!!!Was passiert mit unserer Sprache im digitalen Zeitalter

(Vorlesung im Seniorenkolleg Dresden Oktober 2018)

[Peter Porsch|Infos_zum_AF/Gelegentliche_Mitarbeiter/Porsch,_Peter]

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

Herzlichen Dank für die Einführung und Vorstellung. Ich
will dem noch etwas hinzufügen:

1944 geboren in Wien, Vater dreier Kinder, Großvater von 6 Enkeln
zwischen 33 und anderthalb und einmal Urgroßvater seit einem halben
Jahr.

Als ich 1950 in Wien in die Volksschule kam, schrieben wir bis
Weihnachten noch auf einer Schiefertafel mit Griffel, dann mit einem
Federstiel zum Eintauchen in das in der Bank eingelassene Tintenfass.
Füllfeder kam erst später. Kugelschreiber wurde gerade erfunden und
verbreitet, war aber verboten, weil er kleckste und das Geschriebene
angeblich auch wieder verblasste.

Wir sangen Lieder wie "Im Märzen der Bauer die Rösslein einspannt" und
lasen Geschichten von Peter Rosegger über das einfache Leben eines
Waldbauernbuben und seiner Mutter, die zehn Hände hatte – eine davon
auch für die Ohrfeige. Wir kennen die Lieder noch, auch unsere Kinder
kennen sie und können die alten Geschichten lesen. Freilich haben sie
andere Fragen als wir damals.

Zu unserem Thema gibt es mittlerweile eine unüberschaubare Menge von
Literatur, meist Aufsätze. Bei meiner Recherche zu Sprache in der
digitalen Welt streikte scholar.google.de bei Seite 100 und gab einen
Serverfehler an. In dieser Situation ist es geraten, sich wieder
weitgehend auf sich selbst zu verlassen. Ich gestatte mir jetzt, ein
bereits etwas älteres Standardwerk zu nennen und zwei ganz aktuelle
einschlägige Publikationen für den deutschsprachigen Raum zu empfehlen:

David Crystal, Language and the Internet, Cambridge 2004 sowie

Henning Lobin, Digital und vernetzt. Das neue Bild der Sprache,
(Metzler), Stuttgart 2018 und zusätzlich noch,

Sprachliche Kommunikation in der digitalen Welt. Eine repräsentative
Umfrage, durchgeführt von forsa. In: Der Sprachdienst, 4 – 5/2018, S.
168ff.

Es fließen Ergebnisse dieser und selbstverständlich auch anderer
Publikationen in meine Ausführungen ein. Dort, wo es der
wissenschaftlichen Ehrlichkeit halber nötig ist, werde ich natürlich
darauf hinweisen.

Mit Lobin will ich gleich beginnen. Er macht uns darauf aufmerksam, dass
unser Bild von Sprache ein kulturell geprägtes ist und die Beschäftigung
mit Sprache bestimmt.

Es ist einerseits "die abendländische Sprachauffassung, die schon in der
Antike im Gefolge der Rhetorikausbildung entstanden ist, bis ins 20.
Jahrhundert nachgewirkt hat und noch bis heute mit ihren antiken und
mittelalterlichen Vorstellungen unser Denken, Sprechen und Streiten
über Sprache prägt." Das sagt uns: Sprache lebt in der Kunst, in der
wohlgeformten Rede.
"Seit einigen Jahren allerdings zeichnet sich ein alternatives, neues
Bild der Sprache ab. In vielem steht dieses Bild im Widerspruch zu dem
bislang vorherrschenden Bild, das im Zuge längst vergangener kultureller
und medialer Gegebenheiten entstanden war. Die Entstehung eines neuen
Bildes der Sprache wurde möglich, weil neben dem Menschen ein zweiter
der Sprache mächtiger Akteur auf der Bildfläche erschienen ist, der
diese Traditionslinien durchbricht: der Computer." (S. 5f)

Kürzlich, nämlich am 22.09. bekam ich eine Mitteilung zu Änderungen bei
Windows und ich komme damit zu:

1. Zum Wortschatz

Folgende Wörter im Text erregten meine Aufmerksamkeit: snipping tool,
Disk Cleanup-Tool, Storage Sense, Screenshots, Features, Front
smoothing, Clear Type, Schriftenglättung

Feststellen kann ich, dass von den von mir un- oder kaum verstandenen
Wörtern nur eines deutschsprachigen Ursprungs ist. Damit hätten wir
bereits ein Problem beziehungsweise ein Phänomen des Einflusses der
Digitalisierung auf die Sprache erkannt: Die Rolle der Anglizismen.

Für manche mag das schon das ganze oder das dominante Problem sein. Ich
meine, es ist es nicht oder wenigstes nicht alleine. Aber gehen wir der
Sache gleich hier nach:

Mit den Anglizismen passiert etwas für Sprache ganz Normales. Es kommen
neue Dinge in unser Leben. Sie kommen von außerhalb unseres
Sprachraumes, von außerhalb unserer Sprachgemeinschaft. Deshalb kommen
mit den Dingen und Phänomenen zunächst auch die Wörter von außerhalb.
Und wenn auch Konrad Zuse aus Hoyerswerda den ersten Computer gebaut
hatte, fast alles, was wir heute so haben, kommt aus dem
angloamerikanischen Raum.

Ich werde jetzt etwas weiter ausholen:

Ähnlich wie jetzt mit der Digitalisierung war das z. B. auch mit der
Winzerterminologie, also mit den Wörtern rund um den Weinbau. Die
Germanen kannten ihr Met, die Römer brachten den Wein/vinum und mit
diesem allerlei Wörter drumherum.

Übrigens, gestatten Sie mir auch den kleinen Exkurs, gab es dabei
durchaus regionale Variation: Die Baumpresse, mit der die Trauben
ausgepresst wurden heißen landschaftlich im deutschen Sprachraum
durchaus verschieden und gehen dennoch alle auf lateinischen Ursprung
zurück.
Der "Historische Südwestdeutsche Sprachatlas" verzeichnet drei
Varianten: Kelter, Trotte, Torkel

Kelter ist entlehnt aus lateinisch calcatura zu calx die Ferse.

Trotte ist aus dem mittellateinischen trottare übernommen. Kelter und
Trotte überliefern uns beide eine alte Art des Traubenpressens, nämlich
die mit den Füßen. Das Wort Trotte ist mit allem verwandt, was mit
der Fortbewegung trotten/treten verwandt ist.

Torkel schließlich ist aus dem lateinischen torculum/torcular
hervorgegangen und lehnt sich an die Drehbewegung beim Weinpressen an.
Es ist verwandt mit torkeln als schwankende Bewegung.

Diese Wörter hatten genügend Zeit, sich in die aufnehmende Sprache
einzugliedern und der gesamte Weinbau hatte auch genügend Zeit, um für
die damit verbundenen Dinge, Verrichtungen, Gebräuche und Gewohnheiten
auch ausreichend muttersprachliche, alltagssprachliche Benennungen zu
finden.

Die variablen Entlehnungen aus dem Lateinischen weisen uns darauf hin,
dass das klassische Latein im großen Römischen Reich sehr wohl in
regionalen Varietäten gesprochen wurde. Die gegenseitige Durchdringung
von Latein mit Regionalsprachen hat dabei nicht diese Regionalsprachen
zerstört, sondern das Latein in die romanischen Sprachen aufgesplittert
und auch lateinische Wörter in anderen Sprachfamilien auf deren Art und
Weise heimisch gemacht und damit tendenziell entlatinisiert. Kaum wer
weiß dann noch vom lateinischen Ursprung.

Schlussfolgerung für hier und heute: Nicht die deutsche Sprache und
andere sind durch die Dominanz des Englischen in nicht wenigen
Lebensbereichen und das Eindringen von Anglizismen arg gefährdet, sondern
das Englische selbst, weil es in immer mehr regionalen Varianten
gesprochen wird und deshalb das Schicksal des Lateinischen erleiden
könnte.

Aber noch nicht ganz zurück zum eigentlichen Thema jedoch auch zu
anderen Beispielen:

Fragen wir einmal, was ist "Mumps"? Wikipedia sagt: "Mumps (Parotitis
epidemica, Rubula infans, umgangssprachlich Ziegenpeter, Bauernwetzel,
Tölpel oder Feifel) ist eine ansteckende Virusinfektion, welche die
Speicheldrüsen und andere Organe befällt."

Und fragen wir noch, was sind "Pocken"? Wiederum bei Wikipedia
nachgesehen, erfahren wir: "Mit Pocken oder Variola (auch Blattern;
lateinisch variolae) bezeichnet man eine für den Menschen gefährliche
Infektionskrankheit, die von Pockenviren (Orthopoxvirus variolae)
verursacht wird. …Der Name "Pocken" kommt zum ersten Mal in einer
angelsächsischen Handschrift aus dem 9. Jahrhundert am Ende eines Gebets
vor: … geskyldath me wih de lathan Poccas and with ealleyfeln. Amen. ("…
beschützt mich vor den scheußlichen Pocken und allem Übel. Amen.") Das
Wort Pocken kommt aus dem Germanischen und bedeutet "Beutel", "Tasche",
"Blase", "Blatter". Es ist mit den englisch pocket, pox, pocks und
französisch poche verwandt.
Die Bezeichnung variola (von lat. varius ‚bunt', ‚scheckig', ‚fleckig')
wurde von Bischof Marius von Avenches (heute Schweiz) um 571 n. Chr.
geprägt und soll im 11. Jahrhundert der Krankheit auch von dem Arzt und
Übersetzer Constantinus Africanus gegeben worden sein."

So! – Mein alter Klassenlehrer hätte gefragt, was lernt uns das?

Ich sage, es lehrt uns Verschiedenes und das ist für unser Problem nicht
unwichtig.

Für Krankheiten gibt es – durchaus im Unterschied zum Wortschatz der
Digitalisierung – neben den fachsprachlich-wissenschaftlichen, meist
lateinischen, zahlreiche alltagssprachliche, muttersprachliche oder von
der Muttersprache aufgesogene Benennungen. Manchmal oder sogar meistens
ist die alltagssprachliche Benennung vor der
fachsprachlich-wissenschaftlichen in der Welt und dient als Quelle für
diese.

Nun überprüfen wir mal, wieviele alltagssprachliche Benennungen wir für
den Wortschatz der Digitalisierung finden. Mir fällt nicht viel ein:
Rechner, kopieren, downloaden (!), löschen, mailen/schicken ???

Sicher gibt es noch ein paar mehr und Grenzfälle: Cybermobbing.

Worin ist der Unterschied zum medizinischen Wortschatz, vor allem zur
Bezeichnung von Krankheiten oder auch zu vielen Wörtern des Weinbaus
begründet?

Nun, die Eintragungen bei Wikipedia verraten es schon: Die Krankheiten
sind seit langem bekannt, bekannt schon vor einer systematischen
medizinischen, wissenschaftlich zu nennenden Beschäftigung damit. Das
Volk hatte Gelegenheit und Zeit, seine Benennungen zu finden. Mit Beginn
der wissenschaftlichen medizinischen Beschäftigung mit den Krankheiten
setzte man sich sozial und systematisch davon ab, indem man Latein als
Wissenschaftssprache favorisierte.

Beim Weinbau war es, wie schon erwähnt, umgekehrt. Die Sprachen hatten
Zeit sich neben den lateinischen Benennung auch muttersprachliche zu
bilden. Und: Wir sind nicht alle Weinbauern. Die Digitalisierung greift
aber in unser aller Alltag ein. Das gilt ähnlich für Krankheiten.

Die Menschen hatten im Gegensatz zu Weinbau und Krankheiten mit ihrer
Sprache im jetzt angebrochenen und in kurzer Zeit weit entwickelten
"digitalen Zeitalter" schlicht keine Zeit dafür. Sie mussten annehmen
und nach Bedarf in ihren Alltag einbauen, was die Wissenschaft, die
Produktion und die systematische Anwendung digitaler Möglichkeiten in
aller Schnelligkeit anboten.

Zum Tempo der Entwicklung: In meinem Kinderlexikon, Die Welt von A bis Z
von 1953 finden sich keinerlei Hinweise auf Computer.

Im 20-bändigen dtv – Lexikon von 1967 findet man Computer unter K –
Komputer – . Beschrieben wird er schlicht und einfach als
"Rechenautomat". Dass es sich beim K/Computer um etwas Exotisches
handelt wird unter dem Stichwort Rechenautomat klar. Es wird auf die
Schreibung engl. Computer hingewiesen. Rechenautomaten gab es schon
lange. Mit der heutigen Art der Digitalisierung hatten sie freilich
nicht allzu viel zu tun. Das Lexikon bemerkt das auch zumindest
implizit. " … ein meist elektrisches oder elektronisches Rechengerät auf
Zifferngrundlage, mit dem umfangreiche Rechnungen nach einem von Fall zu
Fall eingegebenen Programm selbsttätig ausgeführt werden.
Datenverarbeitende Maschinen sind R. zum Verarbeiten sehr vieler Zahlen
und anderer Informationen, hauptsächlich bei kaufmänn. und wirtschaftl.
Rechnungen." Als Oberbegriff erscheint aber bereits
"Informationsverarbeitende Maschinen" und "Informationswandler". (!)

Auch in der 3. Auflage des einbändigen "Lexikon A bis Z" des
Bibliographischen Instituts Leipzig von 1981 wird man beim Stichwort
"Computer" auf "Rechenautomat" verwiesen. Die Wortherkunft wird sowohl
englisch als auch lateinisch angegeben. Unterschieden werden "Digital-,
Analog- und Hybridrechner". Das Lexikon kennt auch schon Hardware und
Software. Angegeben werden 3 Generationen von Rechnern, 1. solche mit
Elektronenröhren und Magnettrommelspeichern, 2. solche mit Transistoren
und Ferritkernspeichern und 3. jene mit hochintegrierter
Mikromodultechnik. Manches dieser Wörter ist zumindest im Alltag schon
wieder verschwunden, in einschlägigen Wortverzeichnissen nicht mehr oder
nur in Bestandteilen enthalten.

Wikipedia verweist heute auf die erweiterten Einsatzmöglichkeiten über
Rechnen hinaus, räumt aber ein, dass Computer vom inneren Prinzip her
Rechenmaschinen geblieben sind: "Die frühen Computer wurden auch
(Groß-)Rechner genannt; ihre Ein- und Ausgabe der Daten war zunächst auf
Zahlen beschränkt. Zwar verstehen sich moderne Computer auf den Umgang
mit weiteren Daten, beispielsweise mit Buchstaben und Tönen. Diese Daten
werden jedoch innerhalb des Computers in Zahlen umgewandelt und als
solche verarbeitet, weshalb ein Computer auch heute eine Rechenmaschine
ist." Alltagssprachlich Rechner bleibt also eine legitime und
sachadäquate Benennung.

Und noch etwas zum Tempo der Entwicklung: Meinen ersten Computer erwarb
ich 1986, einen "Commodore plus 4". Das Schreibprogramm machte mich
damals allen anderen, die so etwas noch nicht hatten, überlegen; wegen
der Schnelligkeit, aber vor allem wegen der Korrekturmöglichkeiten.
Aufwändige Streichungen, Korrekturlack und Ähnliches brauchte man nicht
mehr. Allerdings war alles auf englische Orthografie abgestellt; kein ß,
keine Umlaute. Der Computer hatte eine Betriebsanleitung, die war noch
sehr gut verständlich. Erstens, weil die Technik noch nicht so
ausuferte, und zweitens, weil Übersetzung und Anleitung sich wegen der
geringen Fachlexik noch stärker an der Muttersprache orientieren
konnten.

Es gelang mir damit eine Rennbahn zu programmieren, wo ein Punkt auf
einer durch streichholzähnliche Stäbchen markierte Bahn, die immer
kurviger und enger wurde, zum Ziel gebracht werden musste. Mein
ebenfalls 1968 geborener jüngster Sohn spielte lange damit. Mir gelang
mit diesem Computer außerdem die Umsetzung eines schon 1977 entwickelten
Algorithmus zur Bestimmung von Wortbildungsarten des Deutschen, durchaus
zum Erstaunen von Fachkolleginnen und -kollegen und zur Bereicherung des
Unterrichts. (Vgl. DaF 14 (1977), S. 202ff.)

Sehr viel mehr Meriten erwarb ich mir aber mit diesem Teufelsding, weil
man die Stundenpläne für Studierende, Lehrende und Unterrichtsräume
nicht mehr drei Mal schreiben musste, sondern nur einmal, weil man sie
ja je nach Bedarf und einmal auf Diskette gespeichert verändern konnte.

Das mag für den Wortschatz reichen. Ich will hier keine
Vokabellernstunde bieten. Dafür gibt es einschlägige Lexika. Dazu nur
noch so viel:
Das Bedienungshandbuch 1986 war, wie gesagt, noch sehr verständlich.
1998 schenkte mir mein Sohn ein Wörterbuch "Cyber Sl@ng. Die Sprache des
Internet von A bis Z". 2009 schenkte der inzwischen Bioinformatik
studierende Sohn dem mittlerweile desorientierten Vater ein Web-Logbuch,
"Blogging für DUMMIES. Irgendein Versandhaus versorgte mich vor etwa
zwei Jahren mit einem Heftchen, "PC Wissen für Senioren". Alles half
aber nichts. Seit kurzem besitze ich "Das große Computerlexikon –
Fachbegriffe zu PC, Laptop, Tablet, Smartphone, Internet & Co. Die
IT-Welt einfach und verständlich erklärt".

"Einfach und Verständlich" kann man freilich anzweifeln, weil die
Fachwörter meist mit anderen Fachwörtern erklärt werden und man sich
deshalb zum finalen Verständnis vieler Wörter erst durch das Lexikon
winden muss. Das ist aber nicht Schuld der Verfasser, sondern der
fehlenden Wortäquivalente in der Alltagssprache.

Große Möglichkeiten ergeben sich für Wörterbücher und Übersetzungen. Die
Digitalisierung der Sprachdokumentation ist weit entwickelt und brachte
viele Neuigkeiten, an die früher kaum zu denken war.

Die Bedeutungsangaben in Wörterbüchern sind Resultat der Analyse
möglichst vieler Belege der Wortverwendung in Texten. Das war schon
immer so, aber dabei sind Menschen natürliche Grenzen gesetzt, was die
Menge des Beispielmaterials betrifft. Computer erweitern diese Grenzen
fast in die Totalität von Belegen. Ein Beispiel dafür ist das Digitale
Wörterbuch der deutschen Sprache.

"Das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache (DWDS) ist ein
Auskunftssystem für den Wortschatz der deutschen Sprache in Geschichte
und Gegenwart an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der
Wissenschaften. Die Informationen im DWDS – Wörterbücher, Textkorpora
und Statistiken – werden auf der Webseite des Projektes (www.dwds.de)
veröffentlicht und stehen der Öffentlichkeit kostenlos zu Verfügung. Die
verschiedenen Informationsquellen werden laufend aktualisiert.
Das Vorhaben verfolgt zwei Ziele. Erstens sollen die bereits verfügbaren
lexikalischen Informationen aus den bisher erschienenen großen
Wörterbüchern zusammengefasst und auf den neuesten Stand gebracht
werden. Zweitens soll ein Auskunftssystem bereitgestellt werden, in dem
eine verlässlich und wissenschaftlich fundierte lexikographische
Beschreibung von Wörtern mit der Möglichkeit verbunden wird, die
verschiedenen Verwendungsweisen eines Wortes in gut erschlossenen
Textkorpora zu recherchieren. Das System ist flexibel erweiterbar, die
Informationen können jederzeit und auf einfache Weise aktualisiert
werden. Die Informationen sind für viele wissenschaftliche und
nichtwissenschaftliche Zwecke nutzbar."

Das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache nutzt als Grundlage also
Wörterbücher, die an der Akademie der Wissenschaften der DDR entstanden
sind wie z.B. Das Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache oder das
Etymologische Wörterbuch des Deutschen sowie viele Texte aus Zeitungen,
Publikationen und historischen wie aktuellen Textsammlungen. Es bietet
auch akustisch Ausspracheinformationen, die früher nur in Lautschrift
möglich waren.

In diesem Zusammenhang sind auch Mundartwörterbücher und -karten zu
nennen, die nicht nur auf Mundartkarten lokalisierbare Aussprache von
Mundartwörtern bieten, sondern auch die Bewegung von Dialekten in Raum
und Zeit visuell und akustisch dokumentieren.

Also: "Der Digitalisierung der Sprachverwendung entspricht eine
Digitalisierung ihrer Erforschung." (Lobin, S. 9)

Und wieder Lobin: "Seit mehr als einem halben Jahrhundert gibt es
Versuche, Computern die Fähigkeit zu Sprachverstehen und
Sprachproduktion, flüssigem Sprechen und sinnvoller Gesprächsführung zu
implementieren. Aber erst vor kurzem haben diese Technologien in
Gestalt von »Siri«, »Cortana«, »Google Home« und »Alexa« ihren Weg in
den Alltagsgebrauch gefunden. Indem wir mit einer Maschine Gespräche
führen, gewöhnen wir uns daran, Sprache auch als eine Schnittstelle zur
Informationstechnologie zu sehen und Eigenschaften, die wir mit dem
Cyberspace verbinden, auch diesem urmenschlichen Medium zuzuschreiben."
(S. 8f)

Übersetzungen nicht nur von Wörtern, sondern auch von ganzen
Textpassagen sind heute im Internet von vielen Anbietern zu bekommen.
Die Übersetzungen sind meist gut und angemessen, obwohl es natürlich
noch immer Schwierigkeiten mit vor allem emotionalen Konnotationen von
Wörtern, Unterschieden in der Wortschatzstruktur der verschiedenen
Sprachen (Wortfelder) und mit Synonymie und Mehrdeutigkeit gibt.

Um das nachzuvollziehen schreiben Sie sich einmal verschiedene Wörter
für aufrechtes Fortbewegen mit Bodenhaftung – also gehen, schreiten,
rasen, schleichen, schlendern usw. auf. Übersetzen Sie die Wörter mit
Hilfe eines Deutsch-Englisch Dictionary ins Englische. Dann machen Sie
eine Rückübersetzung wieder mit Hilfe eines nun Englisch-Deutsch
Dictionary. Sie werden sich wundern wie die Dinge voneinander abweichen.

Zu Beginn waren die Versuche zur maschinellen Übersetzung von großen
Problemen begleitet. Man folgte zunächst der Theorie der Generativen
Grammatik von Noam Chomsky, die besagte, dass Sätze eine
einzelsprachliche Oberflächenstruktur haben, die durch die Anwendung von
Transformationsregeln auf eine Tiefenstruktur zurückzuführen ist.

Diese sei universell, sodass man durch Anwendung anderssprachiger
Transformationsregeln eine Übersetzung bekommen könnte. Das war zu
einfach gedacht, weil es vor allem die eigenen Regeln, die einen Text
strukturieren sowie die Regeln der Monosemierung (aktuellen Bedeutung)
von Wörtern im Text nicht berücksichtigte. Eine Einzelsprache auf
universell gültige Logik zurückzuführen – das war der Versuch – muss
scheitern, weil Sprachen weder in der Oberflächenstruktur noch in der
Tiefenstruktur ungebrochen Regeln der Logik folgen.

So passierte es dann z.B., dass in einer Gebrauchsanweisung für einen
Heimsyphon in der DDR das Wort "die Patrone" mit "der Patron" übersetzt
wurde. Der Ratschlag, den Patron bei einem Ausflug mitzunehmen, weil das
viel Freude bereiten würde, bekam dann einen eigenen Sinn. Auch der
Hinweis, dass man bei einem Defekt, die Schraube A4 herausschrauben
solle, "was ohnehin nicht geht, weil sie festgeschweißt ist", verweist
auf große Probleme mit den Unterschieden zwischen Logik und Grammatik.

Ein Freund aus England, der kaum Deutsch konnte, schrieb mir einst,
stolz darauf ein Übersetzungsprogramm zu nutzen, dass "seine Nonne
geheiratet hat." Offensichtlich hatte die Maschine ein Problem mit der
Synonymie von "Nonne" und "(Kloster-)Schwester".

Zumindest für Fach- und Sachtexte sind diese Probleme – wie gesagt –
heute weitgehend ausgeräumt. Persönliche Mitteilungen mit individuellen
Bedeutungsvarianten von Wörtern, Ausdruck von Emotionen und Ähnliches
bleiben aber resistent gegenüber Übersetzungsprogrammen. Man kann
natürlich mit Computern auch Literatur kreieren – darauf komme ich zum
Schluss – ob ein Gedicht, mit dem Zufallsgenerator hervorgebracht, aber
schon Kunst ist, sei dahingestellt.

Weit mehr Bedeutung hatte das Zurückführen von Ausdrücken natürlicher
Sprachen auf logische Strukturen für die Entwicklung von
Programmiersprachen. Das ist aber kaum ein linguistisches Problem. Ich
werde mich damit hier nicht befassen.

Sprache existiert nicht nur als Wortschatz. In der Praxis tritt sie uns
als komplexes Mittel der Kommunikation gegenüber und das meist in
Texten. Texte haben Textelemente und Struktur, das heißt, sie haben Stil
und wir können Textsorten unterscheiden. Sie haben Grammatikalität und
Akzeptabilität.

Ein gutes Beispiel dafür, dass diese beiden Eigenschaften voneinander
abweichen können, war der so genannte "Telegrammstil". Er lebte von
maximaler morphologischer und syntaktischer Verkürzung bei
Aufrechterhaltung der Verständlichkeit. Mit der modernen digitalen
Nachrichtenübermittlung sind Telegramm und Telegrammstil verschwunden.
Mein inzwischen als Bioinformatiker akademisch diplomierter 32-jähriger
Sohn kann mit der Sache und dem Wort nichts anfangen. Andere Dinge haben
sich aber auch verändert, sind neu aufgekommen oder verschwunden.

Gerade beim Telegrammstil zeigt sich jedoch schon, dass Akzeptabilität
sehr viel schwieriger in Regeln zu fassen ist als Grammatikalität. Das
hat Auswirkungen auf die Möglichkeiten digitaler Übersetzung.

Auch der Wechsel vom Du zum Sie in Übersetzungen aus dem Englischen oder
Schwedischen ist nicht einfach zu programmieren. Er hat mit Grammatik im
engeren Sinn nichts zu tun.

Ich komme zu 2. Texte und Textsorten

Täglich werden etwa 200 Milliarden e-mails verschickt und ca. 60
Milliarden Mal Whats App genutzt. Der Austausch in den sozialen
Netzwerken ist dabei nicht berücksichtigt. facebook und twitter sind
hierbei in der Welt führend. 90% der Deutschen sind online, 77% täglich
(tagesschau 10.10. 2018). Menschen unter 35 doppelt so lang wie ältere.
Diese Zahlen stiegen und steigen, wo es noch geht, mit rasender
Geschwindigkeit. das ist die eigentliche Besonderheit.

Wikipedia sagt zu "Twitter, "ist ein Mikrobloggingdienst des
Unternehmens Twitter Inc. Auf Twitter können angemeldete Nutzer
telegrammartige Kurznachrichten verbreiten. Die Nachrichten werden
"Tweets" (von englisch to tweet "zwitschern") genannt."

Wikipedia irrt wie nicht selten. Die "Kurznachrichten" sind zwar kurz,
aber eben nicht telegrammartig. Auch bei der Zeichenbeschränkung von 140
Zeichen wurden die Nachrichten ausformuliert. Mittlerweile – jetzt hat
Wikipedia wieder recht – wurden "angehängte Fotos und Videos sowie
zitierte Tweets nicht mehr auf die Gesamtlänge des eigenen Beitrags
angerechnet und verkürzen damit nicht mehr den verbleibenden Platz.
Zudem startete das Unternehmen einen Test mit Nachrichten in der
doppelten, zu der bisher möglichen Länge von nun 280 Zeichen. Definierte
Nutzergruppen sollten diese Funktion in allen Sprachen testen, bis auf
Japanisch, Chinesisch und Koreanisch. In diesen Sprachen würden ohnehin
nur sehr kurze Nachrichten "getwittert"."

Letzteres hängt wohl mit dem Charakter der Sprachen und ihrer
Verschriftlichung zusammen, in der Zeichen Silben repräsentieren, die
als Lautstruktur Morphemen als minimale Bedeutungsträger zugeordnet
werden. Es entstehen deshalb komplexe Schriftzeichen mit einer sehr
komplexen Bedeutungsstruktur. Da macht die Beschränkung keinen Sinn. Es
ist aber ein gutes Beispiel, wie umgekehrt zu unserem Thema, die
Schriftstruktur einer Sprache die digital basierte Kommunikation
beeinflusst.

Nach meiner Beobachtung wurden in der Frühzeit der Nutzung von facebook
und twitter kurze Texte favorisiert. Mittlerweile sind bei facebook die
Nachrichten, die eine danach folgende Diskussion initiieren, oft schon
sehr lang. Pointierte Verkürzungen, die auch ein entwickeltes
Sprachbewusstsein und Sprachwissen voraussetzen, werden seltener und
eher twitter vorbehalten. Die Reaktionen/Kommentare bleiben aber auch
bei facebook meist kurz. Man kann außerdem systematisiert mit Emojis und
Emoticons antworten, also nonverbal seine Einstellung ausdrücken.

(Emoticons ??
Emojis = fertige kleine Bilder)

Bei den vorgegebenen Emojis gibt es bekanntlich die Möglichkeiten:
gefällt mir (erhobener Daumen), Love (ein Herz), Haha (ein lachendes
Gesicht), Wow (ein Gesicht, das durch Nachempfinden der Artikulation
Staunen ausdrückt), Traurig (ein weinendes Gesicht), Wütend (ein durch
Zorn verfärbtes Gesicht). Wer facebook nutzt kennt das.

Emojis und Emoticons werden meist verwendet, um die Kommunikation zu
verkürzen, sich das Tippen zu ersparen oder weil sie eine besondere
Emotionalität ausdrücken.

Das Streben nach möglichst kurzen Texten und zur Ersparnis von
"Tipparbeit" hat zu einer Reihe von usuellen Abkürzungen geführt. Es
handelt sich entweder um Initialwörter, dann weichen sie eigentlich von
Gewohntem nicht ab, wenn man die meist englische Grundlage
vernachlässigt. Wir kennen den LKW, den PKW, die NATO und EU. Das
Internet bietet uns neuerdings z.B. MfG, lg, LOFL (lying on the floor
laughing). Eine Besonderheit ist aber, dass man nicht mehr nur an der
Schreibung ausgerichtet abkürzt, sondern ebenso am Lautlichen. Dazu
werden meist englische Zahlen oder die englische Aussprache von
Buchstaben für Konsonanten herangezogen. Beispiele: 4YEO (for your eyes
only), 4U (for you), L2P (learn to play – bessere Dich), Y (why), n8
(night) usw.

Findet man bei E-Mail-Kommunikation eigentlich fast alle Textsorten
wieder, die in schriftlichen Korrespondenzen üblich waren, so sticht
doch hervor, dass die Möglichkeit, schriftlich die zeitliche Distanz
zwischen Nachricht und Antwort zu minimieren, sehr viel dialogische
Kommunikation hervorbringt, vor allem in Sachfragen oder zur
Organisation von Arbeit.

Versuche, so etwas zu fördern, gab es aber schon seit langem. Es ähnelt
der Rohrpost. Und Anke Fläming-Wieczorek berichtet in ihrem Buch "Die
Briefe an Friedrich Justin Bertuch. Eine Studie zu kommunikativen,
sprachlichen und sozialen Verhältnissen im klassischen Weimar." (1996)
von der Möglichkeit, kurze Mitteilungen, Fragen, Hinweise und
dergleichen per Boten auf kleine Zettel geschrieben, zu übermitteln und
sofort darauf eine Antwort zu bekommen, die der Bote wieder bringt.
Goethe hat davon regen Gebrauch gemacht.

Die in Wiesbaden angesiedelte "Gesellschaft für deutsche Sprache" hat,
wie eingangs erwähnt, bei forsa eine Umfrage zu "Sprachliche
Kommunikation in der digitalen Welt" in Auftrag gegeben, mit durchaus
interessanten Ergebnissen. Veröffentlicht sind die Ergebnisse, wie ich
schon eingangs bemerkte, in der Zeitschrift "Sprachpflege" 62 (2018),
Heft 4 – 5, S. 168ff. Ich gestatte mir jetzt etwas ausführlicher zu
zitieren:

"Im Rahmen der Untersuchung wurden insgesamt 2001, nach einem
systematischen Zufallsverfahren ausgewählte, Internetnutzer im Alter von
14 bis 60 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland befragt. Die Erhebung
wurde vom 8. bis 29. Januar 2018 mithilfe des repräsentativen Panels
forsa.omninet durchgeführt." (168)

"Die Untersuchung zeigt, dass Messenger-Dienste, das Telefon sowie
E-Mails diejenigen Kommunikationsformen sind, die am häufigsten genutzt
werden. Zudem zeigen sich in den Kommunikationsgewohnheiten mitunter
deutliche Unterschiede zwischen den Altersgruppen. So nutzt bei den
unter 35-Jährigen beispielsweise fast jeder Befragte fast täglich
Messenger-Dienste wie WhatsApp, den Facebook-Messenger oder Threema,
während Telefonate in dieser Altersgruppe seltener geführt werden. Die
Befragten ab 35 Jahren nutzen noch deutlich häufiger als die jüngeren
Befragten das Telefon."

Hier möchte ich einschieben, dass auch das Telefon neue Dinge und neue
Wörter gebracht hat. Die Teile und die Technik des Telefons sind das
eine: Hörer, Wählscheibe, Anschluss, früher das Fräulein, Tätigkeiten
das andere: verbinden, anrufen sowie neue Phänomene: besetzt und
Grußformeln: auf wiederhören.

Zurück aber zur Befragung der GfdS: "Während bei der Kommunikation mit
den Eltern, Großeltern sowie den beruflichen Kontakten am ehesten das
Telefon genutzt wird, haben die Messenger-Dienste bei der Kommunikation
mit Freunden die größte Bedeutung. Mit ihrem Partner bzw. Geschwistern
treten die Befragten in gleichem Maße über das Telefon bzw.
Messenger-Dienste in Kontakt. Auch hier zeigen sich Unterschiede
zwischen den Altersgruppen. Während die Personen unter 25 Jahren mit
verschiedenen Personengruppen häufig über Messenger-Dienste
kommunizieren, hat das Telefon bei den älteren Befragten eine größere
Bedeutung. …

Die Mehrheit in allen Bevölkerungsgruppen verwendet als Ergänzung zum
geschriebenen Text meistens Emojis, wobei diese von Frauen und unter
35-Jährigen noch häufiger verwendet werden als von Männern und älteren
Befragten. Emoticons werden seltener als Emojis … aber trotzdem von
einer Mehrheit der Befragten zumindest ab und zu genutzt." (169)

"Fast die Hälfte der Befragten stört es sehr (11%) oder eher (35%) (in
Summe also 46%, PP), dass viele Menschen durch die digitale
Kommunikation auch im normalen Sprachgebrauch immer häufiger sogenannte
Anglizismen nutzen, also z. B. Wörter wie Apps, posten oder User. Eine
knappe Mehrheit stört sich weniger (33%) oder überhaupt nicht (21%)
(in Summe also 54%, PP) daran. Diese Spaltung im Bereich der digitalen
Kommunikation entspricht dem allgemeinen Trend, demnach 39 Prozent der
deutschen Bevölkerung die Verwendung von englischen Ausdrücken stört und
40 Prozent nicht (Hoberg/Eichhoff-Cyrus/Schulz, Wie denken die Deutschen
über ihre Muttersprache und über Fremdsprachen, 2008: 37).

Dass sie sich durch den häufigen Gebrauch von Anglizismen sehr oder
etwas gestört fühlen, geben die über 45-Jährigen deutlich häufiger an
als die jüngeren Befragten" (GfdS, 171)

Zur Ablehnung von Anglizismen habe ich schon gesprochen. Wir müssen die
nicht in sonderlichem Maße pflegen. Wenn sie den "treffenden Ausdruck"
befördern, sind sie durchaus angemessen. Dass sie mit den Dingen und
Phänomenen kommen, werden wir kaum verhindern können. Frankreich ist da
aber deutlich rigider, ob man es dort deshalb leichter hat mit der
Digitalisierung, sei dahingestellt. Immerhin mauserten sich die
Anglizismen zu Internationalismen. Für junge Menschen drückt die
Verwendung von Anglizismen auch ein Lebensgefühl aus.

Wo sie nur der Angeberei dienen und vor allem in der Werbung dem Produkt
eine besonders exklusive und exquisite, weltoffene Note geben sollen,
dafür oft auch künstlich geschaffene Worte verwendet werden, sollten wir
ihnen allerdings skeptisch begegnen.

Die Situation sieht derzeit etwa so aus: Im Netz waren "1997 … 80% der
Inhalte in englischer Sprache geschrieben. Mit der Ausbreitung des
Netzes in alle Länder der Erde änderte sich das jedoch deutlich: Deutsch
war im Jahr 2002 die nach Englisch am meisten verwendete Sprache im
Internet (gefolgt von Französisch, Japanisch Spanisch und Chinesisch)."
(zukunftsinstitut.de)

Besonders interessant bei der GfdS ist die Frage nach der Orientierung
an Rechtschreibnormen:

"Die große Mehrheit der Befragten in sämtlichen Bevölkerungsgruppen hält
sich in ihren digitalen Textnachrichten an die gängigen
Rechtschreibnormen und achtet u. a. auf einen grammatikalisch korrekten
Satzbau oder auf die korrekte Setzung von Satzzeichen, wobei die unter
25-Jährigen jene Rechtschreibnormen etwas seltener beachten als die
älteren Befragten. Damit bestätigt sich für die digitale Kommunikation,
was allgemein gilt: Nach einer repräsentativen IDS-Umfrage aus dem Jahr
2009 halten über 90 Prozent der Befragten Sorgfalt beim Sprechen und
Schreiben für wichtig (Eichinger et al., Aktuelle Spracheinstellungen in
Deutschland, 2009: 44)."

"Dennoch glauben vier von fünf Befragten, dass die digitale
Kommunikation die deutsche Schriftsprache negativ beeinflusst. Hierbei
wird z. B. befürchtet, dass gängige Rechtschreibnormen weniger beachtet
werden und sich das Sprachvermögen von Kindern und Jugendlichen
verschlechtert. Gleichzeitig spricht sich eine deutliche Mehrheit dafür
aus, dass Schüler im Schulunterricht lernen sollten, auch im Internet
korrekt zu schreiben.

Der Trend zu einer zunehmend negativen Sicht auf den Einfluss der
digitalen Kommunikation auf die (Schrift-) Sprache scheint in den
letzten 10 Jahren und aufgrund der rasanten Digitalisierung der
Kommunikation zugenommen zu haben. Im Jahre 2008 gaben die Deutschen als
Gründe dafür, warum die deutsche Sprache immer mehr zu verkommen drohe,
u. a. zu 48 Prozent an, dass beim Austausch von SMS-Mitteilungen oder
E-Mails wenig auf eine gute Ausdrucksweise geachtet wird
(Hoberg/Eichhoff-Cyrus/Schulz 2008: 11), als negativer Einfluss wurde zu
33 Prozent das Internet und andere Medien angegeben." (GfdS, 171ff)

Wohlgemerkt: Das sind Meinungen und Absichten hinsichtlich der
Auswirkungen digitaler Kommunikation auf die Sprachverwendung. Die
Konfrontation mit umfassenden systematischen und statistisch validen
Untersuchungen zur Wirklichkeit der Texte ist weit verstreut. Es gibt
aber auch aktuelle Versuche der Zusammenfassung. Oft bleiben es
Beobachtungen und Vermutungen stark an solcher Kommunikation beteiligter
Linguisten. Da ist viel dran. Ich biete Ihnen jetzt eigene Beobachtungen
und Vermutungen, die weder Vollständigkeit noch ausreichende Gewichtung
beanspruchen, wohl aber zur Schärfe Ihrer eigenen Beobachtungen beitragen
könnten. Ich konzentriere mich zunächst auf Fehlerquellen, die der
Digitalisierung der Textproduktion geschuldet sein können. Aber die
Fehler von Heute können die Regeln von Morgen sein. Da ist vor allem die
Substantivdeklination in Frage gestellt (… von Polizist gestellt …)

1. Gerade in den Messenger-Diensten, in sozialen Netzwerken wie facebook
und twitter, in denen oft sehr spontan und aktuell dialogorientiert
kommuniziert wird, häufen sich Fehler, die meist, aber nicht immer als
"Tippfehler" zu qualifizieren sind. Im Unterschied zu e-mails, die
häufig eher Briefcharakter haben, werden hier die übermittelten Texte
nicht so sehr auf sprachlich-orthographische Richtigkeit kontrolliert.

2. Störend ist die Häufung von sprachlichen Fehlern in den Printmedien.
Sie haben vordergründig gar nichts mit digitaler Kommunikation zu tun,
weil sie sich äußerlich nicht von den traditionellen Zeitungen
unterscheiden, also analog angelegt sind. Sie werden aber digital
produziert. Das heißt, heute schreiben Journalistinnen und Journalisten
ihre Texte mit dem Computer. Die Texte werden dann nach Prüfung in der
Redaktion direkt zum Druck geleitet. Macht der Journalist oder die
Journalistin einen Fehler und man bemerkt ihn auch in der Redaktion
nicht, so geht der Fehler in den Text des Druckes ein. Früher gab es
einen längeren Weg vom Textautor/von der Textautorin zum Druck. Die
Journalistinnen und Journalisten schrieben ihre Beiträge auf Maschine,
brachten ihn dann in die Redaktion, dort wurde er gegengelesen, dann an
die Druckerei weitergeleitet, gesetzt und gedruckt. Es gab auf diesem
Weg professionelle Korrektoren, die vor Fehlern bewahrten. Die sind
heute wohl abgeschafft.

3. Sowohl in den Fällen 1. als auch 2. verselbständigt sich der Computer
oft. Für die Textproduktion gibt es Korrekturprogramme. Diese
akzeptieren manche Wörter nicht und ersetzen sie durch andere, dem
Computer bekannte. Man bemerkt das manchmal nicht. Das Resultat sind
sinnentstellte oder sinnveränderte Texte, die Empfängern Kopfzerbrechen
bereiten.

Ein Beispiel: Meine Frau heißt "Regine". In SMS-Texten korrigierte die
Maschine diesen Namen lange auf "Regime". Ein guter Witz des i-phones
auf Kosten des Familienfriedens.

4. Es gibt Fallen, die außerhalb der Digitalisierung aufgestellt wurden,
durch die Benutzung von Computern aber richtig zutage treten. Die
Orthographiereform sollte Rechtschreibung vereinfachen. Bei der
Unterscheidung der Konjunktion "dass" vom Artikel oder dem Pronomen
"das" hat sie uns einen Bärendienst erwiesen. Sie kommt schriftlich sehr
viel häufiger vor, als bei der alten Regel. Die Verwechslung bzw.
Nichtbeachtung bei der Schreibung ist durch den Wegfall von "ß" leichter
geworden. Im Grunde hat das alles nichts mit Digitalisierung zu tun. Die
Digitalisierung liefert aber eine bequeme, nur manchmal legitime
Ausrede: "Da hat der Rechner das zweite "s" ausgelassen oder zweimal
geschrieben." Früher hat man in solchen Fällen aus Unwissenheit einfach
die falsche Taste gedrückt. Die Schweizer haben das Problem seit Langem
gelöst. Mit der Schreibmaschine haben sie das ß einfach abgeschafft.

5. Häufiger als z.B. in förmlichen Briefen tritt in den sozialen Netzen
der Dialekt in geschriebener Sprache auf. Dialekt oder hier noch besser
Mundart kennt eigentlich keine normierte Verschriftlichung. Schreibt man
Mundart, so geht das "nach Gehör". Die gelegentliche Verwendung von
Dialekt in schriftlichen Texten folgt aber keiner orthographischen oder
grammatischen Unsicherheit. Sie verbessert die Ausdrucksfähigkeit.
Gerade in emotionalen Dingen bietet der Dialekt oft mehr und bessere
Ausdrucksmöglichkeiten. Ist die Kommunikation weitgehend informell, so
"entspannt" Dialekt Ausdrucksschwierigkeiten, die man im Standard hätte.

6. Gerade in sozialen Netzen wird die Kommunikation oft als nicht
formell, nicht offiziell und als zwischen sozial symmetrischen
Partnerinnen und Partnern aufgefasst. Das macht das "Du" in der Anrede
zum Normalfall, auch bei einander nicht bekannten Personen. Nur selten
bestehen Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf dem "Sie", meist dann, wenn
sie sich, in einer konfliktären Beziehung sehen. Hier gibt es noch ein
Problem: Die Kommunikation ist zwar dialogisch und tendenziell
symmetrisch, aber nicht real face to face. Das ermuntert zu oft
in Auseinandersetzungen zu vulgären, sexistischen und Hassposts. Dafür gibt
es wenig Sanktionsmöglichkeiten. Weil außerdem de facto alle sozialen
Schichten, Milieus und Gruppen beteiligt werden, werden auch alle
Stilschichten von gehoben bis vulgär realisiert. Scheu geht verloren.

7. Das Internet bzw. das world wide web (www) ist zum Tummelfeld der
Präsentationen, Newsletters und ausführlicher Werbung, der so genannten
Webseiten geworden. Keine Partei, keine Initiative, kein Verein, keine
Firma, die etwas auf sich halten, können heute noch auf die eigenen
Webseiten verzichten. Dort gibt es dann ausführliche Informationen über
Inhalte, Produkte und Personen sowie Angebote zur Kontaktaufnahme.
Werbung im herkömmlichen Sinn mit kurzen Losungen und Bildern ist dort
nicht typisch. Eher ist eine Verwandtschaft mit Prospekten zu erkennen.

8. Ähnliches gilt für den E-Mail-Verkehr und seine Nutzung für
Petitionen oder mit Kritik an überwiegend politischen Verhältnissen
verbundenen Aufrufen zu Demonstrationen. Ist man erst einmal in den
einschlägigen Netzen wie z.B. Change.org oder campact oder SumOfUs
bekannt, bekommt man fast jeden Tag eine Aufforderung, eine Petition zu
unterschreiben. Die Textsorte Petition hat dadurch neue Impulse und
professionellen Einfluss auf ihre sprachliche Gestaltung gewonnen.
Petitionen und Aufrufe haben ihre Reichweite um ein Vielfaches
vergrößert.

Privatpersonen präsentieren sich ähnlich wie in 7. und 8. in ihren
Blogs.

9. Eine Besonderheit gibt es bei e-mails: die Aufforderung vor dem Text,
den man schreibt, ein Betreff einzugeben. Das zwingt zur Konzentration
auf den inhaltlichen Kern oder zur Preisgabe der Absicht. (Vgl. Crystal,
S. 95) Das steuert die Aufmerksamkeit des Empfängers und beeinflusst
sehr zeitig die Entscheidung, ob man den nachfolgenden Text überhaupt
liest und wie man damit umgeht. (Ebenda, S. 97)

10. Was Zeitungen betrifft, hat die Digitalisierung noch weitere Folgen:
Eine Untersuchung in den USA (vgl. mdr-aktuell vorige Woche) hat
hervorgebracht, dass die Auflagen der gedruckten Zeitungen radikal
sinken. Zeitungen, die früher eine Auflage von täglich um die zwei
Millionen hatten, sind auf 200.000 gesunken. Dafür gibt es heute
online-Ausgaben. Alles hat zur Folge, dass in den Printausgaben kaum
noch aktuelle Nachrichten erscheinen. Es wird umgestiegen auf
schöngeistige, auf unterhaltsame Texte, auf Ratgeber und Ähnliches. Die
digitale Ausgabe bedient das Aktuelle. Weil es aber um Schnelligkeit
geht, sind kaum noch tiefergehende Recherchen möglich. Das Geschäft
braucht die schnelle Nachricht, auch wenn sie nicht ausreichend
gesichert und sehr oberflächlich ist. Das Ganze betrifft aber nicht die
Sprache selbst, wohl aber die "Fundstellen" für Textsorten und damit
auch die wechselnden Zielgruppen für Print- und online-Ausgaben einer
Zeitung.

Neuerdings, mit Lobin habe ich eingangs darauf hingewiesen, gibt es
Computer, die sich dialogisch verhalten können. Diese Dialogfähigkeit
verblüfft zwar, ist aber nicht grenzenlos wie bei Menschen, sondern
immer noch abhängig von der Programmierung. Vor allem in der Werbung
entfalten aber solche "digitalen Fähigkeiten" ihren Wert bei der
Beantwortung von Kundenfragen.

Vorige Woche wurde ich beim Versuch einer Störungsmeldung bei Telekom
von einer menschlichen Stimme abgefragt und musste sprechend antworten.
Es funktionierte einwandfrei. Als mir aber beim Hinweis, dass ich mit
etwa 60 Minuten Wartezeit rechnen müsste, ein "ach du Scheisse" entfuhr,
gab es keine Reaktion, und es gab auch keine Möglichkeit mit der
offensichtlich bedingt dialogfähigen Maschine in ein Gespräch über die
unzumutbare Wartezeit überzugehen.

Wir alle nutzen im Auto die sogenannten Navis. Eine wunderbare Hilfe zur
Orientierung und Zielführung. Die Informationen, die das Navi gibt, sind
sprechsprachlich. Ein Dialog ist aber nur im weitesten Sinn möglich über
die Pfade der Kommunikation, die das Navi bereit hält. Es gibt
vorgesehene "Fragen", die man anklicken oder ebenfalls sprechsprachlich
eingeben kann. Darauf gibt es dann "programmgemäße" Antworten.
Allerdings sind beim Navi eine Reihe von Computern miteinander vernetzt,
die untereinander kommunizieren.

Da ein Großteil unseres Bewusstseins mit Sprache verbunden und im Gehirn
in dieser Verbindung gespeichert ist, setzte die identische Kopie von
Sprach- und Sprechfähigkeit auf einem Computer eine derzeit
unerreichbare Speicherfähigkeit voraus. Die vollständige Kopie eines
einzelnen menschlichen Gehirns bräuchte einen Speicherplatz von einem
Zettabyte, was der heute weltweit insgesamt gespeicherten
Informationsmenge entspricht. (Vgl. Martin Koch, Bewusstsein ohne
Gehirn. In nd, 15./16.September 2018, S. 25) Ein Zettabyte ist eine
Maßeinheit für Speicherkapazität und steht für 10 hoch 21 Bytes. Das sind
Sextillionen Bytes oder in Zahlen eine Eins mit 21 Nullen.
(1.000.000.000.000.000.000.000)

Dennoch: Menschen schrecken vor nichts zurück und ich komme am Schluss
meiner Ausführungen zu

3. Zusammenhänge zwischen literarischen Kunstwerken, also dem, was
manche Schöne Literatur nennen, und der Digitalisierung.

Man könnte sich dabei schon ziemlich lange aufhalten. Schöne Literatur
ist ein besonderer Umgang mit Sprache und warum sollte die
Digitalisierung davor Halt machen? Ich möchte nur aufzählend,
unterschiedliche Möglichkeiten dafür nennen.

Erstens wäre Literatur zu nennen, in der die Auswirkungen von
Digitalisierung, tatsächliche und noch fiktive verarbeitet werden. Da
gibt es fast schon unendlich viele Science-Ficton Romane sehr
unterschiedlicher literarischer Qualität. Vielleicht bekanntestes, aber
schon leicht veraltetes Muster: Perry Rhodan als unendliche Geschichte
in kleinen Heftchen und Büchern sowie Raumschiff Enterprise als
Fernsehserie.

In solchen Romanen und Serien tobt sich alles aus, was mit Computern,
automatisierten Waffen, Robotern und Künstlicher Intelligenz auch nur
ausdenkbar scheint. Sie haben mittlerweile Kultstatus, was genau den
beabsichtigten kommerziellen Erfolg sichert.

Man kann jedoch auch andere einschlägige Literatur mit durchaus
gesellschaftskritischem Anspruch finden. Hier sei exemplarisch genannte:

Marc-Uwe Kling, Qualityland, Berlin 2017.

Das ist ein Roman, klassisch erzählend und in zwei Versionen durchsetzt
mit fiktiv-journalistischen Texten, in dem leibhaftige Menschen und
leibhaftige Roboter um politische Macht konkurrieren. Menschen werden
von Computern in Kasten eingeteilt, je nach ihrer Leistungsfähigkeit und
nach ihrem Wert für die Gesellschaft. Sie sind damit einem allmächtigen
Algorithmus ausgesetzt, der sie mit jenen Dingen versorgt, die ihnen je
nach Kaste zukommen und von ihnen auch gewünscht werden, bevor sie diese
überhaupt denken und sich vorstellen können. Der Roman ist eine
bedrückende Vision einer nahen, "durchdigitalisierten und
-ökonomisierten Welt, in der Androiden den Menschen die Arbeitsplätze
wegnehmen und eine, in der es keine Zufälle mehr gibt, … Protagonist
Peter lebt in Qualityland, einer geschichtsvergessenen Version
Deutschlands, wo "Hitler – das Musical" aufgeführt wird, rassistische
Parteien auf dem Vormarsch sind und das Einkommen darüber bestimmt,
welche ärztliche Versorgung einem zusteht. (spiegel.de)

Zweitens kennen wir alle die E-Books. Diese ermöglichen immerhin eine
ganze Bibliothek auf Reisen mitzunehmen, ohne das Gewicht des
Reisegepäcks in relevanter Weise zu steigern. Ich will nicht
kulturpessimistisch auftreten, schade wäre aber doch, wenn durch E-Books
das bisher gewohnte Buch als Gemeinschaftskunstwerk von Literatur,
Buchdruck und Buchbindekunst ganz verloren ginge. Was wäre ein
gemütlicher Wohnraum ohne Bücherwand oder diese gar durch eine Tapete
ersetzt. IKEA hat das Billy-Regal bereits wegen Mangels von Büchern
eingestellt.

Scheint aber doch nicht so schlimm zu sein. Erst letzten Sonntag (7.10.
2018) war in Bild am Sonntag auf Seite 33 zu lesen, dass laut Bitkom Research 80%
der Bundesbürger zumindest noch gelegentlich in Büchern stöbern. Die
Buchhandlungen sind ja auch voll von gedrucktem und gebundenem
Lesestoff. Nur 25% lesen auch mit Hilfe elektronischer Geräte. Die
Buchbörsen in Frankfurt am Main und Leipzig florieren. Ein Paradoxon
besteht: die Leserzahlen sinken, mehr Bücher kommen auf den Markt.

E-Books ermöglichen aber auch noch etwas anderes, an das kaum wer denkt
– die Erfassung von Nutzerdaten. Dies kann das Schreiben beeinflussen.
Es entsteht "marktgerechte" Literatur, ausgerichtet an identifizierbaren
Nutzergruppen. —— eigentlich eine ebenfalls kulturpessimistische
Vorstellung für literarisch-künstlerisch interessierte Leserinnen und
Leser – eine hoffnungsvolle Vision für Verlage und Buchhändler.

Da muss man sich wohl wehren

Ich komme zu Drittens. Dazu lese ich zunächst ein Gedicht vor:

"drumherum"

"um alle themen herum
um bäume im feld herum
um chemnitz herum
um deutschland und bayern herum
um europa herum"

Der Autor ist Hannes Bajohr, Autor und Sprachphilosoph. Er nennt den
Ausgangspunkt für solch ein literarisches Produkt, "Sprechen mit
Maschinen". Bajohr hat die Bundestags- und Bundesratsprotokolle von zehn
Jahren digital nach der Phrase "um … herum" durchforstet, manuell und
nach eigener Zielstellung welche ausgewählt und alphabetisch geordnet.
Er ist Autor, freilich auch der Computer ist es. (vgl. Hannes Bajohr,
Halbzeug.Textverarbeitung, Berlin 2018)

Ähnliches passiert, wenn Wortdateien, Tagebücher, Notizbücher und die
Werke von Autoren durchforstet werden, um daraus ein nie stattgefundenes
Interview mit dem Autor oder der Autorin zu schaffen. (vgl. Clemens
Setz, Bot. Gespräche ohne Autor, Berlin 2018)

Am 9.10.2018 berichtete mdr-aktuell anlässlich der Buchmesseeröffnung
in Frankfurt am Main von einem Verlag, der Software zur Beurteilung von
Romanmanuskripten verwendet. Die Basis dafür ist ein großer Bestand von
Sätzen, die für ihre Tauglichkeit in Romanen mit + / – / 0 markiert
sind, und deren Auftauchen in den eingesandten Manuskripten per Computer
kontrolliert wird. Die Sache ist höchst problematisch. Sie beurteilt
Romane nach der Vorhersagbarkeit von Wiederholungen. Vorhersagbarkeit
ist jedoch ein Kriterium von Kitsch.

Es gibt "Twitter Fiction Festivals". Da treffen sich Schreibwütige und
professionelle Schriftsteller und Schriftstellerinnen, die ihre Ideen
austauschen; in Form von peu á peu übermittelten twitters, verknüpft mit
Zitaten und Zwischenbemerkungen.

Am 8.10. 2018 berichtete Brisant über eine Veranstaltung in Hamburg, wo
Schauspielerinnen und Schauspieler 32 Minuten lang Hassposts an
Politiker und Politikerinnen verlasen. Der Hass wurde durch die
Verfremdung des Verlesens noch sehr viel deutlicher.

So wird in experimenteller Versuchsanordnung Literatur geschaffen, die
sehr viel über ihre Gegenwart erzählt. Das Internet ist Quelle und die
Programme sind Instrumente des Schreibens. (Vgl. ausführlich Jonas
Engelmann, das Verdauen von Textbergen. Über Literatur im Angesicht von
Internet und künstlicher Intelligenz. In: Neues Deutschland, 22./23.
September 2018, S. 23).

Viertens muss man noch erwähnen, dass literarische Experimente wie der
Dadaismus, die konkrete Poesie oder die Oulipo Literatur (L' Ouvoir de
Littérature Potentielle/Werkstatt für potentielle Literatur), die schon
vor der Nutzung des Computers entstanden sind, großen Nutzen für sich
aus der Computertechnik ziehen konnten. Dadaismus und Konkrete Poesie
leben von der Umsetzung der lautlichen Eigenschaften von Sprache und in
ihr aufgegriffenen Themen in das Artifizielle. Da kann der Computer mit
seinem Zugriff auf Aussprachebeispiele im Standard und in den Dialekten
sehr hilfreich sein.

Man kann sich heute kaum noch vorstellen, wie der französische Autor
Georges Perec, ohne Hilfe eines Computers 1969 seinen leipogrammatischen
Roman La Disparition geschrieben hat, der auf seinen knapp 400 Seiten
ohne ein einziges Wort mit dem Buchstaben "e" auskommt. Noch
abenteuerlicher erscheint, dass Eugen Helmlé 1986 die Übersetzung ins
Deutsche offensichtlich auch ohne ein Wort mit "e" schaffte.
In den eigenen Werken, Im Nachtzug nach Lyon, Berlin 1993, und Knall und
Fall in Lyon, Berlin 1995, gelang ihm der Verzicht auf die Buchstaben
"r" und "e".

Leipogrammatische Literatur ist eben diese Literatur, in der Buchstaben
vermieden werden, sie hat eine lange Tradition. Z.B. die Ilias des
Nestor von Laranda aus dem 2. Jhdt. nach Chr.), in der in jedem Gesang
auf einen Buchstaben verzichtet wird.

Eines will ich aber noch deutlich sagen: Haben sie keine Angst vor
sprachlichen Neuerungen. Sie gehören untrennbar zur Sprache, sonst würde
sie nicht funktionieren. Untrennbar gehört zur Sprache aber auch das
Tradierte. Sprache verträgt keine plötzlichen Brüche und sie lässt auch
keine zu, weil die Sprachgemeinschaft zwar in Gruppen mit ihren
Soziolekten und Dialekten aufgespalten ist, was immer wieder zu
Verständnisschwierigkeiten bis zum Nicht-Verstehen führen kann.
Insgesamt funktioniert die Sprachgemeinschaft jedoch ebenso als Ganzes
die das Neue oder Andere immer wieder ihrem System anpasst, sich gefügig
macht. Natürlich ist dabei Sprachkritik ein permanent wichtiger Faktor –
allerdings sine ira et studio. Nur so gelingt es, mit Sprache dem
Gestern, Heute und Morgen gleichzeitig gerecht zu werden.

Es gibt den Weltmädchentag. Man sollte schon darüber nachdenken, wie
groß die Aufregung über Versuche feministischen Genderns in der Sprache
ist, obwohl es eigentlich nur wenige Änderungen und meist sogar nur die
häufigere Nutzung vorhandener sprachlicher Möglichkeiten betrifft. Im
Vergleich dazu richtet die Digitalisierung unendlich mehr Neuerungen an.
Man lernt sie brav und fragt nur zaghaft, ob sie denn unsere Sprache
verändern würden. Zugleich pflegt man aber das Stereotyp, dass Mädchen
und Frauen weniger gut mit der Digitalisierung zurecht kommen als Männer
und beschießt Frauen im Netz mit sexistischer Sprache

Veränderungen, durch die sprachlich Früheres unverständlich wird,
brauchen eine sehr lange Zeit und viele Generationen von Sprecherinnen
und Sprechern. Fach- und Sondersprachen muss man hinterfragen, wenn man
sie braucht, ansonsten kann man sie getrost den Fachleuten und
Sonderlingen überlassen. Je weniger man diese stört, desto weniger
Einfluss werden sie auf die Sprache als Ganzes gewinnen. Hier hat
allerdings die Digitalisierung – wie erwähnt – eine Sonderstellung. Wir
brauchen sie, weil sie in alle Lebensbereiche eindringt. Das geht jedoch
so schnell, dass wir sie im Alltag nur schwer sprachlich gefügig machen
können.

Bleiben wir ruhig, aber nicht sorglos. Dazu noch zwei Zitate:

"Die zunehmende digitale Kommunikation hat positive Einflüsse auf die
deutsche Sprache. Dies zeigt eine im Auftrag des Wissenschaftsjahres
2014 – Die digitale Gesellschaft durchgeführten repräsentativen
Expertenumfrage unter Sprachwissenschaftlern. Insbesondere der
Wortschatz werde durch die vermehrte Nutzung digitaler Medien reicher,
meint die Mehrheit der 100 befragten Linguisten (44%)."
(wissenschaftsjahr.de) und

"Fazit ist: Derzeit ist die deutsche Sprache entgegen aller Unkenrufe
nicht in Gefahr. Auch im digitalen Raum und im Umgang mit der
Technologie wird sie derzeit noch nicht vom Englischen verdrängt. Aber
das kann sich sehr schnell ändern, wenn die Technologie in Kürze die
menschliche Sprache beherrscht. Durch Fortschritte in der automatischen
Übersetzung wird die Sprachtechnologie zur Überwindung der
Sprachbarrieren beitragen, aber sie wird nur diejenigen Sprachen
verbinden, die in der digitalen Welt überlebt haben. Wo sie vorhanden
ist, kann die Sprachtechnologie auch kleineren Sprachen den
Weiterbestand sichern – wo sie fehlt, kann selbst eine große Sprache
unter Druck geraten." (meta-net.eu) Das galt/gilt aber genauso für die
Verschriftlichung von Sprachen

Dabei will ich es jetzt bewenden lassen. Danke für Ihre Aufmerksamkeit
und ich habe hoffentlich noch genug Zeit für die Diskussion gerettet.

> Siehe auch den Beitrag von [Hermann Maurer|Wissenssammlungen/Essays/Kulturwandel_durch_Technik/Sprachänderungen]

[{Metadata Suchbegriff='Sprache, Sprachwandel'}]
















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