!!!Der Selberdenker

!!Wo der Applaus aufrauscht, stellt er sich nicht dazu und schon gar nicht hin – Rudolf Burger, Österreichs herausragender Philosoph, wird 70.

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''Von der [Wiener Zeitung,|http://www.wienerzeitung.at] (Samstag, 29. November 2008) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.''


Von

__Rudolf Brettschneider __ 



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[{Image src='Der-Selberdenker.jpg' caption='Physiker, ehemaliger Spitzenbeamter, Professor für Philosophie – Rudolf Burger ist vielseitig gebildet und kennt sich nicht nur in einer Disziplin aus.\\Foto: © Robert Strasser' height='200' class='image_right' alt='Rudolf Burger' width='426'}] 

Denken ist 
gefährlich –
das ist für [Rudolf Burger|Biographien/Burger,_Rudolf], der
demnächst 70 Jahre alt wird,
nicht nur eine erkenntnistheoretische
Schlussfolgerung, sondern
wohl auch eine persönliche Erfahrung.

Im Herbst 2007 hat er seinen
offiziellen Abschied von der Universität
genommen – mit einem
Symposion, zu dem er Vortragende
einlud, die ihm über viele Jahre
hinweg, wie er selbst sagte,
„Leuchtbojen beim eigenen Navigieren
in den trüben Gewässern
akademischer Publizistik“ gewesen
sind. Die aus dieser Veranstaltung
hervorgegangene Schrift
heißt „Von der Unabhängigkeit
des Denkens“.

Zu seinem siebzigsten Geburtstag
legt Rudolf Burger Essays aus
den letzten drei Jahrzehnten vor,
unter dem Titel „Jenseits der Linie.
Ausgewählte philosophische
Erzählungen.“ Der erste Block des
Buches umkreist Aspekte der sogenannten
„Postmoderne“, deren
Phrasen den Denker zu einer kalten
Analyse reizten. Viele Freunde
bei den postmodern Gestimmten
wird er sich damit gewiss
nicht machen.

Die jüngeren Texte des zweiten
Blocks greifen politphilosophische
Probleme der Gegenwart auf:
zum Beispiel Fragen des Nationalund
Rechtsstaats, der Probleme
des Multikulturalismus, der Suche
nach Gewissheit und Sicherheit,
der Demokratie im Zeitalter
ihrer Globalisierung.

Burger bringt für die Behandlung
all dieser, so unterschiedlicher
Themen sehr gute Voraussetzungen
mit: durch ein Studium in
technischer Physik, durch Tätigkeit
am Battelle-Institut (Frankfurt)
und im Planungsstab des
Bonner Ministeriums für Forschung
und Technologie, als Leiter
der Abteilung für sozial- und
geisteswissenschaftliche Forschung
im Wiener Wissenschaftsministerium,
aufgrund einer Habilitation
in Philosophie und einer
Professur für Philosophie an der
Universität für Angewandte Kunst
(plus langjähriger Erfahrung als
Rektor).


!Kritiker des Jargons

Als Physiker ist Burger mit den
Schönheiten und Früchten exakter
Methodik vertraut, als Spitzenbeamter
erfahren in den Ritualen
der Politik, als angewandter Philosophieprofessor
kennt er die geistigen
Moden der Wissenschaft.
Und den diesen Bereichen je eigenen
Jargon.

Vor allem aber hat er stets geistige
„Leuchtbojen“ der Vergangenheit
präsent, die ihm beim
„Navigieren“ durch das Gegenwartsdenken
helfen. Die Haltungen,
die Denkstile, die Gedankenentwürfe
großer Geister dienen
Burger – lesbar und spürbar – als
Vorbilder und wohl auch als Ermutigung;
gerade weil er im Sinne
Lichtenbergs ein „Selberdenker“
ist.

So kehren bei ihm die Namen
So kehren bei ihm die Namen
Hegel, Marx, Descartes, Valéry,
Nietzsche, Hobbes regelmäßig
wieder – und deren Wegweisungen
oder Holzwege.

Burger weiß und führt es an
Hand von Descartes, Nietzsche
und Valéry auch aus, dass am Anfang
großer Gedanken oft „mystische
Erfahrungen“ stehen können;
etwas, was einer inneren Explosion
ähnelt: „Die Trümmer dieser
Explosion sind dann die Bausteine
einer Philosophie“.

Nicht um Stimmung, Gestimmtheit,
Erfühlung geht es jedoch
beim Geschäft des Denkens, sondern
um Klarheit, ums Aufräumen
von Gedankenschutt, um den
Kampf gegen „Erbaulichkeit“.
Skepsis gegen den „Zeitgeist“
durchzieht Burgers Schriften,
Skepsis gegen ein Denken, das gerade
Konjunktur hat (etwa in
Form eines „ölig-ganzheitlichen“),
Skepsis gegen die gängigen Mythen,
gegen falsches – instrumentell
eingesetztes – Pathos. Burger
weiß, dass man sich mit solcher
Geisteshaltung keine Anhänger
schafft. Und Freunde schon gar
nicht. Er „verspricht kein Glück
außer einem: die böse Lust der Erkenntnis“.
Er bevorzugt das, was
die spanische Moralistik „Desengaño“
nennt. Und er gesteht ein:
„Darauf zu balancieren ist schwierig
und gefährlich . . . bei Schwäche
oder Nachgiebigkeit droht der
Absturz in einen neuen Mythos,
der wie immer ein ganz alter wäre,
hieße er nun Natur, Geschichte,
Moral, oder, wie sie heute gerne
sagen ‚Menschlichkeit’, ohne
zu bedenken, zu was die fähig ist;
in den warmen Schloss von ,Sinn’,
in eine pseudoreligiöse Bindung,
die man eingeht, nicht, weil man
glaubt, sondern weil man es für
gesund hält . . . einen Glauben zu
haben und eine Hoffnung: Sinnprothesen
für eine Frömmigkeit
aus Pragmatismus. So wird man
tüchtig.“

Eine herrliche „Leuchtboje“ in
der skeptischen Praxis findet
Burger immer wieder bei dem
von ihm oft zitierten, hoch geachteten
Michel de Montaigne – und
dessen antiken Vorbildern, den
Pyrrhonisten. Burger kann zwar
nicht, wie es deren Ideal war, „alle
Dinge zur Kenntnis nehmen,
ohne ein Urteil darüber abzugeben“,
aber er versucht sich im
Sinne Montaignes freizumachen
„von den Erregungen, die unser
Meinen und das Wissen, das wir
von den Dingen zu haben wähnen,
in uns auslösen“.


!Polemische Zuspitzung

Oft bleibt es allerdings beim
Versuch. Die Erregung über Heuchelei,
publikumswirksames Gefasel
oder den bedenkenlosen Einsatz
von Moralkeulen ist stärker;
und zudem Anlass für lakonische
Analyse: ob sich diese nun auf
zeitgeistige Zeitgenossen bezieht
oder auf ihre Ahnen, die in Gestalt
philosophischer Wiedergänger
politikwirksam auftauchen.

Burger weiß vieles, was schon
gedacht worden ist – und auch,
mit welchen Folgen. Weiß, wie
sich Tugend in Terror verwandelt,
Gläubigkeit in Fundamentalismus,
der Rausch der Worte das
Bewusstsein vernebelt (wer je
versucht hat, wirklich zu denken,
weiß, dass dies ein schweres und
undankbares Geschäft ist). Burger
liebt die Verdichtung der Gedanken,
ihre oft auch polemische Zuspitzung.
Dass sich manche davon
schmerzhaft provoziert fühlen, ist
seine Schuld – und zugleich sein
Verdienst.

Es hat mich immer wieder verblüfft,
wie ein Mensch, der sich
dem Wagnis des Selberdenkens
aussetzt, so viel Ablehnung erfahren,
so viel Hass ernten kann. Es
ist zu befürchten, dass ihn viele
seiner „Verfolger“ entweder nicht
gelesen, oder schlecht verstanden
haben – einige wenige von ihnen
wahrscheinlich jedoch allzu gut.
Sie hat er in ihren „Ideengeschäftchen“
gestört. Sie halten ihn für
einen „destruktiven“ Charakter
und wissen nicht, dass Destruktion
etwas Reinigendes sein und
bewirken kann.

Ich weiß nicht, was Rudolf Burger
antworten würde, wenn man
ihn fragte, woran er glaube. Vermutlich
wäre seine Antwort, dass
er an der Möglichkeit festhalte,
durch Denken aus sich heraus
mehr Klarheit (für sich und ein
paar Andere) zu erlangen. Vielleicht
würde er in Montaigne’scher
Manier hinzufügen:
„Skepsis heißt, das Inhumane abzulehnen,
ohne an die Humanität
zu glauben. Das Gute ist auch für
den Skeptiker das Gute, aber der
Glaube an das Gute (der Glaube
zu wissen, was es sei) ist ihm das
Böse.“

Burger liebt, auch das geht aus
seinem jüngsten Buch hervor,
Cervantes (Sancho), Lawrence
Sterne, Borges, Diderot, Lichtenberg
– keineswegs die schlechtesten
„Leuchtbojen“.

Und offensichtlich liebt der
Denker Burger auch das Meer –
sonst wäre er als Binnenländer
wohl nicht auf eine so nautischmaritime
Metapher verfallen.

Man muss Rudolf Burger langsam
lesen. Muss mit ihm denken.
Mitdenken. Wie man eben Texte
von Menschen lesen sollte, die
vor einem ihre Gedanken entwickeln
und ausbreiten.

Auch wenn Denken gefährlich
ist: Der Jubilar möge es bitte nicht
lassen; nicht lassen können.


[{Image src='Der-Selberdenker1.jpg' class='image_left' alt='Rudolf Bretschneider' height='100' width='63'}]


''[Rudolf Brettschneider|Biographien/Bretschneider,_Rudolf], geboern 1944, ist Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts Fessel-Gfk.''


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[Wiener Zeitung,|http://www.wienerzeitung.at], 29. November 2008
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[{Metadata Suchbegriff='Philosoph Physiker Der Selberdenker Rudolf Burger' Kontrolle='Nein' }]

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