Wir freuen uns über jede Rückmeldung. Ihre Botschaft geht vollkommen anonym nur an das Administrator Team. Danke fürs Mitmachen, das zur Verbesserung des Systems oder der Inhalte beitragen kann. ACHTUNG: Wir können an Sie nur eine Antwort senden, wenn Sie ihre Mail Adresse mitschicken, die wir sonst nicht kennen!

Marxismus - Kommunismus - Sozialismus#

KASTE UND MARXISMUS#

»... andererseits ist die Entwicklung der Produktivkräfte ... auch deswegen eine absolut notwendige praktische Voraussetzung, weil ohne sie nur der Mangel verallgemeinert, also mit der Notdurft auch der Streit um das Notwendige wieder beginnen und die ganze alte Scheiße sich herstellen mußte ... (154) »... und daß also die Revolution nicht nur nötig ist, weil die herrschende Klasse auf keine andere Weise gestürzt werden kann, sondern auch, weil die stürzende Klasse nur in einer Revolution dahin kommen kann, sich den ganzen alten Dreck vom Halse zu schaffen .. .« (Karl Marx, 155)

Marx hat eine große Sehnsucht nach der Revolution. Gerade die anfänglich zitierten Stellen zeigen, daß er nur die Revolution für geeignet hält, sich »den ganzen alten Dreck« vom Hals zu schaffen. Eine entsprechende Entwicklung der Produktivkräfte ist jedoch vorher vonnöten, denn sonst würde sich »die ganze alte Scheiße« wiederherstellen.

Wir wollen uns hier keineswegs über die Wahl der Terminologie moralisch entrüsten, vielmehr nichts anderes tun, als sie zum Ausgangspunkt unserer Überlegungen zu nehmen: nur ein massiver Affektdruck kann bei einem derartig kapitalen Geist wie Karl Marx eine solche terminologische Entgleisung verständlich machen. Diese unter starkem Affektdruck gemachten Äußerungen sind ähnlich entlarvend wie die Sätze Hitlers über die Ariermädchen verführenden »Judenbankerte«. Marx identifiziert die durch die Revolution hinwegzufegende alte Weltordnung - vot allem handelt es sich hier natürlich um die Kapitalisten - mit »alter Scheiße« bzw. »altem Dreck«.

Wir haben gesehen: Die Juden identifizierten die Welt der Feinde mit dem Kot, und der Nationalsozialismus erklärt die Juden als schmutzig. Und wir sehen nun, daß Karl Marx - wir werden später feststellen: auch Mao-Tse-tung - die Kapitalisten als schmutzig erklärt. Das aufständische Proletariat ist demgegenüber »rein« und »sauber«.

Die rein-unrein Problematik ist in der Spannung Proletariat - Bürgertum außerordentlich intensiv akzentuiert. Dies auch deshalb, weil nach der analen Symbolik Kot und Geld identifiziert werden.

Nun ist das Proletariat mit seinem Eigenschaftskomplex gewissermaßen ein Konzentrat von Infantilattributen. Was es jedoch zur Zeit des Karl Marx auszeichnet, war seine wachsende Zahl. Die, wie wir erkennen werden, folgenschwerste Entwicklungstendenz in der Moderne ist jedoch darin zu sehen, daß die Zahl der Arbeiter rückläufig ist und noch weiter rückläufig sein wird. Karl Marx - wir können hier natürlich keine Tiefenpsychologie seiner Persönlichkeit entwickeln - identifiziert sich nach unten. Er, ein intellektueller Jude, folgt, ohne daß er sich darüber im klaren war, der archetypischen jüdischen Struktur, wenn er eine solche Identifikation nach unten vollzieht. Er verhält sich in vielem analog dem Moses. Nun nimmt jedoch bei Karl Marx das Proletariat, ähnlich wie der Bürger, einen mythologischen Charakter an. Das Proletariat stellt neben der konkreten Arbeiterschaft auch noch den Welterlöser dar. Es erhält Erlösereigenschaften:

»In der Bildung einer Klasse mit radikalen Ketten, einer Klasse der bürgerlichen Gesellschaft, welche keine Klasse der bürgerlichen Gesellschaft ist, eines Standes, welcher die Auflösung aller Stände ist, einer Sphäre, welche einen universellen Charakter durch ihre universellen Leiden besitzt und kein besonderes Recht in Anspruch nimmt, weil kein besonderes Unrecht, sondern das Unrecht schlechthin an ihr verübt wird, welche nicht mehr auf einen historischen, sondern nur noch auf den menschlichen Titel provozieren kann, welche in keinem einseitigen Gegensatz zu den Konsequenzen, sondern in einem allseitigen Gegensatz zu den Voraussetzungen des Deutschen Staatswesens steht, einer Sphäre endlich, welche sich nicht emanzipieren kann, ohne sich von allen übrigen Sphären der Gesellschaft und damit alle übrigen Sphären der Gesellschaft zu emanzipieren, welche, mit einem Wort der völlige Verlust des Menschen ist, also nur durch die völlige Wiedergewinnung des Menschen sich selbst gewinnen kann. Diese Auflösung der Gesellschaft als ein besonderer Stand ist das Proletariat.«(156)

Man erkennt die Verabsolutierung der Proletarierkaste, die zum Welterlöser erklärt wird. Demgegenüber muß man feststellen, daß die konkreten Proletarier gewiß im Wesen nicht schlechter sind als andere Kasten, jedoch auch nicht besser. Die Identifikation Karl Marx' mit dem Proletariat ist ein komplizierter psychologischer Vorgang, keineswegs so einfach, wie die Marxisten sich das vorzustellen pflegen. Denn sein Mitleid und seine Empörung, so verständlich sie sind, sind so legiert, daß die Empörung und die revolutionäre Aggression das Mitleid eindeutig übersteigen. Nach ihm soll das Proletariat geradezu weiter verelenden, damit es ja keine Versöhnung und keinen Ausgleich mit den Oberkasten sucht. Das Proletariat muß weiter revolutionieren, daher sind die Kommunisten eindeutig die orthodoxeren Marxisten.

Es ist klar, daß in der Relation Kapitalist - Proletarier, wie wir schon anderweitig zeigten, nicht nur für die Rein-schmutzig-Spannung, sondern auch für die ödipale Struktur eine Investmentmöglichkeit gegeben ist. Wir haben das entsprechende ödipale Dreieck schon früher gebracht.

Die untergründige Identifikation des Proletariats mit dem kapitalistischen Vater ist schon bei Marx vorgebildet. Die Lösung, mit der Marx zumindest kokettiert, ist unter anderem auch ein gemeinsames Recht auf die Frauen. Er spricht von einem »noch ganz rohen und gedankenlosen Kommunismus«, welcher der »Ehe (die allerdings eine Form des exklusiven Privateigentums ist) die Weibergemeinschaft, wo also das Weib zu einem gemeinschaftlichen und gemeinen Eigentum wird, entgegenstellt«. So tritt »das Weib aus der Ehe in die allgemeine Prohibition« (157). Es kann kaum ein Zweifel bestehen, daß dieser »rohe Kommunismus« doch sehr weitgehend die Gedankengänge einer marxistischen Generation bestimmte, wenn sich auch Karl Marx nicht mit ihnen identifizierte.

Tatsächlich wäre solch eine - total undurchführbare - »Weibergemeinschaft« die Auflösung des ödipalen Dreiecks, vor allem käme der infantile Typus in den Besitz der Mutter.

Daß der revolutionäre Affekt eine ursprüngliche Identifikation mit dem Objekt der Aggression beinhaltet, zeigt besonders deutlich die Entwicklung in den kommunistischen Staaten, auf die wir noch zurückkommen.

Bekanntlich spaltet sich die marxistische Bewegung in die des Kommunismus und des demokratischen Sozialismus. Die grundlegende Spaltung ging so vor sich, daß die eine Gruppe die Revolution um jeden Preis wollte, während die andere die vorläufige Besserstellung der Arbeiter der revolutionären Aggression vorzog und diese in die Zukunft verschob. Man erkennt, daß die erste Spielart mehr von der Aggression gegen die Oberkasten bestimmt war (Kommunismus), während der andern das Wohl der Unterkasten wichtiger erschien (demokratischer Sozialismus).

Im demokratischen Sozialismus überwog die positive Einstellung zur eigenen Gruppe das Ressentiment und die Aggression, während im Kommunismus die anti-oberkastige Aggression - treuer den »heiligen Schriften« des Karl Marx - die wohlwollende Einstellung dem Proletariat gegenüber überlagerte. Franz Borkenau erkennt richtig, wenn er in der endlosen Diskussion zwischen Lenin und Kautsky über Marx' Theorie der Übergangsperiode eine politische Notwendigkeit sieht, sie aber insofern als fruchtlos bezeichnet, als die beiden von unvereinbaren Fakten in Marx' Theorie ausgingen (158). Marx behauptet in seiner Theorie der Übergangsperiode, die »Staatsform der proletarischen Revolution werde zugleich breiteste Demokratie sein«. Er betrachtete es als selbstverständlich, daß die proletarische Diktatur keinen Terror brauchen würde, wenn sie die Diktatur der überwältigenden Mehrheit über eine kleine Minderheit sei. Dies aber ist völlig falsch und wird es noch immer mehr. Legt man nun bei Marx' Theorie den Akzent auf die Diktatur, gelangt man zum Kommunismus, legt man ihn auf die überwältigende Mehrheit, zum demokratischen Sozialismus. Marx selbst hielt die allmähliche Besserstellung der Unterkasten sogar für schädlich, weil dadurch die Revolution hinausgeschoben würde.

In der konkreten Haltung verließ der demokratische Sozialismus bald - theoretisch noch an Marx festhaltend - die Urdoktrin und erreichte eine echte Besserstellung, zugleich mit einer Entradikalisierung der Arbeiterschaft. Sehen wir uns die beiden, im Grunde wesenhaft verschiedenen Spielarten näher an.

KASTE UND KOMMUNISMUS#

»Die saubersten Menschen in der Welt sind die Arbeiter und Bauern: selbst wenn ihre Hände schmutzig und die Füße mit Kuhmist beschmiert sind, so sind sie doch sauberer als das Bürgertum.« "" (Mao Tse-tung)

»In gewissem Maße kann man unser Leben und unsere Koexistenz mit der bekannten biblischen Legende von der Arche Noah vergleichen... nach dieser biblischen Legende hat Noah eine Arche gebaut und auf diese Arche sieben Paar Reine und sieben Paar "Unreine genommen.« (Nikita S. Chruschtschow)

Der Kommunismus ist zutiefst von der Aggression des in die Infantilposition gedrängten »dreckigen Proleten« gegen die Oberkaste bestimmt, die nicht bereit ist, die Pariakaste gesellschaftlich für voll zu nehmen und sie wirklich in die Gemeinschaft zu integrieren. Das Bewußtsein, im Raum des Ekels zu stehen, ausgestoßen von der Gesellschaft, erzeugt - durch Personen erweckt, die sich, wie Karl Marx, nach unten identifizieren - heftige Aggressionen und den verständlichen Wunsch, mit den Oberkastigen gleichgeachtet zu werden. Schließlich ist es kein Wunder, wenn jener die Gesellschaft haßt, der bitter von ihr benötigt, zugleich aber abgewertet und ausgestoßen wird.

Wenn eine Aggression gegen die arroganten Bürger besteht, so ist dies also zwar verständlich, doch bedeutet die Aggression, falls sie zugleich mit einer Identifikation, das heißt, mit einer Sehnsucht einhergeht, es dem »Bürger gleichzutun«, keine echte Überwindung der Angegriffenen, ebenso wie die Bürger die Aristokratie nicht überwanden, wenn sie sich unbewußt mit ihr identifizierten. Die Relation Kapitalist-Kommunist fordert das Investment von analsadistischen und ödipalsadistischen Affekten heraus.

Wenn in unserer Untersuchung wiederholt darauf hingewiesen wurde, daß Oberkastige ihre Position sexuell ausnützen - was Eifersucht und Neid erregt -, so ist hier ein wesentlicher Kern der sadistischen Impulse im Kastenkampf aufgegriffen: Kapitalist- Proletarier (Kommunist). Die kommunistische Propaganda arbeitet mit diesen ödipalen Aggressionen. Sie richtet sie natürlich gegen jene Gruppe, die für sie die bestgehaßte und zugleich die am meisten bewunderte ist: die »Kapitalisten«. Robert Neumann hat in einer genialen Parodie des Stils Ilja Ehrenburgs die Problematik der KP-Propaganda unter anderm auf das ödipale Moment zugespitzt. Er schildert das Zusammentreffen eines rheinischen Großindustriellen mit einem KP-Abgesandten mit parodistischer Übertreibung (159):

»Aber diesmal gehört Herrn Khyssens Denken und Trachten ausschließlich dem platinencn Handwägelchen und dem Genossen Michail Konstantinowitsch Abortzew, der auf der andern Seite des Tisches auf einem schlichten Holzsessel sitzt, nachdem er die Einladung des Hausherrn, in einem der Fauteuils Platz zu nehmen, ebenso entschieden abgelehnt hat wie die Entgegennahme einer der dicken Importen, deren jede doppelt soviel kostet wie der Monatslohn des Radnabennieters Schulze im Werft XVI. ,Danke', sagte Michail Konstantinowitsch höflich, ,ich habe meinen eigenen Vorrat.' Worauf er seine Dose hervorzieht, die zwar nur aus Blech, die ihm aber vom Politbüro in Moskau für hervorragende Dienste verliehen worden ist; der Dose entnimmt er eine selbstgedrehte, mit kleingehacktem Buchenlaub gefüllte Zigarette und qualmt gleichmütig vor sich hin. Tabak - dafür werden wir in Rußland vielleicht in dreißig Jahren Zeit haben, denkt er. Nicht umsonst haben ihm die Genossen vom Handwagen-Trust als Delegierten für diese Verhandlungen mit dem rheinischen Schwerindustriellen ausgesucht. Dreißig Jahre - Rußland hat Zeit, denkt er gleichmütig. Da Herr Khysscn jetzt endlich mit der Ziffer herausrückt, die er Moskau bieten will, wenn Moskau sich bereit erklärt, China nicht mehr mit Manganerzen zu beliefern, so daß China weiter mit England paktieren muß, um südafrikanisches Manganerz zu bekommen, das England aber nur liefert, wenn Herr Tschiang Kai-schek die japanischen Händler ungeschoren läßt, die die Hauptabnehmer von Herrn Khyssens Handwagenexportfiliale in Kalkutta sind, antwortet Michail Konstantinowitsch Abortzew nicht einmal. Er würde nicht einmal antworten, wenn Herr Khyssen seine Ziffer verdoppeln sollte! Rußland, denkt er - wir haben Zeit! Inzwischen paffen wir unserm Gegenüber gleichmütig den beißenden Rauch der Buchenblätter ins Gesicht! Mag er husten!

Herr Khyssen arbeitet sich weiter an diesem unerschütterlichen Bären ab, an dem alle Verlockungen abprallen. Das Dreifache! Aber Michai Konstantinowitsch raucht.

Hier tritt ein Diener ein und flüstert Herrn Khyssen etwas ins Ohr. Er erhebt sich rasch. Dieser Russe! Diese Geschäfte! Er hat über ihnen vergessen, daß er dieses kleine Proletariermädel - wie hie sie doch? Ida Schulze - von zwei Privatdetektiven seiner Leibgarde betäuben und in sein anstoßendes Schlafkabinett hat bringen lassen. Gefahr? Haha - ein Proletariermädel! Und er ist der Geheim Kommerzienrat Khyssen! ,Sie entschuldigen mich für drei Minuten', sagte er lächelnd mit der vollendeten Verbeugung eines Weltmannes zu seinem qualmenden Besucher und tritt ins Nebenzimmer. Michail Konstantinowitsch hört, wie dort drinnen die Tür verriegelt wird, er hört den schmerzlichen Aufschrei einer proletarischen Mädchenstimme, und haben Herrn Khyssens Ziffern nicht vermocht, ihn in Bewegung zu setzen - jetzt rüttelt er ein wenig an dieser schweren Eichentür, gerade so viel, daß sie krachend aus den Fugen geht, springt vor den Erblassenden und -«

Es ist hier sehr raffiniert vieles von dem, sadistische Affekte aktivierenden kommunistischen Propagandaarsenal zusammengesucht. Man beachte dabei noch, daß Neumann dem Russen den Namen Abortzew beilegt und ihn damit anal abstempelt. Abortzew ist der Vertreter der »Schmutzigen«, der »dreckigen Proleten«. Neumann trifft damit einerseits den sowjetischen Pariakomplex, andererseits aber auch die westliche Einschätzung der Sowjets. Die Kommunisten werden von einem Großteil der westlichen Welt quasi als Kanalräumer der Menschheit eingeschätzt und fühlen sich zum Teil auch so. Mao Tse-tungs Abwehrreaktion und Umwertungstechnik haben wir schon an anderem Ort betrachtet. Die Worte Chruschtschows, die wir nach jenen Maos oben als Motto zitierten- sie stammen aus einer Rede vor der österreichisch-sowjetischen Gesellschaft in Wien -, sind jedoch ebenfalls sehr aufschlußreich. Wie in der Arche Noah reine und unreine Tiere zusammen leben, muß der Osten und der Westen zusammen leben. Chruschtschow sagte nicht, wen er mit den reinen und wen mit den unreinen meinte. Aber obwohl er, wie er in der gleichen Rede sagte, in der Schule auch Religion hatte - »und der Geistliche hat mir immer für meine Leistungen recht gute Noten erteilt« - unterlief ihm hier eine interessante Fehlleistung. Die Bibelstelle spricht nämlich (Gn 7,2) nicht von sieben Paar reinen und sieben Paar unreinen Tieren, vielmehr von sieben Paar reinen, jedoch von den unreinen nur als von zweien. Der Mechanismus der Erinnerungsarrangierung von zwei auf sieben, wodurch gleichviele reine und unreine Tiere in der Arche wären, legte nahe, anzunehmen, daß Chruschtschow die Kommunisten mit den unreinen identifiziert, aber sie durch die Aufstockung der Zahl zu gleichwertigen Partnern macht. Hätte er in dieser Seelenschicht, in welcher er die Erinnerungsarrangierung vornahm, die Kapitalisten als schmutzig angesehen, hätte er eher nicht die Vergrößerung der Zahl vorgenommen.

Kehren wir zur Parodie Neumanns zurück. So wichtig dabei die Analproblematik ist, spitzt er den Konflikt letztlich doch ödipal zu. Gerade die Vergewaltigung des Proletariermädchens, dessen Name dem Kapitalisten gerade noch einfällt, macht den Russen lebendig: »Und haben Herrn Khyssens Ziffern nicht vermocht, ihn in Bewegung zu setzen, jetzt. . .«

Die aggressive Dynamik wird hier also ödipal ausgelöst und nicht anal. Wir erkennen die tieferen Motivationen dieses Revolutionsdranges. Der echtere Marxismus ist wohl der Kommunismus. Denn, wie Borkenau wieder richtig sagt, war Marx Revolutionär, »nicht, weil die vorgegebene Wirklichkeit es nahelegte, sondern in totaler Mißachtung dieser Wirklichkeit, so sie seinen revolutionären Wünschen widersprach.«

Die Revolution war ihm wichtiger als die Besserstellung des Proletariats. In Rußland trat ein revolutionärer Kastenwechsel ein. Die Ressentimentidentifikation führte groteskerweise lange Zeit zu einer Fixierung früh- und monopolkapitalistischer Verhältnisse des alten Europa. Noch mehr jedoch bestand und besteht ein intensives Identifikations-Aggressionsverhältnis zwischen den Sowjets als Kommunisten und den US-Amerikanern, die als Kapitalisten angesehen werden. Man erfaßt die Wirklichkeit der UdSSR nur sehr ungenau, wenn man in ihr einfach nur eine Realisierung kommunistischer Doktrin sehen will. Soweit wir hier auf die Sowjetunion Bezug nehmen, versuchen wir nur die kommunistisch-doktrinäre Seite zu betrachten. Auf sie geht wohl jene geheime, uneingestandene Bewunderung der USA zurück, die sich zugleich mit heftiger Aggression verbindet. Obwohl die Imitation amerikanischer Autos durch die Sowjets genügend bekannt ist, ist doch der anschauliche Vergleich zwischen dem kapitalistisch-bourgeoisen US-Cadillac und dem sowjetischen Sil sehr interessant.

Was den Cadillac ausgesprochen kapitalistisch macht, ist der Geldprotz, der bei ihm zum Ausdruck kommt. Der funktionslose und unästhetische Chromputz an der Vorderfront ist unangenehm aufdringlich. »Dollargrin« - »Dollargrinsen«, nennen dies die Amerikaner. Nun ist die protzige Gelddemonstration schon unangenehm genug und keineswegs nachahmenswert. Denn der Besitz ist keineswegs ein angemessener Wertmaßstab des Besitzers. Noch schlimmer wird jedoch die Sache, wenn man diesen Stil imitiert, wie dies die Sowjets tun. Gerade darin zeigt sich die uneingestandene Abhängigkeit vom bewunderten und zugleich gehaßten Kapitalisten, wenn einem nichts Besseres einfällt, als ihn zu imitieren. -

Bild 'Autos'

Vergleicht man die europäischen Automarken, so muß man feststellen, daß sie sich bewundernswürdig selbständig hielten, abgesehen von jenen, die US-Firmen gehören. Aber keiner der guten französischen, britischen, italienischen, deutschen Firmen haben sich nach dem zweiten Weltkrieg dazu verleiten lassen, einfach US-Amerikaner zu imitieren. Der wesentlich stärkere kulturelle Selbststand kommt darin zum Ausdruck. Selbst die von der Sowjetunion absorbierten Staaten haben sich nicht hinreißen lassen, sich dem sekundäramerikanischen russischen Stil zu ergeben (man denke an die tschechischen und polnischen Autos). Betrachten wir die Form der Autotypen keineswegs als uninteressant! Sie geben einen guten Einblick in die psychische Verfassung einer Nation.

Bilder durch Anklicken vergrößern!

Bild 'Hotel'


Bild 'Baustil'

Aber auch der Baustil zeigt den sekundärkapitalistischen Charakter der Kommunisten. Betrachten wir etwa das Waldorf Astoria, das ein eindeutig US-kapitalistisches Bauwerk ist, ohne daß sich hier allerdings der reine Geldprotz bemerkbar gemacht hätte. Der US-»Wolkenkratzer« hat einen guten, funktionell richtigen Sinn.

Während der Stil der ursprünglichen sowjetischen Revolution, wie der Entwurf links unten zeigt, revolutionär, echt fortschrittlich war, also ultramodern, und sich hier ein Vorausgreifen unerhörten Ausmaßes anzukünden schien, blieb der folgende, stalinistische Stil, direkt im Sekundärhaften stecken. Wie wir an der stalinistischen Moskauer Universität erkennen(rechts oben), ist es wohl unzweifelhaft, daß bei der Konzipierung des Plans das amerikanische Wolkenkratzerschema entscheidend als Vorbild mitspielte, wenn auch noch andere Komponenten diesen Bau mitbestimmten.

Man kann die Dialektik noch weiter verfolgen. Auf Stalin folgte die Entstalinisierung, und damit kam ein Typus nach oben, der einerseits stalinistische Elemente in sich vereinigte, andererseits jedoch wieder auf Lenin zurückgehen wollte. Diese sekundärrevolutionäre Welle brachte einen Stil mit, der der westlichen Modernität der dreißiger Jahre entspricht, sich jedoch in einzelnen Produkten bis in die der fünfziger Jahre vortastet.

Die sekundärfeudalistischen Momente der Sowjets besprechen wir später, sie gehören in die speziell russische Problematik. Die Sowjets haben, ähnlich wie ödipalfixierte Personen, ein infantiles Vaterbild vom Kapitalismus. Fixiert an ein altes Kapitalismusbild (auch der Neurotiker ist nicht an den gegenwärtigen Vater fixiert, sondern an das Vaterbild seiner Kindheit), das vor 100 bis 50 Jahren Geltung hatte, wird vom Kommunismus zum Teil gegen Windmühlen gekämpft, bzw. er rennt ohnehin offene Türen ein.

Innerhalb des russischen Kommunismus stellen die KP-Führer sekundäre Oberkastige dar. Sie sind, wie alle Sekundärtypen, besonders darauf bedacht, ihre Oberkastigkeit anerkannt zu sehen, und vertreten auch ein sekundär oberkastiges Volk, das voller Minderwertigkeitsgefühle gegen den Westen ist. Es ist klar, daß der revolutionäre Kastenwechsel in Rußland keineswegs Kastenfremdheit schuf, sondern eine sehr komplizierte psychische Situation. Selbst die angestrebte - extrem formuliert - Eigentumslosigkeit als Überwindung der Ausbeutung und der Vermögensschranke, das zentrale Anliegen des Marxismus, mißlang. Wir müssen den Kommunismus als einen Versuch betrachten, innere Eigentumsfreiheit durch formale Eigentumslosigkeit zu realisieren. Die Abschaffung des Privateigentums macht keineswegs den Mißbrauch menschlicher Güter unmöglich. Sie schläfert gerade das Gewissen im Blick auf die Verfügung über die Güter ein, indem sie die Relation zum Eigentum entpersönlicht. Wenn jemand zwar formal nicht der Eigentümer von etwas ist, doch praktisch das Verfügungsrecht darüber besitzt und auch die Möglichkeit der Nutznießung, so ist damit für die Gesellschaft wenig gewonnen. Denn die Fixierung an den Besitz und seine Erstarrung in Unproduktivität wird dadurch keineswegs verhindert. Im Gegenteil wird das Eigentum gerade dadurch, daß es gleichsam allen gehört, so behandelt, als ob es niemandem gehören würde.

Dieses Paradox entsteht durch die ressentimenthafte Grundlage des kommunistischen Systems. Weil der Kommunismus mit Idealen der Eigentumslosigkeit angetreten ist, darf niemand etwas besitzen. Da aber die Berufsrevolutionäre vielleicht uneingestanden, also unbewußt, oder aber bewußt die Rolle der alten Herren übernehmen wollten, wurden sie durch die Revolution Besitzer. Sie sind unbewußte Besitzer und bewußte Nichtbesitzer, uneingestandene Kapitalisten also. Diese Tatsache begründet eine neurotische Konstellation, bei ständigen ambivalenten Reaktionen.

Milovan Djilas hat es gut dargestellt, ohne allerdings über die psychologischen Deutungskategorien zu verfügen:

»Besitz ist nichts anderes als das Recht auf Profit und Kontrolle. Wenn man den Klassenvorteil als dieses Recht definiert, so handelt es sich bei den kommunistischen Staaten letzten Endes um eine neue Form des Besitzes und um die Entstehung einer neuen herrschenden und ausbeutenden Klasse. (160) "Die neue Klasse fühlt instinktiv, daß die nationalen Güter tatsächlich ihr Eigentum sind und sogar, daß Ausdrücke wie 'sozialistisches', 'soziales' und 'Staatseigentum' nichts weiter zu bedeuten haben als eine allgemeine legale Fiktion.« (161)! "Praktisch zeigt sich das Besitzprivileg der neuen Klasse als das ausschließliche Recht, als ein der politischen Bürokratie zustehendes Parteimonopol, das Nationaleinkommen zu verteilen, die Löhne festzusetzen, die wirtschaftliche Entwicklung zu steuern und über das verstaatlichte und anderes Eigentum zu verfügen. So scheint es auch dem Mann von der Straße, der den kommunistischen Funktionär als sehr reich ansieht und als einen Mann, der nicht zu arbeiten braucht.« (162) »Selbst die kommunistischen Führer gehen mit dem Volkseigentum um, als gehöre es ihnen, aber gleichzeitig vergeuden sie es, als gehöre es jemand anderem. Das ist die wahre Natur des kommunistischen Eigentums, der kommunistischen Macht und des kommunistischen Systems.« (163)

Weil also den kommunistischen Führern das Eigentum gehört, nützen sie es aus. Weil es ihnen aber zugleich nicht gehört, verschwenden sie es. Die kommunistische Funktionärskaste offenbart die Problematik aller Sekundärbesitzer - Neureichen. Sie haben aber zugleich ein Über-ich, das Eigentumslosgikeit verlangt. Ein Verständnis für die komplizierte Psychologie der kommunistischen Funktionäre könnte für die Diplomatie des Westens von großer Bedeutung sein. Die Sowjetführer im besondern identifizieren sich mit dem Proletariat, das sie, ihrer eigenen Theorie nach,, vertreten. Sie tun dies gegen die westliche Welt, insbesondere gegen die USA. Es würde zu weit führen, alle Komplikationen, die sich aus den Über- und Unterschichtungen der Identifikationen innerhalb des Kommunismus ergeben, ins Detail zu verfolgen. Wir wollen nur andeuten, wie entscheidend wichtig diese Dinge sind.

Komplizierte seelische Konstellationen ermöglichen Wandlungsprozesse nach oft unerwarteten Richtungen, da diese durch relativ geringfügige Anstöße ausgelöst werden können.

KASTE UND SOZIALISMUS#

«... und wir Sozialisten müssen immer wieder den Dreck aus dem Karren ziehen.« (Fehlleistung eines Sozialistenführers)

Die psychologische Situation des Sozialismus ist komplizierter als die des Kommunismus, da es sich beim demokratischen Sozialismus um eine ungleich normalere Struktur handelt und die inadäquaten Affekte sich subtiler äußern.

Ohne Frage steht dem Proletariat rechtmäßig ein Aufstieg zu, und zwar nicht nur einzelnen Personen, sondern der ganzen Kaste. Das sehen und sahen die sogenannten »Unternehmer« sicherlich bis zu einem gewissen Grad ein. Die besten unter den Kapitalisten haben von sich aus versucht, den Bildungs- und Besitzgrad der Arbeiterschaft zu heben. Bata oder Zeiß haben von sich aus ihre Verpflichtung und Verantwortung für ihre Leute erkannt und mit Erfolg ihre Mitarbeiter hinaufzuheben getrachtet. Aber auch hier folgte das Recht der Gnade. Ebensowenig wie gegen einen König oder Kaiser revolutioniert wird, der sich weithin sichtbar für den Aufstieg seiner »Untertanen« einsetzt, ebensowenig hat die Arbeiterschaft gegenüber Unternehmern opponiert, die sich ausdauernd und nachdrücklich um die allseitige Entwicklung ihrer Arbeiterschaft bemühten.

Der Reifungsprozeß der Kinder spielt sich im besten Fall so ab, daß opferbereite Eltern deren inneres und äußeres Wachstum bejahen und eine Freude haben, wenn die Nachkommen ihr eigenes Niveau erreichen. Im gegensätzlichen Fall hingegen kämpfen die Eltern gegen den Aufstieg und versuchen, die Kinder klein zu halten. Gerade so aber provozieren sie die revolutionäre Aggression und den revolutionären Sadismus. Weder der eine noch der andere Fall ist jedoch die Regel.

Bei den aufstiegsbejahenden Eltern handelt es sich um eine Elite, bei den aufstiegsverneinenden meist auch um eine Minderheit. Die große Zahl liegt dazwischen. Das heißt, die Einstellung zum Aufstieg der Kinder ist ambivalent, also zugleich gewollt und ungewollt.

Analog preschen Führer der Unterkastigen vor und fordern viel; dabei wird von oben nur ein Teil gewährt, denn man sieht einen Teil der Forderungen als gerecht an. Das Kind erkämpft sich mit steigendem Reifeprozeß die Freiheit und lernt zugleich, aus der äußeren korrigierenden Instanz eine innere zu machen, also Verantwortung gegenüber dem Ganzen zu tragen.

Den väterlichen Instanzen gehen die Forderungen nach Autonomie meist zu weit und werden zu früh gestellt, während den nachdrängenden kindlichen Instanzen der Prozeß nicht schnell genug scheint. Das proletarische Nachdrängen hat einen andern Akzent als das bürgerliche.

Die als Motto gebrauchte Fehlleistung eines Sozialistenführers liefert uns ein ausgezeichnetes Modell zum tiefen Verständnis der sozialistischen Grundaffekte oral-anal. Sie unterlief einem Mann, dessen prominente Stellung es verbietet, ihn namentlich zu nennen (164). Während eines Vortrags erzählte er, daß durch die Politik der anderen Parteien der Staatskarren verfahren würde. Die Sozialisten müßten immer wieder die Situation retten. Er wollte dies durch eine Redewendung deutlich machen, der Satz sollte lauten: ». .. und wir Sozialisten müssen immer wieder den Karren aus dem Dreck ziehen.« Sich versprechend, sagte er jedoch: «... und wir Sozialisten müssen immer wieder den Dreck aus dem Karren ziehen.«

Diese Fehlleistung ist deshalb von großem Interesse, weil sie die oral-analen Grundlagen der Affektivität des Sprechers deutlich macht. Wir dürfen nicht unterlassen, auch den ursprünglich intendierten Satz in unsere Betrachtung einzubeziehen. Andernfalls käme unser Schluß einer Entwertung des Bewußtseins gleich. Die Fehlleistung ist jedoch der Ausdruck eines Konflikts zwischen einer bewußtseinsnäheren und einer bewußtseinsferneren Instanz. Die bewußte Intention lautet: »Und wir Sozialisten müssen immer wieder den Karren aus dem Dreck ziehen.« Der Redner meint, die Politik der anderen sei »verfahren««, und von sozialistischer Seite sei immer wieder eine Korrektur nötig. Wir wollen den Wahrheitsgrad dieser Behauptung nicht untersuchen. Vom Unbewußten her wurde der Sinn des Satzes durchkreuzt und nach einer völlig anderen Richtung verbogen. Statt den verfahrenen Karren wieder flott zu machen, soll aus ihm der »Dreck« gezogen werden. Dieses Herausziehen des Drecks - mithin die Erleichterung des Karrens - liegt also in der tieferen Absicht des Sprechers. Wir erinnern an die orale Traumatisierung des Proletariats: es soll verhindert werden, daß sich oben zu viel ansammelt. Das Herausziehen ist also wesentlich. Daß es noch dazu Dreck ist, der herausgezogen werden soll, ist von großer Bedeutung.

Wir sprechen auch unter anderm über eine Karikatur des österreichischen Finanzministers mit dem »Esel-streck-dich« - die assoziative Gemeinsamkeit von Dreck, Gold und Geld. Die sozialistische Tendenz wäre also, immer wieder möglichst viel Geld aus dem Staatskarren bzw. der sogenannten Wirtschaft herauszuziehen. Daß diese Tendenz oft, ohne genügende Rücksicht auf das gegebene Potential und ohne genügende Beachtung längerer wirtschaftlicher Entwicklungsmöglichkeiten, wirksam ist, macht sie sehr problematisch. Jedenfalls sind sozialistische Tendenzen sehr gut mit dieser Fehlleistung auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Daß sich diese Tendenz, durch einen Überbau hindurchbrechend, äußert, zeigt jedoch daß sie eben diesen Überbau berücksichtigen muß, das heißt, eine staatspolitische Korrektur erfährt. Ich wüßte nicht, welcher Psychoanalytiker eine andere Deutung der vorliegenden Fehlleistung vornehmen könnte.

Wenn der wesentliche Unterschied zwischen dem Kommunismus und dem Sozialismus gerade darin besteht, daß den Kommunisten ihr Ressentiment wichtiger, ihnen also die Enteignung der Kapitalisten wesentlicher ist als das Wohlergehen des Proletariats, den Sozialisten hingegen das Wohlergehen der Arbeiter wichtiger ist als die Enteignung der Kapitalisten, so bedeutet dies keineswegs, sie seien frei von jedem Ressentiment. Die obige Fehlleistung zeigt das Ressentiment als vorhandene Tendenz, alles »aus dem Karren« zu räumen. Daß es sich jedoch um eine Fehlleistung handelt, bedeutet: Die Tendenz ist unein-gestanden da, wird ungern zugegeben, muß rationalisiert werden und liegt mit einem wohl echten Sozialgewissen im Kampf. Nach diesem ist nicht Wegnehmen, sondern die allgemeine produktive Entwicklung primär wichtig.

Daß der Sozialismus im Laufe der letzten Jahrzehnte eine gewaltige Adaptionsleistung vollzogen hat, können nur in verkrampft konservativer Haltung Fixierte leugnen. Vielen Sozialisten ist heute sicher das Heben der Unterkasten wichtiger als die Liquidation der Oberkasten, wenn es sie auch einen nicht unbeträchtlichen inneren Kampf kostet, ihren Trotz zu überwinden. Wenn man die verschiedenen sozialistischen Programme ansieht, merkt man zwar immer noch eine Kampfposition nach oben an Stelle einer besonderen Tendenz zu konstruktiver Zusammenarbeit - der Durchbruch zu echter Kastenfremdheit steht noch aus -, doch kann man für die nähere Zukunft noch wesentliche Durchbrüche erwarten.

In diesem Zusammenhang ist eine andere sozialistische Fehlleistung interessant. Einführend zu einem Vortrag über »Christentum und Sozialismus« sprach ein Sozialistenführer über die Aufgabe, Christentum und Sozialismus zu verbinden, das heißt, er wollte es so formulieren. Er versprach sich jedoch und sagte statt verbinden verbieten. Auch hier erkennen wir Bewußtes und Unbewußtes im Kampfe liegend. Denn seinem unbewußten Drange nach möchte er die Verbindung verbieten.

Die Entwicklung des sozialistischen Adaptionsprozesses wird von mehreren Momenten weitergetrieben. Ein wesentliches Moment ist die Tatsache, daß sozialistische Führer in bedeutende Positionen von Staat und Wirtschaft aufstiegen, somit oberkastige Positionen einnehmen. Die Abwehrtechnik der Oberkasten wird damit bei ihnen wirksam, und es bricht oft die innere Sehnsucht nach dem Kapitalismus durch. Der Leistungsstil dieser Sekundär-Kapitalistcn ist oft nicht besser, sondern häufig schlechter als der der Primärkapitalisten. Auch sie müssen befehlen und tun dies, weil sie es nicht gewohnt sind, oft sehr demonstrativ. Und die sozialistischen Untergebenen merken oft keine Änderung oder eher eine zum Schlechteren.

Die Untergebenen sind den antiherrschaftlichen Trotz und somit eine schleppende, oft direkt sabotierende Haltung gewohnt, die auf einmal anders werden soll. Der Antiaffekt trägt negative Früchte (die schlechte Arbeitsmoral) auch den Sekundär-Kapitalistcn gegenüber. Wie sehr dem Untergebenen die sozialistische Führerschaft in der Befehlsposition zum Problem wird, zeigt folgendes Beispiel, bei dem jedoch auch noch die Tatsache eine Rolle spielt, daß in Österreich manchmal aus politischen Gründen ungenügend Geschulte in wichtige wirtschaftliche Positionen kommen.

Der Kleinbauer 2/316, der zusätzlich in einer Zimmerei als Arbeiter beschäftigt ist und sozialistisch wählt, meint recht interessant zu »Generaldirektor«:

»Es gibt Generaldirektoren, die was wirklich was drinn haben im Kopf... und es gibt a zweite Sort'n von die Generaldirektoren, die was direkt von der Partei praktisch dort hingestellt wird, es muß aber net sein, daß er vielleicht nix kann... im Gegenteil (!), aber andere ist mehr auf an Posten als Generaldirektor, hat von dem Ganzen sehr wenig oder koa Ahnung net. Kann gar net sagen, daß mir aner unsympathisch ist, wenn aner wirklich Generaldirektor ist, muß er schon was drin haben im Kopf und muaß was leisten.«

Der Affekt zerschlägt die Logik des Satzbauses, und die Rationalisierung verdreht das ursprünglich Intendierte in sein Gegenteil. Der negative Affekt wird natürlich dem politischen Generaldirektor zugedacht, aber im Augenblick, in dem er dies ausspricht, versucht er dies durch plötzliche Abwertung der anderen Kategorie des Generaldirektors rückgängig zu machen. Am liebsten würde er überhaupt jede Negativität aufheben, aber dies scheitert daran, daß er ein Zweikategoriensystem einführt. Die Unterscheidung von zwei Kategorien innerhalb der Gruppen hängt nicht mit einer echten Kastentungebundenheit zusammen, sondern ist, wie das Definieren beim Assoziationstest, ein Mittel, sich der affektiven Aussage und Stellungnahme zu entschlagen. Er will dadurch ein affektives Unbeteiligtsein vortäuschen. Der Affekt gegen den politischen Generaldirektor gerät bei ihm in Konflikt mit seiner eigenen politischen Überzeugung. Denn sein Generaldirektor ist Sozialist, er muß ihn verteidigen, da er sich selbst auf diese Doktrin festgelegt hat. Aber auch noch ein anderes Moment - wir holen etwas weiter aus - drängt die Sozialisten zu produktiven Adaptionen: ursprünglich rekrutierten sich die Sozialisten aus Arbeitern und jenen, die sich mit ihnen identifizierten. Ihr Kreis umfaßte jene die innerhalb des Ekeltabus fielen. Wie schon ausgeführt, wurden nun die Oberkasten für »schmutzig« erklärt. Der Versuch, auch den Proletarierbegriff im gleichen Sinn umzuwerten und Oberkastige als die eigentlichen Proleten zu bezeichnen, wie dann und wann probiert wurde, mißlang. Immerhin gibt es die Begriffe: »studierte Proleten« und »Stehkragenproletarier«. Der erste Begriff meint Personen, die trotz eines Studiums verschiedene unterkastige Verhaltensweisen beibehalten. Der »Stehkragenproletarier« ist ein Intellektueller, der sich mit den Proletariern identifiziert, dieser Begriff ist jedoch schon ziemlich altmodisch.

Einen weiteren Versuch, das Ekeltabu umzuwerten, finden wir in der meist unausgesprochenen, auch schon erwähnten Behauptung, daß nur die Schmutzarbeiter »wirklich«, »eigentlich« arbeiten, die andern jedoch, wenn überhaupt, »nur« mit dem Kopf. Schon der an sich unsinnige Begriff des »Arbeiters« enthält eine Identifikation von Arbeit mit subalterner Schmutztätigkeit.

Nun wurde und wird noch die Zahl der »Arbeiter«, die Zahl der Proletarier immer kleiner. Zugleich damit wuchs die Bildung der Arbeiter, und sie muß auf Grund der Forderungen der Industrie weiter wachsen. Nicht der Hilfsarbeiter hat die Zukunft, sondern der Ingenieur, - eine sehr schöne Perspektive. Der Arbeiter der Zukunft ist ein Maschinenaufseher mit qualifizierter Bildung. Abnehmende Zahl und Herauswachsen der Arbeiter aus dem Ekeltabu drängt also die Sozialisten zu produktiver Adaption. Um die Basis der sozialistischen Parteien zu vergrößern, wurde der Begriff des »Arbeiters« durch den des »arbeitenden Menschen« ersetzt, dadurch soll der zu enge Begriff des »Arbeiters« erweitert werden. Man strebt an, die Trennungslinie der Parteien nicht mehr bei der Ekelschranke, sondern bei der Herrschaftsschranke verlaufen zu lassen und wenigstens alle subalternen Angestellten und kleinen Bauern mit zu umfassen:

Bild 'Sozi'

Die These, »alle Nichtschmutzarbeiter arbeiten nichts«, wird durch die andere, »alle Übergeordneten arbeiten nichts«, ersetzt. Bei den Bauern geht es um die Kleinbauern, die nur wenig Besitz haben. Hier sind jene, die wenig besitzen, die »arbeitenden Menschen«, die Großbauern jedoch - sie haben mehr Besitz und Gesinde und sind größere Herren - sind keine »arbeitenden Menschen« mehr.

Die Inkonsequenz, daß damit auch die Sozialistenführer zu den nichtarbeitenden Menschen zahlen, wird in Kauf genommen. Der Kommunismus behauptet wiederum mit dem Begriff der »Werktätigen« indirekt, daß es »Nichtwerktätige« gäbe, die von den Gegnern vertreten würden. De facto fällt es auch einem Sozialisten sehr schwer zuzugeben, daß ein Industrieller etwas arbeitet. Aber selbst der Kommunismus traut sich nicht mehr, mit der Vokabel »Proletarier« zu werben, er führte dafür die analog zu »Volksdemokratie« geprägte Vokabel »Werktätige« ein. Man erkennt, daß sich die Begriffsinhalte sehr stark verändern und in Fluß sind.

Die neuesten sozialistischen Entwicklungen zielen offenbar selbst auf die Liquidation der antiunternehmerischen Ressentiments. Käme es so weit, daß ein kastenfremder und gutwilliger Unternehmer für gemeinschaftsfähig gilt, kann das sadistische Moment im Marxismus zugunsten der Idee einer umfassenden Gemeinschaft als überwunden gelten.