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Die Fiktion und das große Tabu #

Hierzulande ist Gentechnik in der Landwirtschaft weiterhin verpönt. Doch unsere gentechnikfreie Idylle wird nicht zu halten sein. Vernünftige Lösungen zur Regulierung sind daher gefragt. Eine Analyse. #


Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: DIE FURCHE (Donnerstag, 30. März 2017 )

Von

Helge Torgersen


Grüne Gentechnik, Symbolbild
Grüne Gentechnik Darunter versteht man vor allem gentechnische Verfahren in der Pflanzenzüchtung sowie die Nutzung gentechnisch veränderter Pflanzen in der Landwirtschaft und im Lebensmittelsektor.
Foto: Foto: Shutterstock

Erinnern Sie sich? Vor 20 Jahren haben 1,2 Millionen Österreicher das Gentechnik-Volksbegehren unterschrieben. Sie forderten kein Essen aus dem Genlabor, keine Freisetzungen genmanipulierter Organismen und kein Patent auf Leben. Heute gibt es zwar etliche Patente, aber keine Freisetzungen in Österreich und keine gentechnisch veränderten Nahrungsmittel, zumindest keine so gekennzeichneten. Österreichs Supermärkte und Küchen sind also weitgehend gentechnikfrei, auch wenn Futtermittel oft gentechnisch veränderten Mais und Soja enthalten. Aber die Idylle ist gefährdet.

Anfang der 1990er-Jahre war die Agrochemie in Verruf geraten. Die Landwirtschaft sollte zwar konkurrenzfähiger, aber auch nachhaltiger werden, nur hieß das damals noch nicht so. Gentechnik passte da schlecht, weil die Risiken unklar schienen und die Erfahrung fehlte. Neue Gesetze sahen strenge Überprüfungen für gentechnische Züchtungen vor. Wissenschaft und Industrie fanden das ungerecht, weil auch traditionelle Methoden genetische Veränderungen bewirken. Stattdessen sollten die neuen Eigenschaften der Pflanzen geprüft werden, unabhängig von der Züchtungstechnik. Das lehnten viele ab.

Eingriff ohne Nachweisbarkeit #

Es folgten der Skandal um die nichtdeklarierte Einfuhr von genverändertem Soja aus den USA, das Klon-Schaf Dolly, BSE und andere Lebensmittelskandale, die zwar nichts mit Gentechnik zu tun hatten, aber das Vertrauen in Industrie und Behörden untergruben. Das Gentechnik-Volksbegehren wurde so zum zweiterfolgreichsten in Österreich bis heute. Gentechnik in der Landwirtschaft war und ist verpönt. Sie ist aber nicht gefährlich – diese Aussage ruft vor allem in Österreich oft Empörung hervor, weil das ja nicht bewiesen sei. Zahlreiche Studien haben aber keinen Hinweis auf besondere Risiken aus der Methode ergeben. Aus wissenschaftlicher Sicht kann man nach 30 Jahren jedenfalls nicht behaupten, dass Gentechnik gefährlich sei.

Mittlerweile ist die Debatte abgeflaut. In Österreich wird dennoch ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass Gentechnik im Essen von Übel und zu vermeiden sei. Begründung braucht es keine, alle scheinen sich darauf verständigt zu haben. Aber das könnte sich ändern. Eine neue Technik wirft nämlich alles über den Haufen: „Gen- Editing“ (siehe Beitrag links). Unter anderem lässt sich damit das Genom (Erbgut) von Nutzpflanzen verändern, ohne dass es nachweisbar ist. Theoretisch könnte dieselbe Veränderung auch ohne gezielten Eingriff entstehen. Man könnte gentechnisch verändertes Saatgut nicht mehr unterscheiden – eine Kennzeichnung wäre sinnlos. Neue, nicht gekennzeichnete Züchtungen könnten alte ersetzen. Das vereinbarte Stillhalten würde unterlaufen, auch wenn die Öffentlichkeit bislang kaum Kenntnis davon hat. Wie soll man damit umgehen?

Manche verlangen, dass beim gezielten Eingriff ins Genom einer Pflanze, egal womit, alles dokumentiert und bekanntgegeben wird. Technisch wäre auch ein „Wasserzeichen“ möglich. Die Versuchung wäre allerdings groß, all das zu unterlassen. Denn wenn Gentechnik draufsteht, könnten die Produkte kaum zugelassen und verkauft werden. Oder die Züchter verzichten auf gentechnische Methoden, was aber immer schwieriger wird. Industrie und Wissenschaft hingegen wünschen sich eine Neudefinition, was als gentechnisch gelten soll: nur das, was sich auch nachweisen lässt, etwa eingeführte artfremde Gene oder große Veränderungen. So könnte man in vielen Fällen neue Methoden verwenden – und die Produkte trotzdem nicht speziell zulassen und kennzeichnen müssen.

Ein dritter, radikalerer Ansatz wäre, den Begriff „Gentechnik“ ganz fallenzulassen. Dann würden nur die neuen Eigenschaften zählen. In Kanada etwa werden alle neuartigen Sorten grundsätzlich genauer geprüft, egal wie sie hergestellt wurden. Wenn es nur um die Produkteigenschaften geht, würden auch alle künftigen, noch nicht bekannten Methoden erfasst. Man könnte neue Sorten auch nach Kriterien wie Umweltauswirkungen oder ihre Eignung für bestimmte klimatische und agrarökologische Bedingungen prüfen. Wie das Saatgut entstanden ist, wäre nebensächlich.

Konsistente Regeln oder nur keine Wellen? #

Das wäre konsistenter und wohl auch praxisnäher als die heutige Regelung, nimmt aber keine Rücksicht auf die weit verbreitete Ablehnung der Gentechnik. Auch ohne dokumentierte Risiken ist Wahlfreiheit ja ein Konsumentenrecht. Plakativ ausgedrückt: Wenn es keine Gentechnik mehr gibt, verschwindet auch die Gentechnikfreiheit. Für manche wäre das inakzeptabel, daher wird es wohl immer einen Markt für garantiert gentechnikfreie Produkte geben, ebenso wie für solche, die halal oder koscher sind.

Einerseits lässt sich die bisherige Gentechnik- Regulierung kaum ohne Ungleichbehandlung gleicher Sachverhalte anwenden. Zudem werden einige Techniken, die sich durchaus für eine an lokale ökologische und soziale Bedingungen besser angepasste Landwirtschaft eignen, systematisch verhindert. Andererseits scheinen derzeit alle mit dem Status quo leben zu können. Neue Sachverhalte werden stets irgendwie so eingepasst, dass Skandalisierung und Vertrauensverlust – wie im Fall BSE – vermieden werden. Damit bleiben das Tabu und die Fiktion der Gentechnikfreiheit aufrecht. Das Tabu wird auf längere Sicht aber unterlaufen werden, und dann braucht man vernünftige, konsistente Lösungen. Eine Regulierung nach Eigenschaften und nicht nach der Technik wäre vernünftiger, wenn auch kurzfristig unpopulär. Aber populäre Lösungen sind nur selten vernünftig.

Der Autor ist am Inst. für Technikfolgenabschätzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften tätig.

DIE FURCHE, Donnerstag, 30. März 2017