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Notiz 006: Volkskultur und Hochkultur#

von Martin Krusche

Am Tag, als Niki Passath in Graz seine Ausstellung „Zustände“ eröffnete, bot die Kleine Zeitung eine Doppelseite zum Thema Kulturförderung. Der Beitrag in der Print-Ausgabe wurde so überschrieben: „Wie sich der Kulturkuchen verteilt“. (Online entfiel diese Ansage.) Das suggeriert nach wie vor, es würden dabei Wohltaten verstreut.

Gelenkte Dialoge bei der Vernissage von Niki Passath. (Foto: Martin Krusche)
Gelenkte Dialoge bei der Vernissage von Niki Passath. (Foto: Martin Krusche)

Es hätte mir gefallen, wenn in einer Kulturredaktion eine etwas zeitgemäßer Ansicht Boden gewinnen könnte. Im Sinn von beispielsweise: „Was und wie eine Gesellschaft in ihr geistiges Leben investiert“. Oder: „Was sind uns wesentliche Beiträge in unsere Zukunftsfähigkeit wert?“ Der Bericht wird mit einer Sprachregelung aus dem vorigen Jahrhundert eröffnet: „Freie Szene, Hoch- und Volkskultur: Das Land förderte 2018…“ Das ist keine Begriffskombination, mit der man die Gegenwart treffend beschreiben könnte. Die Dichotomie „Hoch- und Volkskultur“ war in meiner Volksschulzeit noch Standard.

Ich wurde demnach ab 1962 mit solchen Zuschreibungen unterrichtet. Nun haben wir 2019. Wir sind dabeigewesen, als die Popkultur solche Betrachtungsweisen aufbrach. In diesem Kräftespiel hat auch die Wirtschaft via Werbebranche kräftig mitgemischt, hat außerdem der Markt ganz generell für Umbrüche des Kulturgeschehens gesorgt. („Hoch- und Volkskultur“ ist ein Begriffspaar aus einer ständischen Gesellschaft.)

Außerdem haben inzwischen Kunstdiskurse und Kulturdebatten stattgefunden, die den Rahmen der alten Anordnung „Hoch- und Volkskultur“ schlicht sprengen. Ich nenne drei Titel, stellvertretend für eine Kette der Diskussionsbeiträgen. Boris Groys: „Über das Neue“, Hilmar Hoffmann: „Kultur für alle“ und Niklas Luhmann: „Die Kunst der Gesellschaft“.

Zuhause hatten wir uns nicht bloß mit Wolfi Bauer und Gunter Falk auseinanderzusetzen, sondern auch mit Denkern wie Hans Haid. Aber selbst der Begriff „Freie Szene“ ist ein kulturpolitisches Produkt des vergangenen Jahrhunderts und erscheint mir ziemlich unzureichend, wenn man die heutige Situation beschreiben möchte. (Ganz zu schweigen von jenem soziokulturellen Kameradschaftsbund, der zwischen all dem für Schnarchtöne sorgt.)

(Quelle: Kleine Zeitung)
(Quelle: Kleine Zeitung)

Dieses soziokulturelle Phänomen wurde ab den 1970er Jahren greifbar, als meine Generation, die 1950er- und 1960er-Jahrgänge. auf die 1940er reagierte, wie sie zum Beispiel im Forum Stadtpark und in anderen Formationen die Nachkriegs-Steiermark kulturell veränderten.

In unserem Fall machten sich auch Konsequenzen verfehlter europäischer „Entwicklungshilfe“ bemerkbar. Wir bezogen einerseits Impulse von heimgekehrtem Personal solcher Unternehmungen, andrerseits rezipierten wir die Arbeiten Intellektueller der damals sogenannten „Dritten Welt“, zum Beispiel Paulo Freire oder Augusto Boal. Wir lasen Autoren wie Ken-Saro Wiwa, aber auch schwarze Intellektuelle Amerikas wie Alice Walker.

Wir Kinder des Kalten Krieges und der Popkultur, teilweise von Eltern und Großeltern begleitet, die keine Mitläufer sondern Täter des Nazi-Regimes gewesen sind, fanden reichlich Anlaß, diese Klammer „Hoch- und Volkskultur“ inhaltlich zu überprüfen.

Wie sich beides in meinen Volksschultagen zueinander verhalten hat, illustriert ein 1946 erschienenes Buch des im Steirischen vielfach verehrten Viktor Geramb, der es vorzog, als Viktor von Geramb zu publizieren: „Um Österreichs Volkskultur“.

Was demnach die freie oder autonome Szene sei, war eine Reaktion auf Bedingungen der 1960er und 1970er Jahre, erprobte und entwickelte sich in den folgenden Jahrzehnten, wurde zu einem etablierten Bestandteil des geistigen Lebens im Land.

Stellenweise wird nicht einmal mehr zwischen Kunst und Garten-Deko unterschieden. (Foto: Martin Krusche)
Stellenweise wird nicht einmal mehr zwischen Kunst und Garten-Deko unterschieden. (Foto: Martin Krusche)

Mir fehlt heute freilich auch in meinem Metier eine adäquate Diskussion darüber, was aus all dem geworden sei und welche Sprachregelungen geeignet wären, die gegenwärtige Situation treffend zu beschreiben. Bei der erwähnten Vernissage von Niki Passath konnte ich mit einigen Kulturschaffenden darüber reden.

Das Ergebnis dieser Plaudereien fand ich erbärmlich, die Essenz davon lautete etwa, man sei seitens der Kulturpolitik bemüht, die Szene auseinanderzudividieren, Konkurrenzverhalten zu schüren. Das ist pure Verschwörungstheorie, zumal diese Szene keine Unterstützung von außen braucht, um Konkurrenzverhalten zu pflegen. (Wie viele gute Projekte sind wohl in all den Jahren gekippt, weil der Neid um Geld und/oder Sichtbarkeit stärker wurde als der Wille zur furchtbaren Arbeit?)

Nun sind wir mitten in der Vierten Industriellen Revolution, spüren massive Klimaprobleme, können aktuelle Wanderungs- und Flüchtlingsbewegungen nicht übersehen, haben eine Menge politisches Personal vor der Nase, das sich dieser Gegenwart als nicht gewachsen erweist und daher flott in alte Narrative einschwenkt.

Am Beispiel der oststeirischen Stadt Gleisdorf hab ich eben gezeigt, daß die politischen Fraktionen allesamt sprachlos, weil vermutlich ratlos sind, was zeitgemäße kulturpolitische Agenda betrifft. Siehe dazu: Kulturpolitik im Pausenmodus!

Ich vermisse aber genauso in meinem näheren Umfeld klare und vor allem kontinuierliche Beiträge zu den öffentlichen Diskursen; und damit meine ich keinesfalls das ermüdende Gezänk über exponierte Politiker, dem sich so auffallend viele Menschen via Social Media anschließen. Ich meine fundierte Debatten zu konkreten Themen. Aber vielleicht bedeutet das bloß, relevante kulturpolitische Prozesse müssen eben wieder von vorne beginnen…