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Notiz 064: Ein temporärer Kulturpakt#

(Wie es mit dem Kulturpakt Gleisdorf im Jahr 2011 begann)#

von Martin Krusche

Es ist das 19. von 20 Jahren, die ich mir für das Projekt „The Long Distance Howl“ vorgenommen hatte. (Start: 2003) Die Grundidee: ich setze ein konzeptuelles Werk mitten in meinen primären Lebensraum; wie ein Theaterstück, das sich in die Alltagsrealität entfaltet. Da das angelegt war, um in reales Leben einzuwirken, aber genau nicht als „Scripted Reality“, mußte ich damit rechnen, daß sich sehr vieles verselbständigt. Ich hatte allerdings unterschätzt, wie weit derlei Verselbständigung gehen könnte.

Gleisdorf, 14. Jänner 2009: Eine unserer typischen Kulturkonferenzen, zu denen wir laufend an wechselnden Orten eingeladen haben. (Foto: Martin Krusche)
Gleisdorf, 14. Jänner 2009: Eine unserer typischen Kulturkonferenzen, zu denen wir laufend an wechselnden Orten eingeladen haben. (Foto: Martin Krusche)

Im Rückblick scheint mir klar: die entscheidende Anregung für dieses Konzept habe ich ungefähr in den späten 1980er Jahren bekommen, als ich mit der Idee „Unsichtbares Theater“ von Augusto Boal in Berührung kam.

Ich weiß das Jahr nimmer, es war ein bundesweit angelegtes Treffen von Kulturleuten am Wolfgangsee. Ich hatte dort mit einer Frau ausgeheckt, daß ich sie mitten in einer Arbeitsrunde auf etwas grobe, paternalistische Art zusammenstauchen würde und sie darauf betont weiblich-defensiv reagieren würde, so daß ich hart nachdrücken sollte, bis ihr die anderen Leute zur Hilfe kämen.

Na, da war was los! Ich bin ziemlich überrascht gewesen, was dieses Rollenspiel bewirkte, was dabei alles sichtbar wurde. Später wurden bei meiner Arbeit sehr verschiedene Einflüsse wirksam. Das betraf dann Formen der kollektiven und prozeßhaften Kulturarbeit wie Led Art in Serbien (Nikola Dzafo & Co.), auch Treci Beograd (Selman Trtovac & Co.), oder wie die Kollektiven Aktionen aus Moskau (Andrej Monastyrski & Co.).

Old Danube House#

Doch eine Schlüsselstelle für so einen Modus wurde im Jahr 2000 deutlich, als ich anläßlich des Romans „Old Danube House“ von Walter Grond mit dem Autor ein Experiment begann. Eine Variante kollektiver Kulturarbeit, die über verschiedene Handlungsebenen zwischen Internet und Realraum aufgespannt war. Da war mir anschließend klar, daß ich so etwas auf komplexere Art realisieren möchte.

Was ab dem Jahr 2000 über die Internet-Plattform kultur.at in Gang kam und spätestens 2009 mit Kunst Ost greifbar wurde, hatte dabei immer einen Fokus auf regionaler Kulturarbeit in der Kooperation verschiedener Formationen. Außerdem hänge ich bis heute dem Modell der drei Sektoren an: Staat, Markt und Zivilgesellschaft mögen kooperieren. Also Politik & Verwaltung, Wirtschaft, Vereine & Privatpersonen.

Eines der Vorläuferprojekte im Bereoch kollektiver Kulturarbeit. (Archiv: Martin Krusche)
Eines der Vorläuferprojekte im Bereoch kollektiver Kulturarbeit. (Archiv: Martin Krusche)

Ich hab Ende 2011 begonnen, meine letzte große Netzwerkarbeit in der Region zu entwickeln, den Kulturpakt Gleisdorf. Den hat dann im März 2015 das Gleisdorfer Büro für Kultur und Marketing aus dem Bottom up-Kontext herausgelöst, reorganisiert und in die eigene Konzeption von lokaler Kulturarbeit implementiert, was vor allem bedeutet: wieder eine Hierarchie eingeführt, die dem ursprünglichen Konzept widersprach. Eine Institutionalisierung dessen, was als autonome Kulturplattform angelegt war.

Die Modusfrage wurde im Kunst Ost-Memo vom 25.11.2011 folgendermaßen formuliert: Die soziokulturelle Plattform „kunst ost“ ist ein LEADER-Kulturprojekt und basiert auf den Aktivitäten der Vereine „Kunst ost“ und „kultur.at“. In diesem Modus sind wir bei unseren Kooperationen primär a) der LEADER „Energieregion Weiz-Gleisdorf“ und b) der Kulturabteilung des Landes Steiermark verpflichtet. Auf dieser Grundlage beruhen weiterführende Vernetzungen und Kooperationen.

Zu dem Zeitpunkt lief noch das überhaupt erste steirische LEADER-Kulturprojekt, für das ich durch meine Konzeption vom Land Steiermark auf vier Jahre einen Budgetrahmen von über 400.000 Euro erhalten hatte. Das eher einzigartige Beispiel, in dem ein kleiner Kulturverein so ein Modell erproben kann.

Am 02. Mai 2013 berichtete dann Robert Breitler in der Kleinen Zeitung: „Ein neuer Pakt mit der Kultur. Eine Zusammenarbeit von Politik und Kultur auf Augenhöhe möchte der neue Kulturpakt Gleisdorf erreichen.“ (Quelle) Da war also die Phase der Projektentwicklung abgeschlossen und mit dem Rathaus eine Vereinbarung erreicht. Im Jahr 2014 gab es dann auch eine formelle Kooperation von Kunst Ost und der Stadtgemeinde im Rahmen eines LEADER-Projektes.)

Das ist alles Geschichte. Es gab mindestens ab dem Jahr 2000 in unserer Region einige Ansätze zur Kooperation diverser Kulturinitiativen, zur „Vernetzung der Szene“. Unterm Strich blieb eigentlich vor allem, daß oft eine Formation die andere als Ressource nutzte und dabei blieb, solange was zu holen war. Das gilt möglicherweise auch für Teile von Politik und Verwaltung.

Die Memos: wie es mit dem Kulturpakt Gleisdorf begann. (Archiv: Martin Krusche
Die Memos: wie es mit dem Kulturpakt Gleisdorf begann. (Archiv: Martin Krusche

Die krisenhafte Entwicklung zwischen 2015 und 2020 bekam durch die Corona-Pandemie und den 2020er Lockdown eine klare Markierung. Ich bin heute überzeugt, wir brauchen neue Modi und eine nächste Kulturpolitik. Aber das scheint derzeit keine mehrheitsfähige Ansicht zu sein.

Auch gut. Ich hab daraus Schlüsse gezogen und meine Vorstellung einer Best Practice konzentriert. Nun geht es mir nicht mehr um „Die Szene“, auch nicht um „Die Region“, sondern um kompetente und paktfähige Menschen, mit denen die Kooperation zu konkreten Themen lohnend erscheint. Siehe zum Status quo:

Um den Unterschied zu verdeutlich, den Kontrast innerhalb der gesamten Entwicklung sichtbar zu machen, habe ich die ersten Memos aus der Startphase des Netzwerkes „Kulturpakt Gleisdorf“ hier in einer PDF-Datei zusammengefaßt. Die 25 Seiten dokumentieren nicht nur meine ursprüngliche Konzeption und die Reichweite des Kooperationsansatzes, sie zeigen auch, wer damals im Kulturbetrieb regional aktiv war. Es ist allein aus diesen Gründen ein aufschlußreiches Dokument, das sich als Referenzpunkt eignet, um den Veränderungsprozeß innerhalb rund eines Jahrzehnts nachvollziehen zu können.

Das Dokument#

Kulturpakt Gleisdorf: Die erste Phase
Konzeption, Begriffsbildung und Projektimplementierung: Martin Krusche
(Die Protokolle vom 25.11.2011 bis 14.5.2012)

Kontext#

  • Zum oben erwähnten Grond-Roman siehe: „Alte Häuser bewohnbar machen“ (Walter Grond entdeckt das klassische Erzählen für sich) von Hannes Luxbacher, Schreibkraft (Graz) Heft 5/ 2001
  • Zum Projekt-Kontext siehe: "Über die Vereinsamung, die Klischees und die Mehrsprachigkeit", ein E-mail-Dialog zwischen Dragana Dimitrijevic, Walter Grond, Martin Krusche und Wessam Sami, in dessen Kontext meine damalige Plattform „praxiszone kunstraum.gleidorf“ genannt ist.