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Impfen als Bürgerpflicht #

Die Impfpflicht lässt die Wogen hochgehen - aber halten die dagegen angeführten moralischen Argumente überhaupt?#


Von der Wiener Zeitung (23. November 2021) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Edwin Baumgartner


Impfgegner berufen sich gerne auf die Menschenrechte
Impfgegner berufen sich gerne auf die Menschenrechte.
Foto: © apa / afp / Joe Klamar

Impfpflicht ab Februar - so hat es Bundeskanzler Alexander Schallenberg am Freitag verkündet. Seither gehen die Wogen hoch - und das keineswegs nur in Österreich: Die Entscheidung hat auch der Diskussion in Deutschland neue Nahrung gegeben, wo sich immer mehr Gesundheitsexperten für die Impfpflicht aussprechen. Die drei deutschsprachigen Länder, also Österreich, Deutschland und die Schweiz, trifft die vierte Corona-Welle besonders hart.

Vor allem die Impfgegner laufen Sturm gegen die angekündigte Maßnahme. Von "Diktatur" ist vor allem ausgerechnet am rechten Rand die Rede, wo man sonst in der Regel wenig gegen einen starken Mann hätte und noch weniger gegen Zwangsmaßnahmen, sofern sie Migranten treffen. Andere, die durchaus auch in der politischen Mitte und links davon angesiedelt sind, bezweifeln die Rechtmäßigkeit ebenso wie Durchführbarkeit.

Verfassungskonformität#

Da gilt es nun, Unterscheidungen zu treffen.

Dass eine Impfpflicht in Österreich verfassungskonform sein kann, stellte Christian Kopetzki bereits 2017, und damit deutlich vor der Corona-Krise, fest. In "Recht der Medizin" schreibt der Rechtswissenschafter: "Ein gewisser rechtlicher Zwang zur Durchführung von Impfungen wäre nicht nur ethisch vertretbar; er wäre im Lichte staatlicher Gewährleistungspflichten zum Schutz der Gesundheit auch geboten. Die Verfassung steht einer verhältnismäßig ausgestalteten und nach Krankheiten differenzierenden gesetzlichen Impfpflicht jedenfalls nicht grundsätzlich entgegen." Als Voraussetzung zur Einführung einer Impfpflicht sieht Kopetzki, dass zuvor andere Schritte eher minder als mehr erfolgreich durchgeführt wurden.

Meinhard Lukas, Jurist und Rektor der Linzer Johannes Kepler Universität, sagte am 17. November im Interview mit dem ORF, nun in Bezug auf eine Impfpflicht gegen das Corona-Virus: "Ich glaube, es gibt keinen Verfassungsexperten und keinen Rechtswissenschafter, der der Meinung ist, dass eine solche allgemeine Impfpflicht verfassungswidrig ist."

Auch von einer "Diktatur" kann naturgemäß keine Rede sein. Erst 1981 wurde in Österreich die Impfpflicht gegen Pocken außer Kraft gesetzt. In zahlreichen europäischen Demokratien sind Impfpflichten auch aktuell eingeführt: in Italien etwa gegen Diphtherie, Hepatitis B, Haemophilus-influenzae-b-Infektion (Hib), Keuchhusten, Kinderlähmung, Masern, Mumps, Röteln, Tetanus und Windpocken; in Frankreich gegen Diphtherie, Hepatitis B, Hib, Keuchhusten, Kinderlähmung, Masern, Mumps, Pneumokokken, Röteln, Tetanus und Meningokokken; in Belgien gegen Kinderlähmung.

Österreich ist auch keineswegs der erste westliche Staat, der eine Impfpflicht gegen das Coronavirus einführt: Eine solche besteht seit Februar im Vatikan. Was besonders den Gruppierungen zu denken geben sollte, die sich in anderen Fragen sehr schnell auf christliche Werte berufen.

Welches Recht steht höher?#

Während prinzipielle Impfgegner unabhängig vom Impfstoff sämtliche Impfungen ablehnen, also auch die etwa gegen Masern, Röteln oder Mumps, lässt die Impfung gegen das Coronavirus auch Menschen auf die Barrikaden gehen, die keine prinzipiellen Gegner von Impfungen sind. Das hat zweifellos mit der Neuartigkeit der Impfstoffe zu tun und mit einer in der Geschichte beispiellosen Desinformationskampagne, die sich auf die Sozialen Medien, vereinzelt aber auch auf private Sender stützt, die mit ihrem alternativen Angebot versuchen, verängstigte und unsichere Menschen an sich zu binden.

Vor diesem Hintergrund ist die moralische Frage zu stellen und zu klären: Ist es, ungeachtet der rechtlichen Möglichkeiten, moralisch statthaft, die Impfpflicht einzuführen?

Auch diese Frage kann nur mit einem deutlichen Ja beantwortet werden. Die Gründe dafür sind offensichtlich.

Lässt man die offensichtlichen Verschwörungstheoretiker unter den Impfgegnern außer Acht, die von der Implantierung von Chips, absichtlicher Aids-Infektion, gezielter Ausdünnung der Bevölkerung durch tödliche Spätfolgen, einer Verschwörung der Pharma-Industrie und dergleichen faseln, werden immer wieder zwei moralische Argumente angeführt, mit denen man sich befassen muss: nämlich das Recht auf den unversehrten Körper und das Recht auf Selbstbestimmung, wie eine Krankheit behandelt wird. Beides, so führen die Impfgegner ins Treffen, sei ihr Menschenrecht.

Rein moralisch argumentiert: Grundlage jeglichen Menschenrechts sind zwei Grundsätze: Die eigene Freiheit endet, wenn sie die Freiheit des anderen beeinträchtigt. Und Allgemeinwohl steht höher als Einzelwohl.

Meinung wider Fakten#

Das Recht auf Selbstbestimmung, wie eine Krankheit behandelt wird, besagt, dass man zum Beispiel gegen die eigene Schmerzerkrankung wirkungslose homöopathische Präparate einnehmen und nicht zur Behandlung mit schmerzstillenden Mitteln gezwungen werden kann.

Eine solche Erkrankung (man könnte auch Krebs, Multiple Sklerose und dergleichen einsetzen) ist freilich nicht infektiös. Bei Covid-19 hingegen handelt es sich um eine Infektionskrankheit. Das Recht auf die Selbstentscheidung über die Vorgehensweise ist also eingeschränkt, da die eigene Infektion in die Gesundheit eines anderen eingreift.

In diesem Zusammenhang ist auch das Recht auf die Unversehrtheit des eigenen Körpers in Einklang zu bringen mit dem Grundsatz, dass Allgemeinwohl über Einzelwohl steht: Der Schutz der Volksgesundheit steht höher als die irrationale persönliche Ablehnung einer Impfung. Denn dass diese unwirksam und schädlich sei, ist bei den zugelassenen Impfstoffen eine nachweisbar falsche Behauptung. Es existiert zwar das Recht auf eine eigene Meinung, nicht aber ein Recht auf eigene Fakten. Dass der Staat die Personen, die sich nicht freiwillig impfen lassen, mit diesen Fakten versorgt, darf erwartet werden. Und wer aus objektivierbaren medizinischen Gründen nicht geimpft werden kann, ist von der Impfpflicht ohnedies ausgenommen.

Allerdings gilt es, auch seitens des Staates einen Punkt rechtlich zu verankern: Gravierende Nebenwirkungen der Impfung sind zwar nahezu vernachlässigbar gering, können aber, wie bei jedem Medikament, vereinzelt dennoch auftreten. Wer übernimmt in diesen Fällen die Haftung? Das ist im Vorfeld unmissverständlich zu klären.

Dass im Idealfall die Impfbereitschaft, teils aus Gründen der Sorge um die eigene Gesundheit, teils auch aus Solidarität, dermaßen steigt, dass von einer Impfpflicht doch noch abgesehen werden kann, ist eine Wunschvorstellung aus psychologischen Gründen: Denn was aus der Erkenntnis des Sinns und einer daraus folgenden Überzeugung geschieht, ist immer nachhaltiger als eine erzwungene Verpflichtung.

Wenn solch eine erzwungene Verpflichtung aber trotz allem der einzige Weg bleibt, die Corona-Krise in den Griff zu bekommen, sprechen weder rechtliche noch medizinische und am allerwenigsten moralische Gründe dagegen.

Wiener Zeitung, 23. November 2021