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"An das Fremdartige gewöhnt"#

Vor 100 Jahren wurde der Islam in Österreich anerkannt, Jubiläumsfeierlichkeiten stehen deshalb bevor #


Von der Wiener Zeitung (Donnerstag, 28. Juni 2012) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Stefan Beig


bosnisch-herzegowinische Deputation besuchte den Kaiser
Eine bosnisch-herzegowinische Deputation besuchte den Kaiser nach der Annexion.
© Österr. Nationalbibliothek/picturedesk.com

Ursprünglich ging es darum, die bosnischen Muslime zu "besänftigen".#

Dass der Islam bei uns nicht "daham" ist, das bestritt das Justizministerium schon vor 100 Jahren. Im Vorfeld der Anerkennung des Islams hielt es fest: "Was heute als den kulturellen Anschauungen widersprechend gilt, das widerspricht ihnen nach einiger Zeit schon nicht mehr, weil man sich an das Neue und Fremdartige gewöhnt hat."

In einem zusammenfassenden Ministervortrag an Kaiser Franz Josef vom 5. Juni 1909 wurden Bedenken wegen der Andersartigkeit des Islam nochmals relativiert: "Wenn auch Manches an der Religion Mohammeds dem abendländischen Kulturbewusstsein fremd gegenübersteht, kann wohl mit Recht behauptet werden, dass die sittlichen Grundgedanken des Islams sich keineswegs in einem ausschließlichen Gegensatz zu den moralischen und ethischen Anschauungen des Okzidentes befinden." Man solle nicht "aufgrund der Einzelkritik dieser oder jener Glaubenssätze" entscheiden, denn die islamischen Schriften enthielten "Gedanken, denen auf vielen Gebieten Großartigkeit und Tiefe, Weisheit und Poesie nicht abgesprochen werden kann." Sogar vom Heiligen Stuhl holte man sich eine Zustimmung: Kardinal-Staatssekretär Merry del Val betrachtete in einem vertraulichen Gespräch die Maßnahme als "ziemlich selbstverständlich".

Mit einer Reihe von Jubiläumsveranstaltungen feiert Österreich 100 Jahre Islamgesetz. Die Anerkennung des Islam gilt europaweit als einzigartig. Höhepunkt ist ein Festakt am Freitag im Wiener Rathaus, bei dem neben Bundespräsident Heinz Fischer, Wiener Bürgermeister Michael Häupl, Vizekanzler Michael Spindelegger und dem Präsidenten der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) Fuat Sanac auch der Leiter des türkischen Amtes für Religiöse Angelegenheiten, Mehmet Görmez, sowie Mustafa Ceric, der Großmufti von Bosnien-Herzegovina und der Wiener Weihbischof Franz Scharl in Vertretung für Kardinal Christoph Schönborn erwartet werden.

Anlass der Anerkennung war die Annexion Bosnien-Herzegowinas im Jahr 1908. Schon vorher, ab 1878, als Bosnien und die Herzegowina von Österreich-Ungarn okkupiert wurden, de jure aber bis 1908 osmanische Provinzen unter österreichisch-ungarischer Verwaltung blieben, musste man auf die Muslime in Bosnien-Herzegowina Rücksicht nehmen. Alojz Ivanisevic vom Institut für Osteuropäische Geschichte verweist gegenüber der "Wiener Zeitung" auf außenpolitische Gründe "gegenüber dem Osmanischen Reich, in dem die Muslime in Bosnien-Herzegowina vor der Okkupation eine klare Vorrangstellung gehabt hatten". Zumindest eine Gleichberechtigung mit anderen Konfessionen sollte man ihnen garantieren. Es galt auch die bosnischen Muslime zu "besänftigen und für sich zu gewinnen". Zunächst wurde nämlich gegen die Okkupation und vor allem gegen das Wehrgesetz von 1881 rebelliert, das die Einberufung bosnischer Rekruten vorsah. Zehntausende Muslime wanderten damals ins Osmanische Reich aus, einige kehrten später wieder zurück.

1882 begann man mit der Einberufung bosnischer Rekruten, für die bosnisch-herzegowinischen Infanterie-Einheiten wurden eigene Uniformen gebildet. 1914 gab es vier bosnisch-herzegowinische Infanterieregimenter, die im Krieg eingesetzt wurden. In einem seiner späten Interviews erinnerte sich Otto Habsburg "mit Wehmut an die Bosniaken an unserem Hof. Das waren unsere Wachsoldaten. Die waren bis zuletzt loyal und treu." All die anderen Garden waren 1918 in Schönbrunn davongelaufen.

Eine Novellierung des Gesetzes ist überfällig#

Zur Zeit der Anerkennung des Islam lebten etwa 1500 Muslime auf dem Gebiet des heutigen Österreich. Nach dem Ersten Weltkrieg schien das Gesetz zunächst keine Relevanz mehr zu haben. Nur einige hundert, kaum organisierte Muslime lebten hier. Bis 1939 bestand der "Islamische Kulturbund", in dem sich etwa der bekannte jüdische Konvertit Leopold Weiß alias Muhammad Assad engagierte. 2008 wurde ihm zum Gedenken ein Platz auf dem Hauptgebäude der Vereinten Nationen gewidmet.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wuchs wieder die Zahl heimischer Muslime, erst durch Studenten aus arabischen Staaten, später durch Gastarbeiter aus Jugoslawien und der Türkei. Rund 8000 Muslime lebten 1964 in Österreich. Um die Reaktivierung des Islamgesetzes bemühte sich ab 1971 der 1963 gegründete Verein "Moslemischer Sozialdienst". 1979 wurde sein Antrag auf Gründung der IGGiÖ bewilligt.

Mit der Zunahme der Muslime in Österreich sind auch die Anforderungen an die IGGiÖ gewachsen. Zurzeit ist eine Novellierung des Islamgesetzes geplant. "Manches ist im alten Islamgesetz nicht enthalten", betont Richard Potz vom Institut für Rechtsphilosophie, Religions- und Kulturrecht der Universität Wien. "Die Standards der anderen Religionsgemeinschaften werden auch für die Muslime zu normieren sein." Zu vielem ist "praktisch nichts geschrieben", vermerkt auch Präsident Sanac. Er verweist auf Krankenhaus-, Militär- und Universitätsseelsorge, Imame- und Islamlehrerausbildung. Jedes Mal, wenn man sich bisher diesbezüglich an die öffentliche Hand gewandt habe, sei die Antwort gewesen: "Das steht nicht im Gesetz, aber wegen des Gleichheitsgrundsatzes tun wir es."

Dass vieles im Islamgesetz nicht geklärt ist, hängt mit seiner Entstehung zusammen, da es damals noch keine islamische Institution auf dem Boden des heutigen Österreich gab. Laut Potz veränderte aber das Islamgesetz die Ausgangslage Österreichs im Vergleich zu anderen europäischen Ländern. Mit der IGGiÖ wurde auch ein Dachverband gegründet, in den die auch in anderen Ländern bestehenden Islam-Verbände hineingewachsen sind. "Keiner der großen Verbände wollte die IGGiÖ wirklich in Frage stellen", erzählt der Jurist. "Ein Aushebeln der öffentlich-rechtlichen Stellung hätte Probleme geschaffen. Der Status als Körperschaft öffentlichen Rechts bringt Vorteile, etwa in der Ausländerbeschäftigung, im Steuerrecht, im Veranstaltungsrecht; Dinge, die im praktischen Leben einer Religionsgemeinschaft bedeutsam sind. Wenn man an der IGGiÖ angedockt war, konnte man partizipieren."

Der Islam ist heute Teil der österreichischen Öffentlichkeit. Für den Wiener SPÖ-Landtagsabgeordneten und ehemaligen IGGiÖ-Integrationsbeauftragten Omar Al-Rawi durchlief die IGGiÖ drei Phasen: "Vom Beginn ihrer Gründung bis zum Ende der 90er Jahre war sie primär Ansprechpartner für Kultusamt und Unterrichtsministerium, sonst wurde sie kaum wahrgenommen. Dann, von 1999 bis 2011, begann eine Öffnung und ein expansiver Kurs nach außen." Wesentlich dazu beigetragen habe die damals gegründete Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen (IMÖ), deren Mitbegründer Al-Rawi war. "Gesellschaftspolitisch engagierte Muslime, die durch Freundschaften und Studium in Österreich stark integriert und erfolgreich im Beruf waren", hätten sich zusammengetan. "Man hat sich gekannt, gegenseitig zum Essen eingeladen, sich über den Aufstieg des Rechtspopulismus und die aufkeimende Islamfeindlichkeit Sorgen gemacht. Wir waren der Meinung, dass Leute wie wir hier aktiv werden sollten."

Auf FPÖ-Aussagen folgte mehr Öffentlichkeitsarbeit#

Anlass zur Gründung waren Äußerungen des ehemaligen Justizministers und FPÖ-Nationalratsabgeordneten Harald Ofner in einer "Zur Sache"-Sendung am 14. November 1999. Nicht die Ausländer europäischer Herkunft, sondern die "nicht-europäischen Muslime" seien das Problem, erklärte Ofner. "Das war eine zweifache Diskriminierung", meint Al-Rawi dazu. Es folgte ein Protest-E-Mail an den ORF, auch weil kein Islamvertreter dabei war. Danach ging es Schlag auf Schlag weiter. "Wir haben den ersten islamisch-jüdischen Iftar im Ramadan gemacht", erzählt Al-Rawi. Die Idee zu den Imamekonferenzen wurde geboren und zum "Tag der offenen Moschee". Es begann eine intensivere Medienarbeit. "Wir sind hineingewachsen", meint der Landtagsabgeordnete. "Dabei waren wir keine Vereinsmeier und wollten keine Moschee gründen. Bei Muslimen und Islam-Verbänden stießen wir deshalb auf eine sehr breite Akzeptanz, weil wir kein Konkurrent für irgendwen waren." Damals entstanden auch islamische Gefängnis- und Spitalsseelsorge, sowie der islamische Friedhof.

Seit 2011 sei man in der dritten Phase, jener "der inneren Konsolidierung", meint Al-Rawi. "Die IGGiÖ muss sich mehr von innen aufbauen. Fuat Sanac ist auf einem sehr guten Weg. Er versucht viele Leute zu gewinnen, es ist keine One-Man-Show." Nur manchmal ist ihm der IGGiÖ-Präsident zu konfliktscheu: "Dass, wie er einmal in einem Interview gemeint hat, Strache ein guter Mensch sei, kann ich nicht nachvollziehen. Harmonie, Zurückhaltung und Konsens ist gut, aber wenn es darauf ankommt, sollte man auch Ecken und Kanten haben."

Wiener Zeitung, 28. Juni 2012