!!!So berghoch ragt eure Inhumanität  

!!Vor 500 Jahren brach in London ein Aufstand gegen die „Fremden“ aus.  William Shakespeare schrieb darüber eine äußerst aktuelle Szene. 



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''Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: [DIE FURCHE|http://www.furche.at] (Donnerstag, 23. Februar 2017).''

Von

__Brigitte Schwens-Harrant __

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[{Image src='Shakespear.jpg' caption='Handschrift. Seit 1871 vermutete man Shakespeares Urheberschaft, nun gilt sie als bestätigt. Das Manuskript beinhaltet eine Szene, in der sich Thomas Morus mit einer Rede an die aufgebrachte Londoner Bevölkerung wendet.\\Foto: The British Library' alt='Shakespeares Handschrift' width='400' class='image_right' height='589'}]

England gehöre den Engländern,  und die Engländer sollten daher  „an sich selbst denken und sich  verteidigen und dem Allgemein- wohl zuliebe alle Fremden verletzen und bedrängen“. Diese aktuell klingende Rede wurde nicht unlängst, sondern  vor 500 Jahren gehalten, am Osterdienstag 1517. Es sei nach Gottes Gebot rechtens,  fuhr damals der Vikar Beal seine Rede bei  St. Paul’s Cross fort, für sein Land zu kämpfen, gegen die Fremden zu rebellieren und  den Landfrieden des Königs zu brechen. Ein  Startschuss war das: „Fremde“ wurden auf  offener Straße attackiert, zwölf Lehrlinge  wurden sogar gelyncht – und das Gerücht  verbreitete sich, die Londoner würden am  1. Mai die Fremden erschlagen.

 Vorangegangen waren der Hetzrede Unruhen in der Bevölkerung. Die „Fremden“  waren aus religiösen oder politischen Grün- den aus Flandern und Frankreich geflohen. Viele hatten es auch wirtschaftlich zu  etwas gebracht. Was Raphael Holinshed in  seinen „Chronicles of England, Scotland,  and Ireland“ 1577/1587 beschreibt, katapultiert fast in die britische Brexit-Gegenwart: „besonders die Handwerker waren zu- tiefst erbost, dass einer solchen Masse von  Fremden erlaubt wurde, mit ihren Waren  hierherzuziehen und ihr Handwerk auszuüben, wodurch des Königs eigene Leute  durch Arbeitsmangel in Armut fielen.“ Zudem hielten sich die Fremden nicht an die  Regeln, die Bevölkerung fühlte sich angegriffen und verspottet. Hetzreden feuerten  den Volkszorn an. 

Aus Sorge, der Aufruhr könne zu bürge kriegsähnlichen Situationen führen, erließ  der Bürgermeister von London eine Ausgangssperre für die Nacht des 30. April. Das  half nicht, die aufgebrachten Menschen versammelten sich trotzdem und der Bürgermeister floh. Als Thomas Morus versuchte,  die Menge zu beruhigen, hagelte es Knüppel  und Backsteine, goss man siedendes Wasser  auf die Straßen. Häuser wurden verwüstet  und geplündert. Als „Evil May Day“ ging der  Aufstand in die Geschichte ein. 

„Dass sie verschwinden sollen ...“ 

Fast 80 Jahre später, um 1595, tauchten  in London Flugblätter mit ähnlichen Drohungen auf: „Hiermit sei allen Flamen und  Franzosen kundgetan, dass sie zu ihrem eigenen Wohl aus dem Königreich England  verschwinden sollen, bis zum nächsten  9. Juli. Wenn nicht, habt Ihr Euch selbst zu- zuschreiben, was folgt.“ Ziel der auch handgreiflichen Attacken waren nach England  geflohene Hugenotten und Flamen.  

In dieser Zeit entstand das Drama „Sir  Thomas Morus“, das das Leben des Humanisten, Politikers und Philosophen erzählen  sollte. Ein Autorenkollektiv war daran beteiligt, erkennbar an den verschiedenen Stilen  und Handschriften: Anthony Munday, Henry Chettle, Thomas Dekker, Thomas Heywood und William Shakespeare. Lange wurde dessen Urheberschaft nur vermutet, nun  dürfte sie wissenschaftlich erwiesen sein.  Möglicherweise ist sein Manuskript das einzige erhaltene handschriftliche Textzeugnis  dieses Autors überhaupt.  

[{Image src='the-evil-may-day.jpg' caption='The Evil May Day Am 1. Mai 1517 attackierten aufgebrachte und gewalttätige Londoner die „Fremden“ in ihrer Stadt.\\Foto: British Museum' alt='The Evil May Day Am 1. Mai 1517' width='500' class='image_left' height='406'}]


In der von Shakespeare entworfenen  kurzen Szene tritt Thomas Morus auf und  versucht mit Worten die aufgebrachte Londoner Bevölkerung zu beruhigen, die mit  Gewalt gegen die Fremden in ihrer Stadt  vorgehen will. Hier gelingt ihm das auch,  mit einer meisterhaften Rhetorik. Die Darstellung, wie Menschen durch Rede umgestimmt bzw. manipuliert werden können,  gelang Shakespeare wie kaum einem an- deren. Dramen wie „Coriolan“ „Troilus und  Cressida“ und „Julius Cäsar“, aber auch  der Auftritt seines Thomas Morus legen beredtes Zeugnis dafür ab.  

„Ihr wollt die Fremden niedermachen, /  Sie töten, Kehlen schlitzen, ihre Häuser nehmen, / Die Rechtshoheit kurz an der Leine  führn, / Als Bluthund, den ihr, wie’s passt,  loshetzt.“ Die wütende Menge fühlt sich ungerecht behandelt, sie sieht Frieden und Sicherheit durch die Fremden gefährdet und  denkt, sie erlange beides wieder, wenn die  Fremden aus dem Land verschwänden. Thomas Morus klärt sie in seiner Rede über ihren fundamentalen Irrtum auf: Nicht die  Fremden sind es, die den Frieden in der  Stadt gefährden, sondern die Bürger selbst,  wenn sie so gegen Fremde vorgehen. „Seht,  ihr brecht selbst, wonach ihr schreit: / Nämlich den Frieden.“ 

Goldene Regel 

Was passiert in einer Gesellschaft, wenn  jeder so handelt wie eben diese gewaltbereiten Bürger, fragt Thomas Morus und übt  mit seinen Zuhörern den Perspektiv wechsel  ein. Überall anders als in England wären  sie selbst die Fremden: „Würd’s euch gefalln, / Wenn ihr dort auf ein Volk träft, so  barbarisch, / Dass es wild ausbricht in Gewalt und Hass, / Euch keinen Platz gönnt  auf der weiten Welt, / in eure Hälse tief das  Messer taucht, / Euch tritt wie Hunde, so, als  hätt euch Gott / Nicht grad wie sie geschaffen, als wärn Erd / Und Himmel nicht auch  euch zum Wohl gemacht, / Nein, nur für sie  bestimmt? Was dächtet ihr, / Wenn man mit  euch so umging? So geht’s den Fremden, /  Und so berghoch ragt eure Inhumanität.“  

Thomas Morus’ Rede gipfelt damit in der  sogenannten Goldenen Regel. „Ja, Herrgott,  er hat recht. Handeln wir, / wie wir an uns ge- handelt sehn wollen“, folgt denn auch – anders als in der Realität – rasch die Einsicht  der Bürger. Shakespeare-Experte Günter  Frank sieht den Appell an die Mitmenschlichkeit hier als „das letzte rhetorisch eingesetzte Mittel zum eigentlichen strategischen  Zweck: im Aufruf zum Gehorsam einen zerstörerischen Volksaufstand gegen König und  Staat abzuwenden.“ Es geht um das Wahren  der Ordnung, und das bedeutet in diesem  Fall auch Gehorsam gegenüber dem König  – paradox insofern, als Thomas Morus 1535  hingerichtet wurde, weil er dem König seinen Gehorsam verweigerte, unter Berufung  auf Gott. Das weiß Shakespeare und er bringt  damit in wenigen Zeilen ein ziemlich komplexes Thema ins Spiel. 

Wo die Ordnung in Brüche geht, hätten  die Bürger letztendlich selbst den Schaden,  lässt Shakespeare aber seinen Thomas Morus angesichts der Übergriffe auf die Fremden sagen: „Gesetzt, sie gehn; gesetzt, dass  euer Lärm / Ganz Englands Recht und Würde niederschrie. / Dann stellt euch vor, ihr  seht die Fremden, elend, / Mit Lumpenbündeln, Kinder auf dem Rücken, / Wie sie zu  Küsten und zu Häfen trotten, / Und ihr sitzt  da, als König eurer Wünsche [...] Was habt  ihr dann? Ich sag’s euch: ihr habt nur / Gelehrt, wie Frechheit und Gewalt obsiegt, /  Wie Ordnung abgewürgt wird. Und nach  diesem Muster / Würd keiner von euch  hoch ins Alter leben; / Denn’s würden andre Dünkelprotze, ganz nach Laune, / Kraft  ihrer  Macht, Kraft ihrem  Recht, kraft ihrer  /  Höchsteignen Ziele euch wie Haie anfalln, /  Und raubfischgleich würd Mensch den Menschen fressen.“  




[{Image src='buchcover.jpg' caption='' alt='Buchcover: Die Fremden' width='100' class='image_left' height='156'}]

''Die Fremden. Für mehr Mitgefühl. 

Hg. u. a. d. Engl. übers. von Frank Günther,

dtv, 2016, 65 S., kart., €6,20 ''

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[DIE FURCHE|http://www.furche.at], Donnerstag, 23. Februar 2017
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