!!!Im Haus münden die Geschichten

!!Der österreichische Autor und Theatermann Ernst Lothar schuf mit seinem Familienroman "Der Engel mit der Posaune" eine tragende Woge der Habsburg-Nostalgie.

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''Von der [Wiener Zeitung|http://wienerzeitung.at] (Sonntag, 17. März 2016) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.''

Von

__Oliver vom Hove__

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[{Image src='Ernst Lothar.jpg' caption='Ernst Lothar (1890-1974) prägte als Traditionalist maßgeblich den Wiederaufbau der österreichischen Bühnenkunst nach dem Krieg.\\© Imagno/picturedesk.com' alt='Ernst Lothar' class='image_right' width='300' popup='false' height='303'}]



Einen Roman über Österreich zu schreiben, in einer Zeit, da der Name des Landes ausgelöscht war: das muss als ein außerordentlicher Liebesbeweis eines Schriftstellers gelten, entsprungen einer ungestillten Sehnsucht des Emigranten im fernen Amerika. "Der Engel mit der Posaune" von Ernst Lothar, 1944 erstmals auf Englisch in den USA publiziert, wurde ein über drei Generationen reichender Familienroman, angesiedelt in einem geschichtsträchtigen Haus in Wien, Innere Stadt, das insgeheim die Inschrift "Haus Österreich" tragen könnte.

Nicht gerade niedrig angesetzt waren die Ambitionen des Autors in Amerika: "Wenn ich schon das Buch mache, dann soll es wenigstens das Buch über Wien sein, eine Art Gegenstück zu ‚War and Piece’ ~[sic!], das ja auch das Buch über Petersburg ist", schrieb [Ernst Lothar|AEIOU/Lothar,_Ernst] im November 1942 an seine Frau Adrienne Gessner, die spätere Burgtheater-Doyenne.

"Der Engel mit der Posaune" ist ein schöner und wichtiger, wenngleich literarisch kein großartiger Roman geworden. Erzählt wird entlang von sechzig Jahren der österreichischen Zeitgeschichte, von der Monarchie der achtziger Jahre bis an die Schwelle der Nachkriegszeit um 1945.

!Familienepos

Das Familienepos, als es nach 1946 auch in Österreich in deutscher Sprache verbreitet wurde, lag ganz auf der Welle der Habsburg-Nostalgie nach dem Krieg, die das verlorengegangene Österreich-Bewusstsein wieder auffrischen sollte. Mehr noch: Dieser größte Bucherfolg im damaligen Österreich wurde eine tragende Woge solcher Nostalgie. Zumal der Regisseur Karl Hartl 1948 den Roman mit Paula Wessely und Attila Hörbiger in den Hauptrollen höchst erfolgreich verfilmte, nicht ohne einige entscheidende Abweichungen von der Buch-Vorlage vorzunehmen.


Den Titel erhielten Buch wie Film von der Symbolfigur eines barocken Engels aus Stein, der über dem Eingang des beschriebenen Stadtpalais mit vollen Backen die Posaune bläst.

Er ist, wie alles an der Romanhandlung, stupende Erfindung. Und die beginnt gesellschaftlich gleich ganz oben, bei der Person des unglücklichen Kaisersohns Rudolf, mit dem die jüdische Professorentochter Henriette Stein eine Liebesaffäre unterhält. Ihrer Leidenschaft für den Thronfolger muss sie sich qualvoll entwinden, nachdem Rudolf sie mit dem Wunsch nach einem gemeinsamen Selbstmord bedrängt hat. Ein früher Höhepunkt des Romangeschehens bildet die hochnotpeinliche Befragung Henriettes durch Kaiser Franz Joseph I. nach dem Freitod des Thronfolgers.

Die Ehe, die Henriette bald darauf mit dem angesehenen Klavierfabrikanten Franz Alt eingeht, steht dauerhaft unter dem Unstern eines versäumten Liebesglücks - wie auch das Land sich in eine unglückliche Anhänglichkeit in das vom Niedergang gezeichnete Herrscherhaus Habsburg begeben hat.

Die Heirat in eine großbürgerliche Familie bringt Henriette gesellschaftliches Ansehen und Wohlstand. Sie zieht in das Haus Seilerstätte 10 ein, das über Generationen die Tradition einer patrizischen Lebensart bewahrte. Eine Welt, in der es nicht unwesentlich darauf ankam, wie viele Dienstboten man hatte - und wie viele gute. Und dass im Salon Kammermusikabende lockten.

Indes, Henriettes Hingabe an ein neues Lebensglück wird zeitlebens durch die romantische Verklärung ihres verlorenen Liebhabers gehemmt. Doch die Weigerung, ihr Leben einfach so anzunehmen, wie es ihr zugefallen ist, macht nicht zuletzt den großen Reiz dieser Figur aus - der fesselndsten des Romans. In der weitverzweigten Familie Alt, in der sie nie vollends Aufnahme gefunden hat, klagt sie insgeheim deren emotionale Taubheit an.

!Gefühlsmonopol

Als sich ihr älterer Sohn Hans einer jungen, selbstbewussten Schauspielerin zuwendet, verteidigt sie nicht ohne Eifersucht ihr angemaßtes Gefühlsmonopol: "Von Gefühl versteh ich etwas! Worüber ein Mensch sich freut, wonach er sich sehnt, was ihn kränkt - da bin ich eine Sachverständige. . ." Und emphatisch klagt sie an: "Führts nur Krieg gegen das Gefühl! Dann werdets ihr das Leben verlieren!"

Das Leben wird Henriette Alt dann auf tragische Weise unter der NS-Gewaltherrschaft verlieren: als Jüdin von der Hand der Gestapo. Ihr zweiter Sohn, Hermann, der als glühender Nazi an der Ermordung von Dollfuß beteiligt war, kann ihr da auch nicht mehr helfen: er wurde für seine Tat mit dem Tod bestraft.

Es sind weniger die zuweilen doch ziemlich behäbig und kolportagehaft erzählten Beziehungsschwierigkeiten einer familiären Hausgemeinschaft, die dem Buch noch heute viele Leser zuführen mögen. Viel bedeutsamer ist die exemplarische Geschichte einer großbürgerlichen österreichischen Familie, die der Bildungselite angehörte und durch ihr Festhalten an illusionären Vergangenheitswerten wenig Widerstand gegen die Barbarei aufzubringen vermochte. Verzweifelt bemerkt der Alt-Junior Hans, im Ersten Weltkrieg aus den Karpatengräben zurückgekehrt, die zeitgeschichtliche Unerschütterlichkeit seiner Familie: "Sie sitzen wie vor zwanzig Jahren und lassen sich von einem Diener servieren! Sie wissen nichts! Machen sich nichts klar! Verlernen nichts, lernen nichts zu! Sie wollen von ihrem Guthaben nichts abschreiben! Aber die Guthaben bestehn nicht mehr! Man müsste sie anbrüllen: ‚Es geht so nicht! Alles ist anders geworden! Ändert euch!‘"

!Theatermann

Der 1890 als Sohn eines Wiener jüdischen Anwalts geborene Autor, der mit vollem Namen Lothar Ernst Müller hieß, kannte das Milieu, über das er schrieb. Er wirkte, ursprünglich Beamter im Handelsministerium, als enger Mitarbeiter von Max Reinhardt bereits vor seiner Vertreibung als erfolgreicher Regisseur am Burgtheater und, ab 1935, als Direktor des Theaters in der Josefstadt.

Nach seiner Heimkehr aus der Emigration setzte Lothar diese Karriere auf dem eingeschlagenen Höhenweg fort, wiederum mit Inszenierungen am Burgtheater und als Direktoriumsmitglied der Salzburger Festspiele (u. a. als Regisseur des "Jedermann").

[{Image src='Buchcover.jpg' caption='' alt='Buchcover: Der Engel mit der Posaune' class='image_left' width='200' height='326'}]

Eine jüngst im Böhlau-Verlag erschienene, voluminöse Monographie von Dagmar Heißler zeichnet Persönlichkeit und Lebensweg des 1974 verstorbenen Autors und Theatermanns minutiös nach, der als Traditionalist den Wiederaufbau der österreichischen Bühnenkunst nach dem Krieg maßgeblich prägte.

In Ernst Lothars Roman wird die Symbolfigur des pausbackig blasenden Engels von den marodierenden Nazihorden schließlich von der Hauswand geschlagen.

Gleich sieben Racheengel blasen in der Apokalypse des Johannes mit ihren Posaunen die einzelnen, von Plagen und Strafen erschütterten Abschnitte des Weltendes aus. Nach dem "Weltende" des Dritten Reiches feierte sich ein "Volk, begnadet für das Schöne" alsbald selber hymnisch. Den mitzudenkenden Zusatz "befleckt von der Hingabe an das NS-Böse" unterschlug es indessen lange Zeit.


!!Information

* ''Ernst Lothar. Der Engel mit der Posaune. Roman eines Hauses. Nachwort von Eva Menasse. Zsolnay Verlag, Wien 2016, 544 Seiten, 26,80 Euro.''

* ''Dagmar Heißler. Ernst Lothar. Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender. Monographie. Böhlau Verlag, Wien 2016, 480 Seiten, 60,- Euro.''


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[Wiener Zeitung|http://wienerzeitung.at], Sonntag, 17. März 2016
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