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Kluge Köpfe und böse Herzen #

Wie wichtig ist der IQ-Quotient, um Reichtum oder Macht zu erlangen? Über Eliten, Moral und die vielen Dimensionen der Intelligenz. #


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: DIE FURCHE, 1. März 2018

Von

Peter Strasser


Illustration eines Gehirns
Illustration
Foto: pixabay.com, unter PD

Haben Sie sich einmal gefragt, ob Sie intelligenter sind als Donald Trump oder der nordkoreanische „Rocket Man“? Viele, ich nicht ausgenommen, belegten diese Persönlichkeiten schon mit wenig schmeichelhaften Begriffen wie „Trottel“, „Irrer“ oder „Monster“. Doch sind wir selbst wirklich intelligenter als jene, die zurzeit das Weltschicksal bestimmen? Indem wir so fragen, werden wir unsicher. Schließlich hat Trump ein milliardenschweres Geschäftsimperium aufgebaut und wurde von den US-Bürgern zum Präsidenten gewählt. Und die erfolgreiche Atombombenpolitik des „Obers ten Führers“, Kim Jong-un, der seine internen Gegner auf raffi nierte Weise beseitigen ließ? Bestialität und Intelligenz schließen einander nicht aus, ja es gibt eine teufl ische Rationalität, an die wir Durchschnittsmenschen nicht heranreichen.

Apropos Durchschnittsmensch: Einem Intelligenztest zufolge, den ich vor langer Zeit als Gymnasiast absolvierte, darf ich mich IQ-mäßig dieser Kategorie zuzählen. Nicht wenige derer, die in meiner Testgruppe waren, konnten die ihnen gestellten Aufgaben signifi kant besser lösen. Dass derlei Denkleistungen heute von Computern, also Exemplaren der künstlichen Intelligenz, um das mehrtausendfach Effi zientere bewältigt werden, wäre mir damals vermutlich kein Trost gewesen. Allerdings stelle ich nun im Rückblick teils staunend, teils kaltblütig fest, dass eine erkleckliche Anzahl meiner hochintelligenten Kameraden irgendwo im sozialen Mittelfeld „hängen“ blieb, während andere, die sich keinesfalls sonderlich „intelligent“ anstellten, glanzvolle Karrieren nicht nur im öffentlichen Dienst, sondern auch im privaten Sektor machten.

Leistung und „Familienintelligenz“ #

Natürlich sind wir spontan geneigt, von Ungerechtigkeit zu sprechen, sobald die Mittelmäßigen und Minderbegabten „nach oben“ kommen. Wenn sie die Gesellschaftselite bilden, indem sie die knappen Positionsgüter – Reichtum und Macht – erlangen, dann liegt der Verdacht nahe, dass leistungsfremde Aufstiegsboni – Herkunft, Geld, Vetternwirtschaft, Korruption – eine maßgebliche Rolle spielen. Auf der Kehrseite befremdet uns die Ungleichheit der Chancen, sofern sie zum Nachteil derer ausschlägt, die außer ihrem „klugen Kopf“ nichts zu bieten haben.

Zu bedenken bleibt allerdings: Intelligenz als genetisch festgelegte Eigenschaft ist, isoliert betrachtet, keine Rechtfertigung dafür, anderen gegenüber bevorzugt zu werden. Aber seien wir realistisch: Auch die Schönheit, die dem Menschen unverdient zufällt, bringt bei der Partnerwahl erhebliche Vorteile; schöne Menschen paaren sich kaum mit unansehnlichen (es sei denn, man hieße Sokrates, dessen sprichwörtliche Hässlichkeit in den Augen seiner flaumbärtigen Schüler vom Charisma des Geistes ausgestochen wurde). So sehr unsere Gesellschaft auch auf intelligenzbasierte Leistung eingeschworen ist: Ererbtes Vermögen oder ein Hineingeboren-Sein in die Oberschicht gelten vielfach als Indikatoren für so etwas wie „Familienintelligenz“. Auch die Zugehörigkeit zu bestimmten Gesinnungsgemeinschaften erweist sich als hilfreich. Seit Österreich wieder von einer Rechtskoalition regiert wird, dominiert verstärkt ein Eliten- Management, das den Angehörigen schlagender Burschenschaften zugutekommt. Biertischkameraderie galt seit jeher nicht als Garant für Intelligenz, eher als Symptom einer Dümmlichkeit, der alles Intellektuelle, „Jüdische“, suspekt ist. Diese Haltung führte zur Abfassung von Texten, in denen der Holocaust besungen wird. Vor solcher Perversion schützt kein Intelligenzquotient.

„Moralischer Schwachsinn“ #

Dasjenige, was wir gemeinhin als menschliche Intelligenz wahrnehmen, akzentuieren und fördern, ist, unter Einschluss des biologischen Substrats, ein weitausholendes „soziales Konstrukt“. Deshalb war in den letzten Jahren auch immer wieder von unserer „emotionalen Intelligenz“ die Rede. Wir sind empfi ndsame Wesen, die sich in andere „einfühlen“, ihre Sichtweise der Dinge, ihr Lebensgefühl nachvollziehen können. Dabei besteht das typisch humane Element im Brückenschlag zur „moralischen Intelligenz“. Vor dem Hintergrund unseres Verständnisses der Gleichheit aller Menschen – ein Verständnis, dessen Herausbildung langwierige kulturelle Deutungsprozesse erforderte, die das natürliche Recht des Stärkeren transzendierten – suchen wir nach ethischen Prinzipien, die für alle Gültigkeit beanspruchen dürfen.

Psychopathen, also Menschen ohne Gewissensbildung und Fähigkeit zum Mitgefühl, mögen über herausragende IQ-Intelligenz und eine überdurchschnittlich ausgeprägte Fähigkeit zur strategischen Interaktion besitzen – sie laborieren dennoch an etwas, was man früher als „moralischen Schwachsinn“ bezeichnete. Solche Menschen wissen sehr wohl, was gut oder böse ist, geboten oder verboten, aber der Vollzug unethischer Handlungen kümmert sie wenig, im Gegenteil: Sie sind stolz auf ihre Hinterhältigkeit und Brutalität, ja ihren primären Sadismus, sofern sie im Sinne ihrer eigensüchtigen, sozialschädlichen Bedürfnisse über den Durchschnitt triumphieren. Das ergibt einen besonders prekären Zusammenhang zwischen Intelligenz und Elitenbildung: Ihm verdanken sich die größten Ungerechtigkeiten, die schrecklichsten Waffen und grausamsten Kriege.

Die Schläue des Populismus #

Der kanadische Kriminalpsychologe Robert D. Hare glaubt herausgefunden zu haben, dass sich überdurchschnittlich viele Psychopathen in den Führungsebenen großer Wirtschaftsunternehmen fi nden. Dort wird kein ethisches, sondern ein strategisches Verhalten nach den Gewinnerwartungen der Aktionäre gefordert. Sein Beststeller heißt „Snakes in Suits: When Psychopaths Go to Work“ (dt: „Menschenschinder oder Manager“, 2007). Auch das ist ein Modell menschlicher Intelligenz, und es steht zu befürchten, dass es rascher expandiert als die „weltethische“ Intelligenz, die auf globale Gerechtigkeit und die allgemeine Förderung individuellen Wohlbefi ndens abstellt. Denn je mehr psychopathische Energie den Geldbetrieb antreibt, desto stärker wird die Verlockung, sich politisch ebenfalls daran zu orientieren. Das Ergebnis: Populismus. Befl ügelt von machiavellistischer Schläue, gibt man vor, das Gemeinwohl zu verkörpern, um derart die Egozentrik des eigenen Machtwillens zu optimieren.

Menschliche Intelligenz ist eben wesentlich eine Kulturleistung, die viele Facetten umfasst, die über die IQ-Intelligenz hinausreichen. Einige dieser Facetten befördern den Fortschritt unserer Zivilisation hin zu mehr Leistung und Tiefblick; andere zerstören auf Dauer den sozialen Zusammenhalt, weil in ihnen nicht die emotionale und ethische Intelligenz dominieren, sondern das strategische Kalkül der Eigensucht. Für das Gedeihen unserer Gesellschaften ist der „kluge Kopf“ unentbehrlich. Indessen sollte man nie aus den Augen verlieren, dass die menschliche Intelligenz, wie kulturell überformt immer, aus der Tiefe der Evolution mit allen ihren Verlusten und Grausamkeiten stammt. Ihr ist nach wie vor eingesenkt, was Immanuel Kant als „das böse Herz“ des Menschen schreckte und wofür noch nicht einmal der Trost des Goethe’schen Intelligenzlers namens Mephisto gilt: „Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.“

Wir müssen also darauf bedacht sein, dass die Eliten der Zukunft Intelligenz mit Klugheit, Mitgefühl und Gerechtigkeitsempfi nden vereinen. Dazu jedoch bedarf es eines Wahlvolks, das weder die Regierenden zur Dummheit animiert, noch sich selbst für dumm verkaufen lässt. Ein frommer Wunsch?

Der Autor lehrt Ethik und Religionsphilosophie an der Universität Graz.

DIE FURCHE, 1. März 2018