!!!Der Großglockner

von 

__Heidi Brunnbauer__

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Einer Saga sollte man grundsätzlich mit Vorsicht begegnen, insbesondere
wenn sie nette Episoden beinhaltet. Se non è vero è ben trovato, sagen die Italiener entschuldigend, wenn es mit dem
Wahrheitsgehalt nicht weit her ist. Diese Erfahrung machte ich
bereits mit Geschichten, die mir Cottage-Bewohner im Zuge
meiner Dokumentationsarbeit erzählten. Ich habe gelernt, zu
hinterfragen, zu überprüfen und dann erst zu akzeptieren. Dass es
mir nun bei der eigenen mündlich überlieferten Geschichte über
den Großglockner auch so gehen würde, überraschte mich. Ich
hielt die Gewährsleute aus meiner väterlichen Familie für seriös
und glaubwürdig. Das waren sie grundsätzlich wohl auch, doch
erkenne ich wieder einmal, wie Erinnerung und Realität nicht
immer deckungsgleich sind.

!Verkauf um einen Schilling

[{Image src='Banknote.png' border='1' height='250' class='image_right'  caption='Banknote gedruckt 1924, emittiert 1925\\ Bild mit freundlicher Genehmigung der ÖNB.' alt='Banknote gedruckt 1924, emittiert 1925.' width='406' popup='false'}]

Da hieß es, der höchste Berg Österreichs wäre um einen „Erinnerungsschilling“ von der Familie an den Alpenverein verkauft
worden. Das stimmt schon deshalb nicht, weil es 1918, zum Zeitpunkt
der Transaktion, noch die Kronenwährung gab, die erst
1925 – nach den Jahren der Hyperinflation – vom Schilling abgelöst
wurde. Die Mär vom „Erinnerungsschilling“ ist darauf zurückzuführen,
dass der 1918 gezahlte Kaufpreis von 10.000 Kronen
im Jahr 1925 nur 1 Schilling wert war. (Die Oesterreichische
Nationalbank hat noch im Mai 1925 eine Banknote zu 10.000
Kronen mit dem Aufdruck „ein Schilling“ in Umlauf gesetzt, während
bereits die neuen Schilling-Scheine ausgegeben wurden.)
Man erzählte auch, mein berguntauglicher Urgroßvater wäre
von den Mölltaler Bauern bedrängt worden, doch auf „seinen
Berg“ zu steigen, was er standhaft verweigert hätte, weil er unter
Höhenangst litt. Auch das ist unrichtig, weil es sich nicht um
Großmutters Vater sondern um ihren Bruder handelte und außerdem
dieser sehr wohl den Großglockner bestieg. Allerdings nur
ein Mal und da mit sanfter Gewalt. Es waren die Bergführer von
Winklern, die ihm immer wieder vorhielten, dass er als Eigentümer
des Glockners noch nie dort oben gewesen war; er müsse
das unbedingt nachholen. Schließlich ließ er sich überreden und
erreichte mit ihrer Hilfe den berühmten Gipfel. (Erstbesteigung
1800 durch den Fürstbischof von Gurk, Graf Salm-Reifferscheid,
mit einer Gruppe von Naturwissenschaftlern).

Ich habe großes Verständnis für das ablehnende Verhalten meines
Großonkels, weil ich weiß was Höhenangst ist. So gerne ich
auf die Berge steige, so schlimm ist für mich ein „ausgesetzter“
Weg oder Steig auf einem Grat, wo es neben mir in die Tiefe geht.
Da bekomme ich weiche Knie und Todesangst – ein schreckliches
Gefühl! Wie muss es dem armen Notar aus Winklern ergangen
sein? Es mögen wohl Neid auf den „König des Mölltals“ und
Bosheit der Antrieb für die Bergführer gewesen sein, die gewagte
Tour mit ihm zu unternehmen. Kurioserweise hat sein sportlicher

 Großneffe, akademischer Maler und Bildhauer Hellmuth Marx (1915-2002) aus Oberdrauburg (mit Brunnenfigur aus Marmor auf dem Marktplatz, von uns „Miss Oberdrauburg“ genannt), aus dem Zweiten Weltkrieg heimgekehrt, sich als inoffizieller 
Bergführer in Heiligenblut finanziell über Wasser gehalten und den Großglockner 17mal bestiegen. Seinen künstlerischen Beruf konnte man in dieser schweren Zeit vorübergehend wahrlich als brotlos bezeichnen.
 
!Nun zu den Fakten

[{Image src='Community/Community_Fotos/Großglockner/DSCF4719.JPG' border='1' class='image_left' caption='Der Glockner vom Großvenediger aus gesehen\\Foto und © Gerhard Wurzinger' height='300' popup='false' width='407'}] 

Das Gebiet des Großglockners gehörte auf der Kärntner Seite von alters her zur Herrschaft Großkirchheim. Sie umfasste neben Immobilien (Schloss Großkirchheim usw.) Wiesen, Äcker und Wälder von Winklern bis Heiligenblut, aber auch Almen, Fels sowie Gletscher mit der Pasterze und dem Großglockner. Diesen ausgedehnten Großgrundbesitz ersteigerte
mein Urgroßvater, Johann A. Aicher von Aichenegg (1807-
1865), k. k. Steuereinnehmer und Gutsbesitzer in Winklern,
vier Monate vor seinem Tod zum Okkasionspreis. Als nämlich
der zeitweilig recht ertragreiche Bergbau (im Wesentlichen Tauerngold)
sich erschöpfte, unrentabel geworden und um 1870
schließlich eingestellt worden war, erlebten die Waldungen, die
zuvor das Holz für die Schmelzöfen geliefert hatten, einen starken
Preisverfall. Sein Sohn, Dr. iur. Josef Aicher v. Aichenegg
(1848-1899) Notar in Winklern, erbte die Besitzungen im Mölltal
inklusive Großglockner und Pasterze. Er vermachte diese seinen
vier Töchtern. Die Älteste war mit dem Holzindustriellen
Baumeister Albert Wirth aus Villach verheiratet. Er konnte seine
Frau und die Schwägerinnen dazu überreden, ihre Besitzanteile
am Großglocknergebiet von rund 40 km² um 10.000 Kronen
an den Alpenverein zu übereignen. So wurde am 20. Juni 1918
ein Kaufvertrag zwischen den Aichenegg-Töchtern und dem damaligen
„Deutschen und Oesterreichischen Alpenverein“ (seit
1951 „Oesterreichischer Alpenverein“) erstellt, der am 2. Oktober
1918 vom Landesgericht genehmigt und dem Grundbuch
Winklern einverleibt wurde. Gleichzeitig verpflichtete sich Albert
Wirth dem Alpenverein gegenüber, den gesamten Kaufpreis
plus Nebenspesen unter der Auflage zu übernehmen, „dass das
gewidmete Großglocknergebiet als Naturschutzpark der Zukunft
erhalten bleibe.“

!Die Naturschutzidee

Albert Wirth (1874-1957) absolvierte in Wien die Höhere Baugewerbeschule
und studierte anschließend zwei Semester an der
Hochschule für Bodenkultur. Er war ein begeisterter Jäger und
Naturliebhaber und wollte eigentlich Naturforscher werden.
Wegen des vorgesehenen Einstiegs in das bedeutende väterliche
Holzunternehmen F. X. Wirth in Villach musste er seine Neigung
hintanstellen, legte die Baumeisterprüfung ab und sammelte 
Erfahrung im Baugewerbe. Um die Betonbauweise bei Hochhäusern
zu studieren, reiste er 1899 in die USA. Dort lernte er die Naturschutzidee
im Yosemite- und Yellowstone-Nationalpark kennen,
durch welche die belebte und unbelebte Natur den technischen
Einwirkungen auf Dauer entzogen wurde. Davon war A. Wirth
fasziniert und kam von seiner Ausbildungsreise als überzeugter
Naturschützer mit der Absicht zurück, sich für die Erhaltung der
Naturlandschaft in der Heimat einzusetzen.
Schon zu Beginn des Ersten Weltkrieges gab es wilde Spekulationen
über die kommerzielle Verwertung des Glocknergebietes,
u. a. mit dem Plan eines fashionablen Hotels samt Sportplätzen
in der Gamsgrube sowie einer Drahtseilbahn von der Pasterze auf
die Spitze des Großglockners. All dem machte A. Wirth durch
seine großzügige Schenkung an den Alpenverein ein Ende. In
Anerkennung und Dankbarkeit für diese bedeutende Eigentumsübertragung,
die schließlich der Grundstein für die Schaffung des
„Nationalparks Hohe Tauern“ war, errichtete die Sektion Villach
des Alpenvereins für ihr Mitglied Albert Wirth 1970 (zum 100.
Bestandsjahr der Sektion) eine Gedenktafel. Sie befindet sich
an dem Promenadenweg, der vom Franz-Josephs-Haus über die
Hoffmannshütte zur Oberwalderhütte führt, dort wo der Alpenvereinsbesitz
beginnt. Der „Nationalpark Hohe Tauern“ (eingerichtet
1981) geht auf die Heiligenbluter Vereinbarung von 1971
zurück und ist der älteste Nationalpark Österreichs, das größte
Schutzgebiet Mitteleuropas und seit 2003 UNESCO-Welterbe.
Als junges Mädchen habe ich Onkel Albert anlässlich eines Besuches
mit meiner Mutter im Wirthschen Haus an der Villacher
Draulände kennengelernt ohne zu ahnen, um welche außergewöhnliche
Persönlichkeit es sich handelte. Er war damals, als ich
ihn sah, schon seit vielen Jahren völlig blind, trug eine schwarze
Brille und wurde von einem Betreuer ins Wohnzimmer per
Rollstuhl geschoben. Es folgten Bewirtung und die üblichen Verwandtengespräche,
mehr nicht
 
!Erste Bekanntschaft mit dem „Berg“

Meine erste Bekanntschaft mit dem Großglockner verdanke
ich einer Schulexkursion ins Kärntner Landesmuseum in Klagenfurt.
Dort befindet sich das monumentale Relief mit Pasterze und
Glocknerspitze (7 m x 3,5 m), geschaffen in den Jahren 1890-
1893 vom Lehrer und Geoplasten P. G. Oberlercher (1859-1915)
auf Grundlage eigener ausgedehnter Vermessungsarbeiten; auch
dies eine beachtliche Leistung.
In natura erlebte ich den Großglockner erst Jahrzehnte später;
ich war beeindruckt von seiner Schönheit und Majestät, verspürte
aber nie den Wunsch ihn zu besteigen.

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