!!!Drachensteigen am Platz des Himmlischen Friedens in Peking

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Von

[Günther Jontes|Infos_zum_AF/Editorial_Board/Jontes,_Professor_Dr._Günther_(Volkskunde,_Brauchtum,_Geschichte)]


''Die Bilder wurden vom Verfasser am 4. November 1987 in Peking aufgenommen und sind Teil des Archives „Bilderflut Jontes“.''

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Einen aus leichten Materialien wie Seide oder Papier und Bambusstäbchen gebauten Drachen gelenkt in die Lüfte steigen zu lassen, ist die älteste bezeugte Methode, Menschenwerk dorthin zu befördern. Das geschah lange  bevor sich die erste Montgolfiere in die Luft erhob oder Graf Zeppelin sein Fluggerät steigen ließ. Wenn physikalisch gesehen die Luft gegen die Drachenfläche strömt, entsteht ein dynamischer Auftrieb, der den Drachen nach oben steigen lässt. Die ersten waren zumindest in Eurasien die Chinesen, die im 5. Jahrhundert v. Chr. Drachensteigen als Unterhaltung und Sport aufbrachten und damit die Beherrschung des geheimnisvollsten Elements, nämlich der Luft, ins Spiel brachten. Heute eilen auch chinesische Airbus 380 von Kontinent zu Kontinent.

 
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Mit dieser Bilderfolge verbindet sich für mich, den Autor, ein spannendes Erlebnis, das sich auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking abspielte, auf dem Platz, auf welchem zwei Jahre danach die friedliche Demonstration für Menschenrechte von der Armee brutal niedergewalzt wurde. Wir waren ein Film-Team des ORF, dem u. a. ideenreicher Günter Schilhan als Regisseur, Erhard Seidl als famoser Kameramann und Maria Derler als charmante und fürsorgliche Regieassistentin angehörte. Wir waren eigentlich unterwegs, um Pekinger Stimmungsbilder an diesem sonnigen, aber kühlen Herbsttag einzufangen. Ich moderierte als vom ORF gerufener Asienkenner die von der Kamera eingefangenen Szenen, war schon „verkabelt“, memorierte das, was ich sagen wollte. Wir waren dabei etwas befangen, denn für diesen Drehort hatten wir keine schriftliche Erlaubnis und die chinesischen Behörden sind da sehr streng. Eben sollte das Kamerastativ aufgebaut und die Tonanlage installiert werden, als plötzlich strammen Schritts eine Polizeipatrouille von zwei Mann zielstrebig auf uns zukam. Bald zeigte sich, dass die beiden Uniformierten eigentlich mehr neugierig als kontrollbefließen waren. Der lieben Maria gelang es gleich, auf die beiden einzureden und siehe da, das Eis war gebrochen und die beiden halfen sogar beim Aufbau unserer Technik. Sie waren von den „Langnasen“ schön um den Finger gewickelt worden und zogen später mit einem Rot-Weiß-Rot-Kugelschreiber bedankt wieder ab und ich konnte mit meiner Arbeit beginnen.

Und dann verfolgten wir, wie sich eine größere Menschenmenge ansammelte, die sich weniger für uns als dafür interessierte, dass ein riesiger Flugdrachen vorbereitet wurde, um gelenkt von geschickten Händen und großen Muskelkräften in die Lüfte gestartet werden sollte. Es handelte sich um einen sogenannten „Tausendfüßlerdrachen“, der nicht aus einer einzigen großen Auftriebsfläche, sondern aus gut hundert geschwänzten Rundscheiben aus Seide bestand. Seine Länge betrug bestimmt gewaltige 80 bis 100 Meter! 


 
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Der Mann im Vordergrund ist der „Pilot“, der den Kopf des Drachen, der wie ein wirklicher Drachenkopf gebildet ist, hält und wartet, bis der gewaltige Drachenschwanz so weit hoch oben im Wind liegt, dass er ihn auch loslassen kann. Vorher hatten hundert Hände des Publikums mitgeholfen, den Drachen auszulegen und ihn dann für den Start hochzuheben. 


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Der Drachenkopf einspricht in seiner Gestalt dem, was der chinesische Volksglaube an diesem Fabelwesen zu erkennen glaubt. Er hat u.a. ein Raubtiergebiss, das Geweih eines Hirschen, den Kamm eines Krokodils. Sein Kiefer ist beweglich und wenn er in Lüften tanzend plötzlich auf die lachenden und kreischenden Zusehen herunter zustürzt, so klappert er auch laut und hölzern mit seinen Zähnen. Eigentlich ist er kein Fabelwesen, denn noch heute glauben viele Chinesen, dass es Drachen in den einsamen Zonen des Reiches der Mitte noch immer gibt. Auch in Europa hielt man bis ins 17. Jahrhundert Drachen noch für real existierende Wesen. Allerdings liegen zwischen dem europäischen und dem chinesischen Drachen anschauungsmäßig Welten. Der westliche ist, wie unsere Sagen zu erzählen wissen, gefährlich, speit Feuer und Gift, bringt Mensch und Tier um und ist auch schuld an Überschwemmungen, die er zu erzeugen weiß. Der chinesische Drache (chin. long) hingegen ist dem Menschen wohlgesonnen. Er sorgt für die gerechte Verteilung des Wassers in  der Landwirtschaft und ist ein ausgleichendes Element im Kosmos. Kein Wunder, dass er das schlüssige Symbol für den Sohn des Himmels, des Kaisers ist. Außerdem hat er seinen Platz im Tierkreis Ostasiens.

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Nun startet er. An ihm ist eine dünne, aber sehr kräftige Seidenschnur befestigt, die das ganze Gewicht von Kopf bis Schwanz zu tragen hat und mit deren Hilfe er im Zusammenspiel mit dem Wind auch so gelenkt werden kann, dass er sich in wilden Kapriolen über den Himmel bewegt


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Und nun tanzt er, solange es der Wind und die Kräfte des Piloten erlauben

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Ein Wort zum Schluss: Es ist heute in China häufig zu beobachten, dass Chinesen Menschen aus dem Westen bitten, ihnen einen westlichen Namen zu verleihen, den sie dann auch für sich verwenden. Auf diese Weise habe ich so manchen Franz, Otto oder Peter kreiert. Und im Gegenzug wurde mir von meinem Dolmetscher Wang der Name „Drache“ geschenkt, in Hinblick auf den mythischen Gehalt eine große Ehre und seitdem ist er für mich der Wolfgang und ich für ihn ein Long.


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