!!!Auf Schusters Rappen in die Antike


!!J. J. Winckelmann erreichte sein Ziel in Rom; der Tod lauerte ihm in Triest auf.

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''Von der [Wiener Zeitung|http://wienerzeitung.at] (Freitag, 1. Februar 2013) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.''


Von

__Alfred Schiemer__

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[{Image src='Auf-Schusters-Rappen.jpg' class='image_right' caption='Begründer der klassischen Archäologie: Johann Joachim Winckelmann (1717-1768).\\© Archiv/W. Christian, Allg. Weltgeschichte in Farbendruck, Fürth o. J. (= ca. 1898). Repros: Karo Fleck/Stefan Koch' width='300' alt='Johann Joachim Winckelmann' height='287'}]

Hand aufs Herz: Pompeji und Herculaneum sind Ihnen natürlich ein Begriff - aber wussten Sie, dass bei der Entdeckung einer der beiden antiken Stätten Alt-Österreich Pate stand?

Die Vorgeschichte dieser kleinen Geschichte spielt mitten im Spanischen Erbfolgekrieg. Am 7. Juli 1707 besetzten kaiserliche Truppen Neapel, das dann wie ganz Süditalien fast drei Jahrzehnte lang Wien unterstehen sollte. Unter den Einzug haltenden hohen Militärs befand sich Kavallerieoberst Emanuel Moritz von Lothringen, Prinz d’Elboeuf - ein entfernter Verwandter Prinz Eugens. Die schwachen Blutsbande ließen den Obersten grübeln, wie er festere Kontakte zum großen Feldherrn und Kunstsammler knüpfen könnte.

Drei Funde ebneten schließlich den Weg. Funde aus dem verschütteten Herculaneum.

Denn bald nach der Einnahme Neapels hatte es Prinz d’Elboeuf sowohl zum Obristfeldwachtmeister (=in etwa Generalmajor) als auch zu einem Sommerdomizil im nahen Portici gebracht.

Das unweit davon gelegene Dorf Resina barg damals noch ein Geheimnis - dass hier Herculaneum begraben lag, ahnte niemand. Auch Dorfbewohner Giovanni Battista Nocerino (genannt Enzecchetta) nicht, dessen Brunnen kaum [Wasser|Thema/Wasser] lieferte und vertieft wurde. Der Mann stieß nach mühsamer Durchbohrung harter Schichten auf kostbare Steine, die er verkaufte.

Von einem Zwischenhändler erwarb d’Elboeuf die schönen Stücke. Er erkannte sie als Raritäten aus der Römerzeit und ging sofort generalstabsmäßig vor. Er kaufte das Feld mit dem Brunnen. Speziell geworbene Arbeiter mussten nun unterirdische Gänge herstellen; man fand etliche Säulen und Steinfiguren.

[{Image src='Auf-Schusters-Rappen2.jpg' class='image_left' caption='L.: Besuch Kaiser Josephs II. in Pompeji 1769 (gezeichnet von Honoré Fragonard, 1732-1806). - Berühmte Funde: R. ob. Porträt eines Paares, r. u. Alexander-Mosaik (Teil).L.: Besuch Kaiser Josephs II. in Pompeji 1769 (gezeichnet von Honoré Fragonard, 1732-1806). - Berühmte Funde: R. ob. Porträt eines Paares, r. u. Alexander-Mosaik (Teil).\\© Archiv/W. Christian, Allg. Weltgeschichte in Farbendruck, Fürth o. J. (= ca. 1898). Repros: Karo Fleck/Stefan Koch' width='300' alt='Repros' height='214'}]

Die drei herrlichsten Statuen gingen als Geschenke an den Kenner Prinz Eugen, der dem edlen Spender mit Brief vom 1. Februar 1713 begeistert dankte.

Ist es Zufall, dass der findige Obristfeldwachtmeister sogar bis zum Feldmarschallleutnant aufstieg? Jedenfalls erstand der Karrierebeflissene auch eine Realität am Golf von Neapel, die er zu einer Schatzkammer ausbaute und mit schönen steinernen Zeugen Alt-Roms ausschmückte.

Die Zeit verfloss. 1734 eroberten die Spanier Süditalien. Die Villa gab es noch, doch ihr Besitzer lebte nicht mehr und das Haus gehörte einer Handelsfirma.

Karl von Bourbon, dem neuen Herrscher des Königreichs beider Sizilien, gefiel der Landsitz so gut, dass er ihn ankaufte. Und sich vornahm, der Herkunft der Funde genau nachzugehen.

Epochales folgte: Man hob Herculaneum, man suchte ab 1748 (zuerst mit nur zwölf Helfern) Pompeji!

Begonnen aber hatte alles mit drei Statuen für Wien. Einst prägte dazu der Vater der klassischen Archäologie, Winckelmann, den Satz: "Es verdienet der Welt bekanntgemacht zu werden, daß diese drei göttlichen Stücke die ersten Spuren gezeiget zur ... Entdeckung ... der Stadt Herculaneum."

Als der nachmalige Nestor der Kunstgeschichte des Altertums dies notierte, kannte ihn bereits das gesamte gebildete Europa. In die Wiege gelegt war dem 1717 in Stendal (Altmark, Raum Magdeburg) geborenen Johann Joachim Winckelmann derlei nicht. Er machte seinen Weg in die Antike im wahrsten Sinne des Wortes auf Schusters Rappen - als mittelloser Sohn eines Flickschusters.

Es war ein Wunder, dass der Zwölfjährige trotz Einwänden der Eltern in die Lateinschule kam. Und ein Mirakel, wie er das Schuldgeld zahlte. Chorsingen bei Begräbnissen brachte zu wenig. Zum Glück gab es einen human gesinnten Rektor...

[{Image src='Auf-Schusters-Rappen1.jpg'class='image_right' caption='Grabmal aus 1823 in Triest für den Altertumskenner.\\© Archiv/W. Christian, Allg. Weltgeschichte in Farbendruck, Fürth o. J. (= ca. 1898). Repros: Karo Fleck/Stefan Koch' width='300' alt='Grabmal aus 1823 in Triest' height='148'}]

Auch als Hörer der Universitäten Halle und Jena blieb er auf Unterstützungen angewiesen. 1742ff wirkte er u.a. als Hauslehrer. Sein Ziel, die [Kunst|Thema/Kunst] der Alten wiederzuerwecken, vergaß der stets Privatstudien Treibende jedoch nie.

Erst spät wurde sein Traum wahr. Ein Blick ins "Wienerische Diarium" vom 9. Februarii 1763 führt in die erfüllten Lebensjahre: Jos. Krüchtens Buchhandlung bey der Welt-kugel im Seitzer-hof in Wien (= Tuchlauben 7-7a, Seitzergasse 6, Steindlgasse) bewarb Winkelmanns (sic!) Send-schreiben von den Herculanischen Entdeckungen (...). Buchformat: 4to (Quarto = Quart). Preis: 1. fl. (Gulden) 45 kr. (Kreuzer); der Gulden hatte 60 Kreuzer. (N.B. Das "Diarium" kostete 7 kr.; man hätte für den Betrag also 15 Ausgaben kaufen können.)

Das Send-schreiben entstand in Rom, wohin der zum Katholizismus übergetretene Forscher 1755 von Dresden gezogen war und wo er u.a. als höchster Kontrollor der antiken Stätten amtierte. Herculaneum und Pompeji besuchte er öfters.

Er starb 1768 bei einem Raubüberfall in einem Triester Gasthof. Winckelmann, eben aus Wien in den Süden zurückgekehrt, wehrte sich verzweifelt: Das Zuziehen einer um den Hals geschlungenen Schnur verhinderte er. Aber er stürzte im Handgemenge. Der Täter versetzte ihm tödliche Dolchstiche.

Nach diesem "Donnerschlag bei klarem Himmel" (Goethe) stand die Kulturwelt unter Schock.

Sein Mörder wurde sechs Wochen danach gefunden und gerädert.


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[Wiener Zeitung|http://wienerzeitung.at], Freitag, 1. Februar 2013
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