!!!Der Unvollendete von Staten Island


!!Jura Soyfer wäre heuer 100 Jahre alt geworden


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''Von der [Wiener Zeitung|http://wienerzeitung.at] (Donnerstag, 14. Juni 2012) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.''


Von


__Klaus Stimeder__

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[{Image src='Der-Unvollendete.jpg' caption='Jura Soyfers Grabstein auf dem Friedhof von Staten Island.\\Wikimedia/Hebrew_Free_Burial_Association' width='400' class='image_right' alt='Soyfers Grabstein' height='251'}]

!Eine Spurensuche, ausgehend von seiner letzten Ruhestätte: New York.



Der Weg zur Asche ist weit, von Wien sowieso, aber auch von dem, was die Welt als New York City kennt. Etappe eins, zwanzig Minuten mit dem Boot, Abfahrt vom südlichsten Punkt Manhattans. Die Staten Island Ferry trägt um diese Jahreszeit mit jedem neuen Tag schwerer an Menschen, die Touristenzeit hat begonnen. Sie drängen sich auf den Aussichtsplattformen, fotografieren das Postkarten-New York, die Skyline, die Freiheitsstatue.

Etappe zwei, eine halbe Stunde Fahrt auf der einzigen Zugstrecke, die den Norden der Insel mit ihrer südlichsten Siedlung verbindet: Einfamilienhäuser mit zu großen Garagen, backsteinerne Sozialwohnbauten, kleine Restaurants und Geschäfte, immer wieder Grün, Wiesen, Tümpel, Wälder. Endstation Oakwood Heights,

Etappe drei: eine Viertelstunde Fußmarsch, bis zum Tor von 420 Clarke Avenue. Als Lohn der Blick auf weite, sanft hügelige Felder aus Stein und Gras, auf denen Generationen von mittellosen New Yorker Juden beerdigt sind. Die ersten Armengräber wurden hier in den 1880ern angelegt, bis heute sorgt die Hebrew Free Burial Association (HFBA) als Eigentümer dieses Stück Eilands dafür, dass auch jene Mitglieder ihrer Glaubensgemeinschaft, die sich kein ordentliches Begräbnis leisten können, eines bekommen.

Vierte und letzte Etappe: eine halbe Stunde Geduldspiel, weil es nirgends einen Plan gibt und auch das HFBA-Büro telefonisch nicht weiterhelfen kann. Ja, man wisse um den Schriftsteller aus Wien, aber leider jetzt nicht genau seinen Platz; man möge sich doch bei der Suche ans Todesjahr halten, danach sei die Mehrheit der Gräber eingeteilt. Die Methodik führt zum gewünschten Ergebnis, auch wenn es am Ende nicht das Jahr, sondern die weithin sichtbaren, tief in den Stein gehauenen Initialen sind, die einen fündig werden lassen. "JS, Our Beloved Son And Dear Brother, Juri Soyfer, Died February 16, 1939, Age 26 Years."

Juri hat ihn mutmaßlich sein ganzes kurzes Leben lang niemand außer den Behörden genannt: zuerst die des Zaren, dann die der Bolschewiken, die der Ersten Republik, die Austrofaschisten und zuletzt die Nazis. Für seine Freunde, für seine Eltern und seine Leser war er der Jura, der er geheißen werden wollte.

Sein Geburtsdatum, 8. Dezember 1912, verschweigt der Grabstein. Heuer wäre Jura Soyfer 100 Jahre alt geworden. Über den Ort, an dem er starb - ermordet wurde -, verrät das Grab ebenfalls nichts: das Konzentrationslager Buchenwald. "Österreichs Büchner" hat Helmut Qualtinger den in Charkiv/Ukraine Geborenen einmal genannt. Eine Übertreibung, gewiss, aber auch Ausdruck einer verlorenen Hoffnung, der Ahnung eines der großen unerfüllten Versprechen nicht nur genuin österreichischen, sondern Weltliteraturschaffens. Ein schreiberischer Universalist, der seiner Jugend zum Trotz in der Lyrik wie auf der Bühne wie in der Prosa daheim war und dessen Werk bis heute in mehr als 30 Sprachen übersetzt wurde.

Die Frage, die bleibt, ist die einer heute zeitgemäßen Einordnung. Ist Jura Soyfer heute wirklich nur mehr von historischer Bedeutung, wie es nicht nur ein Literaturwissenschafter der Zweiten Republik ausgeführt hat, ein Kind und Chronist seiner Zeit, dessen Strahlkraft sich auf ebenjene beschränkt?

[{Image src='Der-Unvollendete1.jpg' class='image_left' caption='Naziopfer Jura Soyfer (1912-1939).\\© Dokumentionsarchiv DÖW' width='200' alt='Jura Soyfer' height='229'}]


Die kondensierten biografischen Fakten: Jura Soyfer wächst in einer bürgerlichen Familie auf, Vater Wladimir Wolf ist Industrieller, der erst, als die bolschewistische Revolution bereits voll in die Gänge gekommen ist, merkt, dass seinesgleichen keine Zukunft mehr in der Heimat hat, und gen Westen flieht. Zuerst landen die Soyfers in Baden, dann im kriegsverheerten Wien, wo der dank ausländischer Gouvernanten multilingual aufgewachsene Sohn (Französisch, Englisch) bereits als Teenager eine Karriere als politischer Schriftsteller einzuschlagen beginnt. Er begeistert sich für den Marxismus, tritt 1927 dem Verband sozialistischer Mittelschüler bei und beginnt für linke Blätter zu schreiben.

Arbeit und Studium an der Uni Wien (Deutsch, Geschichte) bringen ihn unter anderen mit dem Schriftsteller Hans Weigel und dem Schauspieler Leon Askin zusammen, dem damaligen Betreiber des ABC-Theaters, für das er Stücke liefert. Nach dem kurzen Bürgerkrieg schreibt Soyfer den heute nur mehr als Fragment erhaltenen Roman "So starb eine Partei", in dem er den Niedergang der Sozialdemokratie in der Ersten Republik so ironisch wie bitter seziert und so nicht zuletzt seine eigene politische Häutung nachvollziehbar macht (nach den Februarkämpfen 1934 tritt er der KPÖ bei).
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!Viele Texte sind verschollen

1937 wird er erstmals inhaftiert, das Opfer einer Verwechslung: Die Polizisten glauben in ihm einen hohen KP-Funktionär erkannt zu haben. Als sich der Gefangene als der Schreiberling Soyfer erweist, der Dollfuß, Starhemberg, Schuschnigg und Co. in seinen Werken als faschistoide Kleinbürger vorführt, bewahrt ihn die Aufklärung der Verwechslung nicht vorm Kerker. Der Entlassung folgen ganze 26 Tage in Freiheit. Beim gemeinsam mit dem Juristen Hugo Ebner unternommenen Versuch, auf Skiern die Grenze zur Schweiz zu überqueren, wird Soyfer am 13. März 1938 - einen Tag, nachdem die Truppen Hitler-Deutschlands den "Anschluss" vollzogen haben - festgenommen und landet zunächst in Dachau.

Im Herbst 1938 wird er nach Buchenwald überstellt, wo er ein paar Monate später den Folgen einer Typhuserkrankung erliegt. Wenige Tage, nachdem er seine Einreisepapiere in die USA erhalten hatte, das Land, in das es seine Eltern auf der Flucht vor Hitlers Schergen bereits geschafft hatten. Die sterblichen Überreste Jura Soyfers - da die Nazis den Leichnam verbrannten, gilt es nicht als sicher, dass es wirklich die seinen waren - wurden nach New York überstellt.

Da seine Eltern so gut wie mittellos waren, fand er dank der HFBA auf Staten Island seine letzte Ruhestätte. In den USA hielten seine emigrierten Freundinnen und Freunde sein Andenken hoch: Seine mittlerweile verstorbene Jugendfreundin Helen Andis gab noch im Jahr 2000 Mitarbeitern des Vereins Auslandsgedenkdienst ein ebenso einfühlsames wie aufwühlendes Interview.

Dem Literaturwissenschafter Horst Jarka ist die bis heute einzige umfassende Soyfer-Biografie zu verdanken ("Jura Soyfer - Leben, Werk, Zeit", Löcker Verlag, Wien 1987) sowie die deutschsprachige Herausgabe des Gesamtwerks (Europaverlag, 1980). Die Grundlage dafür hatte die englische Exilorganisation "Young Austria" geschaffen, die Soyfers Stücke 1974 erstmals gesammelt veröffentlichte. Trotz intensiver Bemühungen von prominenten Freunden wie Otto Tausig und Herbert Steiner sind viele Texte Soyfers bis heute verschollen.

Was bis heute Bestand hat? Die gültige, zeitlose, weil keinerlei politischer Orthodoxie unterworfene Gesellschaftskritik, abgebildet in einer Unzahl von Gedichten; sein Bühnendebüt "Der Weltuntergang oder Die Welt steht auf kein’ Fall mehr lang", erstmals aufgeführt im Frühsommer 1936 (der Untertitel ist nicht zufällig eine Anspielung auf das "Kometenlied" in Nestroys "Lumpazivagabundus"); die "Broadway Melodie 1942", eine Adaption von Kurt Tucholskys und Walter Hasenclevers "Kolumbus"; "Astoria", die auf einer wahren Begebenheit beruhende Parodie auf die naive Sehnsucht der Menschheit nach dem Paradies auf Erden; und schließlich, in Sachen Bekanntheit allen voran, das im KZ von ihm geschriebene und von Mithäftling Herbert Zipper komponierte "Dachaulied", welches das Durchhaltevermögen der Geknechteten beschwört.

Was all seinen Werken gemeinsam ist: Soyfer, auch wenn er sich auf die Kunst des subtilen Ausdrucks verstand, scheute, wenn es um die Verbreitung seiner Botschaften ging, nie den Hammer; das Pathos war ihm ebenso lieb wie die manchmal ausgiebige Nutzung der Umgangssprache. In Österreich haben ihn nach dem Krieg die Kommunisten für sich reklamiert, auch wenn diese posthume Inbeschlagnahme Autor wie Werk lange Zeit mehr schadete als nutzte. Das offizielle Österreich entledigte sich mit der Benennung einer unbedeutenden Gasse in Wien-Favoriten (1968) seiner Schuldigkeit.
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!Gedenkfeier in New York

Eine Art kreative Wiedergutmachung erlebte er erst durch die "Generation Arena-Besetzung" (die "Schmetterlinge" nahmen Anfang der Achtziger Lieder mit Soyfer-Texten auf, Willi Resetarits und Sabina Hank vertonten weitere auf der CD "Abendlieder"). In New York plant das Österreichische Kulturforum (ACFNY) eine Veranstaltung rund um Jura Soyfers 100. Geburtstag. Die für das Programm zuständige stellvertretende Direktorin Hannah Liko will dafür prominente Soyfer-Fans wie Josef Hader gewinnen. Es wäre eine späte, aber überfällige Würdigung der Arbeit des großen Unvollendeten in einem Rahmen, der ihm gebührt; ihm, der auf der Insel vor den Toren der großen Stadt begraben liegt, inmitten jener armer Menschen, für deren Rechte er sein kurzes Leben lang geschrieben und gekämpft hat.

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[Wiener Zeitung|http://wienerzeitung.at], 14. Juni 2012
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