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Unbewusstes Verständnis moderner Kunst -#

Wilfried Daim zu Schlemmers "Tischgesellschaft"

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Oskar Schlemmer Tischgesellschaft
Oskar Schlemmer - Tischgesellschaft. Quelle: Wissenschaft und Weltbild 4/1951

  • Das Problem
Die Problemstellung vorliegender Arbeit entsprang folgender vorwissenschaftlichen Erfahrung: Wer moderne Kunst mit vorgefassten Vorurteilen betrachtet, gewinnt keinen Zugang zu ihr. Wenn es nun im einzelnen Fall gelingt, diese Vorurteile wegzuräumen, dann erhält man die Möglichkeit, ein Verständnis zu erzielen. Menschen, die sich zunächst völlig ablehnend verhalten, vermögen unter Umständen sehr rasch einen Zugang zum Verständnis zu gewinnen. Dies zeigt aber, dass die Möglichkeit zum Verständnis bereits vorhanden war, dass sie aber latent und unbewusst blieb, und lenkt auf die Frage, ob es nicht möglich wäre, zu zeigen, dass das unbewusste Verständnis moderner Kunst doch viel weiter reiche als das bewusste.
Wenn die Möglichkeit des Verständnisses im Unbewussten bei weit mehr Menschen vorhanden wäre, als davon wissen, ja wenn viele Menschen die moderne Kunst sowieso verstünden, aber eben bloß unbewusst, wenn es also ein unbewusstes Kunstverständnis gäbe, das weit verbreiteter ist als das bewusste, dann wäre doch eine Methode zu ersinnen, die den Nachweis dieses unbewussten Kunstverständnisses zu erbringen hätte.

Die Frage hat eine große Bedeutung im Hinblick auf die Kunsterziehung, auf die Kunstwissenschaft und auf die Psychologie. Sie setzt voraus, dass überhaupt etwas Vorstellbares da ist, also eine objektiv verständliche Aussage eines Künstlers in einem modernen Bild. Die Struktur des Problems wäre demnach so zu umreißen: Auf der einen Seite steht der Künstler mit seiner Aussage. Von ihm wurde ein subjektives Erleben objektiviert. Auf der anderen Seite steht der Empfänger, der das Kunstwerk zu verstehen hat. Das Kunstwerk wird damit wieder subjektiviert. Nun kommt es darauf an, dass der Betrachter auch wirklich das Gemeinte versteht. Dies ließe sich dann annehmen, wenn auch eine große Zahl anderer mit ihm in ihrem Verständnis übereinstimmen. Diese Konkordanz scheint nun überhaupt dadurch in Frage zu stehen, dass ja der größte Teil des Publikums sich ablehnend verhält und erklärt, die moderne Kunst sei eben unverständlich. Andererseits kommen jene, die vorgeben, sie zu verstehen — die meisten Kritiker —, häufig auch zu keinem übereinstimmenden Resultat.
Dies könnte bedeuten, dass das moderne Kunstwerk so vieldeutig ist, dass ihm keine objektiv verstehbare Aussage zugetraut werden darf. Dann wäre jede Deutung ebenso willkürlich, wie dies mit dem Gegenstand nicht genügend Vertraute von den Deutungen der Produktionen während der psychoanalytischen Behandlungen behaupten. Hier müssen wir wieder auf das Unbewusste zurückgreifen. Wenn es ein unbewusstes Kunstverständnis gibt, das verbaut sein kann, so kann das Verbauende eben auch Urteile verbiegen, so dass das Nichtübereinstimmen der Kunstkritiker im wesentlichen eben auch auf Vorurteile einzelner zurückginge. Wir können allerdings auch nicht wissen, wieweit auch das Unbewusste in seinem Urteil verbogen ist, doch der tiefenpsychologischen Erfahrung nach sind die tiefergelegenen Schichten objektiver als die höhergelegenen.
Wir betreten mit unserer Fragestellung ein ganz neues Gebiet. Gelingt uns der Einbruch, dann werden sich daraus eine Menge neuer Probleme ergeben. Und so ist es klar, dass wir ganz einfach beginnen müssen, die weiteren Schritte werden sich dann schon von selbst ergeben, wenn wir den ersten getan haben. So formulieren wir unser Problem zunächst so:
Gibt es ein unbewusstes Kunstverständnis?
Wenn ja, erstreckt sich dieses Kunstverständnis auch auf jene, die moderne Kunst ablehnen? Gibt man dies zu, wieweit stimmen dann die Ergebnisse dieses Verständnisses miteinander überein?
Als ersten Kronzeugen der Kunst der letzten Jahrzehnte haben wir das Bild „Tischgesellschaft" von Oskar Schlemmer gewählt. Wir hoffen, dass die Zugehörigkeit dieses Bildes zur Kunst der Moderne klar genug hervortritt.

Die Methode#

Wenn wir ein Problem des Unbewussten lösen wollen, dann stehen uns nur die tiefenpsychologischen Methoden zur Verfügung. Wir werden aber auch das unbewusste Kunstverständnis mit ihrer Hilfe bewältigen müssen. Es ist natürlich in diesem Zusammenhang nicht möglich, nochmals die anderenorts bereits ausführlich dargestellten tiefen psychologischen Methoden, wie Traum-, Phantasie- und Zeichnungsdeutung, vor Augen zu führen. Wir wollen uns nur mit dem Grundsätzlichen begnügen.
Die Tiefenpsychologie ließ bisher Produktionen des Unbewussten, so Träume, Phantasien, Zeichnungen, durch Einfälle zu diesen Produktionen in ihren unbewussten Hintergründen klären. Die Einfälle wurden jeweils von Produzenten dieser Bilder selbst beigestellt. Wenn ein Analysand einen Traum in die psychoanalytische Stunde bringt, dann wird er gebeten, Einfälle zu den Einzelheiten des Traumes zu geben. Dadurch wird klar, innerhalb welcher seelischen, subjektiven Erlebniskonstellationen jeweils ein Inhalt steht, der mit Einfällen belegt wird. Man erfährt dadurch, welche Erlebnisgruppen ein Inhalt repräsentiert, welche Erlebnisse anklingen, wenn der Inhalt im Bewusstsein ist, und schließlich auch, was dieser Inhalt für den Betreffenden für eine Bedeutung besitzt. Auf Grund der Bedeutungen der Einzelheiten einer Produktion können wir dann dadurch, dass wir sie in einer Ordnung zusammenfügen, die Gesamtbedeutung aller Produktionen erkennen. Auch diese Arbeit der Gesamtdeutung bleibt dem Analysanden überlassen. Auch die strukturellen Beziehungen der Inhalte müssen ihm einfallen.
Es wird also in der tiefenpsychologischen Methode ein unbewusstes Verständnis der eigenen Produktionen vorausgesetzt, das mit Hilfe der Einfallsketten zum Bewusstsein geweckt werden soll. Hier gehen wir einen Schritt weiter, und zwar einen sehr bedeutsamen. Wir erwarten ein unbewusstes Verständnis der Produktion einer fremden Person. Nicht die eigenen Zeichnungen sollen hier verstehend gedeutet werden, sondern die eines anderen. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als die fremde Produktion in der gleichen Weise zu behandeln wie die eigene. Wir werden also in der völlig gleichen Weise, wie wir an die Deutung einer Zeichnung in einem psychoanalytischen Prozess herangehen, auch hier vorgehen. Besteht ein unbewusstes Verständnis, so muss dieses Verständnis in den Einfällen und schließlich in einer abschließenden Gesamtdeutung zum Ausdruck kommen.
Der methodische Vorgang wäre also grundsätzlich der Folgende: Wir zeigen ein modernes Bild (es müsste natürlich auch mit einem Musikstück oder einer Plastik gehen) und bitten um Einfälle zu den Einzelheiten des Bildes. Schließlich bitten wir um eine Deutung der Beziehung der Einzelheiten des Bildes. Wir werden sehen, was dabei herauskommt.

In der Praxis sah unser Experiment folgendermaßen aus: 54 Mittelschülern einer siebenten und zweier achten Klassen wurde das obenstehende Bild mit Hilfe eines Episkops dargeboten. Den Versuchspersonen (Vpen.) war das Bild völlig unbekannt. Nun wurden die Vpen. gebeten, auf einem Zettel erstens das Alter, zweitens ein Kennwort zu schreiben. Der Name wurde nicht verlangt, da sonst die Einfallsproduktion gehemmt werden könnte. Der Versuchsleiter (Vl.) bat weiter darum, nun jeweils den angegebenen Einzelinhalt durch ein im Klammer geschriebenes Schlagwort zu kennzeichnen und daneben Einfälle zu schreiben, also etwa: (Tisch) Weltweite, Ferne; (Frau) Pagode, Steifheit.
Wir beschränkten uns aus Zeitgründen auf einige wenige Einzelinhalte und baten schließlich als Letztes um eine Deutung der Beziehung der Menschen auf dem Bild. Wenn kein Einfall kam, dann sollte statt des Einfalls ein Strich gemacht werden.

Zunächst war eher eine ablehnende Haltung zu dem Bild zu bemerken. Die Versuchspersonen begriffen rasch, worum es sich handelte, und lieferten ein formal tadelloses Material. Leider war das Episkop nicht so lichtstark, so dass die Figur links im Dunkeln nur von den am weitesten vorne Sitzenden gesehen wurde. Daher erklärt sich die geringe Zahl von Einfällen zu diesem Inhalt. Es wurden folgende Teilinhalte des Bildes zur Einfallsproduktion vorgegeben:
1. Mann (die Figur an der Rückseite des Tisches); 2. Hände des Mannes; 3. Gesicht des Mannes; 4. Tisch; 5. Vase; 6. Kind (Figur an der linken Tischseite); 7. Frau (Figur im Vordergrund); 8. Kellner (Figur links im Dunkeln); 9. Beziehungen der Personen zueinander.

Ergebnisse#

Wir geben nun die einzelnen Inhalte mit sämtlichen hierzu gegebenen Einfällen wieder. Es fehlen nur einige wenige Worte, die unleserlich waren. Wir haben die Einfälle lose gruppiert. Einzelne Versuchspersonen hatten öfter mehrere Einfälle zum gleichen Inhalt gebracht. Wir ordneten diese Einfälle in die jeweiligen Verwandtschaftsgruppen ein. Die Ordnung ist nur lose, weil mehrere Einteilungsprinzipien möglich wären, die aber im einzelnen alle nicht befriedigen würden.
Die Ziffern hinter einem einen Einfall bezeichnenden Wort beziehen sich auf die Häufigkeit, mit der dieses Wort vertreten ist.
Wir geben zunächst einfach die Inhalte, zu welchen Einfälle gebracht wurden, und dazu die Einfälle:

  • 1. Mann : Tod (4) — Schlachttier — Aussätziger — Wassersucht — Scherbengericht — kahl — Geist — Schlossgespenst — Geistergestalt — Spuk — Schattengespenst — Kirchhof — dünn, schwach — unwirklich — Mord — Graubart (Gelehrter) — Greis — sehr alt — Bart — Renner — Sarastro — Tolstoi — Tyrann (2) — Kapuzenmann (Heumarkt) — Ausdruck des Kämpfers — Hindenburg mit schwarzem Bart — Römer in der Toga — Aristokrat — Henker — Herkules — beherrscht, brutal — stark — Beduinenscheich — herrisch — Kollektivismus — zu aufrecht — Eckstein Wasserfloh im Mikroskop — altägyptischer Pavian (Gedärmgefäßkopf) — Eule (5) — Eule mit Krawatte — Uhu — Kater (2) — Katze — Adler — Geier — Pavian mit weißen Haaren — bösartiger Pavian — Pinguin — Hase in Röntgenbeleuchtung Homunkulus — Glasmodell eines Menschen — durchsichtig (3) — Schiene — Aufhebung der Schwerkraft — Röntgen-bild (2) — Mercedesstern — Brille Arzt — Gelehrter — Philosophieprofessor Er ist von den anderen sehr weit entfernt — Warum sitzt er so weit weg ? Licht, Schatten — hell, dunkel — dumm, unschön — Chinese — Statue — Flucht-punkt — Vase (3) — Henkel — Prälude f-moll Chopin — aufspringender Zwiebel zart, er könnte niemandem etwas Schlechtes tun — kein Mann — unbedeutend im Hintergrund.
  • 2. Hände des Mannes: Säbel — Dolche — gefahrdrohende Dolche — Er will sein Gegenüber gleichsam mit Schwertern durchbohren — Gewehr — Messer — wie zwei drohende Pistolen — Prügel — Heugabeln — Abwehrmittel — stur — finster — Operation — 2 Ärzte — Pest — Mord — Krieg — spitzige Nadeln — Krallen — linienförmige Krallen Schienen (3) — Eisenbahngeleise — parallel — Mathematik — Prothese des Hauptdarstellers „Die schönsten Jahre unseres Lebens“ — „eindimensional" — Satzanalyse — Holzstücke, unnatürlich — 2 Tintenstriche — Strahl — Schatten — Besenstiel — Zahnstocher — Zweige — Zündhölzer — Stockerl — Ski — Kochlöffel Flossen eines Pinguins — känguruhähnlich — Vogel auf einem Sprießerl — Taubenbeine — Käferfüße — Pfoten — 2 Stöcke in einem Tier — fleischlose Nichtwirklichkeit — dürr — hilflos, keine Finger — dekadent, verkrampft, gespreizte Finger — suchend, nach etwas sich sehnend — warum unschön? — Tisch — Wurzeln — morsche Gebeine — Ofenrohre — ägyptische Statue.
  • 3. Gesicht des Mannes: Eule (2) — Uhu (2) — Beißwerkzeuge eines Blutegels — Äste — Bock olitiker — „Steife Brust" — streng blickend — eisige Kälte — flach — starrer Ausdruck — streng, verbissen — Totschläger — schwarze Seele — Mond mit Schnauze — finster, drohend — kohlschwarzes Gewächs — robuster Ausdruck — hässlich (2) — sehr bedenklich — Gerippe — Larve — „Perücke“ — Nebel — nicht genau im Detail erkennbar — unbeschreibliches Etwas - Propeller — Flugzeugführer — Y, ob die mathematische Schularbeit gut ausgefallen ist — Y, Krawattenknopf — wie ein Röntgenbild — das im Gesicht auftretende Zeichen Y Bart (2) — Ei — Serviette — Höhle — Dreifuß — Regen — begehrerisch — ein Plakat in einer Drogerie — Zeichen vom Liesinger Bier.
  • 4. Tisch : Leer (2) — windig (2) — kalt (5) — Kalte menschliche Beziehung wortlos — kahl (5) — ungemütlich — weiß — weiße Platte — rein — Eislaufplatz (2) — Eislaufplatz mit einem Eisläufer — Eisfläche — Schneefläche — schneebedeckt Flugplatz — Rollbahn — Rollbahn eines Flugplatzes — große Fläche — Weite — weite ebene Fläche — Weltweite — unendliche Ebene, von allen verlassen — Ferne — lange Ebene — Rasen — Ebene leer — Wüste — Öde — Loch — großes Leintuch — Pflaster — Straße in der Perspektive — Perspektive — Tischtennis, Pingpong (7) Darstellende Geometrie — Trapez (2)Boden einer
Höhle - Verfassung — Verhandlungspartner — getrennte Personen (durch schiefe Ebene) — weite Entfernung zwischen Mann und Frau, äußerlich, alles verhält sich zwischen ihnen nur flach — allen gemeinsamer Halt — Konferenz — Lehrerkonferenz — ein fast leerer Konferenztisch, an dem noch einige der Verhandelnden sitzen, ohne sich einigen zu können — Ehekrach — Feindlichkeit — Gefahr — schwebend — Sarg mit weißem Tuch überdeckt — macht die Menschen zu nebensächlichen Dingen, trennt die Familie — „Abendmahl" — gespenstisch — Bett — Schmalhans Küchenmeister — für meine Wohnung wäre er unmöglich.
  • 5. Vase: Nichts — verloren im Nichts — einsam (2) — Einsamkeit (3) — verschwindet auf der großen Fläche des Tisches — allein — verlassen (2) — Verlassenheit — Verlassensein — verlorenes Etwas — Felsblock in der Wüste — die Welt und ich — als einziges auf dem Tisch — der Mensch in der Fremde — Punkt auf großer Fläche — Punkt — Fragezeichen Jugenderlebnis: eine zerbrochene Vase — hat keinen Henkel und ist außerdem schwer zu erreichen — zusammengeschrumpftes Etwas, eingetrocknet — Brunnen, Wasser — Kühlung — Duft keine Blumen — ohne Blumen — Blumen Höhenmessung auf dem Mond —— Götz, den Blick hingerichtet — Zentrum — Bildmittelpunkt Tintenglas (7) - Mutter — Keramik — Spucknapf — Tischgefäß sehr klein — aufnahmefähig — moderne Tasche — Tabak — Tabaksbeutel, wem gehört er, Geist kann nicht rauchen — Chinaporzellan — Rotationsparaboloid + Rotationshyperboloid — sehr plump wie eine Ananas (Südfrucht) — unsymmetrisch gegenüber dem Tisch — tanzende Figur — hässlich.
  • 6. Kind: Passiv — spricht nichts — starrer Ausdruck — bewegungslos — alt (2) — nicht frisch — sittsam — geduldig — düstere Jugend — Nüchternheit — einsam — traurig — krank — folgsames Kind — Außenseiter — arm — zerrissen — Opfer — Heimkehrer — Hunger — Gefangener — Genickschuss Aussatz, Gesicht zerfressen und aufgedunsen — Idiot — Gesundheit, Irrer — dumm, Wasserkopf — wie ein Embryo verunstaltet — buckliger Kambambuli — Krüppel, schlecht entwickelt — ob mein Kind auch so aussehen wird? — könnte einem Schneemann gleichen Kobold — Teufel — Geschöpf der Hölle — Katze — kleiner Teufel aus Wilhelm Busch — Steingötz näher der Mutter — scheut den Mann, sitzt näher zur Frau Mutter — Vermittler zwischen den anderen beiden Personen — Großmutter — mächtiger als Mann- Bauernmädchen — Kugeln aufeinandergestellt — berühmter Musiker — klein — Neger — krumme Linie — Rucksack — relativ normal — Geometrie.
  • 7. Frau: Pedant — pedantisch — Galgen — Tyrannin — Teufels Großmutter — Brillenschlange — eckig (2) — unfraulich — steinerne Sphinx — monumental — streng — Grauen — Herrin — beherrschend — böse — Keule — Keulenkopf — gebieterisch — düstere geheimnisvolle Figur — götzenhafter Körper wie aus Stein — maschinenhaft — geziert — Zopf — Pagode (Kopf wie Wassertropfen) — Löwe — Statur — stur, vor ihr ein Galgen — gute Haltung wie ein Scheinwerfer,das Zimmer beleuchtend Retorte — Schneiderpuppe (2) — Kleiderständer — Schneider — Kubismus — Menschen aus der Retorte: Homunkulus — Flaschenkopf — flaschenförmiger Kopf — Kegel — Wie eine Stehlampe mit großer Birne, davor eine Zeichnung — Gummiball eines Zerstäubers Geometrie — Glühbirne —
Boxbirne — Kopf wie Luftballon — Freiballon — Hebelkopf leitet alles — Formeisen wie Fagott — lesende Birne — Marionettenfigur — Holz mit Birne — Kopf wie Abstaubbesen — Schatten (2) angespannteste ängstliche Sorge — aufrecht, aber alles dürfte nur an einem Faden hängen — will sich verständigen und ist aufgeregt wegen Beschuldigung — kranker Mensch — Verfolgung — Peinigung — alte Jungfer, sehr pedantisch Mädchenbuch — Buch (4) — Schrift — Brett — Goethe — Atem — Mutter — schöne Gestalt — lesende Frau mit Gilet — Engelchen, wo warst du? — hübsche Figur wie aus Holz — steif und vasenförmiger Kopf — schlank, hübsch — Theater — hilfsbereit — liest ein Buch, Unsitte auch von mir — Last oder Bibel — Kopf gebärend — fad — Knospe — Chinese.
  • 8. Kellner: : Abgesandter der Hölle — Versuchung des Bösen — schwarz — Dämon — Hinterhalt — schwarzes Katzenfell — Herzlosigkeit — Gefahr — drohender Tod aus dem Hintergrund — düstere geheimnisvolle Figur — gespenstisch
— leitender Geist des Ganzen — Spukgestalt von E. A. Poe. — geisterhaft und beschwörend — Geist, Hamlet — Hausgeist — graue Majestät — dritter Mann — Geliebter meiner Frau — Wesen, von dem man nichts weiß — Hurtebrie im Orpheus — Nylon — Nichts — armselig — weißer Fleck in Mauer — Scheinwerfer — Strahl eines Scheinwerfers — Schatten, Licht des Lebens — Diener.
  • 9. Beziehung: Eisige starre Kälte — feindlich wegen des langen Tisches -verwandt, doch fremd; — Vorhang vor der Seele; Ernst des Lebens — durch Unheil zerrüttet — kalt und steif — gehemmt — feindselig, gespannt, ausweglos
— nicht die Beste, Streit — streng, ohne Gefühl, fremd — getrennt, diskret, zu vornehm, naturwidrig — kalt, fad unerträglich — gegenseitiges Unverständnis, Nichtverstehen — sehr voneinander abgeschlossen und abgeschieden; in dieser Ehe herrscht kein Familienleben — englische Familie beim Essen, alles steif, ungemütlich, ekelhaft — Frau unsympathisch, schlangenhaft, kaltes Studium — strenge Zucht, aber schlechtes Familienleben — kaltes, gegeneinander abgeschlossenes Leben — kühle Beziehung zwischen den drei Personen — keine Harmonie im Falle einer Familie vorhanden. Fast durchwegs abstoßende und dunkle Charaktere — eisiges Theaterspiel — altadelige Familie — keine, schlechte — leben aneinander vorbei, nichts herzliches, kalt, steif — nicht sehr friedlich, ein Schaltraum in einem E-Werk — im Streit, weil jeder in anderer Ecke sitzt — Verschlossenheit, Kind mit Mutter in näherer Beziehung als zum Vater — fremd, fern, egoistisch, drei Individualitäten, Mann streng — kalt, entfernt — jeder allein, unmenschlich, alle auf einen Punkt, die Vase, hinsehend, suchend, Kreis — eckig, steif, kahl, öde, leer — geometrisch strenges Familienleben — Leben zwischen Himmel und Erde, Steifheit — Vater sehr streng, kein inniges Verhältnis, Kind hat Angst vorm Vater, steif, nicht herzlich — Mann ist Tyrann, Frau gekränkt, das Kind ist noch unvernünftig, schlechte Atmosphäre, kein Tischgespräch —• Rangord¬nung Frau — Kind — Mann, Kellner ist geistiges Oferhaupt des Ganzen — Großvater, Tochter, Adoptivkind — Symbol einer Steifheit in der Familie — Kind verbindender Faktor zwischen Mann und Frau, wenig herzlich — Knabe, da bei Mutter sitzt, Gattin mir entfremdet — ungemütliche Wohnung, steife Umgangsformen — schlecht, Film „Ihr Geburtstag", Kind Vermittler — sehr entfremdet, Kind mehr bei Frau, steht dieser näher — Familie am Tisch, doch voneinander abgeschlossen, vergebliche Annäherungsversuche — Zusammentreffen ohne Herzlichkeit — Kellner und Frau vertraut, Kind passt nicht herein — Vater, Mutter ziemlich gespannt, Vater starr, Mutter aufrecht, Kind ziemlich abweisend, der Kellner dürfte Schatten der Familie sein Mutter Kind näher, der Vater weit weg durch den Tisch (Ausdruck eines undefinierbaren Etwas) Familienatmosphäre — Kind und Frau Ehrfurcht vor dem Mann, schweigsame Gesellschaft — Vater, Tochter, Enkel — verbunden durch das Kind, Frau am wichtigsten — Glückliches Familienleben.

Betrachten wir nun die einzelnen Einfälle, dann können wir sehen, dass sowohl bei den Einfällen zu Einzelinhalten als bei denen zur Beziehung der Personen es eine sehr große Menge gibt, die gut zusammenpassen und offensichtlich auf einen gemeinsamen Punkt tendieren. Wenn wir etwa unter den Einfällen zum Mann lesen: Spukgestalt, Schlachttier, Tod, unwirklich, Mord, dann steht dahinter zweifellos ein ähnliches Erlebnis, das nur in verschiedenen Arten symbolisiert erscheint. Dieser gemeinte gemeinsame Punkt, auf den die Einfälle hinzielen, ist wohl der tatsächlich bestehende objektive Gehalt, der ein Erlebnis darstellt, das nun in verschiedener Weise symbolisiert erscheint. Die jeweilige Erlebnisweise ist der Anteil der Subjektivität in der Deutung. Doch er ist in diesem Rahmen ein sehr positiver Anteil.
Das Subjekt bereichert nämlich die Gesichtspunkte außerordentlich, die Vielfalt der Subjekte erkennt mehr, holt mehr von dem objektiv gegebenen Gehalt heraus. Solche Variabilität ist sehr wertvoll für die Erkenntnis. Auf diese Weise ist es möglich, durch die Vielfalt der Einfälle eine weit geschlossenere Deutung der Einzelheiten und des Gesamtbildes zu geben, als wenn wir nur die Einfälle eines einzelnen, etwa eines Kritikers, besäßen. Es wird uns dieser Versuch einer Gesamtdeutung im Verlaufe dieser Arbeit noch beschäftigen. Wenn wir einerseits Einfälle haben, wie Tod — Schlachttier — Aussätziger, dann aber auch: beherrscht — brutal — Beduinenscheich — Kollektivismus, dann lässt sich eine ganze Psychologie des Mannes daraus ableiten, eine reizvolle Aufgabe für Psychologen.
Auch werden sich manche Widersprüche als scheinbare heraussteilen. Wenn wir etwa Gegensätze wie Aristokrat und Kollektivismus haben, dann ist mit Aristokrat offensichtlich die Überspitzung der Form und ihre Erstarrung gemeint, mit Kollektivismus der totalitäre Despotismus. Nun diese Gegensätze können ohne Schwierigkeiten als zwei Seiten des gleichen Problems betrachtet werden. Die Einfälle steuern verschiedene Aspekte des gleichen Sachverhaltes an. Nun lassen sich die weitaus meisten Einfälle dermaßen in eine Struktur einfügen, die sich zu der objektiven Grundbedeutung zusammenfügt.

Wir können also als erstes feststellen, dass die weitaus meisten Einfälle auf einen wohl objektiv vorhandenen Bestand tendieren. Das subjektiv Eigenartige der Einfälle wirkt bereichernd auf das Gesamtbild. Dies zeigt schon, dass es tatsächlich ein unbewusstes Kunstverständnis gibt. Nun gibt es aber einzelne Einfälle, die zwar nicht gegen die konvergierende Tendenz auf einen objektiv bestehenden Gehalt hinweisen, jedoch auch nicht gegen sie sprechen. So etwa der Einfall Vase zu Mann, der wohl durch die Nachbarschaft auf dem Bild zustande kam. Diese Art von Einfällen ist sozusagen neutral. In einzelnen Fällen mag es sein, dass mit dem Einfall ein subjektives Erleben verbunden ist, das in die gleiche Richtung weist wie die Konvergenztendenzen. Man erinnere sich an die Einfälle zur „Vase", dann erhält etwa dieser Einfall zum „Mann" auch einen sehr guten Sinn. Doch dies lässt sich an Hand unseres Materials nicht beweisen. Daher müssen wir annehmen, dass der Gehalt des Bildes also auch unbewusst nicht verstanden wurde, sondern dass wir im Einfall eine reine Äußerung der Subjektivität der Versuchsperson vor uns haben, die nur in oberflächlichem Zusammenhang mit dem Bilde steht und nicht auf den eigentlichen Gehalt zielt.
Schließlich gibt es eine letzte, sehr kleine Gruppe von Einfällen, die dem eigentlichen Gehalt, wie er vom weitaus größeren Teil der Einfälle angedeutet wird, regelrecht widerspricht. Wenn etwa als Deutung der Beziehung der Menschen auf dem Bild ein einziges Mal geschrieben wird: „glückliches Familienleben", dann widerspricht diese Deutung, die sich eindeutig positiv über die Beziehung äußert, eklatant dem weitaus größten Teil der übrigen Urteile. Hier müssen wir annehmen, dass ebenfalls unbewusste Gegebenheiten ein Verständnis des Bildes regelrecht verhindern, dass also subjektive Gegebenheiten ein Verständnis der objektiven überwuchern. Es muss allerdings festgestellt werden, dass derartige wirkliche Widersprüche außerordentlich selten sind. Das unbewusste Verständnis der modernen Kunst ist, wie die vielen, miteinander übereinstimmenden Einfälle zeigen, weitaus verbreiteter als das bewusste.
Die Tatsache, dass beim ersten Experiment bei einigen wenigen sich ein geringeres Kunstverständnis zeigt, heißt natürlich nicht, dass es auch bei diesen wenigen nicht erweckbar wäre, wenn man die unbewussten Hemmungen und Verbiegungen wegräumen würde; eine schöne Aufgabe für die Kunsterziehung. Nunmehr können wir abschließend einen, natürlich wieder abstrahierenden Versuch einer Gesamtdeutung des Bildes anstellen auf Grund der gebotenen Einfälle, soweit sie sinnvoll auf einen Nenner zu bringen sind.

Der Mann ist demnach ein versteinerter, intellektualistischer, technisierter und formalistischer Tyrann, der aber zugleich das hilflose Opfer seiner eigenen Überspanntheit ist. Seine bewusste Natur ist aggressiv und brutal gegenüber den übrigen Personen und ist in keiner Weise bereit, das persönliche Eigenleben der anderen zu achten. Andererseits aber sehnt er sich hilflos nach Kontakt. Der ungeheuer groß, eisigkalt erscheinende Tisch ist ein Symbol der Trennung, die Vase ein Symbol der Einsamkeit und Verlassenheit, in die jeder der Gesellschaft isoliert ist. Es gibt hier keine Gesellschaft. Die Frau ist etwas weniger aggressiv, doch ebenso starr maschinenhaft, zu keinem lebendigen Kontakt fähig. Das Kind ist das Opfer der Spannungen, ohne selbst einen lebendigen Kontakt zu haben, wenn es auch mehr zur Mutter hindrängen mag. Seitlich im Dunkeln steht, die ganze Gesellschaft düster geheimnisvoll gefährdend, eine spukhafte Gestalt. Als Ganzes also ist das Bild ein erschütterndes Symbol moderner Erstarrung in intellektualistisch mechanischer Verstiegenheit, in selbstvergötzender Isolation, tyrannisch, doch hilflos in trostloser Einsamkeit.

Diese Aussage Schlemmers ist ebenso wahr wie notwendig zur Bewusstmachung eines Zustandes der Moderne. Diese Bewusstmachung ist die psychotherapeutische, erlösende Funktion einer Kunst, die das Negative zeigt, weil es wahr ist.

Zur Theorie#

Das Kunstwerk entsteht aus dem Künstler, wird von ihm objektiviert. Es kommt aus einem Erleben, das zumindest im Unbewussten wurzelt. Künstler können häufig ihre Werke nicht deuten, kennen ihre Bedeutungen nicht, sie müssten ihnen durch ihre eigenen Einfälle erst bewusst gemacht werden, wie die Träume in einem analytischen Prozess. Die unbewusst affektive Schicht des Seelenlebens strukturiert die in den bildhaften Schichten vorhandenen Bilder, um sie schließlich in bündiger Weise zu objektivieren. Dies ist ganz grob und vorsichtig gesagt. Darüber müssen noch sehr genaue Untersuchungen angestellt werden. Der Prozess des Kunstverständnisses dagegen nimmt den umgekehrten Weg. Die bildhaften Schichten werden angesprochen und erregen die dahinterliegenden affektiven Stellungnahmen. Führt sie der Prozess zum gleichen Erleben im Kunstverstehenden, dann ist die künstlerische Aussage verstanden worden. Sicherlich ist es nicht das völlig gleiche Erleben, vielmehr ist es mit dem Anklingen des gleichen Tones auf einem anderen Instrument vergleichbar. Die Einfälle zeigten ja, dass die echte Subjektivität, das heißt das individuell gefärbte Nacherleben imstande ist, eine besondere, objektiv vorhandene Seite des Gegenstandes herauszustellen. Erst die Gemeinschaft ist imstande, den ganzen Kosmos von Bedeutun¬gen in seiner Fülle auszusagen. So gesehen, bereichert das Individuelle in bedeutendem Maße.
Durch Vorurteile, ungerechtfertigte Forderungen der Subjektivität an das künstlerische Objekt, durch eine mangelnde Eröffnung dem Gegenstand gegenüber wird zunächst das bewusste Kunstverständnis wie alles echte Verständnis verhindert, weil sich das Subjekt verschließt, wodurch sowohl die Bereicherung des Subjekts als auch die Bereicherung der Sozietät durch die Aussage des Subjekts über das Kunstwerk unmöglich gemacht wird, also der lebendige, befruchtende Austausch. Die Spannung und Isolierung gegenüber dem Kunstwerk kann bei stärkerem Eingefahrensein und tiefgreifenden Verbiegungen der Persönlichkeit auch in stärkerem Maße das Unbewusste ergriffen haben, so dass nicht nur das bewusste, sondern auch, was allerdings seltener vorkommt, das unbewusste Kunstverständnis durch subjektive Sperrungen und Verschließungen gegenüber fremder Aussage überwuchern.
Gerade aber jenen, die sich so gegen die moderne Kunst sperren, die sich um eigener vergötzter Systeme willen diesen Aussagen völlig verschließen, gerade denen hat das Bild Schlemmers sehr viel zu sagen. Denn sie leben das, was Schlemmer zeigt, die Isolation und das verkrampfte Alleinsein gegenüber dem anderen. Sie sitzen am gleichen Tisch — um im Symbol zu bleiben — mit den Künstlern, doch der Tisch scheint so groß zu sein, dass man zum anderen nicht einmal mehr hinrufen kann. Gerade sie brauchen die psychotherapeutische Bewusstmachung ihrer Sperrungen durch Schlemmers „Tischgesellschaft" am meisten, ihnen hätte er vor allem etwas zu sagen.

Folgerungen und Problemeröffnungen#

Unsere bescheidene Arbeit kann vieles an Konsequenzen fordern:
  • 1. Haben wir der Kunstpsychologie endlich eine vernünftige Methode geboten, die es ermöglicht, an den tatsächlichen Gehalt künstlerischer Produktionen heranzukommen.
  • 2. Haben wir der Kunsterziehung ein Mittel in die Hand gegeben, das Kunstverständnis bei Lehrern (!!) und Schülern zu wecken.
  • 3. Haben wir der Tiefenpsychologie ein weites Gebiet menschlichen Seelenlebens eröffnet. Die ganze Kunst liegt vor uns wie ein weites braches Feld, eine ungeheure Arbeit wartet auf uns. Es kann in der gleichen Weise natürlich auch die alte Kunst behandelt werden. So etwa ein Dürer, der, selten verstanden, meist naturalistisch missverstanden wird.
  • 4. Die Methode ist auszudehnen auf Musik und Physiognomik und auf die gesamten Ausdruckswissenschaften. Große Einsichten können uns bevorstehen.
  • 5. Es bleibt uns der Vorgang des Unverständnisses, wie man es der modernen Kunst überhaupt entgegenbringt, noch im Detail zu untersuchen. Die subjektiven Überwucherungen echten Verstehens sind größerer Untersuchungen wert.
  • 6. Es ergibt sich nunmehr Gelegenheit für alle, die sich mit der tiefenpsychologischen Methode vertraut machen wollen, sie zu erproben, ohne dass sie eine Lehranalyse zu machen brauchen. Dieser Punkt ist geistespolitisch im Hinblick auf die Durchsetzung der tiefenpsychologischen Ergebnisse gegenüber der Engstirnigkeit und Verschlossenheit verschiedener Fachgenossen besonders bemerkenswert.

LIteratur#

Als Literatur können wir auf unsere „Umwertung der Psychoanalyse", Wien 1951, hinweisen, in der wir uns bemühten, die Methodenfrage besonders herauszuarbeiten. Dort befinden sich auch Hinweise auf die dazugehörige ältere und neuere Literatur. — Als das bedeutendste und richtunggebendste ältere Buch ist Freuds „Traumdeutung“ zu nennen und dazu noch die einschlägigen Werke C. G. Jungs.

Aus: Wissenschaft und Weltbild Heft 5/ Mai 1951, S. 152-161