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Der hässliche Wiener Alltag#

Die Sammlung Essl zeigt Arbeiten des Realisten Wolfgang Herzig zu seinem 70er.#


Von der Zeitschrift Wiener Zeitung (Mittwoch, 8. Juni 2011) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Brigitte Borchhardt-Birbaumer


Attersee, Saftwinkel
Das Wiener Badevolk sieht sich nicht gern realistisch getroffen: Ein ähnliches Bild wie dieses ("Badende", 1973, Öl auf Leinwand) gefiel dem Auftraggeber, einem öffentlichen Bad, nicht.
Foto: © Sammlung Essl Privatstiftung

Vier zweifelhafte, fleischlich üppige Damen in Unterwäsche und Pelz blicken uns aus einer Praterschaukel an. Harmonische Komposition trifft sich mit einem gnadenlosen Blick auf ein hässliches Menschenbild des Wiener Alltags. "Die Schaukel" von 1972 war der erste Ankauf für die Sammlung Essl bei Maler Wolfgang Herzig. Die große Fassung der "Badenden" von 1973 war für ein öffentliches Schwimmbad bestimmt; doch die Wiener waren offenbar zu gut getroffen: Das Bild wurde abgelehnt und steht heute im Kunstdepot der Stadt.

Ein kritischer, zuweilen "sarkastischer Realist" – so Entdecker Otto Breicha – blickt zurück bis zu seinen Anfängen in den 60er Jahren. Die chronologische Schau "Wolfgang Herzig. Ein Realist wird 70" ist das Geburtstagsgeschenk des Sammlerpaars an einen Unangepassten.

1968 traten Herzig und seine Kollegen der Gruppe "Wirklichkeiten" mit einem Knalleffekt in der Secession auf – die Ausstellung zeigte den Protest der jungen "Handke-Generation" gegen die festgefahrenen Positionen in der Wiener Kunstszene zwischen den Abstrakten der Galerie nächst St. Stephan und der Wiener Schule des fantastischen Realismus. Eigentlich waren die "Wirklichkeiten", Martha Jungwirth, Franz Ringel, Peter Pongratz, Kurt Kocherscheidt und eben Herzig, Österreichs erste "Neue Wilde", mehr als ein Jahrzehnt vor den so Genannten.

Die bissigen Jungspunde wurden massiv angegriffen#

Von einer damals noch vorhandenen "Liga gegen entartete Kunst" wurden die bissigen Jungspunde, die wie Herzig von der Grazer Kunstschule auf die Wiener Akademie kamen, wie von konservativen Kritikern massiv angegriffen. Diese Atmosphäre zwischen erster großer Aufmerksamkeit und Ablehnung vermögen die Gemälde heute noch gut zu vermitteln.

Auf der einen Seite widmete sich Herzig seiner Wiener Umgebung mit bösen Porträts einer sogenannten "besseren Gesellschaft", auch Pfarrern, Museumsdirektoren wie Alfred Schmeller, Köchinnen und Kellnern. Dazu kommt die Dokumentation einer lähmenden Langeweile bis hin zur Depression, die eine langsam überalterte Wohlstandsgesellschaft befällt. Bekannt auch die Wiener Typen aus den heute vergessenen Cafés Girardi und Diglas. Die andere Seite ist die des politisch wachen Beobachters von Diktaturen in Europa und Lateinamerika um 1970, wobei auch die Gedichte eines Federico Garcia Lorca und von H. C. Artmann Anregung gaben.

Herzig selbst kann mit seinen wütenden Frühwerken wenig anfangen – zwischendurch wollte er sie vernichten. Mörderfrauen wie die biblische Judith, von der er 1968 auch eine Figur aus bemaltem Ton erstellte, mögen zwar auf Sigmund Freuds Kastrationsängste anspielen, vor allem aber zeigen sie nach wie vor aktuell Masochismus und Perversionen, die aus dem Unterdrücken von Sexualität resultieren.

Oft outen sich Betrachter vor Herzigs Gemälden schnell selbst als Voyeure, was seltener gesehen wird, ist sein großes kunsthistorisches Wissen und die genaue Maltechnik, die er mit immer komplizierter werdender Formgebung kombiniert – so im Kippeffekt seiner "Allegorie der Malerei" von 2001. Eine alternde Frida Kahlo im Rollstuhl droht aus dem Bild zu fallen. Dabei lüftet sie ihre Maske und hat den Affen als Symbol der Natur hinter sich. Kunst als Affe der Natur vertieft als Kritik der Antike am naturalistischen Künstler den ironischen Ansatz.

Ein schonungsloser Ansatz in seinem Realismus#

Herzig, damit auch ein Postmoderner, war bis vor wenigen Jahren leidenschaftlich engagierter Malereiprofessor an der Angewandten, deshalb gibt es weniger Werke als von anderen, etwa 30 aus verschiedenen Privatsammlungen und Museen werden in drei Sälen präsentiert und mit gegenstandslosen Gemälden aus der Sammlung von Hans Bischoffshausen bis Hubert Scheibl in zwei weiteren Räumen konfrontiert. Der Gegensatz ist zwar abrupt, aber er unterstreicht den schonungslosen Ansatz in Herzigs Realismus. Mit den geometrischen Positionen verbindet ihn dabei freilich mehr als mit Farbschichtungen.

Wiener Zeitung, Mittwoch, 8. Juni 2011