlicher Sepulkralkultur. Für das Leichentuch Herzog Rudolfs ist dessen orientalische Herkunft eindeutig nachgewiesen. Der Weg, auf dem dieses wertvolle Textil von Täbris über die Seidenstraße nach Konstantinopel und von dort über die alte toskanische Seidenstadt Lucca nach Mailand kam, lässt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit rekonstruieren. Dass Rudolf dort im Juli 1365 nach seinem unerwarteten Tod in dieses Leichentuch eingenäht wurde, erscheint absolut gesichert. In Wien wurde er dann in diesem Tuch in der von ihm gestifteten Herzogsgruft in St. Stephan bestattet. Der Zusammenhang mit der spezifischen Sepulkralkultur des früh verstorbenen Habsburgers ist in diesem Fall eindeutig (vgl. Austria Forum …).
!DIE GRABLEGE ALS KONTEXT
Von der Annahme, dass auch das Porträt Rudolfs IV. in den Kontext dieser spezifischen Sepulkralkultur einzuordnen ist, geht die 2015 vorgelegte Untersuchung von Constanze Huber „Das Porträt Rudolfs IV. im Kontext“ aus. Die Autorin bietet einen umfassenden Überblick über die ältere und neuere Literatur zu dieser Thematik. Es gelingt ihr überzeugend die Hypothese zu bestätigen, dass das Porträt als integrierender Teil der Grablege anzusehen ist. Es handelt sich um ein Memorialbild mit hohem Wiedererkennungswert. Das Porträt wurde noch zu Lebzeiten des Herzogs 1361/3  für den späteren  Ort seiner Anbringung im Presbyterium der Stephanskirche geschaffen - wahrscheinlich nach dem frühen Tod und Begräbnis von Rudolfs jüngerem Bruder Herzog Friedrich III. Es fügte sich von vornherein in ein mehrschichtiges Grablege- und Repräsentationskonzept.


Der Tod des Bruders und Mitregenten war wohl für Rudolf eine tief berührende Erfahrung, die ihm die eigene Endlichkeit bewusst machte. Die 1359 begonnene Herzogsgruft war 1362 schon fertiggestellt. Die Grabanlage unter dem Presbyterium der Stephanskirche stellte die erste und unterste  Ebene der Grabanlage dar. Über ihr folgte auf einer zweiten Ebene das auch schon von Rudolf für sich und seine Familie begonnene Kenotaph. Dieses Kenotaph wurde in mehreren Schritten erstellt. Tumba, Deckplatte und Liegefiguren passen formal nicht zueinander. Zur ältesten Errichtungsphase gehört wohl die Inschrift, dass die Errichtung dieses Grabdenkmals für die Nachkommen Herzog Albrechts II. und seiner Gattin Johanna von Pfirt gestiftet wurde. Rudolf IV. war damals offenbar selbst noch am Leben. Die Liegefiguren Rudolfs und seiner Gattin Katharina von Böhmen gehören mit Sicherheit einer späteren Gestaltungsphase an. Das Kenotaph stand im Presbyterium neben dem Hauptaltar der Kirche. Die Gottesdienstordnung  für die verstorbenen Mitglieder des Herzogshauses wurde schon 1363 in aufwändigen liturgischen Formen festgelegt  Für 1363 ist auch erstmals ein „Altar über dem Herzogsgrab“ belegt. Als Rudolf im Sommer 1365 in Mailand verstarb, wurden die liturgischen Handlungen, die er vorgeschrieben hatte, auf dieser zweiten Ebene bereits vollzogen. Vorgesehen waren dabei viele Kerzen, die wohl auch die dritte Ebene ausleuchteten. Diese dritte Ebene der Grablege umfasste zwei Epigraphe auf der Nordwand des Hauptchors und gemalte Medaillons mit Apostelbildern. In diesem Kontext wurde das Porträt Rudolfs an der Presbyteriumswand angebracht.


Die räumliche Anordnung von Texten und Bildern lässt erkennen, dass sie aufeinander bezogen gestaltet wurden. Das erste Epigraph berichtet vom Tod Herzog Friedrichs 1362, das zweite vom Tod Herzog Rudolfs IV. am Sonntag nach dem Jakobsfest, also am 27. Juli, des Jahres 1365. Ob die beiden Apostelbilder im Presbyterium einen spezifischen Bezug zu Lebensdaten des Herzogs haben,  muss offen bleiben. Die  Wandbilder und das Tafelbild des Herzogs sind jedenfalls in Zusammenhang miteinander entstanden. Ob man daraus auf eine Konzeption schließen darf, die von einer apostelgleichen Stellung des verstorbenen Fürsten ausging, sei dahingestellt. Solche Vorstellungen hatten in der östlichen wie in der westlichen Christenheit eine sehr weit zurückreichende  Tradition. Jedenfalls geht es bei der Anbringung des Porträts Rudolfs nahe dem Altar um eine religiöse „memoria“ des Fürsten. Hier wurde regelmäßig das Messopfer für sein Seelenheil dargebracht. Das Memorialbild Herzog Rudolfs IV. gehört damit in einen liturgischen Kontext und ist wesentliches Element  einer religiös zu interpretierenden Sepulkralkultur . 
!DIE ÄLTESTEN FÜRSTENPORTRÄTS
In der historischen Forschung ist der Sachverhalt unbestritten, dass das Memorialbild Rudolfs IV. in St. Stephan zu den ältesten Fürstenporträts der europäischen Kunstentwicklung gehört. Dabei wird von einem Porträtbegriff in einem engeren Sinn des Wortes ausgegangen. Porträthafte Darstellungen in einem weiteren Verständnis gab es wohl schon zuvor. So wird man etwa beim Grabmonument des ersten habsburgischen Königs Rudolf I., des Urgroßvaters Herzog Rudolfs IV., im Dom zu Speyer von „porträthaften Zügen“ sprechen dürfen. „Porträthafte Darstellungsformen“ haben sich wohl im spätmittelalterlichen Europa sukzessive entwickelt. Tafelbilder, die sich an der Ebenbildlichkeit mit dem Dargestellten orientieren, sind jedenfalls in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhundert mit Sicherheit nachzuweisen. Das Porträt Rudolfs IV. in St. Stephan gehört zu ihnen.
Als ältestes Fürstenporträt der europäischen Geschichte darf das um 1350 entstandene Bild des französischen Königs Johann II. „des Guten“ gelten, das sich heute im Museum des Louvre befindet. Das in Tempera und Gold auf Eichenholz geschaffene Gemälde trägt die Inschrift „Jehan roy de France“. Wenn auch die Entstehungszeit dieses Tafelbilds nur knapp ein Jahrzehnt vor dem Rudolfs IV. von Österreich liegt – es handelt sich hier eindeutig um das ältere Fürstenporträt. Charakteristiken des Bilds von Herzog Rudolf wie „ältestes bekanntes selbständiges Porträt in Dreiviertelansicht“ oder „erstes  (bekanntes) Beispiel für die Porträtmalerei im deutschsprachigen Raum“ können wohl nicht zählen, um einen Altersvorrang des Bildes in Wien vor dem in Paris zu argumentieren. Die Alterskonstellation zwischen den beiden frühen Fürstenporträts ist eindeutig. Für die Frage der Anfänge dieses Porträttypus‘ ist der kleine Altersunterschied allerdings von untergeordneter Bedeutung. König Johann II. von Frankreich (1350-1364) und Herzog Rudolf IV. von Österreich (1358-1365) waren Zeitgenossen. Gleichzeitig wirkende Faktoren haben zur Entstehung dieses neuen Porträttyps geführt. Und diese Faktoren waren im gleichen Milieu hochrangiger fürstlicher Familien wirksam. Beide Herrscher waren durch mehrfache Beziehungen von Bluts- und Heiratsverwandtschaft miteinander verbunden. Rudolfs IV. Ehefrau Katharina von Böhmen gehörte ebenso wie König Johann der Gute zu den Nachkommen in zweiter Generation von Karl von Valois, dem Stammvater der damals regierenden französischen Königsdynastie. Katharinas Tante Bona von Luxemburg war die erste Ehefrau von König Johann. Herzog Rudolfs IV. Onkel, Herzog Rudolf III. von Österreich, war mit Blanche von Frankreich verheiratet, einer Schwester von Karl von Valois, dem Großvater König Johanns II. Vor allem über das böhmische Königshaus der Luxemburger bestanden mehrfache Verwandtschaftskontakte  zwischen Habsburgern und Valois. Die Schlüsselfigur in diesem Verwandtschaftsnetz war Kaiser Karl IV.,  der Schwiegervater Herzog Rudolfs IV.  Karl  war am französischen Königshof erzogen worden und hatte dort statt seines Taufnamens Wenzel den seines Firmpaten,  des französischen Königs Karl IV.,  erhalten. Es bestanden also vielfache Beziehungen zwischen den Fürstenhöfen von Prag, Wien und Paris. Porträthafte Darstellungen von Angehörigen des französischen Königshauses reichen Generationen vor König Johann II. den Guten zurück. In Hinblick auf solche politischen und verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen den genannten Fürstenhöfen sollte man die  beiden besonders frühen Fürstenporträts von Johann II. und Rudolf IV. nicht gleichsam „in Konkurrenz“ sehen, sondern in dynastischen und künstlerischen Zusammenhängen, die Paris und Wien – sicher  auch über Prag vermittelt – im 14. Jahrhundert miteinander verbunden haben. 


In welchem Kontext das Porträt König Johanns II. von Frankreich um die Mitte des 14. Jahrhunderts entstanden ist – darüber wissen wir leider nichts. Irgendein unmittelbarer Zusammenhang mit der  Sepulkralkultur des französischen Königshauses lässt sich nicht erkennen. Die uralte Grablege der französischen Könige in St. Denis wurde im Zuge der Französischen Revolution systematisch geplündert und profaniert. So fehlen  wesentliche Zeugnisse über solche Zusammenhänge. Ein direkter Vergleich zu den verschiedenen Ebenen  der habsburgischen  Herzogsgruft in St. Stephan erschiene schwierig. Der Nachweis eines Zusammenhangs mit der Anbringung eines Fürstenporträts im Kontext eines Grabensembles lässt sich beim Bild König Johanns II.  jedenfalls nicht erbringen.


Anders ist die Situation im spätmittelalterlichen England. Die Sepulkralkultur der englischen Königshäuser des Spätmittelalters lässt sich in ungebrochener Kontinuität erfassen. Urkundliche Quellen ergänzen die Zeugnisse der materiellen Kultur. Über längere Zeitläufte lässt sich der Wandel in der Gestaltung der Grabmonumente verfolgen.  Bilder von Königen und Königinnen sind in großer Zahl überliefert. Das Vordringen porträthafter Züge wird in den Veränderungen der Bildkultur deutlich fassbar. Die Abbilder der Angehörigen des Königshauses umfassen auch unterschiedliche plastische Ausdrucksformen – solche, die mit dem Grabmonument verbunden blieben, aber auch solche, die von der eigentlichen Grablege gesondert überdauerten. Tafelmalerei beginnt in der Sepulkralkultur an Bedeutung. Derart gestaltete Bilder lassen sich mit sonstigen Bildzeugnissen in Zusammenhang bringen.


Das älteste Tafelbild eines englischen Königs in der Westminster Abbey stammt von König Richard II. Dieses überlebensgroße Porträt ist um 1390 entstanden. Es hängt im Schiff der Abteikirche. Schon 1377 wurde Richard als Nachfolger seines Großvaters Eduard III. zum König gekrönt. Es gibt von ihm mehrere Porträts – auch solche, die ihn mit seiner ersten Gattin Anna von Böhmen darstellen. Zusammen mit ihr wurde er – nach verschiedenen politisch bedingten Zwischenstufen – in dem bereits nach Annas Tod für das Gattenpaar bestimmten Doppelgrab in der Westminster Abbey bestattet. Dieses Doppelgrab hatte Richard schon nach Annas frühem Tod 1394 selbst konzipiert und in Auftrag gegeben. Die Überführung seiner Leiche konnte erst unter Richards zweitem Nachfolger König Heinrich V. (1413-1422) erfolgen.
!DAS „WESTMINSTER-POTRÄT KÖNIG RICHARDS II. VON ENGLAND 
Das „Westminster-Porträt“ König Richards I. soll hier dem Porträt Herzog Rudolfs IV. aus St.Stephan gegenübergestellt werden. Als ein in der Grabeskirche aufgehängtes Tafelbild eines Fürsten aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts erscheint es als eine unmittelbare Entsprechung, die einen solchen Vergleich nahelegt. Obwohl es erst um 1390 entstanden ist – also  vier Jahrzehnte nach dem König Johanns II. von Frankreich bzw. etwa drei Jahrzehnte nach dem Herzog Rudolfs IV. von Österreich – gehört es immer noch zu den ältesten Fürstenporträts der europäischen Geschichte.
Eine parallele Besprechung des „Westminster-Porträts“ König Richards II. mit dem Porträt Herzog Rudolfs IV. von Österreich erscheint auch deshalb naheliegend, weil es sich bei den beiden dargestellten Persönlichkeiten um nahe Verwandte handelte. Anna von Böhmen, die erste Gattin König Richards II. von England, war eine Schwester von Rudolfs IV. Ehefrau Katharina. Beide waren Töchter Kaiser Karls IV. – Katharina aus dessen erster Ehe mit Blanka Margarete von Frankreich, Anna aus dessen vierter Ehe mit Elisabeth von Pommern stammend. Der Zeitabstand in den Eheschließungen des Kaisers kommt im Altersunterschied der beiden fürstlichen Schwestern zum Ausdruck. Katharina kam 1342 zur Welt, Anna  1366 – also erst nach Katharinas erster Verwitwung. Da Katharina sich nach dem Tod ihres ersten Gatten Herzog Rudolf  viel am Hof ihres Vaters in Prag aufhielt, haben die beiden Schwestern einander trotz ihres Altersunterschieds wahrscheinlich gut gekannt. Eine vermittelnde Funktion zwischen den beiden Schwestern dürfte eine dritte Tochter Kaiser Karls IV. aus dessen dritter Ehe mit Anna von Schweidnitz eingenommen haben. Sie wurde 1358 in Prag geboren und schon fünfjährig mit Markgraf Otto V. von Brandenburg verlobt, der dann allerdings Katharina, die ältere Schwester und Witwe Herzog Rudolfs IV. heiratete. 1366 kam es in Prag zu einer Doppelhochzeit: Katharina mit Markgraf Otto, Elisabeth aber mit Rudolfs IV. jüngerem Bruder Albrecht III., dem neuen Senior des Hauses Habsburg. Von Albrecht ist übrigens in Kopie ein höchstwahrscheinlich authentisches Porträt überliefert – wahrscheinlich durch das Porträt Rudolfs angeregt, aber sicher nicht im Rahmen einer Grablege entstanden. Das Original gehörte wohl zu den ältesten Fürstenporträts Europas. Aus dieser mehrfachen Verschwägerung und den korrespondierenden Bildern eine unmittelbare Beziehung  zwischen  beiden Fürstenporträts Richards II. und Rudolfs IV. abzuleiten, wäre allerdings sicher verfehlt. Soweit ein Zusammenhang zwischen den beiden Bildern besteht, so durch das gemeinsame Herkunftsmilieu insgesamt sowie innerhalb desselben durch eine analoge Funktion in der Sepulkralkultur. Der erstgenannte Faktor gilt auch für Zusammenhänge mit dem Porträt König Johanns II. von Frankreich. Alle drei Fürsten entstammten drei miteinander verwandten und verschwägerten Fürstenfamilien – nämlich den Anjou-Plantagenet, den Valois und den Habsburgern. Die Fürstenhöfe von Paris, von London/Westminster und von Wien standen – wie auch der von Prag – untereinander in familiärem Kontakt. Die Kunst der höfischen Porträtmalerei dürfte sich in allen diesen fürstlichen Residenzen ziemlich früh und weitgehend parallel zueinander entwickelt haben – vielleicht mit einem gewissen Vorrang von Paris.
!DAS „FUNERAL EFFIGY“ ALS TOTENPORTRÄT
Von Anna von Böhmen, der ersten Gattin König Richards II. und Tochter Kaiser Karls IV., hat sich in der Westminster Abbey kein Tafelbild erhalten – allerdings aber eine andere interessante Darstellungsform porträthafter Art, die im Kontext der Sepukralkultur Bedeutung hat, nämlich ein „funeral effigy“. Das Porträt als Tafelbild ist eine zweidimensionale Form der Repräsentation einer spezifischen Persönlichkeit, das „funeral effigy“ eine dreidimensionale. Beide sollen die Persönlichkeit des Dargestellten über den Tod hinaus vergegenwärtigen und mit ihr physiognomisch übereinstimmen. Beide haben in diesem Sinn porträthafte Züge. Das „funeral effigy“ der Anna von Böhmen ist eines der ältesten in der Sammlung derartiger Totenbilder in der Westminster Abbey, das in deren Museum aufbewahrt wird. Es ist unmittelbar nach dem Tod der Königin 1394 entstanden und sollte sie bei deren Begräbnis vor der Öffentlichkeit repräsentieren. Über die Verwendung solcher Figuren im Verlauf des Begräbnisses sind wir aus zeitgenössischen Quellen gut informiert. Es handelte sich um Holzfiguren, die durch die königliche Kleidung der verstorbenen Person, vor allem aber durch das in Wachs modellierte Gesicht und durch die Übertragung von Haaren individuell ähnlich aussehend gestaltet wurden. Eine solche Repräsentation hatte funktional-praktische Gründe. Nicht immer war die Leiche in einem Zustand, in der man sie der Öffentlichkeit zeigen wollte. Zumindest ebenso wichtig war die symbolische Bedeutung: Der König oder die Königin lebten im „funeral effigy“ für ihre Umwelt weiter. Der König oder seine „queen-consort“ hatten gleichsam zwei Körper – einen sterblichen, der verfiel, und darüber hinaus einen zweiten, der das Überdauern des Herrscheramts ausdrückte.  Das vor allem für das Begräbniszeremoniell geschaffene „funeral effigy“ wurde allerdings in der Folgezeit, sobald das Grabmonument mit der dauerhaften Darstellungsform des Toten fertig war, durch dieses abgelöst. Holz oder Wachs als eher vergängliche Materie der Darstellung wurden dann durch Marmor oder Bronze ersetzt, die die Repräsentation des Herrschers und seiner Frau auf ewige Zeiten gewährleisten sollten.


König Richard II. begann schon 1394 nach dem Tod seiner ersten Frau Anna in der Grabeskirche der Dynastie in Westminster mit der Errichtung eines definitiven Grabmonuments  als Doppelgrab. Durch den Prozess seiner Absetzung  bedingt verzögerte sich allerdings hier seine endgültige Bestattung. Richards Tafelbild und Annas „funeral effigy“, das heute im Museum der Abtei aufbewahrt wird, stellen Übergangsstationen zum ewigen Gedächtnis des Königspaares dar. Trotz ihres transitorischen Charakters blieben sie für die Nachwelt dort erhalten. 


Die Repräsentation des Königs oder der Königin durch eine dreidimensionale porträthaft ausgestaltete Figur entstand in England im 14. Jahrhundert. Sie hielt sich hier lange. Das Museum der Westminster Abbey verfügt über eine große Kollektion solcher „funeral effigies“. Nur Gesicht und Hände mussten in Wachs modelliert werden. Der Körper aus Holz war ja ganz von den königlichen Gewändern bedeckt. Das älteste Beispiel eines solchen „funeral effigy“ stammt von König Eduard III., dem Großvater und unmittelbaren Vorgänger König Richards II., der 1377 verstarb. Nach dem Tod seiner ersten Gattin folgte Richard erneut dieser Praxis. Das „funeral effigy“ König Eduards III. wurde in der Westminster Abbey durch eine bronzene Plastik ersetzt, wie sie sich dann auch beim Grabmonument von Richard und Anna findet.
!FRÜHE REPRÄSENTATIONSBILDER IN ENGLAND
Dreidimensionale Repräsentationsbilder englischer Könige reichen in den Grabmonumenten der Westminster Abbey bis weit vor Richard II. zurück. Auch für zweidimensionale Darstellungen im Rahmen der Sepulkralkultur könnte das gelten. Auf Holz gemalte Bilder haben sich im Chorgestühl der Abtei seit dem frühen 14. Jahrhundert erhalten. Ein porträthaftes Bild König Eduards I. findet sich unter ihnen. Eduard I. ist 1307 verstorben. Sein Grabmonument ist ohne plastische Darstellung des Toten geblieben. Vielleicht handelt es sich bei dieser Malerei um eine Vorform des Fürstenporträts, wie es im „Westminster-Porträt“ seines Ururenkels voll entwickelt begegnet. Dieses älteste Fürstenporträt eines englischen Königs in der Grabeskirche der Dynastie lässt sich jedenfalls in eine Generationen umgreifende Entwicklungslinie der Sepulkralkultur einordnen.
Für seine Gattin Eleonore von Kastilien wie für seinen Vater König Heinrich III. ließ König Eduard I. vergoldete Bronzefiguren für die Tumba des Grabmonuments anfertigen. König Heinrich III. war der eigentliche Begründer der königlichen Grablege in Westminster – allerdings im Rahmen eines Neubaus der Abteikirche in Anschluss an einen älteren Bau über dem Grab des als heilig verehrten Königs Eduard des Bekenners. Für Eleonore von Kastilien ist ein großartiges Memorialprogramm überliefert. Die ebenso bedeutsame Grablege des kastilischen Königshauses wie die des englischen in der Westminster Abbey befand sich in Santa Maria la Real de las Huelgas bei Burgos, der Residenz der kastilischen Königen. Hier wurden in Gräbern des Herrscherhauses schon seit dem ausgehenden 13. Jahrhundert beigegebene, sehr wertvolle Gold-Seide-Gewänder gefunden. Im 14. Jahrhundert verbreitet sich diese Bestattungsform in Grablegen europäischer Fürsten. Mehrfach begegnet sie in Oberitalien. Eine der ältesten Bestattungen in orientalischem Gold-Seide-Gewand ist die des habsburgischen Königs Rudolf I. von Böhmen im Prager Veitsdom von 1307. In diese Traditionslinie gehört auch jenes Gold-Seide-Tuch, in das  dessen Neffe, der österreichische Herzog Rudolf IV., 1365 in Mailand eingenäht wurde,  bevor man seine Leiche nach Wien brachte.
!FÜSTENPORTRÄTS IM VERGLEICH
Die lange Tradition der englischen Königs- und Königinnengräber in der Westminster Abbey lässt – vom Fürstenporträt Richards II. zurückgehend – verschiedene Elemente der Sepulkralkultur erkennen, die für die Interpretation des Fürstenporträts Rudolfs IV. im Kontext herrscherlicher Grabkultur seiner Zeit wichtig sein könnten. Hier wie dort wird mit der Vorbereitung des Fürstenbegräbnisses schon zu dessen Lebzeiten begonnen. Rudolf und Richard planen jeweils ein Doppelgrab für sich und ihre Ehefrau. Im Fall von Richard stirbt die Gattin schon lange vor dem König, im Fall von Rudolf ist die Situation umgekehrt. In beiden Fällen gilt es, die Zwischenzeit bis zum Begräbnis des zweiten Partners zu überbrücken – ebenso aber auch die Zeitspanne bis zur Errichtung eines dauerhaften Grabmonuments. Für diese Zeitspanne gibt es verschiedene Übergangslösungen, um die fürstliche Person dauerhaft präsent zu machen. Das schon zu Lebzeiten angefertigte Tafelbild, das an der vorgesehenen Stelle des Gedenkens angebracht wird, ist eine Möglichkeit  dafür – das „funeral effigy“ eine andere. So ungleich diese zweidimensionale bzw. diese dreidimensionale Darstellungsform  auf’s Erste erscheinen mögen – in ihrer Funktion weisen beide Übereinstimmungen auf. Beide versuchen, die verstorbene Person in ihrer spezifischen Individualität porträthaft darzustellen. In den beiden differierenden Darstellungsweisen geht es jeweils um ein Weiterleben des Toten. Nicht nur beim Begräbnis ist er durch sein Abbild dabei – auch in der Begräbniskirche kann er so weiterhin präsent gemacht werden. Und das ist insofern wichtig, als hier die für sein Seelenheil wesentlichen Formen des liturgischen Gedenkens  abgehalten wurden. Porträt und „funeral effigy“ sind jeweils in ihrer Weise eine leibhaftige Nachbildung. Die in England, aber auch anderwärts vertretene politisch-religiöse Theorie von „The king’s two bodies“ hat in diesen beiden Bildformen eine anschauliche Entsprechung. Die Repräsentation des Fürsten über seinen Tod hinaus ist für die Kontinuität der Herrschaft essentiell. So sehr das Fürstenporträt oder die „funeral effigy“ die Spanne unmittelbar nach dem Tod durch die Repräsentanz des Toten bewältigen sollen – letztlich übernimmt das Grabmonument diese Funktion . Im Verlauf des 14. Jahrhunderts werden überall in den Grabeskirchen der westeuropäischen Dynastien diese  Grabmonumente immer aufwändiger gestaltet. Als Vorstufen für das Grabmonument, dessen Errichtung dann oft Jahrzehnte in Anspruch nimmt, können kurzfristig einsetzbare Darstellungsformen dienen, zu denen auch Fürstenporträts als Totenbilder gehören. Sie  bleiben im Rahmen der Sepulkralkultur meist weiterhin erhalten.


Grab und Grabmonument können räumlich getrennt in der Sepulkralkultur in Erscheinung treten. In der Memorialkultur, die Herzog Rudolf IV. für sich und seine Familie konzipiert hat, ist das der Fall. Herzogsgruft und Kenotaph liegen auf verschiedenen Ebenen. Und über dem Kenotaph ist die Gedächtnisinschrift angebracht, bei der das schon zu Lebzeiten des Herzogs angefertigte Porträt  im Presbyterium der Kirche seinen Platz erhielt. Es handelt sich also um ein mehrstufiges Sepulkralprogramm. Hinzu kommen  im Dom von St. Stephan noch andere plastische Abbilder des Herzogs. Rudolf ist in allen diesen Abbildern mit dem von ihm beanspruchten Erzherzogshut gemäß dem „Privilegium maius“ dargestellt – genauso wie in dem von ihm noch zu Lebzeiten in Auftrag gegebenen Porträt. Die Inschrift des Porträts „Rudolfus Archidux Austrie etc.“ macht diesen Anspruch deutlich. Dass  alle diese Bildformen im umfassenden Kontext des Herrschaftsanspruchs und des Grabkonzepts von Rudolf zu verstehen sind, hat die neuere Forschung überzeugend dargestellt.
!DIE KRONE ALS MYTHOS UND WIRKLICHKEIT
Es erscheint überraschend, dass im ältesten Fürstenporträt der europäischen Geschichte im engeren Sinne – nämlich dem Porträt König Johanns II. von Frankreich – gerade das wichtigste Herrschaftssymbol – nämlich die Krone fehlt. Die Inschrift des Bildes macht aber deutlich, dass mit dieser Repräsentation der gekrönte König gemeint ist. Die zahlreichen porträthaften Darstellungen französischer Könige der vorangehenden Zeit mit Krone bzw. gerade im Kontext der Krönungshandlung lassen erkennen, wie essentiell Krone und Krönung hier für das Abbild des Königs sind. In dieser Traditionslinie stehen auch die zahlreichen porträthaften Darstellungen Kaiser Karls IV. Da die Sepulkralkultur der von Karl geschaffenen neuen Königsgruft im Prager Veitsdom nur unvollkommen erschließbar ist, lässt sich bei ihm kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Fürstenporträt und Begräbniskultur herstellen. Bei seinen beiden Schwiegersöhnen, Rudolf IV. von Österreich und Richard II. von England ist die Situation anders. Bei beiden lassen sich Krone und Sepulkralkultur im Zusammenhang interpretieren. Richard II. wird auf seinem „Westminster-Porträt“ als gekrönter König auf dem Königsthron sitzend dargestellt. Ein Porträt König Richards bei der gemeinsamen Krönung mit seiner Gattin Anna von Böhmen ist überliefert.  Und Anna, die erst von ihrem Bruder König Wenzel an den englischen Königshof gesandt wurde, hat selbst 1382 eine Krone in die Ehe mitgebracht. Diese Krone wird in der Überlieferung als  „Böhmische Krone“ bzw. als „Pfälzische Krone“ bezeichnet. In einem Inventar König Richards II. gibt es eine genaue Beschreibung von diesem Insigne. Richards Nachfolger König Heinrich IV gab diese Krone 1402 seiner Tochter Blanka bei ihrer Verehelichung mit dem kurpfälzischen Erbprinzen Ludwig, dem Sohn König Ruprechts, mit. Sie befindet sich seither im Besitz der Wittelsbacher bzw. in der Schatzkammer der Münchener Residenz. Wahrscheinlich wurde sie um 1370/80 in Prag hergestellt. Als “queen-consort“ hatte Anna von Böhmen in England den Anspruch auf eine eigene Krone.


Wenn Katharina, ihre ältere Schwester, in der Grabplastik des Stephansdoms mit Krone dargestellt  wird, so hat diese Darstellungsform keine derart  reale Grundlage. Sie ist vielmehr als Gegenstück zu jener Krone zu sehen, die ihr Gatte Herzog Rudolf IV. im „Privilegium maius“ für sich als „Erzherzog“ von Österreich beanspruchte. Die hier beschriebene Darstellungsform ist im Porträt getreulich nachgebildet – ebenso wie in den plastischen Darstellungen des Herzogs im Dom. Rudolf hat in seinem Porträt jenes Bild zeichnen und malen lassen, in dem er über seinen Tod hinaus in seiner Begräbniskirche weiterleben wollte. Trotz der fiktiven Grundlage – das Weiterleben in dieser Darstellungsform ist ihm nachhaltig gelungen. 

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[{Image src='Milutin_Gracanica_Loza.jpg' caption='The fresco of king Stefan Milutin (from Loza Nemanjića composition), Gračanica monastery, Serbia.\\Foto: Name. Aus: [Wikicommons|https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Milutin_Gracanica_Loza.jpg]' alt='The fresco of king Stefan Milutin (from Loza Nemanjića composition), Gračanica monastery, Serbia' height='320' class='image_block' width='236'}]
[{Image src='443px-Simonida.jpg' caption='The fresco of queen Simonida Paleologus, Gračanica monastery, Serbia.\\Foto: Name. Aus: [Wikicommons|https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Simonida.jpg]' alt='The fresco of queen Simonida Paleologus, Gračanica monastery, Serbia' height='320' class='image_block' width='237'}]
[{Image src='Sv_Sava_i_Sv_Simeon_Nemanja,_Belgrade_National_Museum,_first_half_14th_century.jpg' caption='Sv Sava i Sv Simeon Nemanja, Belgrade National Museum, first half 14th century.\\Foto: Name. Aus: [Wikicommons|https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Sv_Sava_i_Sv_Simeon_Nemanja,_Belgrade_National_Museum,_first_half_14th_century.jpg]' alt='Sv Sava i Sv Simeon Nemanja, Belgrade National Museum, first half 14th century' height='330' class='image_block' width='248'}]
[{Image src='Konstantin_i_Irina.jpg' caption=' Zar Konstantin und seine Frau aus der Boiana-Kirche in Sofia.\\Foto: Name. Aus: [Wikicommons|https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Konstantin_i_Irina.jpg]' alt=' Zar Konstantin und seine Frau aus der Boiana-Kirche in Sofia' height='330' class='image_block' width='248'}]
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!Literatur
*  Barbara Schedl, St. Stephan in Wien. Der Bau der gotischen Kirche /1200-1500, Wien 2018
*Constanze Huber, Das Porträt Rudolfs IV. im Kontext, Wien 2015
* Eva Bruckner, Formen der Herrschaftsrepräsentation und der Selbstdarstellung habsburgischer Fürsten im Spätmittelalter 1365-1496, Wien 2009
* Rudolf Feuchtmüller. Rudolf der Stifter und sein Bildnis, Wien 1981
* Hermann Fillitz, Zum Porträt Herzog Rudolfs IV. von Österreich, in: Florens Deuchler (Hg.), Von Angesicht zu Angesicht, Bern 1983, S. 99-103
* Gustav Künstler, Das Bildnis Rudolfs des Stifters und seine Funktion, in: Mitteilungen der Österreichischen Galerie 16, 1972, S. 5-15
* Karl Oettinger, Wiener Hofmaler um 1360-1380. Zur Entstehung des ersten deutschen Porträts, in: Zeitschrift für Kunstwissenschaft 6, 1952, S. 137-154
* Alphons Lhotsky. Privilegium maius. Die Geschichte einer Urkunde, Wien 1957
* Ernst Kantorowicz, The king’s two bodies: a Study in Mediaeval Political Theory, 1957, Neuauflage: 2016