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Und sie bewegen sich doch#

ForscherInnen entdecken erstmals schwimmende Chlamydien im Meer#

Insel Sylt
In Sedimenten vor der Insel Sylt (Deutschland) sowie in einem Fjord auf Vancouver Island (Kanada) wurden die ungewöhnlichen Chlamydien gefunden
Foto: © Marc Mussmann

Chlamydien sind als bakterielle Krankheitserreger bekannt und verursachen jedes Jahr weltweit mehr als 100 Millionen Infektionen. Für den Menschen harmlose Arten sind jedoch auch in der Umwelt weit verbreitet. Bei der Untersuchung dieser Spezies haben MikrobiologInnen der Universität Wien um Astrid Collingro und Matthias Horn eine überraschende Entdeckung gemacht: Bestimmte marine Arten können mithilfe eines molekularen "Motors" schwimmen. Alle bislang bekannten Chlamydien galten als völlig unbeweglich.

Chlamydien sind ungewöhnliche Bakterien. Um sich zu vermehren, sind sie auf die Infektion tierischer oder menschlicher Zellen beziehungsweise auf Einzeller (Protisten) angewiesen. Dieser Lebensstil ist uralt und vermutlich bereits im Präkambrium entstanden. Im Verlauf der Evolution haben Chlamydien dabei ihr Erbgut stark verkleinert und an die ressourcenreiche Umgebung angepasst. So haben sie eine Vielzahl an Genen verloren, die für freilebende Bakterien lebensnotwendig sind.

Unbekannte Chlamydien im Meer#

Die Evolution der Chlamydien lässt sich besonders gut anhand der Umweltchlamydien studieren, die beispielsweise in Amöben leben. Am Department für Mikrobiologie und Ökosystemforschung an der Universität Wien werden diese seit über zehn Jahren erforscht. Zuletzt mehrten sich die Hinweise auf eine Vielzahl unbekannter Entwicklungslinien im Meer. Um mehr über sie zu erfahren, verwendete das internationale Team um Matthias Horn Methoden der Einzelzellgenomik. Die ForscherInnen brachten zunächst einzelne Bakterienzellen aus Meerwasserproben in winzige Reaktionsgefäße, in denen sie anschließend weiter untersucht werden konnten.

Matthias Horn, Astrid Collingro, Marc Mußmann, Stephan Köstlbacher
Die Autorinnen der Studie von der Universität Wien: Matthias Horn, Astrid Collingro, Marc Mußmann, Stephan Köstlbacher
Foto: © Han-Fei Tsao

Die Nadel im Heuhaufen#

Zehntausende Bakterienzellen haben Collingro und ihre internationalen Kooperationspartner sortiert, bevor sie fündig wurden; darunter befanden sich am Ende drei Chlamydien, deren Genome vervielfältigt und schließlich sequenziert werden konnten. Diese Einzelzellgenome ("single cell amplified genomes") erlaubten erstmals Einblicke in die genetische Ausstattung und die Biologie mariner Chlamydien. Deren Analyse ergab zunächst typische Eigenschaften bekannter Arten; dann aber stießen die WissenschafterInnen auf ein völlig unerwartetes Merkmal.

Flagellen#

Während alle bekannten Chlamydien aufgrund ihrer reduzierten Genome völlig unbeweglich sind, besitzen die untersuchten marinen Arten Flagellen. Das sind komplexe Strukturen, die aus einem molekularen Motor bestehen, der eine Art Geißel so antreibt, dass die Zelle sich fortbewegen kann. "Wir haben das zunächst nicht für möglich gehalten. Erst nach einer Reihe weiterer Analysen waren wir uns sicher: Wir haben es mit beweglichen Chlamydien zu tun", so Astrid Collingro, Erstautorin der Studie.

Marine Chlamydien
Marine Chlamydien sind verwandt mit humanpathogenen Chlamydienarten und für den Menschen harmlos. Sie besitzen Eigenschaften wie Flagellen (schematische Abbildung), mit deren Hilfe sie schwimmen können – eine völlig unerwartete Eigenschaft für diese Bakteriengruppe, die sich grundsätzlich dadurch auszeichnet, dass sie eine Vielzahl an Funktionen freilebender Bakterien verloren hat.
Quelle: Uni Wien

Weitere Untersuchungen zeigten, dass Flagellen tatsächlich eine ursprüngliche Eigenschaft der Chlamydien sind, die allerdings im Laufe der Evolution in den meisten Entwicklungslinien, so auch den humanpathogenen Arten, verloren gegangen ist. Im Meer aber ist Beweglichkeit möglicherweise eine Voraussetzung, um neue Wirtszellen zu finden.

So bemerkenswert diese neuen Erkenntnisse zur Anpassungsfähigkeit von Chlamydien sind, letztendlich wird es notwendig sein, marine Chlamydien auch im Labor untersuchen zu können. Um das zu erreichen, wollen sich die ForscherInnen demnächst auf die Suche nach deren natürlichen Wirten begeben. "Bisher konnten wir nur einen Bruchteil der Chlamydien untersuchen. Ich denke, diese Bakterien sind noch für einige Überraschungen gut", meint Matthias Horn, Professor am Department für Mikrobiologie und Ökosystemforschung, und ergänzt: "Die Untersuchung der Umweltchlamydien wird dazu beitragen, die Herkunft und Entwicklung bakterieller Krankheitserreger besser zu verstehen".

Publikation in "The ISME Journal":#

Unexpected genomic features in widespread intracellular bacteria: evidence for motility of marine chlamydiae. Astrid Collingro, Stephan Köstlbacher, Marc Mussmann, Ramunas Stepanauskas, Steven J. Hallam, Matthias Horn
DOI: 10.1038/ismej.2017.95

"Motorisierte" Chlamydien im Meer

Wissenschaftlicher Kontakt#

Univ.-Prof. Dr. Matthias Horn
Department für Mikrobielle Ökologie
Universität Wien
1090 - Wien, Althanstraße 14
+43-1-4277-543 93
matthias.horn@univie.ac.at

Rückfragehinweis#

Mag. Alexandra Frey
Pressebüro der Universität Wien
Forschung und Lehre
Universität Wien
1010 - Wien, Universitätsring 1
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+43-664-60277-175 33
alexandra.frey@univie.ac.at