!!!Standing Ovation 
!!wenn das Publikum aufsteht und was sitzen nicht bietet
Von [Peter Kotauczek|Infos_zum_AF/Editorial_Board/Kotauczek,_Prof._Ing._Peter_(Systemanalytiker,_Ingenieur,_Maler)]


!Lehnen, Stehen, Sitzen, Gehen und Schweben



%%right
Lean on me, when you're not strong\\
And I'll be your friend\\
I'll help you carry on\\
For it won't be long\\ 
(Hit von Bill Withers 1972)\\
[https://www.youtube.com/watch?v=qkaexjc-1os]\\
%%
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Es gibt Menschen, die beobachten genauer als Andere. Viel genauer. Und sie denken darüber auch noch nach. Jahrelang. Einer von dieser seltenen Spezies ist Ingomar Kmentt. Er war Möbeldesigner, Chefredakteur des „einrichten“-Magazins, ist kauziger Philosoph und nun gefragter Entertainer. Als solcher hat er schon öfter erlebt wie belebend „Standing Ovations“ für den Künstler sind. Und als Philosoph hat er auch verstanden, das das Stehenbleiben während das Applauses das Opfer des Auditoriums an die Künstler ist. Und als naturwissenschaftlich gebildeter Designer hat er auch sofort begriffen, das das „Opfer“ in der freiwilligen Opferung des schwerkraftlich bevorzugten Vorteils der bequemen Sitzposition manifestiert ist.  

Er stellte vor kurzem mit Erstaunen fest, dass das Thema „Lehnen“ sogar nach 30 Jahren noch nicht im Internet angekommen ist. Alles was Google darüber weiß ist der Eigenname von Persönlichkeiten oder Institutionen oder Gegenständen die „Lehnen“ heißen. Der Zustand des Lehnens ist Google keiner Definition wert. Und im Englischen kommt lediglich der Hinweis auf den Megahit aus dem Jahre 1972 „Lean on me“ von Bill Withers.

Ingomar Kmentt findet das unglaublich, wo doch schon 1985 der Psychologe Othmar Hill seine „Lehnwand“ in einer Wiener U.Bahn Station vorstellte. Kmentt war damals Chefredakteur eines Design-Magazins und fand das so bemerkenswert, dass er ein Lehn-Möbel entwickelte. Ein erster Versuch gefiel dem damaligen Bürgermeister Zilk so gut, dass er eine Stand-Lehne nach Kmentt´s Entwurf in der U-Bahn-Station Rathaus anbringen ließ. Es folgten „Casino-Lehnen“ und 1991 das erste „Lehnmobil“. Kmentt beobachtete, dass Menschen, wenn sie die Möglichkeit vorfinden, nicht frei stehen wollen, sondern sich lässig gegen eine geeignete Stütze lehnen. Das kann eine Wand sein, aber lieber ist den Menschen eine erkennbare dem Lehnen gewidmete Stütze. Was lag also näher als eine mobile Anlehnvorrichtung zu designen, die man überall hinschieben kann. So entstand die Idee des „Lehnmobils“. Kmentt montierte sein Lehnbrett auf eine Sackkarre aus dem Baumarkt, und
das war schon ganz gut, die Formgebung noch nicht. Auf der Interieur 91 konnte man die verbesserte Version testen, der „Stumme Diener Fritz“  erntete vielfache Beachtung und Anerkennung in den Medien.

Gemeinsam mit einem Freund wollte Kmentt sogar in Wien ein Beisl unter dem Namen „Pufferzone“ eröffnen. Dort sollten die Gäste nicht nur sitzen, sondern auch im Kreis an ihren Lehnmobilen lehnend diskutieren, essen und trinken. Wie so oft blieb es bei der Idee  zur Bereicherung der Wiener Szene, dieses originelle Lokal wurde nicht verwirklicht.

Auch als „Stadtmöblierung“ war das Kmentt´sche Lehnmöbel im Gespräch. Aus Niro gefertigt, hätte es in Gruppen arrangiert auf öffentlichen Plätzen die Passanten einladen sollen kürzer oder länger lässig lehnend zu tratschen oder den Verkehr zu beobachten. In Verbindung mit Steinquadern zum Abstellen von Getränken könnten Plätze der Entspannung und Entschleunigung in der Stadt entstehen, die nicht die Nachteile von Bänken haben, weil sie nicht zum Schlafen einladen und leichter reinzuhalten sind. Offenbar war er aber noch zu sehr der Zeit voraus, weil damals jede freie Fläche lieber für Parkplätze geopfert werden musste. Inzwischen ist dieser Grundgedanke des entspannten Verweilens im öffentlichen Raum in vielen Städten mit den allseits bekannten farblichen Kunststoffklötzen verwirklicht worden, aber das Prinzip des Lehnens wurde durch das Sitzen und Liegen ersetzt. 

Als Kmentt im Zusammenhang mit einem erfolgreichen Konzert im Wiener Konzerthaus mit dem Spazierschweberclub in Kontakt kam, flammte die Idee der Stadtmöblierung wieder neu auf. Der Künstler und Philosoph erkannte sofort, dass im Einspur-Rollator und im Anlehn-Möbel ein ähnliches therapeutisches Potential steckt. Immer geht es dem Menschen darum, der allgegenwärtigen Schwerkraft ein Schnippchen zu schlagen. Still stehen ist anstrengend und wirkt disziplinierend und demütigend. Das haben Obrigkeiten schon immer erkannt und ließen daher Bittsteller oder Untergebene gerne still stehen, um sie ihre Unterlegenheit spüren zu lassen. Das gipfelt im militärischen Befehl: „Stillgestanden!“ oder im Anstellen um ein rares Gut. Würden die Menschen lässig lehnen oder auf ihrem Einspur-Rollator rittlings sitzen wären sie wahrscheinlich viel selbstbewusster und frecher. Man kann das bei herumlungernden, auf Provokation eingestellten Jugendlichen gut beobachten. Sie lehnen lässig rauchend an Wänden und Bäumen und stänkern jeden Vorbeikommenden, vorzugsweise junge Frauen an. Aber auch in den alten Western-Filmen steht der Held meist irgendwo dagegen gelehnt da, um seine Coolness und Unbeeindrucktheit zu demonstrieren. Gleichwertig dazu ist das rittlings Sitzen auf einem Sattel oder Querbalken. Diese Szenen haben wir alle im Hinterkopf.

Immer geht es ums Gleiche: um den Beweis, der Schwerkraft, die uns unbarmherzig niederzieht, mit List und Können der Gewalt der Schwere über unseren Körper wenigstens teilweise entkommen zu können. Das gibt uns ein gutes Gefühl. Jeder Hobby-Taucher kennt und liebt den Flow, das Gefühl schwerelos durch das Wasser zu gleiten. Die uralte Sehnsucht der Menschen schweben zu können. Aber die Schwere drückt uns unbarmherzig nieder. Je älter desto mehr.

Wir sind eine alternde Gesellschaft. Der  Anteil der über 60-jährigen steigt in Europa dramatisch an. Dazu kommen körperliche Defekte, die durch die derzeitige Lebensweise mit zu viel essen, zu lange sitzen und autofahren noch verstärkt werden. Zu viele Snacks, Softdrinks, zu lang Bildschirm schauen und Auto sitzen formen den Körper. Bis die Steh- und Geh-Schwierigkeiten so groß werden, dass Therapie notwendig wird. Mit Chemie, Pharmazie oder mechanischen Hilfsmitteln.

Rollatoren und Lehnmöbel könnten ein Therapeutikum der Wahl in nächster Zukunft sein.  Davon ist nicht nur Ingomar Kmentt überzeugt. Schon überlegen die ersten Hochschulen, junge Therapeuten und Personal-Trainer am Einspur-Rollator und Lehn-Möbel so profund auszubilden, dass die Patienten den optimalen Nutzen aus dieser Geräte-Klasse ziehen. Schon überlegen Stadtverwaltungen Lehnmöbel in Verbindung mit Rollatoren-Ladestationen aufzustellen, um die Rollateure zum angelehnten Verweilen und sicherem Abstellen des Rollators während des Ladevorgangs einzuladen.

Nicht nur die Physis sondern auch die Psyche wird, wie schon die obigen Beispiele des lässigen Lehnens und des rittlings Sitzens und Gehens zeigen, zur Wiedererlangung einer gelasseneren Selbstbewusstheit der meist alten und vom Leben gebückten Patienten beitragen. 

Dieses neu wiedergefundene Gefühl wollten wir vom Spazierschweberclub mit dem Begriff „Gehschweber“ ausdrücken, um uns von den üblichen Rollatoren abzuheben und ein Signal an die älteren Mitbürger zu senden. Eine neue Mediziner- und Therapeuten-Generation wird neben der normalen Schulmedizin diese Physio/Psychischen Hilfsmittel zu Wohle der betroffenen Menschen vermehrt einsetzen, um Leid zu vermeiden und die Inklusion von benachteiligten Menschen zu fördern.

Die Mauern im Kopf sind bekanntlich am schwersten zu überwinden. Ingomar Kmentts Gedanken und Experimente zeigen uns, dass scheinbar ganz banale Dinge sehr tiefe Bedeutung haben können. Wir müssen sie nur sehen!












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