Page - 2485 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
Image of the Page - 2485 -
Text of the Page - 2485 -
geworden, sie scheint in ihrer Verliebtheit aufzugehen, und diese Wandlung ist ganz regelmäßig
in einem Zeitpunkte aufgetreten, da man ihr gerade zumuten mußte, ein besonders peinliches und
schwer verdrängtes Stück ihrer Lebensgeschichte zuzugestehen oder zu erinnern. Die Verliebtheit
ist also längst dagewesen, aber jetzt beginnt der Widerstand sich ihrer zu bedienen, um die
Fortsetzung der Kur zu hemmen, um alles Interesse von der Arbeit abzulenken und um den
analysierenden Arzt in eine peinliche Verlegenheit zu bringen.
Sieht man näher zu, so kann man in der Situation auch den Einfluß komplizierender Motive
erkennen, zum Teile solcher, die sich der Verliebtheit anschließen, zum anderen Teile aber
besonderer Äußerungen des Widerstandes. Von der ersteren Art ist das Bestreben der Patientin,
sich ihrer Unwiderstehlichkeit zu versichern, die Autorität des Arztes durch seine Herabsetzung
zum Geliebten zu brechen und was sonst als Nebengewinn bei der Liebesbefriedigung winkt.
Vom Widerstande darf man vermuten, daß er gelegentlich die Liebeserklärung als Mittel benützt,
um den gestrengen Analytiker auf die Probe zu stellen, worauf er im Falle seiner Willfährigkeit
eine Zurechtweisung zu erwarten hätte. Vor allem aber hat man den Eindruck, daß der
Widerstand als agent provocateur die Verliebtheit steigert und die Bereitwilligkeit zur sexuellen
Hingabe übertreibt, um dann desto nachdrücklicher unter Berufung auf die Gefahren einer
solchen Zuchtlosigkeit das Wirken der Verdrängung zu rechtfertigen. All dieses Beiwerk, das in
reineren Fällen auch wegbleiben kann, ist von Alf. Adler bekanntlich als das Wesentliche des
ganzen Vorganges angesehen worden.
Wie muß sich aber der Analytiker benehmen, um nicht an dieser Situation zu scheitern, wenn es
für ihn feststeht, daß die Kur trotz dieser Liebesübertragung und durch dieselbe hindurch
fortzusetzen ist?
Ich hätte es nun leicht, unter nachdrücklicher Betonung der allgemein gültigen Moral zu
postulieren, daß der Analytiker nie und nimmer die ihm angebotene Zärtlichkeit annehmen oder
erwidern dürfe. Er müsse vielmehr den Moment für gekommen erachten, um die sittliche
Forderung und die Notwendigkeit des Verzichtes vor dem verliebten Weibe zu vertreten und es
bei ihr zu erreichen, daß sie von ihrem Verlangen ablasse und mit Überwindung des animalischen
Anteils an ihrem Ich die analytische Arbeit fortsetze.
Ich werde aber diese Erwartungen nicht erfüllen, weder den ersten noch den zweiten Teil
derselben. Den ersten nicht, weil ich nicht für die Klientel schreibe, sondern für Ärzte, die mit
ernsthaften Schwierigkeiten zu ringen haben, und weil ich überdies hier die Moralvorschrift auf
ihren Ursprung, das heißt auf Zweckmäßigkeit zurückführen kann. Ich bin diesmal in der
glücklichen Lage, das moralische Oktroi ohne Veränderung des Ergebnisses durch Rücksichten
der analytischen Technik zu ersetzen.
Noch entschiedener werde ich aber dem zweiten Teile der angedeuteten Erwartung absagen. Zur
Triebunterdrückung, zum Verzicht und zur Sublimierung auffordern, sobald die Patientin ihre
Liebesübertragung eingestanden hat, hieße nicht analytisch, sondern sinnlos handeln. Es wäre
nicht anders, als wollte man mit kunstvollen Beschwörungen einen Geist aus der Unterwelt zum
Aufsteigen zwingen, um ihn dann ungefragt wieder hinunterzuschicken. Man hätte ja dann das
Verdrängte nur zum Bewußtsein gerufen, um es erschreckt von neuem zu verdrängen. Auch über
den Erfolg eines solchen Vorgehens braucht man sich nicht zu täuschen. Gegen Leidenschaften
richtet man mit sublimen Redensarten bekanntlich wenig aus. Die Patientin wird nur die
Verschmähung empfinden und nicht versäumen, sich für sie zu rächen.
2485
back to the
book Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)"
Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Title
- Schriften von Sigmund Freud
- Subtitle
- (1856–1939)
- Author
- Sigmund Freud
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 21.6 x 28.0 cm
- Pages
- 2789
- Keywords
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Categories
- Geisteswissenschaften
- Medizin