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Klänge aus der Bukowina#

Für die Lyrikerin Rose Ausländer wurden existenzielle Erschütterung und Sprachwechsel zur poetischen Kraftquelle.#


Von der Wiener Zeitung (20. Mai 2018) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Evelyn Polt-Heinzl


Rose Ausländer 1918
"Mit dem Akazienduft / fliegt der Frühling / in dein Erstaunen": Rose Ausländer (1901-1988). Abbildung 1918.
Foto: Aus dem Nachlaß Max Scherzer. Aus: Wikicommons, unter PD

Natürlich ist ein dreißigster Todestag im Jubliäumskreislauf nicht unbedingt verpflichtend - aber das Gedenkjahr 2018 wäre doch ein guter Anlass, an Rose Ausländer zu erinnern, die am 11. Mai 1901 in Czernowitz geboren wurde, die Shoah überlebt hat und am 3. Jänner 1988 verstorben ist.

In Österreich ist bisher nichts passiert - die Ehrenrettung kommt vom Ausland. Zum Beispiel von Slowenien. Johann Lughofer, Professor am Germanistik-Institut der Universität Ljubljana, widmete der Autorin - nach Jandl, Fried, Aichinger, Trakl, Mayröcker, Lavant und Franzobel - die diesjährigen Internationalen Lyriktage. Eingeladen waren nicht nur Forscherinnen und Forscher, sondern auch die Poetry-Slammer Mieze Medusa und Markus Köhle, die mit ihren "Fortschreibungen" auf Gedichte Rosa Ausländers reagierten und damit auf originelle Art ihre Aktualität aufzeigten. Was kann da in ein paar Minuten Köhle’scher Sprachverdichtung nicht alles aus einem Vers ihres Gedichts "Noch bist du da" werden!

Auch ihre Geburtsstadt setzte zum Gedenkjahr ein Zeichen: Genau an ihrem Geburtstag wurde auf Initiative der Berliner Malerin Helga von Löwenich am Türkenplatz in Czernowitz/Ukraine ein Denkmal enthüllt, gestaltet von Volodymyr Cisaryk und finanziert vom Außenministerium der BRD. Geehrt wurde bei diesem Festakt auch Helmut Braun, Nachlassverwalter, Vorsitzender der Rose- Ausländer-Gesellschaft und langjähriger Vertrauter der Autorin. Als er 1975 einen ersten Sammelband herausbrachte, wurde Rose Ausländer vom Geheimtipp zu einer bekannten und viel gelesenen Autorin.

1984 bis 1990 edierte Braun 2500 ihrer Gedichte in einer achtbändigen gebundenen Werkausgabe, der eine Edition in 16 wohlfeilen Taschenbuchbänden folgte, die nach wie vor erhältlich sind. Und wer eine Kurzinformation zu Leben und Werk der Autorin sucht, kann zu einem schmalen Bändchen greifen, das Helmut Braun in der Reihe Jüdische Miniaturen des Verlags Hentrich & Hentrich soeben herausgebracht hat (siehe Kasten).

Die Beschäftigung mit Rose Ausländers Werk steht zwangsweise im Zeichen von Heimat- und Sprachverlust, Verfolgung, Exil und dem Trauma der Shoah, schließlich gehörte sie zu den knapp zehn Prozent der sechzigtausend Juden von Czernowitz, die das Terrorregime der Nationalsozialisten und rumänischen Faschisten überlebten. Gerade in dieser Zeit wurde Schreiben für sie auf eine existenzielle Art (über-)lebenswichtig.

Rose Ausländer entstammt einem liberalen jüdischen Elternhaus, ein besonders enges Verhältnis verband sie mit ihrem Vater. Nach seinem frühen Tod 1920 lebte und arbeitete sie für mehrere Jahre in New York. Auch 1939 war sie hier zu Besuch bei Freunden, kehrte aber wegen der Erkrankung ihrer Mutter nach Czernowitz zurück. Die beiden Frauen überlebten zunächst dank Rose Ausländers Arbeit als Krankenschwester, dann in Kellerverstecken.

1946 ging Ausländer endgültig nach New York und lebte bis zu ihrem Tod nie wieder in einer eigenen Wohnung, stets in möblierten Zimmern, Pensionen und zuletzt im Altenheim. Die Bukowina wird sie nie wieder sehen, auch nicht das Grab ihrer Mutter, die hier im Februar 1947 starb. Das schwierige Mutter-Tochter-Verhältnis blieb dadurch für Ausländer eine ewig offene Wunde, an der sie sich in zahlreichen verklärenden Mutter-Gedichten abarbeitet.

Jahre des Verstummens#

Auch die Einwurzelung in Amerika gelang nicht wirklich - sie hatte nicht nur die Heimat verloren, sondern auch ihre Sprache. "Deutsch zu sprechen hast du dir verboten, / Wie du sagst: aus Zorn und tiefer Scham. / Doch wie sprichst du nun zu deinen Toten, / Deren keiner mit herüberkam?" So heißt es in einem Gedicht Berthold Viertels, und das war auch Ausländers Dilemma. Nach einigen Jahren des völligen Verstummens entstanden bis 1956 ausschließlich Gedichte in englischer Sprache und Übersetzungen deutschsprachiger Autoren ins Englische - beides im Urteil von Anglisten durchaus gelungen und originell.

Die existenzielle Erschütterung durch das Erlebte und auch der Sprachwechsel werden für Ausländer aber letztlich zu einer poetischen Kraftquelle. Die Bekanntschaft mit dem Werk E. E. Cummings oder William Carlos Williams öffnen ihre Lyrik und befreien sie von formalen Zwängen. Als sie 1956 zur deutschen Sprache zurückkehrt, haben ihre Gedichte einen völlig neuen Ton: freie Rhythmen, ungebundene Verse, verknappt und streng komponiert, was Melodie und Bildsprache betrifft.

Denkmal in Rose Ausländers Heimatstadt Czernowitz
Denkmal in Rose Ausländers Heimatstadt Czernowitz.
Foto: © Alina Moroz

1963, nachdem sie für die Familie ihres Bruder die Ausreise aus Rumänien erkämpft hat, verlässt Rose Ausländer New York und quartiert sich in Wien in einer Pension im neunten Bezirk (Hörlgasse) ein. In Wien erscheint 1965 in der von Rudolf Felmayer im Bergland Verlag betreuten Buchreihe Neue Dichtung aus Österreich ihr bis dahin viertes Buch, "Blinder Sommer". Das titelgebende Gedicht enthält in sieben zweizeiligen Versen eine bedrückende Bestandsaufnahme, wie die Katastrophe der Zeitgeschichte Leben und Charakter der Menschen mit Schäbigkeit und Gift überzieht, poetisch nachgezeichnet mit der Adjektiv-Kette ranzig-rot / sauer / rostig / fremd / pedantisch / blind, die den zentralen Vers einkreist: "es ist ein Aschensommer in der Welt".

Radikaler Rückzug#

In Wien hält es Rose Ausländer - auch aufgrund einschlägiger Erlebnisse mit dem Fortleben des Antisemitismus - nicht lange, sie geht nach Düsseldorf, wo sie die ersten sieben Jahre in einer Pension lebt, ab 1972 dann im Nelly-Sachs-Haus der Jüdischen Gemeinde. Als sich Mitte der 1970er Jahre der Erfolg einstellt, trifft sie eine radikale Entscheidung: Um der Betriebsamkeit rund um ihre Person zu entkommen, erklärt sie sich - ohne krankheitsbedingte Notwendigkeit - Ende 1977 für bettlägrig und wird bis zu ihrem Tod nicht mehr aufstehen. Sie sieht nur ihren Bruder, die Pflegerinnen - und jeden Freitag Nachmittag ihren Vertrauten Helmut Braun, der die Verbindung zum Literaturbetrieb für sie organisiert. In dieser radikalen Form des Rückzugs entsteht noch eine Unmenge an Gedichten.

Wer Ausländers Lyrik schätzt, findet sich oft rasch in einer gewissen Verteidigungsposition. Es ist ein Impuls, ihr Werk als der Moderne zugehörig zu reklamieren, gegen jene, "die sie zur Wald- und Wiesen-Poetin degradieren wollen" und ihr Werk "als postkartenkompatibel" verstehen, wie der langjährige Rose-Ausländer-Forscher Martin Hainz zu recht beklagt. Denn das ist so ungerecht wie die immer wieder unterstellte Nähe zur Lyrik des um fast 20 Jahre jüngeren Paul Celan, den Ausländer 1944 im Ghetto von Czernowitz kennengelernt hatte.

Zumindest die Urheberschaft der berühmten Metapher "schwarze Milch" aus Celans "Todesfuge" - zuerst publiziert in Hans Weigels Jahrbuch "Stimmen der Gegenwart 1951" - ist mittlerweile final geklärt: Sie entstammt einem Gedicht aus Rose Ausländers 1939 in Czernowitz erschienenem Band "Der Regenbogen".

Ein immer wieder zitiertes Urteil aus dem Jahr 1976 lautet, Rose Ausländer habe ganze Traditionen des modernen Gedichts von Benn bis Brecht übersprungen, und die Faszination ihrer Lyrik verdanke sich "eben diesem Überspringen", denn nicht nur die Klänge aus der entschwundenen Bukowiner Heimat seien so unwiderstehlich, sondern zugleich die "Klänge aus der verlorenen Heimat des spätromantischen Gedichts". Das unterstellt, Ausländers Gedichte würden sich als Spätlinge einer abgelegten Traditionslinie hinzufügen und versperrt die Sicht auf ihre ganz eigenen poetischen Verfahrensweisen.

So baut sie in ihre Gedichte häufig einen "unzugehörigen" Begriff ein, der, wie behutsam er auch gesetzt ist, ein allzu heimisches Sich-Einrichten im gemalten (Landschafts-)Bild verhindert. Das ist auch schon in ihren frühen Gedichten der Fall - bevor "der Reim in die Brüche ging".

Oft ist es jener mit dem größten poetischen Glanz. "Schnee / aus Januar geschnitten / weiße Bänder / an Gassen verteilt / darüber schwarze Zimtmühlen / im Gang", lautet die erste Strophe des Gedichts "Januar in New York". Das Wort "Zimt" transportiert die Erinnerungsspur an ein zentrales Gewürz der jüdischen Küche, zugleich sind die "schwarzen Zimtmühlen" die Fabrikschlote, die für die rasche Zerstörung der weißen "Schneebänder" sorgen und mit der Erinnerung an die Shoah parallel gesetzt werden: "Der Krieg liegt noch / als Ruß auf der Stirn".

Bildliche Schubumkehr#

Außerdem hat Ausländers Bildsprache eine ausgeprägte Neigung zu überraschenden Schubumkehr-Manövern. Etwa: "Mit dem Akazienduft / fliegt der Frühling / in dein Erstaunen // Der Flieder / duftet uns jung", oder: "Die Sonnenbiene / hat den Stachel verloren". Das rückt die Hitze des Tages im Flug der Bienen ebenso ins Bild wie das Relative der nächtlichen Abkühlung, der nur der "Stachel" fehlt.

Hier setzt sich nicht ein lyrisches Ich in Szene oder ins Bild, vielmehr emanzipieren sich Naturphänomene zum handelnden Subjekt und stellen damit Perspektiven auf den Kopf. Der Wechsel der logischen Bezugssysteme und die Aufhebung vertrauter Verbindungen ergeben nicht nur einen poetischen Mehrwert, derartige Konventionsbrüche machen Alltägliches neu und unverbraucht beschreibbar.

Damit erfüllen Ausländers Gedichte eine zentrale Funktion von Poesie: Sie arbeiten an der Revitalisierung von übernutzten, (von der Historie) ausgebrannten Begriffen und bergen darin die Erinnerung an Unaussprechbares und oft Verschwiegenes.

Information#

Buchcover

Helmut Braun

Rose Ausländer. Der Steinbruch der Wörter

Verlag Hentrich & Hentrich, Berlin 2018, 102 Seiten.

Rose Ausländer

Christian Morgenstern-Translations

Kommentiert und herausgegeben von Martin A. Hainz. Verlag Dr. Kovač, Hamburg 2012, 90 Seiten.

Wiener Zeitung, 20. Mai 2018