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"Bepi Colombo" nimmt Direktkurs auf Merkur #

Die europäisch-japanische Sonde holt Schwung an ihrem Ziel, um es 2025 erreichen zu können.#


Von der Wiener Zeitung (1. Oktober 2021) freundlicherweise zur Verfügung gestellt

Von

Eva Stanzl


'Bepi Colombo' ist laut ESA eine der 'schwierigsten und aufwendigsten Missionen' in der Erforschung des Planetensystems
"Bepi Colombo" ist laut ESA eine der "schwierigsten und aufwendigsten Missionen" in der Erforschung des Planetensystems.
Foto: © ESA / ATG medialab, NASA / JPL

Völlig zu Recht ist Giuseppe Colombo der Namensgeber der Mission. Ohne die Arbeiten des in Padua geborenen Mathematikers und Astrophysikers (1920 bis 1984) mit Spitznamen "Bepi" wäre das Wissen der Menschheit über den wenig erforschten Planeten Merkur wohl noch schmäler. Colombo lehrte Schwingungs- und Himmelsmechanik an der Universität Pisa. Seine Berechnungen der Himmelsbahnen ermöglichten der Nasa-Sonde "Mariner 10" in den Jahren 1974/75 drei Vorbeiflüge am sonnennächsten Planeten unserer komischen Heimatregion.

In Würdigung seiner Leistungen nannte die Europäische Weltraumorganisation (ESA) 1999 das Projekt einer Merkur-Sonde, das sie gerade beschlossen hatte, "Bepi Colombo". Die Satellitenmission ist seit drei Jahren zum fast 9 Milliarden Kilometer entfernten Planeten unterwegs. Am 101. Geburtstag des Namensgebers, am 2. Oktober 2021, wagt sie sich das europäisch-japanische Raumschiff bis auf 200 Kilometer an Merkur heran.

Höllisch heiße Temperaturen#

Vorbeiflüge wie dieser, auch Swing-by-Manöver genannt, "ermöglichen es, mit wenig Kraftstoff kostengünstig im All weiterzukommen", sagt Wolfgang Baumjohann, Direktor des Grazer Instituts für Weltraumforschung (IWF) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, zur "Wiener Zeitung". Ein relativ leichter Raumflugkörper, wie eine Sonde, fliegt dicht an einem sehr viel größeren Objekt, wie einem Planeten, vorbei. Die Schwerkraft des ungleich massiveren Himmelskörpers beeinflusst den Kurs des im Vergleich federleichten Satelliten, wodurch dieser die Flugrichtung ändert oder seine Geschwindigkeit steigern oder mindern kann. "Bepi Colombo" nutzt den Vorbeiflug an seinem Zielplaneten, um diesen schließlich im Jänner 2025 erreichen zu können.

Merkur ist mit einem Durchmesser von 4.880 Kilometern der kleinste und mit einer durchschnittlichen Sonnenentfernung von 58 Millionen Kilometern der sonnennächste und somit schnellste Planet im Sonnensystem. Seine Temperatur erreicht tagsüber ein Maximum von 430 Grad Celsius und nachts ein Minimum von bis minus 170 Grad Celsius. Er weist die größten Oberflächentemperaturschwankungen aller um unseren Heimatstern kreisenden Planeten auf.

Wegen seiner Nähe zur Sonne ist Merkur aus der Ferne schwer zu beobachten und wegen der Hitzen aus der Nähe schwer zu erkunden und für Raumsonden außerdem schwer zu erreichen. Merkur ist der am wenigsten erforschte innere Planet unseres Sonnensystems. "International wird ‚Bepi Colombo‘ als eine der schwierigsten und aufwendigsten Missionen in der Erforschung des Planetensystems angesehen", hebt die ESA auf ihrer Hompage hervor. Der Großteil des bisherigen Wissens stamme von den Vorbeiflügen von "Mariner 10", doch nicht einmal die Hälfte der Oberfläche sei fotografisch erfasst.

Wie entsteht das Magnetfeld?#

Rein optisch gleicht der nach dem römischen Gott des Handels, Gewerbes und Reichtums benannte Himmelskörper mit seiner von Kratern durchsetzten Oberfläche dem Erdmond. Sein Inneres scheint jedoch eher dem der geologisch dynamischen Erde zu entsprechen. Eine mit der Erde vergleichbare Atmosphäre besitzt er nicht - diese ist wiederum dünn wie jene des Mondes. Merkur dürfte einen riesigen Kern aus Eisen von etwa 3.600 Kilometer Durchmesser besitzen und somit zu drei Viertel aus Eisen bestehen. Er hat, wie die Erde, ein Magnetfeld. Völlig unklar ist allerdings, wie es entsteht.

Mit der Mission will die ESA erkunden, ob Merkurs Magnetfeld durch dynamoartige Vorgänge im Planetenkern erzeugt wird - was einen zumindest teilweise flüssigen Kern voraussetzen würde - oder ob es durch magnetisierte, eisenhaltige Gesteine an der Oberfläche hervorgerufen wird. "Zum ersten Mal wird eine Raumsonde das Merkur-Magnetfeld der südlichen Hemisphäre in niedriger Höhe messen", sagt Baumjohann. "Damit stehen die Modelle für das Eigenmagnetfeld des Planeten auf dem Prüfstand."

Im Gepäck hat die Merkur-Sonde Technik aus Österreich. Das Lenksystem wurde vom Weltraumunternehmen Ruag Space in Wien entwickelt und gebaut. Auch die Motorsteuerung der Solarpaneele und die Hochtemperaturisolation stammen von dem heimischen Weltraumzulieferer.

"Bepi Colombo" besteht aus zwei getrennten Orbitern, abgekürzt MMO-MFG und MPO-MAG genannt, die während des Flugs übereinander auf einem Transfermodul befestigt sind. Das Grazer IWF ist an den Magnetfeldmessgeräten beider Raumsonden beteiligt. Während des Vorbeiflugs sind die Geräte einer Sonneneinstrahlung ausgesetzt, die um ein Vielfaches höher als auf der Erde ist. "Es ist ein erster Test, ob die thermischen Schutzkonzepte für unsere Messgeräte funktionieren", wird Werner Magnes, Technischer Manager des Magnetometers MMO-MGF, in einer Aussendung zitiert. Die Ergebnisse werden mit Spannung erwartet. "Bei dem Manöver kann im Grunde aber nichts schiefgehen", sagt Baumjohann, wissenschaftlicher Leiter von MMO-MGF.

Obwohl Merkur mit Kratern getupft ist, wurden keine Zeichen für Vulkanaktivität oder Plattentektonik entdeckt. Vielmehr spreche die große Anzahl der Krater je Fläche - das ist ein Maß für das Alter der Kruste - "für eine sehr alte, etwa 4 bis 4,5 Milliarden Jahre alte Oberfläche", heißt es seitens der ESA. Es gebe auch keine Spuren von Erosion durch Wind oder Wasser. Wassereis aus der Entstehungszeit des Planeten könnte aber trotz der Sonnennähe im Inneren polnaher Krater konserviert worden sein. "Merkur gilt als Schlüssel zur Geschichte unseres Sonnensystems. Vielleicht führt uns ‚Bepi Colombo‘ bis an die Frühgeschichte der Erde heran", stellt die ESA in Aussicht.

Am 2. Oktober 2021 hat die Sonde ihren ersten Flug um ihren künftigen Bestimmungsort Merkur gemeistert. Um 1.34 Uhr und 42 Sekunden (MESZ) ist sie Merkur, dem innersten Planeten des Sonnensystems, im Abstand von rund 199 Kilometern am nächsten gewesen.

Wiener Zeitung, 1. Oktober 2021