!!! Des Kaisers Angst vor Wilhelm Tell

!!Noch 1847 drohten die Habsburger der Schweiz militärisch


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''Von der [Wiener Zeitung|http://wienerzeitung.at] (Freitag, 29. Oktober 2010) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.''


Von

__ Alfred Schiemer __

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[{Image src='WZ_Angst_des_Kaiser_vor_Wilhelm_Tell.jpg' height='250' alt='Rudolf Brestel' class='image_right' caption='Biedere Schweiz des 19. Jh.s: "Die Alten", Genrebild aus den Alpen\\© Wiener Zeitung / Repros: T. Sternisa/R. Kienzl' width='373'}]


Die Posaunen von Jericho waren leiser. "Hiir können Sii niicht parkiiren", brüllte vor langem auf einer Kantonsstraße ein Schweizer Glatzkopf gestikulierend einem Jungösterreicher zu, der aus einem gelben (= entenfarbenen) 2 CV kletterte. Der Schreier schien Gift und Galle zu spucken: "Niicht parkiiren!" rief er wieder. Der Citroën-Fahrer war perplex: Wollte man ihn, der im Stil der neuen Generation üppiges Haar trug, frotzeln? Störte den Eidgenossen das Nonkonformisten-Gefährt?


Verstehen Völker einander nicht, macht das Probleme. Gesellen sich Divergenzen (beim Kopfschmuck etwa) hinzu, wachsen Konflikte. Zuweilen genügt ein Funke und es herrscht Krieg ...



Anno 1973, als ein 2 CV-Lenker mit Schwyzerdütsch überschwemmt wurde, blieb Friede gewahrt; der Langhaarige, ein Wiener mit Pongauer und Waldviertler Wurzeln, stutzte und parkierte dann das wacklige 28- PS-Auto an anderer Stelle. "Parken" hieß ja hier "arkieren" und der gute Mann, der warnte, besaß eben Temperament! Auf Hochdeutsch kamen Retter vor polizeilicher "Buße" (= Strafmandat) und Geretteter ins Plaudern.


Noch 37 Jahre später erinnert sich der heutige (kurzhaarige, nicht haarlose) Zeitreisenschreiber an die Frage des Kahlkopfs: Was eint/trennt Schweizer und österreichische Historie? Pfiffig lachend, mit der Hand auf der Glatze antwortete er gleich selbst: Beide Länder gerieten unter Habsburgs Herrschaft und wurden diese wieder los, die Schweiz aber hunderte Jahre früher!


Der selbstbewusste Helvetier spielte natürlich auf das Jahr 1315 bzw. auf die Schlacht am Morgarten (einem Pass im nunmehrigen Kanton Zug) an. Die Bauern der drei Waldstätte Uri, Schwyz und Unterwalden hatten sich damals ihre Freiheit gesichert und die Herren der nicht so fernen Hab(icht)sburg empfindlich geschlagen. Nach weiteren Siegen der Eidgenossen verlor das längst in Österreich residierende Herrschergeschlecht 1415 sogar die Rechte am alten Stammsitz.
Das alles gehört zum geschichtlichen Allgemeingut.

[{Image src='WZ_Angst_des_Kaiser_vor_Wilhelm_Tell_1.jpg' height='350' alt='Schweiz und Schweizer' class='image_left' caption='Bern (gr. Bild: Leben einst; ob.: Kantonswappen), Hauptstadt seit 1848 – Oben (v. l.): Staatsmänner Henry Druey (gest. 1850), Jonas Furrer (gest. 1861), Alfred Escher (gest. 1882). – R. (v. o.): G. Keller, C. F. Meyer, H. Dunant\\© Wiener Zeitung / Repros: T. Sternisa/R. Kienzl' width='342'}]


Kaum beachtet wird hingegen, dass die Habsburger zu Zeiten Metternichs und noch danach in ihren einstigen Gebieten mitmischten.


Die anno dazumal streng zensurierte "Wiener Zeitung" durfte das zwar nicht melden, aber aufmerksame Leser machten sich wohl ihren Reim auf die erstaunlich ausführlichen Berichte aus dem kleinen Nachbarstaat.


Auch vor 160 Jahren, am Mittwoch, den 30. October 1850, druckte die Redaktion unter dem Sammeltitel Schweiz etliche Nachrichten ab.


Unter Bern, 19. October (die Depeschen hatten lange Pferdepost-Wege hinter sich), erfuhr man nicht zuletzt von Wahlversammlungen des Cantons, die Bezirksbeamtungen betrafen. Dazu kam die im Sinne der k.k. Regierung beruhigende Information: In der Hauptstadt und im Amtsbezirke (...) sind drei Großrathswahlen (...) conservativ ausgefallen. Samt Wermutstropfen für den Wiener Hof: Siebzehn Amtsbezirke wählten radikal.


Wenn man bedenkt, dass habsburgische Agenten elf Jahre zuvor am konservativen Umsturz in Zürich mitgewirkt hatten und dass den Eidgenossen von Seiten des Kaisertums Österreich 1823 und 1847 mit Militärintervention gedroht worden war, gewinnen die Wahlbekanntmachungen von 1850 Brisanz.


Zu erwähnen bleibt überdies, dass die Hofburg in den letzten Monaten von Metternichs Kanzlerschaft mit Geld- und Waffensendungen in einen internen Schweizer Konflikt eingriff. Die k.k. Unterstützung für den Sonderbund einiger Kantone hielt allerdings dessen Niederlage nicht auf.


Ende 1847 war die Spaltung des Alpenlandes abgewendet, doch Österreichs, Preußens, Russlands und Frankreichs Einmarsch zu befürchten. Die 1848er-Revolution in Paris, Wien und Berlin wirkte Wunder. Die Mächte kümmerten sich vorerst nicht mehr um die Schweiz, die die Verfassung umbaute: Der lockere Staatenbund wurde Bundesstaat.


[{Image src='WZ_Angst_des_Kaiser_vor_Wilhelm_Tell_2.jpg' height='150' alt='Schweiz und Schweizer'  class='image_right' caption='Aufstrebende Schweiz des 19. Jh.s: Dampfboot in Zürich\\© Wiener Zeitung / Repros: T. Sternisa/R. Kienzl' width='460' popup='false'}]

Nach der kurzen Freiheitszeit in den Nachbarländern zog neue Gefahr auf. U.a. schaute man im neoabsolutistisch regierten Wien mit Argusaugen auf Bern, dem die politische Neuerung Hauptstadt-Status verschafft hatte. Dorn im Auge war den Anrainerstaaten vor allem das Asylrecht, das tausende Revolutionäre vor Hinrichtung und Kerker bewahrte.
Schlussendlich verhinderten Zähigkeit und kluge Taktik eidgenössischer Politiker (Porträts in der Bildleiste l.) ein Eingreifen von außen. Die moderne Schweiz konnte sich entfalten; dazu noch ein Blick in die "WZ" 1850: "''Ingenieur (Robert) Stephenson (1803–1859, Sohn des Schienenpioniers George S.) hat seinen Bericht über die Eisenbahnen dem Bundesrathe vorgelegt,'' hieß es in einer Notiz. Nach Dampferlinien wurde das Dampfross forciert! 


Der wirtschaftliche Aufstieg zeichnete sich ab. Man vertraute nun mehr auf innere Kraft. Auch im kulturellen, humanitären Bereich. Namen wie Gottfried Keller (1819–1890), Conrad Ferdinand Meyer (1825–1898), Henri Dunant (1828–1910) sprechen für sich.


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[Wiener Zeitung|http://www.wienerzeitung.at], Freitag, 29. Oktober 2010
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[{Metadata Suchbegriff='Schweiz ' Kontrolle='Nein'}]



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Dass die Schweizer schon 1315 in der Schlacht am Moorgarten und 1386 bei Näfels und Sempach die Herrschaft der Habsburger abschütteln konnten, dürfte tatsächlich der Beginn einer eher unendlichen Erfolgsgeschichte dieses Staates gewesen sein, der sich zum Musterland der europäischen Demokratie entwickelte und in vielem Vorbild für die EU sein könnte, wie etwa der Kommentator der Wiener Zeitung W. Hämmerle vor einiger Zeit meinte. 

Das militärische System der Schweiz ermöglichte es ihr auch, sich im Gegensatz zu Österreich 1938 aus dem Zweiten Weltkrieg herauszuhalten, obwohl Hitler schon das "Unternehmen Tannenbaum" - also die Besetzung der Schweiz konzipieren ließ- und 1938-1945 vielen Verfolgten Asyl zu gewähren.

--Glaubauf Karl, Freitag, 12. November 2010, 08:55