Page - 2583 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
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so gut wie ausgeschlossen, so hat die Theorie noch andere Einwände dagegen. Die analytische
Arbeit geht nämlich am besten vor sich, wenn die pathogenen Erlebnisse der Vergangenheit
angehören, so daß das Ich Distanz zu ihnen gewinnen konnte. In akut krisenhaften Zuständen ist
die Analyse so gut wie nicht zu brauchen. Alles Interesse des Ichs wird dann von der
schmerzhaften Realität in Anspruch genommen und verweigert sich der Analyse, die hinter diese
Oberfläche führen und die Einflüsse der Vergangenheit aufdecken will. Einen frischen Konflikt
zu schaffen wird also die analytische Arbeit nur verlängern und erschweren.
Man wird einwenden, das seien völlig überflüssige Erörterungen. Niemand denke daran, die
Behandlungsmöglichkeit des latenten Triebkonflikts dadurch herzustellen, daß man absichtlich
eine neue Leidenssituation heraufbeschwört. Das sei auch keine rühmenswerte prophylaktische
Leistung. Es sei zum Beispiel bekannt, daß eine überstandene Scarlatina eine Immunität gegen
die Wiederkehr der gleichen Erkrankung zurückläßt; darum fällt es doch den Internisten nicht
ein, einen Gesunden, der möglicherweise an Scarlatina erkranken kann, zum Zwecke dieser
Sicherung mit Scarlatina zu infizieren. Die Schutzhandlung darf nicht dieselbe Gefahrsituation
herstellen wie die der Erkrankung selbst, sondern nur eine um sehr viel geringere, wie es bei der
Blatternimpfung und vielen ähnlichen Verfahren erreicht wird. Es kämen also auch bei einer
analytischen Prophylaxe der Triebkonflikte nur die beiden anderen Methoden in Betracht, die
künstliche Erzeugung von neuen Konflikten in der Übertragung, denen doch der Charakter der
Realität abgeht, und die Erweckung solcher Konflikte in der Vorstellung des Analysierten, indem
man von ihnen spricht und ihn mit ihrer Möglichkeit vertraut macht.
Ich weiß nicht, ob man behaupten darf, das erstere dieser beiden milderen Verfahren sei in der
Analyse durchaus unanwendbar. Es fehlt an besonders darauf gerichteten Untersuchungen. Aber
es drängen sich sofort Schwierigkeiten auf, die das Unternehmen nicht als sehr aussichtsreich
erscheinen lassen. Erstens, daß man in der Auswahl solcher Situationen für die Übertragung recht
eingeschränkt ist. Der Analysierte selbst kann nicht alle seine Konflikte in der Übertragung
unterbringen; ebensowenig kann der Analytiker aus der Übertragungssituation alle möglichen
Triebkonflikte des Patienten wachrufen. Man kann ihn etwa eifersüchtig werden oder
Liebesenttäuschungen erleben lassen, aber dazu braucht es keine technische Absicht. Dergleichen
tritt ohnedies spontan in den meisten Analysen auf. Zweitens aber darf man nicht übersehen, daß
alle solche Veranstaltungen unfreundliche Handlungen gegen den Analysierten notwendig
machen, und durch diese schädigt man die zärtliche Einstellung zum Analytiker, die positive
Übertragung, die das stärkste Motiv für die Beteiligung des Analysierten an der gemeinsamen
analytischen Arbeit ist. Man wird also von diesen Verfahren keinesfalls viel erwarten dürfen.
So erübrigt also nur jener Weg, den man ursprünglich wahrscheinlich allein im Auge gehabt hat.
Man erzählt dem Patienten von den Möglichkeiten anderer Triebkonflikte und weckt seine
Erwartung, daß sich dergleichen auch bei ihm ereignen könnte. Man hofft nun, solche Mitteilung
und Warnung werde den Erfolg haben, beim Patienten einen der angedeuteten Konflikte in
bescheidenem und doch zur Behandlung zureichendem Maß zu aktivieren. Aber diesmal gibt die
Erfahrung eine unzweideutige Antwort. Der erwartete Erfolg stellt sich nicht ein. Der Patient hört
die Botschaft wohl, allein es fehlt der Widerhall. Er mag sich denken: »Das ist ja sehr interessant,
aber ich verspüre nichts davon.« Man hat sein Wissen vermehrt und sonst nichts in ihm
verändert. Der Fall ist ungefähr derselbe wie bei der Lektüre psychoanalytischer Schriften. Der
Leser wird nur bei jenen Stellen »aufgeregt«, in denen er sich getroffen fühlt, die also die in ihm
derzeit wirksamen Konflikte betreffen. Alles andere läßt ihn kalt. Ich meine, man kann analoge
Erfahrungen machen, wenn man Kindern sexuelle Aufklärungen gibt. Ich bin weit entfernt zu
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Title
- Schriften von Sigmund Freud
- Subtitle
- (1856–1939)
- Author
- Sigmund Freud
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 21.6 x 28.0 cm
- Pages
- 2789
- Keywords
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Categories
- Geisteswissenschaften
- Medizin