!!!Die Tyrannei des Messens 

 

__[Hermann Maurer|Infos_zum_AF/Editorial_Board/Maurer,_Professor_Dr_Dr_h_c_mult_Hermann_(Austria-Forum_Projektleiter_und_Herausgeber)]__

Die Entwicklung der Naturwissenschaften und der Technik hat es mit sich gebracht, dass wir die [Messbarkeit|Thema/Messtechnik] vieler Eigenschaften akzeptiert haben: wir messen die Zeit, die Temperatur, das Gewicht, die Geschwindigkeit, die Stärke eines Erdbebens, usw. Messen erleichtert uns das Denken: das Ausmaß von Phänomenen wird plötzlich vergleichbar: gestern war es heißer als heute, dieser Rucksack ist schwerer als jener, das Flugzeug ist zwölf mal schneller als das Auto, das Erdbeben war doch nicht so stark wie ein anderes, usw.
 

Weil wir viel messen, und weil dieses Abbilden auf geordnete Zahlen so bequem ist, hat sich in unseren Hirnen allmählich als gefährliches Gift die Vorstellung eingeschlichen, dass alles messbar ist. Dabei sind komplexere Phänomene fast nie messbar (also zahlenmäßig darstellbar), weil sie aus vielen Komponenten (die vielleicht als einzelne messbar sind) bestehen. Und durch dieses Bestehen aus einzelnen Komponenten werden sie unmessbar und unvergleichbar.
 

So offensichtlich Obiges klingt, es wird immer wieder übersehen; immer wieder wird der Versuch gemacht, Unvergleichbares durch Messungen vergleichbar zu machen.
 

Das berühmteste und berüchtigtste Beispiel dafür ist der Intelligenzquotient (IQ), eine Zahl, die die Intelligenz einer Person ausdrücken soll. Man erhält den Intelligenzquotienten, indem man die Person gewisse Aufgaben lösen lässt und das Ergebnis dann dem Alter entsprechend "normiert". (IQ = "Intelligenz" dividiert durch Lebensalter).
 

Dabei sollte jedem vernünftigen Menschen klar sein, dass Intelligenz (= Problembewältigungsfähigkeit) von so vielen Komponenten abhängt, dass jede Intelligenzmessung ähnlich sinnlos ist wie das Messen von Eigenschaften wie Schönheit, Liebe oder Glück; und doch haben sich ganze Schulen von Psychologen mit der Messung von Intelligenz beschäftigt, haben immer neue Tests ersonnen, ohne das Offensichtliche eingestehen zu wollen: Intelligenz beruht auf so vielen Eigenschaften (logisches Denken, Kreativität, räumliches Verstehen, Mustererkennung, bildliches Vorstellungsvermögen, Erinnerungsvermögen, . . . ), dass je nach Betonung dieser Eigenschaften Testpersonen ganz verschieden abschneiden.
 

Man kann nicht sagen: Person A ist intelligenter als Person B; Person A mag besser sein als B im räumlichen Verstehen von Bildern und im Kurzzeit-Erinnerungsvermögen, aber vielleicht schlechter im logischen Denken, etc. Und weil Intelligenz auf so vielen (mindest hundert) Grundeigenschaften beruht, ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person in allen Eigenschaften besser abschneidet als eine andere, verschwindend klein: daher sind gewisse Menschen nicht intelligenter als andere, obwohl uns genau dies über Zahlen wie [Intelligenzquotient|https://de.wikipedia.org/wiki/Intelligenzquotient] suggeriert wird. Wir müssen diese "Tyrannei des Messens" abschütteln und erkennen, dass viele wichtige Eigenschaften im Sinne der Darstellung durch eine einzige Zahl unmessbar sind.
 

Vieles entkrampft sich dadurch: weder Einzelmenschen sind intelligenter als andere, noch sind Rassen "intelligenter" oder "besser" als andere. Das heißt nicht, dass man nicht über einzelne Eigenschaften reden kann: man kann vielmehr ohne Tabus darüber reden. Denn wenn jemand in z.B. 43 Aspekten besser und in 61 Aspekten schlechter abschneidet als ein anderer, dann lässt sich mit Sicherheit keine Gesamtaussage "besser" oder "schlechter" treffen . . . denn wie will man die Eigenschaften gewichten?
 

Tabuisierte Berichte wie "Negroide sind weniger intelligent als Indo-Europäer" werden damit einfach als dumm entlarvt. Aussagen wie "die Menschengruppe X ist in den Eigenschaften a,b,c,d,. . . der Menschengruppe Y überlegen, bei den Eigenschaften z,y,x, . . . ist es umgekehrt", sind aber natürlich möglich (sofern die Eigenschaften "einfach" genug und damit messbar sind), sind sinnvoll und aus der Sicht der Gesellschaft "ungefährlich", weil sie nie zu einer Gesamtbeurteilung führen können.
 

Etwaige allgemeine "Minderwertigkeitsgefühle" eines Menschen A gegenüber einem Menschen B sind stets unbegründet: A und B haben so viele Eigenschaften, dass A immer in einer Anzahl davon B überlegen sein wird.
 

Es gibt keinen intelligentesten, besten, schönsten oder glücklichsten Menschen. Wenn wir z.B. denken, die Frau A ist schöner als die Frau B (und wie oft denken wir doch in solchen falschen Kategorien), dann ist dies ein Unfug. "Schöner" (ohnehin nur subjektiv messbar) würde heißen: in jedem Aspekt ist die Frau A der Frau B an Schönheit überlegen; also bei Haaren, Hand, Mund, Augen, Nase, Händen, Füßen, Haltung, . . . , in allen von hunderten Details müsste A besser abschneiden als B, und dies kann (mathematisch gesehen) nie der Fall sein.
 

Die Messbarkeit hört in Wahrheit sehr viel früher auf als bei so komplexen Phänomenen wie Intelligenz, Liebe, Glück, etc. Selbst so etwas Einfaches wie Temperatur, wie sie sich auf den menschlichen Körper auswirkt, ist eigentlich nicht oder nur schwer messbar: wer weiß nicht, dass 50 Grad in einer trockenen Sauna kühl, 35 Grad bei schwülem Wetter sehr heiß wirken; wer weiß nicht, dass 10 Grad bei klarem, sonnigen, windstillen Wetter sehr viel wärmer wirken als Null Grad bei feuchten, windigen Bedingungen?
 

Unsere Welt ist voll von Aussagen, die Messbarkeit vortäuschen: "Der letzte Winter war der längste in Österreichs Geschichte. Es hat noch am 17. Mai geschneit." Gehört der Großglockner nicht zu Österreich? Dort schneit es regelmäßig im Hochsommer! Die Aussage basiert also auf völlig willkürlichen Annahmen.
 

"Diese Höhle ist die größte der Welt." Was soll das heißen: Hat sie das größte Raumvolumen? Ist sie die längste der Welt? Vom Eingang weg gemessen, oder die längste, wenn man den Umfang misst . . . , wo, in welcher Höhe, und wie geht das, wenn es verschiedene Niveaus gibt? Ist sie die höchste Höhle der Welt? (Und was heißt das: misst man vom tiefsten Punkt zum höchsten Punkt, oder den längsten Weg, den z.B. ein Stein fallen kann, oder misst man die Durchschnittshöhe, und wie ist das eigentlich definiert?), usw.
 

Es muss uns allen deutlicher bewusst werden, dass viel weniger in Zahlen messbar und damit vergleichbar ist, als uns unbewusst immer vorgegaukelt wird: die Naturwissenschaften, Technik und Statistiken unterziehen uns andauernd einer Gehirnwäsche, die unser Leben oberflächlich vereinfacht, aber Beziehungen gefährlich verfälscht: wehren wir uns also gegen diese "Tyrannei des Messens" die übrigens in Organisationen seit ca. 2000 unter dem Namen "Wissensbilanz" oft in sehr zweifelhafter Weise eingesetzt wird!
 

Dieser Aufsatz ist aus dem Buch "Der Anfang" aus der [XPERTEN-Reihe.|http://www.iicm.edu/XPERTEN]
 
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