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Sprachquelle und Redefluss#

Anmerkungen zum in Wiener Neustadt geborenen und in Israel aufgewachsenen Aphoristiker Elazar Benyoëtz#


Mit freundlicher Genehmigung aus der Wiener Zeitung (Samstag, 7. November 2009)

Von

David Axmann


Stadthallenbad
Elazar Benyoëtz
© Foto: Wiener Zeitung / Apa/Fohringer
"Gute Ansichten sind wertlos. Es kommt darauf an, wer sie hat." Sagt Karl Kraus. Ein Gleiches gilt für gute Absichten. Und für gute Worte. In der Sprache kommt es nicht nur auf jedes Wort an, sondern auch darauf, dass der Sprecher weiß, wovon es ausgeht und wo es ankommt. Wer an die Sprache glaubt, dem beschert vielleicht sie Wunder. Wer das Wort sucht, findet möglicherweise den Sinn; den Wort-Sinn, dem zum Beispiel die Einsicht aufgeht: „Die Sprache ist tiefer als ihr Sinn". Dieses Wort stammt, wiewohl es nach ihm klingt, ihm nachklingt sozusagen, jedoch nicht von Karl Kraus, sondern von Elazar Benyoëtz, welcher denn auch häufig in einem Atemzug oder Satz zusammen mit Kraus und Lichtenberg genannt wird.

Wer ist dieser so gerühmte Mann? Er wurde 1937 als Paul Koppel in Wiener Neustadt geboren, zwei Jahre später musste er mit seinen Eltern nach Jerusalem emigrieren. Sein Vater Gottlieb nahm den hebräischen Namen Yoëtz (d.h. Ratgeber) an, und sein Sohn nennt sich folgerichtig Ben-yoëtz. Er wächst im jungen Staat Israel auf, spricht nur Iwrith, macht 1959 das Rabbinerexamen, übt dieses Amt zwar nie aus, weiß aber seitdem, wie sehr Gott einem zu schaffen machen kann. 1957 erscheint sein erstes hebräisches Buch, ein Lyrikband, 1962 in Tel Aviv die Zeitschrift „Prozdor“ (d.h. Vorhalle), an der Benyoëtz mitwirkt; „Gott gewidmet“, will sie den Glauben anstacheln, seinen Wortbestand erschüttern. Man könnte das als ein Leitmotiv im Werk des Elazar Benyoëtz bezeichnen.

Im selben Jahr 1962 – man könnte es als ein Schicksalsjahr dieses Mannes bezeichnen – beschloss Elazar Benyoëtz (wiewohl er damals nur schlecht Deutsch konnte) erst nach Österreich und dann weiter nach Deutschland, ins „Land der Mörder“, zu reisen (was man ihm in Israel durchaus übelnahm), und dort fand er seine Bestimmung: nämlich ein deutscher Dichter zu werden, und zudem eine „Bibliographia Judaica“ herauszugeben, eine Sammlung deutsch-jüdischer Literatur (die später von anderen betreut wird und im Lauf der Zeit auf 16 Bände anwächst). 1968 kehrte Elazar Benyoëtz nach Israel zurück, 1969 erschien sein erstes auf Deutsch geschriebenes Buch, denn so war es ihm bestimmt: "Ich wußte, was ich im Deutschen suchte, und daß es nur im Deutschen zu finden sei: Staub und Asche, aber auch Sprachquelle und Redefluß".

Benyoëtz begibt sich auf die Suche nach den Ursprüngen und Urgründen des Glaubens und der Sprache, und findet die auf ihn passende, für ihn bestimmte Ausdrucksform: den Aphorismus. "Mit einem Satz glaubt man, davonzukommen oder auf den Grund." Nicht selten allerdings erweist sich ein Aphorismus als ein Satz über doppelten Boden, als nachdenkwürdige Lösung, die wieder neue Fragen eröffnet.

Die Aphorismen des Elazar Benyoëtz sind zum Teil von internationaler Einsichtigkeit („Die Zukunft / rollt den Teppich / der Vergänglichkeit / auf“), zum Großteil jüdischer Herkunft ("Die Thora ist die Lehre, die vierzig Wüstenjahre aber die Schule"), manche kommen nur auf Deutsch zu voller Wirkung ("Läßt man Worte fallen, / wird die Sprache ungehalten"); und bisweilen passiert es (das sollte nicht verschwiegen werden), dass der Wortmeister der Wortspielgefahr erliegt und den Klang zum Vater des Sprachgedankens macht, zum Beispiel in der "Herrlichkeit der Hörlichkeiten" oder in der "Sprachialgewalt". Grundsätzlich aber gilt, was Robert Menasse in seiner Laudatio zur Verleihung des Österreichischen Ehrenkreuzes für Wissenschaft und Kunst I. Klasse an Elazar Benyoëtz gesagt hat: „Lesen Sie ihn, und Sie werden die Erfahrung machen, dass Sie immer wieder innehalten und Abgründe und Tiefen in sich entdecken – die aber Tiefen der Sprache sind."

Elazar Benyoëtz wurde am 10. 11. 2009 mit dem Ehrenzeichen der Stadt Wiener Neustadt ausgezeichnet.


Elazar Benyoëtz

  • Scheinhellig, Variationen über ein verlorenes Thema. Braumüller Literaturverlag, Wien 2009, 264 Seiten
  • Vielzeitig, Briefe 1958 – 2007. Brockmeyer Verlag, Bochum 2009, 366 Seiten

Wiener Zeitung, 7. November 2009