!!!Die Grundlage des Staates

!!Die theoretischen Schriften zu Österreichs Bundesverfassung wurden neu aufgelegt. Das ist zumindest ein Beitrag zum 90. Jahrestag des Bundes-Verfassungsgesetzes.

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''Mit freundliche Genehmigung der Wochenzeitschrift [DIE FURCHE|http://www.diefurche.at] (Donnerstag, 28. Oktober 2010)''

Von

__Bernhard Madlener __


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[{Image src='10-11-25-Verfassung.png' caption='Parlament und Hans Kelsen' width='400' class= 'image_right' alt='Parlament udn Kelsen' height='227'}]

"Ein Kompromiss" sei es gewesen,
das Bundes-Verfassungsgesetz
(B-VG) für die Republik Österreich,
welches am 1. Oktober 1920 von der
damaligen Nationalversammlung beschlossen
wurde. 90 Jahre nach Beschlussfassung
feiert das offizielle Österreich nicht nur seine
Bundesverfassung, sondern auch den
Juristen, der mit ihrer Ausarbeitung betraut
war: [Hans Kelsen|Biographien/Kelsen,_Hans] (kl. Bild), geboren
am 11. Oktober 1881 in Prag, gestorben am
19. April 1973 in Orinda, Kalifornien. Im Abgeordneten-
Sprechzimmer des Parlaments
wurde kürzlich des großen Rechtswissenschaftlers
gedacht und die Neuaufl age eines
zweibändigen Werks vorgestellt: „Die Wiener
rechtstheoretische Schule“. 

!Vergriffene Texte neu aufgelegt


Auf 2000 Seiten stellt die Kollektion Texte
von Kelsen und seinen bekanntesten Mitstreitern,
Adolf Merkl und Alfred Verdross, wieder
zur Verfügung. Erstmals 1968 aufgelegt, waren
die 107 Aufsätze „nicht einmal mehr antiquarisch“
zu bekommen, wie Barbara Raimann,
Leiterin des Verlags Österreich, bei der
Präsentation feststellte. Gemeinsam mit dem
Franz Steiner Verlag und unter Aufsicht von
Herbert Schambeck und Hans R. Klecatsky,
welche schon 1968 mit dem drei Jahre später
verstorbenen René Marcic als Herausgeber
fungierten, sollte das geändert und ein
Standardwerk der österreichischen Rechtsgeschichte
wieder aufgelegt werden. Kelsen,
Merkl und Verdross waren für die Auslegung
des B-VG, „dieser Primärquelle des Staatsrechts“,
wegweisend, betonte Schambeck.


Geordnet nach Sachgebieten und zeitlichen
Gesichtspunkten fi nden sich in den
zwei Bänden Abhandlungen über „Grenzen
zwischen juristischer und soziologischer
Methode“ (Kelsen) genau so wie
etwa eine Analyse der „Würde des Menschen
in der abendländischen Rechtsphilosophie“
( Merkl) oder die Bearbeitung der
Frage: „Ist das Völkerrecht nur für Staatsmänner
und Diplomaten von Bedeutung?“
(Verdross). „Eine geniale Sammlung“, meint
Thomas Olechowski, ao. Professor am Institut
für Rechts- und Verfassungsgeschichte
der Universität Wien, im Gespräch mit der
FURCHE. Kelsens Schriften gehörten zum
Grundinventar juristischen Wissens, etwa
wenn es um die „theoretische Rechtfertigung
der Verfassungsgerichtsbarkeit“ gehe.

In einer bemerkenswerten Rede zeichnete
Schambeck, der Merkls letzter Assistent war,
die Lebenswege der drei Wissenschaftler nach
und erinnerte an das Schicksal Kelsens, der
1930 nach einem Jahrzehnt als Verfassungsrichter
an die Universität Köln wechselte, wo
er eine Professur für Völkerrecht besetzte.
1933 wurde er als einer der ersten Professoren
durch das NS-Regime von der Universität entfernt
– 1905 zum Christentum konvertiert,
galt er den Nazis noch als Jude. Bis 1940 lehrte
Kelsen in Genf und Prag, emigrierte schließlich
nach Kalifornien. 1945 wurde er US-Bürger
und, nach verschiedenen Gastprofessuren
ohne Anstellung, „Full Professor“ für Politikwissenschaft
in Berkeley, wo er 1952 emeritierte.
Unter den Studenten hieß es, man
müsse Deutsch lernen, um Kelsen zu verstehen;
er selbst meinte: „My english is only for
friends.“ Dennoch sei belegt, dass „Juristen
von weit her anreisten, um Kelsen zu hören“,
so Schambeck. Hierzulande wurde der „Vater“
der Verfassung nach dem Zweiten Weltkrieg
immerhin zum korrespondierenden Mitglied
der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
gewählt. Eine Einladung zur Rückkehr
gab es – wie für so viele Exilanten – nicht.

!Rechtspositivismus und Moralß

Adolf Julius Merkl (1890–1970) bezeichnete
sich 1938 selbst als „ersten Märzgefallenen
seiner Fakultät“. Der Rechtsprofessor
musste die Uni Wien verlassen und war später,
von 1943 bis 1950, in Tübingen tätig, bevor
er an seine Alma Mater zurückkehren
konnte. Einzig Alfred Verdross (1890–1980)
hatte Österreich während der NS-Diktatur
nicht den Rücken kehren müssen, wenngleich
er „Einschränkungen“ erfuhr, wie
Schambeck erklärt. „Diese drei Rechtsgelehrten
ergänzten einander perfekt“ – im öffentlichen
Recht, der Staatslehre, der Rechtsphilosophie
–, was sich in der Verehrung
ihrer Schriften spiegelt.


Der von der Wiener rechtstheoretischen
Schule vertretene Rechtspositivismus bleibt
umstritten. Kelsen berief sich auf das von
Menschen gemachte (positivierte) Recht.
Abgelehnt werden übergeordnete Instanzen
– und damit göttliches Recht oder Naturrecht.
„Religionen und Weltanschauungen
taugen nicht für die wissenschaftliche Arbeit“,
präzisiert Thomas Olechowski, der
sich seit Langem mit Kelsen auseinandersetzt
und an einer Biografi e schreibt. Natürlich
werde Moral nicht ausgeblendet, es
gehe dem Rechtspositivisten nur um die Erkenntnis,
was gültiges Recht ist.


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[DIE FURCHE|http://www.diefurche.at], 28. 10. 2010
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[{Metadata Suchbegriff='Bundesverfassung, Bundes-Verfassungsgesetzes' Kontrolle='Nein'}]