!!!Hoffnung auf sozialistische Revolution 

!!Er starb vor 80 Jahren, in der Nacht vom 4. zum 5. Juli 1938, im Exil in Paris. Zeitlebens prägte den Politiker Otto Bauer das Ideal einer demokratischen deutschen Republik. Seine Geschichte ist jene von Demokratie und Sozialismus in der „österreichischen Revolution“. 

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''Mit freundlicher Genehmigung aus der Wochenzeitschrift [DIE FURCHE|http://www.furche.at] (5. Juli 2018)''


Von 

__Wolfgang Häusler__

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[{Image src='Bilder_und_Videos/Bilder_Wien/1020_Gedenktafeln/8276/1020_Leopoldsgasse_6-8_-_Otto_Bauer-Gedenktafel_IMG_8276.jpg' height='570' class='image_right' caption='Otto Bauer. Geboren am 5. September 1881 in Wien; gestorben am 5. Juli 1938 im Exil in Paris. Wer sein groteskes Denkmal in der Wiener Leopoldsgasse errichtet hat, ließ sich nicht eruieren © [Ewald Judt|Infos_zum_AF/Editorial_Board/Judt,_Dr._Ewald_(Wirtschaftswissenschaft)]' alt='Otto Bauer Gedenktafel' width='428'}]



Aus der Fassade des (laut Dehio- Handbuch) „st renghistor ist ischen Großmietshauses“ von 1872 in Wien II., Leopoldsgasse 6-8, springt ein überlebensgroßer Kopf von grotesker Hässlichkeit vor, gewidmet „dem großen Theoretiker der österreichischen Sozialdemokratie“ – [Otto Bauer|Biographien/Bauer,_Otto], der hier 1881 als Sohn eines jüdischen Textilfabrikanten geboren wurde. Seine Schwester Ida ist als Patientin Sigmund Freuds in die psychoanalytische Literatur eingegangen. 

Der Ursprung dieses Denkmals ist rätselhaft. Vergeblich habe ich mich auf allen Ebenen der SPÖ, beim Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung, Bundesdenkmalamt, Leopoldstädter Bezirksmuseum und Wiener Stadt- und Landesarchiv erkundigt. Nur eine dürre Notiz im Bezirksjournal (Nr. 3/1985) verrät unter dem Titel „Unerlaubte Gedenktafel“: „Ohne Wissen der Bezirksvertretung haben Jugendliche in der Leopoldsgasse ein Denkmal errichtet.“ Die „SP-Politiker“ nahmen Anstoß an der „dilettantischen Ausführung“ und der „stillen Einweihung“; eine „Verschönerung“ und „öffentliche Einweihung“ seien geplant. Stilistisch liegt die Vermutung nahe, dass der Otto-Bauer-Kopf von Leopold Grausam jun. (1946-2010), Schöpfer des Denkmals für die Opfer der NS-Gewaltherrschaft auf dem Morzinplatz (gleichfalls 1985), stammt. Ich bitte meine Leser um Hinweise! 

!Fundamentaltexte 

In einer Antiquariatsanzeige finde ich die 1975-80 im Europa- Verlag erschienene neunbändige Bauer-Werkausgabe (9300 Seiten!) „aus einer gepflegten Professorenbibliothek, schwach angestaubt“, um 458 Euro, wichtiges Dokument der Besinnung auf die politischen Grundlagen in der Ära Kreisky. Seit der Jahrhundertwende war der allseitig belesene Student und Doktor Bauer in der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei tätig. Sein Debüt zur „Nationalitätenfrage“ (1907) ist einer der Fundamentaltexte des Austromarxismus, im Widerspruch „zwischen Reformismus und Bolschewismus“, den Norbert Leser 1968 analysierte. 

Politisch arbeitete Bauer als Sekretär der sozialistischen Reichsratsfraktion an der Seite Victor Adlers, von dem er 1918/19 kurzfristig das Außenamt, in der Gründungsphase der Republik Deutsch-Österreich, übernehmen sollte. Bauers Definition der Nation als einer historisch entstandenen Kultur- und Charaktergemeinschaft blieb idealistisch. Sozialismus war für ihn nicht vorrangig eine Machtfrage, sondern umfassendes Bildungsprojekt für das Proletariat. 

Als Reserveleutnant zog Bauer forsch in den Großen Krieg. Seit Ende 1914 in russischer Kriegsgefangenschaft, verfasste er in sibirischen Lagern eine große Studie zum „Weltbild des Kapitalismus“. Der Heimkehrer hatte 1917 in Petrograd Verbindungen zu den Menschewiken geknüpft und die Vorbereitungsphase der bolschewistischen Machtergreifung erlebt. Den Bolschewismus-Verdacht entkräftete Bauer. An Karl Kautsky schrieb er, die russische Revolution habe Maschinengewehre an die Stelle der Guillotine gesetzt. Seine Partei dämpfte den spontanen Massenstreik des Jänner 1918 und die daran anknüpfende „linksradikale“ Rätebewegung, die zu den gewerkschaftlichen Betriebsräten transformiert wurde. 

1923 reflektierte Bauer die „österreichische Revolution“. Seit Anfang 1918 sah er, mit dem Nationalitätenprogramm der Linken, keine Möglichkeit der Erhaltung der Habsburgermonarchie mehr. Mit dem „Gleichgewicht der Klassenkräfte“ begründete er die „Volksrepublik“ als „Übergangszustand“; die „nicht mehr in Klassen zerrissene Volksgemeinschaft“ müsse „in einem neuen revolutionären Prozeß“  verwirklicht werden, jener umfassenden Sozial-, Bildungs- und Kulturpolitik, die das Rote Wien erfolgreich in Angriff nahm. 

!„Am Grab der Demokratie“ 

In der nationalen Frage war Bauer zweifach von der bürgerlich- demokratischen Revolution von 1848/49 geprägt. Der Verfassungsentwurf des Reichstags von Kremsier blieb das Leitbild einer legalen, parlamentarischen Umgestaltung. Zeitlebens prägte ihn das Ideal einer demokratischen deutschen Republik. Der ihm eng verbundene Volksbildner und Historiker Ludo Moritz Hartmann setzte als Botschafter die schwarzrot- goldenen Farben der Weimarer Republik durch. 

In den Feiern zum Gedenken der Märzgefallenen knüpfte die Sozialdemokratie an die bürgerlich- demokratische Revolution von 1848 an. Eine Feier an der Wiener Universität 1921 wurde von antisemitischen Burschenschaftern und „christlichen“ Studenten mit Gebrüll, Knüppeln und Schlagringen gesprengt. Das Verbot politischer Veranstaltungen galt fortan ausschließlich den sozialistischen Studenten, die sich 1923 in einer Akademischen Legion, als Abteilung des Republikanischen Schutzbunds, formierten. 

Die letzte Kundgebung am Zentralfriedhof fand 1933 statt, nach der Zerstörung des Parlamentarismus durch Kanzler Dollfuß, dessen Bolschewismus-Vorwurf Bauer im Parlament 1932 pariert hatte. Jura Soyfer hat in seinem Romanfragment „So starb eine Partei“ diese „letzte Heerschau vor dem Schicksal“ tragisch verdichtet: „Die Massen liebten Otto Bauers harten, skandierenden Akzent. Er sprach auch diesmal hinreißend. Er rief ihnen zu: Noch sind nicht alle Märzen vorbei – neunzehnhundert dreißig und drei! ~[…] Bauers Gesicht war seinen Leitartikeln gemäß: ernst und zuversichtlich. Er grüßte die Menge mit erhobener Faust.“ Am selben Tag sagte sich die Arbeiter-Zeitung vom nationalsozialistischen Deutschland los: „Ein Volk, ein Reich – ein großer Kerker! ~[…] Wir stehen am Grabe der deutschen Demokratie.“ 1934 gab es keine Märzfeier mehr. In der „Kälte des Februar“ vollzogen sich die bittere Niederlage des Schutzbunds, das Verbot der sozialdemokratischen Partei, die Unterdrückung der Arbeiterbewegung mit der Errichtung des austrofaschistischen „Ständestaats“. 

!Exil in Brünn und Paris 

Bauer ging ins Exil nach Brünn. Nicht ohne innere Probleme wurde die illegale Arbeit der Auslandsvertretung und der Revolutionären Sozialisten Joseph Buttingers organisiert. Am 18. März 1934 formulierte Bauer in der illegalen Arbeiter-Zeitung im Rückgriff auf das Linzer Parteiprogramm von 1926: „Nicht die Wiederholung der bürgerlichen Demokratie von gestern, sondern eine revolutionäre Diktatur als Übergangsform zu einer echten […] sozialen Demokratie ist unser Ziel.“ Soziale Demokratie und Diktatur des Proletariats, Marx’ und Lenins Formel zur Machtergreifung, in einem Atemzug! Bauer, der an den Wendepunkten 1918/19, 1927, 1933/34 vor der revolutionären Tat zurückschreckte, ist der „große Illusionist“ (Ernst Hanisch) genannt worden. Im Wissen um die „persönliche Diktatur“ und den „Terror“ des Stalinismus hielt Bauer verzweifelt an einer Zukunft für den „Sozialismus in der Sowjetunion“ fest. „Zwischen zwei Weltkriegen?“ (1936) fragte er nach der Möglichkeit eines „integralen Sozialismus“. 

1938 emigrierte Bauer nach Paris. Sein politisches Vermächtnis war die Hoffnung auf eine gesamtdeutsche sozialistische Revolution. Er erlag in der Nacht vom 4. zum 5. Juli 1938 einem Herzinfarkt und wurde auf dem Friedhof Père Lachaise gegenüber der Mauer der Föderierten, dem Denkmal für die erschossenen Kämpfer der Pariser Commune von 1871, bestattet. 1948, im hundertsten Jahr nach der Revolution von 1848, wurde Otto Bauers Asche nach Österreich gebracht, und dann am 12. November 1950, am Tag der Republik, der nicht mehr zum Feiertag der „österreichischen Revolution“ wurde, am Zentralfriedhof vor dem Märzobelisken, an der Seite von Victor und Friedrich Adler und Bürgermeister Karl Seitz beigesetzt. 

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[DIE FURCHE|http://www.furche.at], 5. Juli 2018
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