!!!Geschichte eines nie begangenen Attentats 

!!Drei Südtirol-Aktivisten widerfährt durch sensationelle Forschungsergebnisse eines österreichischen Militärhistorikers Gerechtigkeit. 



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''Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: [DIE FURCHE|http://www.furche.at] (Donnerstag, 22. August 2013).''

Von 

__Reinhard Olt__ 

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[{Image src='südtiroler-Anschläge.jpg' class='image_right' caption='Für ein Tirol. In den 1960er Jahren machten Südtirol-Aktivisten mittels Anschlägen auf italienische Einrichtungen die Weltöffentlichkeit auf das Gebaren Italiens in Südtirol aufmerksam.\\Foto: © ONB Bildarchiv Austria' alt='Anschläge auf italienische Einrichtungen' height='400' width='302'}]

Die Genugtuung ist Erhard Hartung anzusehen. Ebenso wie Peter Kienesberger und Egon Kufner, zwei Kameraden aus dem Kreis einstiger Südtirol- Aktivisten, widerfährt ihm aufgrund von Forschungsergebnissen des Militärhistorikers Hubert Speckner endlich Gerechtigkeit. In jungen Jahren hatte sich Hartung, Spross einer alteingesessenen Tiroler Familie, im „Befreiungsausschuss Südtirol“ (BAS) für die Einheit des nach dem Ersten Weltkrieg geteilten Tirol engagiert. Am Abend des 24. Juni 1967 stiegen die drei zur Porzescharte auf, zum Grenzkamm zwischen dem Osttiroler Bezirk Lienz und der italienischen Provinz Belluno. Dort sollte die Gruppe, wie Kienesberger berichtet, mit von der italienischen Seite der Grenze aus aufgestiegenen BAS-Aktivisten aus Südtirol Kontakt aufnehmen und einen verwundeten Kameraden zur Behandlung nach Österreich bringen. Als das vereinbarte Funkkontaktsignal ausblieb und stattdessen das kurze Aufleuchten eines Lichts zu sehen war, vermutete Kienesberger eine Falle des italienischen Geheimdienstes, brach das Vorhaben ab und kehrte mit seinen Kameraden zu deren Ausgangspunkt in der Gemeinde Obertilliach zurück, wo sie eine Stunde nach Mitternacht jenes Fahrzeug bestiegen, mit dem sie gekommen waren. 

Just am Morgen des 25. Juni sollen – den offiziellen Ermittlungen zufolge – auf der Porzescharte vier italienische Soldaten zu Tode gekommen sein. Aufgeschreckt durch eine nächtliche Detonation seien sie zum Grenzübergang geeilt, wo – wie im Jahr zuvor – ein Strommast gesprengt worden war. Einer der Männer, der Alpini-Soldat Armando Piva, war demnach durch eine vergrabene Sprengfalle schwer verletzt worden und noch am selben Tag gestorben. Einer eingeflogenen Spezialeinheit soll dasselbe passiert sein: Carabinieri-Hauptmann Francesco Gentile und die Fallschirmjäger Mario di Lecce und Olivo Dordi hätten eine zweite Sprengfalle ausgelöst und seien dabei getötet, ein vierter Soldat, Marcello Fagnani, schwer verwundet worden. 

[{Image src='Prozess-Porzescharte.jpg' class='image_left' caption='Prozess. Peter Kienesberger beim Prozess in Wien im Dezember 1968 (der mit einem Freispruch endete).\\ © Gra & Wis' alt='Peter Kienesberger beim Prozess in Wien' height='250' width='336' popup='false'}]

!Zweimal lebenslänglich, einmal 24 Jahre 

Des von Politikern und Medien so genannten „blutigsten Attentats des Südtirol-Terrorismus“ wurden der im Zusammenhang mit früheren BAS-Aktionen namhafte Elektrotechniker Kienesberger, der bis dahin unauffällige Arzt Hartung sowie der Unteroffizier des österreichischen Bundesheeres Kufner bezichtigt und schließlich angeklagt. In Florenz wurden Kienesberger und Hartung zu lebenslänglicher, Kufner zu 24 Jahren Haft verurteilt; die Urteilssprüche ergingen 1971 in Abwesenheit der Angeklagten und fußten auf Gesetzen aus der Zeit des Faschismus. Aufgrund von Erkenntnissen deutscher und österreichischer Höchstgerichte verstieß das florentinische Verfahren vor allem dadurch, dass die Angeklagten nicht zur Hauptverhandlung geladen wurden und ihnen weder die Anklageschrift noch das Urteil zugestellt worden war, gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK). In Österreich wurden die drei hingegen freigesprochen. Der Freispruch war – wider alle staatsanwaltschaftlichen Bemühungen, die Täter mittels Schuldnachweis zu überführen – letztlich auf das durch Gutachten untermauerte Hauptargument der Verteidigung zurückzuführen, wonach die ihnen zur Last gelegten Taten im vorgegebenen Zeitrahmen nicht hatten durchgeführt werden können. Die italienische Verurteilung ist indes nach wie vor in Kraft. Die drei gelten als „Terroristen“, und dies nicht nur in Italien, wo sie, reisten sie ein, mit Verhaftung rechnen müssten, sondern auch weithin in der Publizistik und in der wissenschaftlichen Südtirol-Historiographie. Für den Historiker Hubert Speckner, der sich drei Jahre lang intensiv mit der „Causa Porzescharte“ befasst und dabei alle verfügbaren österreichischen Akten eingesehen, methodisch vorbildlich aufbereitet und ausgewertet hat, ist es höchst zweifelhaft, ob die vier Opfer überhaupt auf der Porzescharte zu Tode gekommen sind. Weder die österreichische noch die italienische Seite haben Totenscheine, Obduktionsbefunde oder eine amtliche Tatortbeschreibung in den in Österreich geführten Verfahren vorgelegt. Zeugen aus Österreich, wie Innenminister Franz Hetzenauer, ein gebürtiger Tiroler, und der Osttiroler Bezirkshauptmann Othmar Doblander, die nach der Tat unabhängig voneinander den Tatort besichtigten, wurden nicht zu den Prozessen geladen. Hartung, pensionierter Anästhesie-Professor der Uni-Klinik Düsseldorf, sagt frei heraus, was Speckners Forschungen bestätigen: „Die Berichte dieser Persönlichkeiten wurden offensichtlich bewusst zurückgehalten. Sie belegen, dass der angebliche Tatort ungeschützt war und anders ausgesehen hat, als er Tage später von einer italienisch-österreichischen Kommission vorgefunden wurde.“ Der ehemalige österreichische Justizminister Hans Richard Klecatsky ist heute wie damals davon überzeugt, dass es sich bei dem „angeblichen Attentat um eine rein inneritalienische Manipulation auf der Porzescharte“ handelte. Plausibel begründet lautet daher eine von Speckners Schlussfolgerungen, dass die Soldaten vielmehr auf dem unweit gelegenen Kreuzbergsattel, wo laut Zeugenaussagen eine Verminungsübung italienischer Heereseinheiten stattgefunden hatte, einem Unfall zum Opfer gefallen und herbeigeschafft worden sein könnten, um im damals angespannten bilateralen Verhältnis Rom- Wien Österreich der „Begünstigung von Terroristen“, ja selbst des „Staatsterrorismus“ zu bezichtigen. 

[{Image src='Untersuchungen-Porzescharte.jpg' class='image_right' caption='Untersuchungen am vermeintlichen Tatort auf der Porzescharte.\\© Gra & Wis' alt='Untersuchungen auf der Porzescharte' height='250' width='334'}]


!Doppelte „Strategie der Spannung“ 

Das angebliche „Porze-Attentat“ hatte Italien, EWG-Gründungsmitglied, seinerzeit zum Vorwand genommen, um sein Veto gegen den Beginn von Verhandlungen über Österreichs Assoziierungsbegehr einzulegen. Es passte im Rahmen der gesamten Südtirol- Problematik auch nur allzu gut in die „Strategie der Spannung“ („strategia della tensione“). Damit trachteten verschwörerische Kreise – organisiert in Vereinigungen neofaschistischen Zuschnitts wie „Ordine nuovo“ und „Avanguardia Nazionale“, aber auch verankert in Teilen italienischer Dienste sowie des geheimen „Gladio“-Netzwerks des Militärs – danach, die gesellschaftliche Unterfütterung für einen (letztlich erfolglos gebliebenen) Wechsel in Italien hin zu einem autoritären Regime zu bereiten. War es zum einen das Ziel italienischer Dienste, mittels fingierter Anschläge die Südtiroler Freiheitskämpfer zu diskreditieren und damit politisch Druck auf Österreich auszuüben, so hatten Leute des „Gladio“-Netzwerks ein zusätzliches Interesse, damit die Spannungsmomente zu erhöhen, ein Bedrohungsbild zu erzeugen und die Südtirol-Aktionen im Sinne ihrer Umsturzpläne zu instrumentalisieren. Es gab daher durchaus nicht wenige „getürkte“ Attentate, von denen Senator Marco Boato im 1992 veröffentlichten parlamentarischen Untersuchungsbericht auch auf Südtirol bezogene aufl isten ließ. Höchst aufschlussreich sind Passagen, in denen der Carabinieri-Oberst Amos Spiazzi davon spricht, dass „der Staatsapparat in den Südtirol-Terrorismus involviert gewesen“ sei. 

Die angebliche Täterschaft bedurfte im Licht all dieser damals aufwühlenden Vorgänge zwingend einer neuen Durchleuchtung. Dieser Aufgabe hat sich Hubert Speckner auf methodisch höchst zu rühmende Weise unterzogen. Er förderte mit seiner prägnanten Studie neue Einsichten und Erkenntnisse zu Tage, an denen in Hinkunft niemand vorbeikommen wird, der ernstgenommen werden will. Seine überzeugenden Darlegungen sollten nicht zuletzt auch dazu führen, jenes obskure florentinische Urteil aus der Welt zu schaffen, mit dem Erhard Hartung, Peter Kienesberger und Egon Kufner 1971 gänzlich wahrheits- und rechtswidrig für eine nicht begangene Tat verurteilt und damit zu Mördern gestempelt worden sind, weswegen sie dringend der öffentlichen Rehabilitierung bedürfen. 

''Der Autor, ehemaliger langjähriger FAZKorrespondent in Wien, lehrt seit 2012 als Gastprofessor an der Fakultät für mitteleuropäische Studien der deutschsprachigen Andrássy-Universität in Budapest ''

!Information

[{Image src='Porze_Roßkarspitz.jpg' class='image_left' caption='' alt='' height='100' width='70'}]

„Zwischen Porze und Roßkarspitz...“ 

Von Hubert Speckner Gra & Wis

Wien 2013 368 S., 29,70 EUR

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[DIE FURCHE|http://www.furche.at], Donnerstag, 22. August 2013
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