Page - 2594 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
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dem Lehrling die sichere Überzeugung von der Existenz des Unbewußten bringt, ihm die sonst
unglaubwürdigen Selbstwahrnehmungen beim Auftauchen des Verdrängten vermittelt und ihm
an einer ersten Probe die Technik zeigt, die sich in der analytischen Tätigkeit allein bewährt hat.
Dies allein würde als Unterweisung nicht ausreichen, allein man rechnet darauf, daß die in der
Eigenanalyse erhaltenen Anregungen mit deren Aufhören nicht zu Ende kommen, daß die
Prozesse der Ichumarbeitung sich spontan beim Analysierten fortsetzen und alle weiteren
Erfahrungen in dem neu erworbenen Sinn verwenden werden. Das geschieht auch wirklich, und
soweit es geschieht, macht es den Analysierten tauglich zum Analytiker.
Es ist bedauerlich, daß außerdem noch anderes geschieht. Man bleibt auf Eindrücke angewiesen,
wenn man dies beschreiben will; Feindseligkeit auf der einen, Parteilichkeit auf der anderen Seite
schaffen eine Atmosphäre, die der objektiven Erforschung nicht günstig ist. Es scheint also, daß
zahlreiche Analytiker es erlernen, Abwehrmechanismen anzuwenden, die ihnen gestatten,
Folgerungen und Forderungen der Analyse von der eigenen Person abzulenken, wahrscheinlich
indem sie sie gegen andere richten, so daß sie selbst bleiben, wie sie sind, und sich dem
kritisierenden und korrigierenden Einfluß der Analyse entziehen können. Es mag sein, daß dieser
Vorgang dem Dichter recht gibt, der uns mahnt, wenn einem Menschen Macht verliehen wird,
falle es ihm schwer, sie nicht zu mißbrauchen[35]. Mitunter drängt sich dem um ein Verständnis
Bemühten die unliebsame Analogie mit der Wirkung der Röntgenstrahlen auf, wenn man ohne
besondere Vorsichten mit ihnen hantiert. Es wäre nicht zu verwundern, wenn durch die
unausgesetzte Beschäftigung mit all dem Verdrängten, was in der menschlichen Seele nach
Befreiung ringt, auch beim Analytiker alle jene Triebansprüche wachgerüttelt würden, die er
sonst in der Unterdrückung erhalten kann. Auch dies sind »Gefahren der Analyse«, die zwar
nicht dem passiven, sondern dem aktiven Partner der analytischen Situation drohen, und man
sollte es nicht unterlassen, ihnen zu begegnen. Es kann nicht zweifelhaft sein, auf welche Weise.
Jeder Analytiker sollte periodisch, etwa nach Verlauf von fünf Jahren, sich wieder zum Objekt
der Analyse machen, ohne sich dieses Schrittes zu schämen. Das hieße also, auch die
Eigenanalyse würde aus einer endlichen eine unendliche Aufgabe, nicht nur die therapeutische
Analyse am Kranken.
Indes hier ist es an der Zeit, ein Mißverständnis abzuwehren. Ich habe nicht die Absicht zu
behaupten, daß die Analyse überhaupt eine Arbeit ohne Abschluß ist. Wie immer man sich
theoretisch zu dieser Frage stellen mag, die Beendigung einer Analyse ist, meine ich, eine
Angelegenheit der Praxis. Jeder erfahrene Analytiker wird sich an eine Reihe von Fällen erinnern
können, in denen er rebus bene gestis vom Patienten dauernden Abschied genommen hat. Weit
weniger entfernt sich die Praxis von der Theorie in Fällen der sogenannten Charakteranalyse.
Hier wird man nicht leicht ein natürliches Ende voraussehen können, auch wenn man sich von
übertriebenen Erwartungen fernehält und der Analyse keine extremen Aufgaben stellt. Man wird
sich nicht zum Ziel setzen, alle menschlichen Eigenarten zugunsten einer schematischen
Normalität abzuschleifen oder gar zu fordern, daß der »gründlich Analysierte« keine
Leidenschaften verspüren und keine inneren Konflikte entwickeln dürfe. Die Analyse soll die für
die Ichfunktionen günstigsten psychologischen Bedingungen herstellen; damit wäre ihre Aufgabe
erledigt.
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Title
- Schriften von Sigmund Freud
- Subtitle
- (1856–1939)
- Author
- Sigmund Freud
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 21.6 x 28.0 cm
- Pages
- 2789
- Keywords
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Categories
- Geisteswissenschaften
- Medizin