!!!Auf allen Kanälen 

!!Agatha Christie hat das Kammerspiel als Abbild menschlicher Abgründe perfektioniert. Das Geschäft mit ihrem Namen blüht – bis heute. 

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''Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: [DIE FURCHE|http://www.furche.at] (Donnerstag, 14. Dezember 2017).''

Von

__Veronika Schuchter __

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''Orient-Express. 1934 erschienen, wurde der Roman „Mord im Orientexpress“ bereits mehrfach verfilmt, zuletzt von Kenneth Branagh. ''
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Nein, Shakespeare ist nicht der meistübersetzte Autor der Literaturgeschichte, auch nicht Jules Verne. Die beiden finden sich auf Platz zwei und drei, mit großem Abstand abgehängt von einer Schriftstellerin, die sich als ältere, etwas korpulentere Dame mit Hornbrille ins kollektive Gedächtnis eingeprägt hat. 

Agatha Christie kann sich mit vielen Superlativen schmücken. Nicht nur, was die Übersetzungen angeht, auch bei den Verkaufszahlen ist sie ganz oben anzutreffen. Da kann ihr gerade noch die Bibel das Wasser reichen. „Die Mausefalle“, ein amüsantes, nicht weiter bemerkenswertes Whodunit-Stück, läuft seit 1952 ununterbrochen im Londoner West End – und das täglich. Trotz aller Rekorde wird Agatha Christie ambivalent rezipiert, von den einen als Autorin mit rasiermesserscharfem Verstand verehrt, von den anderen als Trivialliteratur schreibende Krimi-Oma belächelt (was schon allein deshalb falsch ist, weil Christie über einen Zeitraum von fast vierzig Jahren 66 Romane, viele Kurzgeschichten und Theaterstücke schuf). Zu Unrecht. Agatha Christie hat einen herausragenden Roman geschrieben („The Murder of Roger Akroyd“, auf Deutsch bekannt als „Alibi“), mehrere großartige (unter anderem „Mord im Orientexpress“) und eine ganze Reihe mittelmäßiger, vor Redundanzen strotzender Krimis, die sich in erster Linie deshalb verkaufen, weil Agatha Christies Name draufsteht. Und verkaufen tun sie sich wie die warmen Semmeln, auch heute noch. 

Aktuell hat die Queen of Crime wieder Hochkonjunktur, im Kino läuft die Neuverfilmung ihres Hercule-Poirot-Klassikers „Mord im Orientexpress“ und, man mag es kaum glauben, es gibt tatsächlich noch einen Roman zu entdecken: „Passagier nach Frankfurt“, im Original bereits 1970 erschienen, gab es bisher nur als Sammlerstück eines Zeitschriftenverlags, jetzt erscheint er erstmals in Neuübersetzung im deutschen Buchhandel. 

!Mord im Orient-Express 

Das Geschäft mit Christie wird von einem Motor angetrieben namens Nostalgie. Auf dieses Prinzip baut auch Kenneth Branaghs gerade angelaufene Neuverfilmung „Mord im Orientexpress“. Als Reminiszenz an die großen Agatha-Christie-Verfilmungen der späten 60er bis frühen 80er Jahre, in denen von Elizabeth Taylor, Bette Davies, Ingrid Bergman bis Sean Connery und Lauren Bacall die Crème de la Crème Hollywoods sich die Ehre gab, bietet Branagh mit Johnny Depp, Penélope Cruz, Willem Dafoe und Judi Dench ein All-Star-Ensemble auf, das sich ebenfalls sehen lassen kann. 

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Als Messlatte dient weniger der Roman als Sidney Lumets vielgerühmte Verfilmung von 1974. Ausgerechnet Regisseur Branagh, der sich sonst gern an Shakespeare versucht, entpuppt sich als der größte Missgriff. Der Film ist nämlich längst nicht so schlecht, wie so manche Kritik glauben lässt. Das Ensemble harmoniert hervorragend und Michelle Pfeiffer liefert einen großartig uneitlen Auftritt als alternde Diva, mit dem sie Lauren Bacalls große Fußstapfen mehr als nur ausfüllt, was auch daran liegt, dass die neue Version der Rolle mehr Raum und Raffinesse zugesteht. Die Verschiebungen und Aktualisierungen zugunsten einer größeren Diversität – so wurde die von Sean Connery verkörperte Rolle des Colonel Arbuthnot afroamerikanisch und der Konflikt um die verheiratete Affäre zu einem Rassenkonflikt umgedeutet – sind zwar plakativ, aber das dürfen sie in einem Christie-Film auch sein. Wäre da nicht Kenneth Branagh, der seinen Hercule Poirot als gebrochenen, einer verflossenen Liebe nachtrauernden Helden porträtiert, der sich aus einer Art zum Weltschmerz verdichteten Burnout heraus zunächst außerstande sieht, dem Mord im Zug auf die Schliche zu kommen. Ihre Mörder sind oft verzweifelte, gebrochene Gestalten, von Christie nicht ohne Sympathie gezeichnet, was in „Mord im Orientexpress“ auf die Spitze getrieben wird. Ihre Detektivfiguren aber, und das ist gerade der     essentielle Kontrast, sind es nicht. Hercule Poirot und Miss Marple, ihre bekanntesten und einem großen Publikum ans Herz gewachsenen Charaktere, funktionieren wegen ihren liebevollen Schrullen und weil sie eben nicht den stereotypen Ermittlern entsprechen. Hercule Poirot ist ein kleiner, gemütlicher, exzentrischer Hedonist, und kein Wallander mit Hamlet’schen Zweifeln, den Branagh aus ihm macht. 

!Passagier nach Frankfurt 

Die Neuerscheinung von Christies 61. Roman „Passagier nach Frankfurt“ ist nur aus Werksicht begrüßenswert. Dass man von einem Werk sprechen kann, zeigt immerhin, dass Christie tatsächlich mehr ist als eine oberflächliche Vielschreiberin. Der Roman bleibt allerdings weit hinter ihrem eigentlichen Können zurück. Er beginnt abstrus: Ein britischer Diplomat wird während eines Zwischenaufenthalts am Frankfurter Flughafen von einer Frau gebeten, ihr seinen Pass und seinen Mantel zu überlassen, weil sie sonst getötet würde. Um seine Mitbeteiligung zu vertuschen, soll er ein Betäubungsmittel trinken. Wieso um alles in der Welt der Diplomat dieses Manöver widerstandslos sekundiert, wird genauso wenig glaubwürdig gemacht, wie der immer haarsträubender werdende Plot um eine Neonazi- Verschwörung irgendeinen Sinn macht. Von Christies Qualitäten merkt man kaum etwas. „Passagier nach Frankfurt“ ist ein kruder Verschwörungsthriller, ohne Witz und psychologisches Gespür. 

!Christie als Ikone

[{Image src='Orient-Express.jpg' caption='Orient-Express Abteil.\\Foto: Mon Œil. Aus: [Wikicommons|https://commons.wikimedia.org/wiki/File:AOC_Margaux_dans_l%27Orient-Express.jpg?uselang=de]' alt='Orient-Express Abteil' width='400' class='image_right' height='267'}]

Christies Ecken und Kanten werden gerne übersehen, lieber lässt man sich einlullen vom harmlosen Schauern in britischer Behaglichkeit. Das betrifft sowohl ihre interessanten, als auch ihre für ein modernes Publikum befremdliche Seiten. Ob der ihr oft unterstellte Antisemitismus tatsächlich zutrifft, ist schwer zu sagen. Die ethnisch stereotypen Darstellungen verschiedener Figuren sind aber augenscheinlich, auch Christies Unterstützung der Todesstrafe und ein vor allem im Alterswerk immer stärker werdender Konservativismus mit Ablehnung gesellschaftlichen Fortschritts und einer Verteufelung der Jugend. 

Auf der Plusseite ist Agathe Christie mehr als die Schöpferin ikonischer Figuren und aufsehenerregender Plots. Niemand hat das Genre stärker geprägt als die 1890 in Südengland geborene Britin. Das klaustrophobische Kammerspiel als Abbild menschlicher Abgründe hat sie perfektioniert. Exotische Schauplätze dienten dabei nur als Kulisse. Nichts ist erschreckender als der geschlossene Raum. Es sind kleine Verbrechen, die aus privaten Tragödien erwachsen, das Gewöhnliche macht den Mörder, nicht das Außergewöhnliche, das die heute im Krimi grassierenden Serienmörder antreibt. Bei Christie kann sich ein Kind genauso als Mörder entpuppen wie der Erzähler oder der Ermittler. 

In den letzten Jahren kommen allerdings immer mehr Adaptionen auf den Markt, die Agatha Christies Namen nur noch als verkaufsfördernden Stempel verwenden, inflationär aus dem Boden schießende Miss-Marple-Abwandlungen etwa, oder die französische, im deutschen Fernsehen laufende Serie „Agatha Christies Mörderische Spiele“, die kaum noch etwas mit dem Werk der dreist als Namensgeberin fungierenden Schriftstellerin zu tun hat. Natürlich ist Christie heute eine Ikone. Mit ihrem Namen wird verkauft, wofür sie mittlerweile steht: Nostalgie, Behaglichkeit und Good Old Britishness in Zeiten von Brexit und Terror. Da ist die Welt noch in Ordnung. Er wäre angebracht, mit Christies Werk respektvoller umzugehen. Die nächste Agatha-Christie- Verfilmung „Das krumme Haus“ steht übrigens schon in den Startlöchern. 


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[DIE FURCHE|http://www.furche.at], Donnerstag, 14. Dezember 2017
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