Page - 2581 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
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nicht, scheinen sie eher zu bestätigen. Man darf nur die Klarheit unserer eigenen Einsicht nicht
zum Maß der Überzeugung nehmen, die wir beim Analysierten hervorrufen. Es mag ihr an
»Tiefe« fehlen, wie wir sagen können; es handelt sich immer um den gerne übersehenen
quantitativen Faktor. Wenn dies die Lösung ist, so kann man sagen, die Analyse habe mit ihrem
Anspruch, sie heile Neurosen durch die Sicherung der Triebbeherrschung, in der Theorie immer
recht, in der Praxis nicht immer. Und zwar darum, weil es ihr nicht immer gelingt, die
Grundlagen der Triebbeherrschung in genügendem Ausmaß zu sichern. Der Grund dieses
partiellen Mißerfolgs ist leicht zu finden. Das quantitative Moment der Triebstärke hatte sich
seinerzeit dem Abwehrstreben des Ichs widersetzt; wir haben darum die analytische Arbeit zu
Hilfe gerufen, und nun setzt dasselbe Moment der Wirksamkeit dieser neuen Bemühung eine
Grenze. Bei übergroßer Triebstärke mißlingt dem gereiften und von der Analyse unterstützten Ich
die Aufgabe, ähnlich wie früher dem hilflosen Ich; die Triebbeherrschung wird besser, aber sie
bleibt unvollkommen, weil die Umwandlung des Abwehrmechanismus nur unvollständig ist.
Daran ist nichts zu verwundern, denn die Analyse arbeitet nicht mit unbegrenzten, sondern mit
beschränkten Machtmitteln, und das Endergebnis hängt immer vom relativen Kräfteverhältnis der
miteinander ringenden Instanzen ab.
Es ist unzweifelhaft wünschenswert, die Dauer einer analytischen Kur abzukürzen, aber der Weg
zur Durchsetzung unserer therapeutischen Absicht führt nur über die Verstärkung der
analytischen Hilfskraft, die wir dem Ich zuführen wollen. Die hypnotische Beeinflussung schien
ein ausgezeichnetes Mittel für unsere Zwecke zu sein; es ist bekannt, warum wir darauf
verzichten mußten. Ein Ersatz für die Hypnose ist bisher nicht gefunden worden, aber man
versteht von diesem Gesichtspunkt aus die leider vergeblichen therapeutischen Bemühungen,
denen ein Meister der Analyse wie Ferenczi seine letzten Lebensjahre gewidmet hat.
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Title
- Schriften von Sigmund Freud
- Subtitle
- (1856–1939)
- Author
- Sigmund Freud
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 21.6 x 28.0 cm
- Pages
- 2789
- Keywords
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Categories
- Geisteswissenschaften
- Medizin