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Das letzte Wort gehört nun doch den anderen#

Wolfgang Schüssel, Ex-Kanzler und ÖVP-Chef im Porträt#


Von der Wiener Zeitung (Dienstag, 6. September 2011) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Walter Hämmerle


Wolfgang Schüssel
Politische Stationen
Foto: © apa

Seine Anhänger sahen es positiv: Er habe wenigstens noch Visionen und Ziele gehabt. Seinen Gegnern waren sowohl diese Ziele wie auch die Mittel ihrer Durchsetzung zuwider.

Wolfgang Schüssel, geboren 1945 in Wien, polarisierte - abgesehen von Jörg Haider - wie kein zweiter Politiker. Das ist allein deshalb schon bemerkenswert, weil Schüssel anders als Haider ein genuines Produkt dieser Republik und ihrer sozialpartnerschaftlichen Kultur war. Sein Aufstieg verlief geradezu drehbuchmäßig nach den damaligen Usancen im perfekten Doppelpassspiel zwischen Parlament, Interessenvertretung und Regierung.

Was Schüssel von anderen Politikern seiner Generation unterscheidet, war sein Zug zur Macht und seine Bereitschaft, dafür auch hohe Risiken einzugehen. Und er verstand es, selbst schwierige Situationen zu überstehen, die andere längst Kopf und Kragen gekostet hätten. Man denke nur an die Neuwahlen 1995, die Schüssel erfolglos vom Zaun brach, oder das Wahlergebnis 1999, bei dem die ÖVP zum ersten Mal auf Platz drei zurückfiel. Doch Schüssel entging dem bis dahin üblichen Schicksal erfolgloser ÖVP-Obmänner - nicht zuletzt, weil er die bis dahin fast allmächtigen Teilbünde an den Rand drängte.

Ein Stratege der Macht, wie es seine Fans immer wieder von ihm behaupteten, war Schüssel dagegen keineswegs. Seine Stärke lag im blitzschnellen Erfassen der Möglichkeiten eines Augenblicks. 1995 ging das schief, nach den Wahlen 1999 war es dann jedoch so weit. In einem abenteuerlichen Manöver, das bei seinen Anhängern Begeisterung und seien Gegnern Abscheu hervorrief, stellte er der SPÖ den Sessel vor die Kanzlertür und ließ sich mithilfe der FPÖ als Dritter zum Kanzler küren. Das schwarz-blaue Bündnis sorgte im In- wie Ausland für heftige Reaktionen.

Doch Schüssel zeigte sich ungerührt und startete seine Mission zum Umbau Österreichs. Wettbewerbsfähiger sollte dieses werden, familienfreundlicher, leistungsgerechter. Die Gegner nannten es reaktionär und allzu wirtschaftsfreundlich. Leidenschaftsloser betrachtet folgte Schwarz-Blau wohl lediglich dem Trend der Zeit mit Deregulierung, Privatisierung sowie Reformen bei Pensionen und Verwaltung. Lob brachte Schüssel die Einigung auf Restitutionszahlungen als Geste an die Opfer des Nationalsozialismus ein. Das meiste Andere bleibt umstritten.

Die zweite große Stunde des Machttaktikers schlug 2002. Die FPÖ war wild entschlossen, sich auf offener Bühne selbst zu zerfleischen, die SPÖ längst noch nicht wieder kampagnenfähig. Wieder riskierte er Neuwahlen und diesmal gelang der Coup. Schüssel fuhr mit 42 Prozent und Platz eins einen triumphalen Sieg ein - seinen einzigen bei Nationalratswahlen.

Sein Machtanspruch war nun unbestritten, mögliche Partner standen Schlange: Sowohl mit SPÖ als auch FPÖ und Grünen hätte die ÖVP eine Regierung bilden können. Die Gespräche mit den Grünen scheiterten, Schüssel entschied sich erneut für die FPÖ. Wer weiß, wo die ÖVP heute stehen würde, hätte sie Schwarz-Grün gewagt?

Was folgte, war Regierungsroutine mit einer inferioren FPÖ und dem Höhepunkt des EU-Vorsitzes 2005: Für den begeisterten Europäer Schüssel wahrscheinlich der Höhepunkt seiner Karriere, vergessen war die Schmach der "Sanktionen" seitens der EU-14.

In den Wahlkampf 2006 ging der stets Misstrauische allzu siegesgewiss. Die Strafe folgte auf dem Fuß: Platz zwei und der Verlust des Kanzleramts. Doch nun den Hut zu nehmen, war nicht Schüssels Art, er sah sein Erbe in Gefahr und also blieb er - zunächst noch als Klubobmann, später dann, nach 2008, nur noch als einfacher Abgeordneter. Bis gestern. Nun scheint es so, als ob er den Kampf um die Deutungshoheit über seine Kanzlerschaft verliert.

Über den Menschen hinter dem Politiker schwirren mehr Gerüchte durch die Republik als Tatsachen. Meist beschreiben sie ihn als wenig herzlich, mitunter sogar als kalt, andere bezeugen seine Loyalität. Unbestritten ist sein musisches Talent, spielt er doch mehrere Instrumente und zeichnet. Zu seinen sportlichen Leidenschaften zählen Bergsteigen und Fußball. All dies mit großem Ehrgeiz. Seine Familie hat Schüssel meist gut abgeschirmt: Verheiratet mit der Kinderpsychologin Krista hat er eine Tochter und einen Sohn.

Wiener Zeitung, Dienstag, 6. September 2011